George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Die Ehepackten wurden alsbald abgeschlossen. Gleich nachdem Fränzchens Trauerzeit vorüber sein würde, sollte die Hochzeit stattfinden. Es handelte sich nur noch darum Landry zurückkommen zu lassen. Als aber an demselben Abend die Mutter Barbeau sich aufmachte um Fränzchen zu besuchen und sie zu umarmen und ihr ihren mütterlichen Segen zu geben, machte sie ihr zugleich Vorstellungen darüber, daß Sylvinet auf die Nachricht von der bevorstehenden Hochzeit seines Bruders wieder krank geworden sei. Sie bat also, daß man noch einige Tage warten möchte, bis er entweder wieder genesen oder getröstet sein würde.

»Sie haben etwas Verkehrtes gethan, Mutter Barbeau,« sagte die Fadette, »als Sie Sylvinet darin bestärkten, daß es kein Traum gewesen sei, als er mich beim Erwachen aus dem Fieberschlafe an seinem Bette sah. Jetzt werden seine Vorstellungen den meinigen widerstreben; und ich werde nicht mehr dieselbe Kraft besitzen ihn während seines Schlafes zu heilen. Es könnte sogar sein, daß er mich zurückstößt, und daß meine Gegenwart sein Übel verschlimmert.«

»Das glaube ich nicht,« erwiderte die Mutter Barbeau; »denn sobald er sich nicht wohl fühlte, legte er sich nieder und sagte dabei: ›Wo ist denn die Fadette? Mir ist, als ob sie mir Erleichterung verschafft hätte. Wird sie denn nicht wieder kommen?‹ Darauf habe ich ihm gesagt, daß ich dich holen würde, womit er nicht nur einverstanden war, sondern er schien sogar darnach zu verlangen.«

»Ich werde kommen,« sagte die Fadette; »allein dieses Mal werde ich es anders anfangen müssen; denn das kann ich Ihnen sagen, das Verfahren, mit dem es mir bei ihm gelungen ist, so lange er nicht wußte, daß ich da war, wird nicht mehr wirksam sein.«

»Aber nimmst du denn weder Kräuter noch andere Arzneien mit?« fragte die Mutter Barbeau.

»Nein,« sagte die Fadette; »sein Körper ist eigentlich nicht krank; ich habe es nur mit seinem inneren Menschen zu thun. Ich werde versuchen seinen Willen dem meinigen zu unterwerfen, aber ich kann Ihnen durchaus nicht versprechen, daß es gelingen wird. Alles, was ich versprechen kann ist, geduldig die Rückkehr Landrys zu erwarten, und nicht zu verlangen, daß Sie ihn benachrichtigen sollen, bevor wir nicht alles aufgeboten haben, seinen Bruder wieder gesund zu machen. Landry hat mir dies selbst so ans Herz gelegt, daß ich weiß, er wird mir beistimmen seine Rückkehr zu verzögern.«

Als Sylvinet die kleine Fadette an seinem Bette erblickte, schien er unzufrieden darüber, und wollte ihr auf ihre Fragen nach seinem Befinden durchaus nicht antworten. Sie wollte ihm den Puls fühlen, aber er entzog ihr seine Hand und wandte sein Gesicht von ihr ab. Fadette machte darauf ein Zeichen, daß man sie mit ihm allein lassen solle, und als die Anwesenden alle hinausgegangen waren, verlöschte sie die Lampe und ließ das Zimmer nur vom Schein des Mondes beleuchten, der in diesem Augenblick in seiner ganzen Fülle am Himmel stand. Als sie sich dann wieder zu Sylvinet wandte, sagte sie ihm im Tone des Befehls, dem er wie ein Kind gehorchte:

»Sylvinet, legen Sie Ihre beiden Hände in die meinigen, und antworten Sie mir der Wahrheit gemäß, denn es geschieht nicht um Geld, daß ich mich bemühe. Wenn ich gekommen bin, um Sie zu pflegen, so will ich nicht schlecht und undankbar von Ihnen behandelt sein. Geben Sie also wohl acht auf das, was ich Sie fragen werde, und was Sie mir darauf antworten, denn es würde Ihnen nicht gelingen mich zu täuschen.«

»Fragen Sie mich, wie es Ihnen angemessen scheint, Fadette,« erwiderte der Zwilling, der ganz erstaunt war, sich so streng von der spöttischen kleinen Fadette angeredet zu hören, der er in früherer Zeit so oft mit Steinwürfen geantwortet hatte.

»Sylvain Barbeau,« ergriff sie wieder das Wort, »es scheint, daß Sie gern sterben möchten.«

Sylvain fühlte sich innerlich etwas erschüttert und es dauerte ein wenig, bis er sich zu einer Antwort sammeln konnte. Als die kleine Fadette ihm die Hand etwas kräftig drückte, damit er die Kraft ihres Willens empfinden sollte, sagte er in großer Verwirrung:

»Wäre es nicht das Beste, was mit mir geschehen könnte, wenn ich stürbe, da ich doch wohl einsehe, daß ich für meine Familie eine Plage und eine Last bin . . . . durch meine Kränklichkeit und durch . . . .«

»Sprich es aus, Sylvain; du darfst nichts vor mir verhehlen.«

»Und durch meine traurige Gemütsart, die ich nicht zu ändern vermag,« sprach der Zwilling ganz überwältigt.

»Und durch dein verstocktes Herz,« sagte die kleine Fadette in einem so harten Tone, daß er darüber in Zorn und gleich darauf in Furcht geriet.


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