George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Wer sie aber häufig sah und ihr große Aufmerksamkeit erzeigte, das war Landry Barbeau. Er geriet ganz außer sich, wenn er nicht nach Gefallen mit ihr reden konnte. Sobald er nur einen Augenblick mit ihr zusammen sein konnte, war er gleich wieder beruhigt und zufrieden, weil sie ihn lehrte vernünftig zu sein, und ihn über alles tröstete, was er peinliches dachte und empfand. Sie trieb ein feines Spiel mit ihm, das vielleicht nicht ganz frei von Koketterie war; wenigstens glaubte er dies manchmal selbst. Aber, da sie in redlicher Absicht verfuhr und ihn trotz seiner Liebe zu ihr durchaus nicht als gebunden betrachten wollte, wenigstens nicht eher, als bis er die Sache bei sich reiflich überlegt haben würde, so hatte er wenigstens keinen Grund ihr böse zu werden. In ihr konnte eben so wenig irgend ein Argwohn auftauchen, daß er sie über die Kraft und Ausdauer seiner Gefühle täuschen wolle, denn dies war überhaupt eine Art von Liebe, wie sie bei den Landleuten, die in ihrer Liebe gelassener und ruhiger zu sein pflegen, als die Städter, nicht häufig vorkommt.

Grade Landry hatte sonst einen gleichmütigeren Charakter als andere, und niemals hätte man es voraussehen können, daß er so rasch Feuer fangen würde, und wer darum gewußt hätte, denn er war sorglich bemüht seine glühende Leidenschaft geheim zu halten, würde sich höchlich darüber gewundert haben. Die kleine Fadette aber, als sie erkannte, daß er sich ihr so ganz und gar und so plötzlich hingegeben hatte, befürchtete, daß seine Liebe nur ein Strohfeuer sein möchte, oder mehr noch, daß sie selbst in ungeschickter Weise Feuer fangen könnte. So ging die Sache nicht weiter und das Verhältnis hielt sich in den Grenzen, wie dies zwischen zwei jungen Leuten natürlich ist, die noch nicht im heiratsfähigen Alter stehen, wenigstens nicht nach den Ansichten der Eltern und den Vorschriften der Vernunft, die Liebe selbst weiß freilich nicht viel von Worten, und wenn sie einmal bei zwei jungen Leuten das Blut in Wallung gebracht hat, ist es ein großes Wunder, wenn sie noch auf fremde Zustimmung wartet.

Indessen die kleine Fadette, die in ihrer äußeren Erscheinung länger Kind geblieben war, als andere Mädchen, war in Bezug auf Vernunft und Willenskraft ihrem Alter weit vorausgeeilt. Dies kam daher, weil ihrem Geist eine selbstbewußte stolze Kraft eingeboren war, trotzdem ihr Herz gewiß eben so glühend und vielleicht noch glühender war, als das ihres Geliebten. Sie liebte ihn bis zur Raserei, und doch benahm sie sich mit großer Besonnenheit. Den ganzen Tag über, die Nacht, überhaupt in jeder Stunde des wachen Bewußtseins waren alle ihre Gedanken mit ihm beschäftigt; verzehrte sie sich vor Ungeduld ihn wiederzusehen und vor Sehnsucht nach seinen Liebkosungen. Sobald sie ihn aber erblickte, nahm sie eine gelassene Miene an, redete ruhig und besonnen mit ihm, ja sie wußte sich sogar soweit zu verstellen, als ob sie von der glühenden Gewalt der Liebe noch gar nichts verstehe. Sie gestattete ihm einen Händedruck, aber nicht höher hinauf als bis zum Handgelenk.

Landry, der so ganz von ihr bezaubert war, hätte sich an den einsamen Orten, wo sie sich zu treffen pflegten, und wo sie oft sogar in stockfinsterer Nacht beisammen waren, leicht soweit vergessen können, daß er sich ihrem Willen nicht mehr gefügt hätte. Aber seine Furcht ihr zu mißfallen war so groß, und er war so wenig sicher, ob er auch wohl wirklich von ihr geliebt werde, daß er sich neben ihr so harmlos verhielt, als ob sie seine Schwester gewesen wäre, und er ihr kleiner Jeannot, der Grashüpfer.

Um ihn von Gedanken, die sie durchaus nicht ermutigen wollte, abzulenken, unterrichtete sie ihn in den Dingen, von denen sie eine besondere Kenntnis hatte und worin sie bei ihrem Geist und ihrer natürlichen Begabung das Wissen und die Erfahrung ihrer Großmutter bei weitem überholt hatte. Sie wollte vor Landry kein Geheimnis haben, und da dieser immer etwas Furcht vor der Hexerei bezeigte, strebte sie mit allen Kräften dahin, ihm begreiflich zu machen, daß der Teufel mit den Geheimnissen ihrer Kunst nichts zu schaffen habe.

»Geh doch, Landry,« sagte sie ihm eines Tages, »du hast es immer mit der Einmischung des bösen Geistes zu thun. Es giebt nur einen Geist, und der ist ein guter Geist, denn er ist Gott selbst. Lucifer ist eine Erfindung des Herrn Pfarrers, und Georgeon, den haben die alten Klatschbasen im Dorfe erfunden. Als ich noch ein kleines Kind war, glaubte ich daran und fürchtete mich vor den Hexereien der Großmutter. Sie aber lachte mich aus. Wenn man sagt, daß jemand, der selbst alles bezweifelt, die anderen alles glauben machen möchte, so ist dies ganz wahr. Niemand glaubt weniger an den Teufel, als die Zauberer, die so thun, als ob sie ihn bei jeder Gelegenheit anriefen. Sie wissen recht gut, daß sie ihn niemals gesehen haben, und daß er ihnen bei keiner Gelegenheit zu Hilfe gekommen ist. Alle, die einfältig genug waren daran zu glauben und ihn herbeirufen wollten, haben es noch nie zustande gebracht, daß er ihnen erschienen wäre. Da ist gleich der Müller vom Hundsstege als Beweis dafür anzuführen. Meine Großmutter erzählte mir, daß er mit einem dicken Knüttel bewaffnet nach einem Kreuzweg ging, um den Teufel herbeizurufen und ihm, wie er sagte, eine tüchtige Tracht Prügel zu geben. Und man hat ihn auch in der Nacht gehört, wie er rief: ›Willst du kommen, du Wolfsgesicht? Willst du kommen, toller Hund? Willst du kommen, du Teufels-Georgeon?‹ Aber Georgeon ist niemals erschienen, und das hat den Müller beinah toll gemacht vor Eitelkeit, denn er behauptete, daß der Teufel sich vor ihm fürchte.«

»Aber,« sagte Landry, »es ist nicht sehr christlich, mein liebes Fränzchen, wenn du glaubst, es gebe keinen Teufel.«

»Ich kann darüber nicht streiten,« erwiderte sie; »aber, wenn es wirklich einen giebt, so bin ich überzeugt, daß er nicht die Macht hat auf der Erde zu erscheinen, um uns in Versuchung zu führen, und unsere Seelen dem lieben Gott zu entziehen. Er würde sich nicht erdreisten dies zu thun, weil die Erde dem lieben Gott gehört, und nur der liebe Gott hat die Macht die Dinge und die Menschen zu lenken, die sich darauf befinden.«

Landry, der von seiner thörichten Furcht zurückgekommen war, konnte sich der Bewunderung nicht erwehren, wie sehr die kleine Fadette in allen ihren Anschauungen sich als gute Christin bewährte. Ihre Frömmigkeit hatte sogar etwas viel Lieblicheres als die der anderen. Sie liebte Gott mit der vollen Hingabe ihres Herzens, und sie zeigte überhaupt in allem, was sie that einen teilnehmenden Geist und ein liebevolles Gemüt. Wenn sie von ihrer Liebe zu Gott mit Landry sprach, mußte dieser darüber staunen, daß man ihn gelehrt hatte, Gebete herzusagen und religiöse Gebräuche zu befolgen, ohne je daran gedacht zu haben, ihm das Verständnis derselben klar zu machen. Er hatte sich dabei im Gedanken der Pflicht ehrerbietig verhalten, aber sein Herz war dadurch nie, wie das der kleinen Fadette, von der Liebe zu seinem Schöpfer erwärmt worden.


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