George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Sechzehntes Kapitel.

Wenn die kleine Fadette bei den Schwenkungen des Tanzes an ihnen vorüber kam, zupften sie an ihrem Ärmel, oder schoben ihr einen Fuß in den Weg, damit sie darüber stolpern sollte. Einige darunter, selbstverständlich die jüngsten und ungezogensten, schlugen mit der Hand nach den großen Schleifen ihrer Haube, und machten, daß diese sich von einem Ohre auf das andere hin verschob und schrieen dabei: »o, der große Deckel, der große Deckel der Mutter Fadet!«

Die arme Grille verabreichte fünf oder sechs Ohrfeigen nach rechts und nach links hin. Aber das alles diente ihr zu nichts, als die Aufmerksamkeit auf sich hinzulenken, und die Leute aus dem Orte begannen untereinander zu sagen: »Seht einmal unsere Grille, wie sie heute Glück hat, daß der Landry Barbeau sie alle Augenblicke zum Tanze führt! Es ist wahr, sie tanzt sehr gut, aber seht auch nur, wie sie die Schöne spielen will, und wie sie sich spreizt wie eine Elster.«

Einige richteten ihre Reden auch direkt an Landry, indem sie sagten: »Sie hat es dir wohl angethan, armer Landry, daß du für keine mehr einen Blick hast, als für sie? Oder willst du vielleicht einen Zauberer aus dir machen lassen, daß wir dich nächstens sehen werden, wie du die Wölfe über die Felder treibst?«

Landry fühlte sich tief gekränkt; aber Sylvinet, der nichts Vortrefflicheres und Schätzenswerteres kannte als seinen Bruder, der ihm als das Höchste galt, empfand die Kränkung noch tiefer, als er sah, daß Landry zum Gespötte wurde vor so vielen Leuten und vor alle den Fremden, die auch anfingen sich mit Fragen hineinzumischen und zu sagen: »Der Bursche ist freilich schön; aber das ist alles einerlei, er hat doch eine drollige Idee, daß er sich die Häßlichste von der ganzen Gesellschaft ausgesucht hat.« Die Madelon kam mit triumphierenden Mienen herbei, um alle diese Spöttereien anzuhören, und noch von den ihrigen dazu zu thun: »Was wollt Ihr,« sagte sie; »Landry ist ja noch ein Kind, und in seinem Alter sieht man nicht darauf, ob man es mit einem Ziegenkopf oder mit einem christlichen Angesicht zu thun hat, wenn man nur jemanden findet, mit dem man reden kann.«

Sylvinet nahm jetzt Landry am Arm und flüsterte ihm leise zu: »Laß uns gehen, Bruder, sonst wird es noch Streit absetzen: denn man treibt seine Spöttereien mit uns, und die Beleidigungen, die man der kleinen Fadette anthut, fallen auf dich zurück. Ich weiß nicht, was dir im Kopfe spukt, daß du sie heute vier- oder gar fünfmal hintereinander zum Tanze geholt hast. Man sollte meinen, du wolltest dich lächerlich machen; gieb doch endlich dieses Vergnügen auf, ich bitte dich darum. Für sie ist's weiter nicht schade, den Ungezogenheiten und der Verachtung der Leute ausgesetzt zu sein. Sie will's ja nicht anders; aber wenn's auch nach ihrem Geschmack ist, so ist's noch lange nicht nach dem unsrigen. Komm, laß uns jetzt fortgehen; nach dem Angelus kommen wir wieder, und dann führst du die Madelon zum Tanze, die ein hübsches anständiges Mädchen ist. Ich habe es dir immer gesagt, daß du zuviel Vergnügen am Tanzen findest, und daß dich dies noch zu törichten Dingen verleiten würde.«

Landry folgte seinem Bruder zwei oder drei Schritte weit, dann aber wandte er sich um, weil er einen entsetzlichen Lärm hörte. Und er sah, wie die kleine Fadette den Neckereien der Madelon und der anderen Mädchen und ihrer Burschen preisgegeben wurde. Die Gassenbuben, durch das allgemeine Gespött und Gelächter ermutigt, liefen herbei und schlugen ihr mit der Faust die Haube vom Kopf. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr über den Rücken herunter, und außer sich vor Verdruß und Zorn verteidigte sie sich gegen die Menge der Unverschämten. Dieses mal hatte sie gar nichts gesagt, wodurch sie es verdient hätte, so mißhandelt zu werden. Sie weinte vor Wut, ohne ihre Haube wieder erhaschen zu können, mit welcher einer der Buben, der sie auf der Spitze eines Stockes trug, davonlief.

Landry fand diesen Auftritt abscheulich, und sein gutes Herz empörte sich gegen die Ungerechtigkeit, er packte den betreffenden Buben, entriß ihm den Stock mit der Haube, versetzte ihm einen tüchtigen Hieb und kehrte sich dann gegen die anderen, die er durch sein bloßes Erscheinen in die Flucht jagte. Darauf nahm er die arme Grille bei der Hand und gab ihr ihre Kopfbedeckung zurück.

Der Eifer, in den Landry geraten war und die Angst der Gassenbuben erregte bei den Umstehenden großes Gelächter. Man klatschte Landry lauten Beifall zu; die Madelon aber wandte die Sache gegen ihn, so daß die Burschen von Landrys Alter und sogar solche, die noch älter waren, thaten als ob sie auf seine Kosten lachten.

Bei Landry war jede Scham verschwunden, denn er fühlte sich mutig und stark. Es regte sich in ihm das Bewußtsein seiner Männlichkeit, das ihm sagte, er thue, was die Pflicht ihm gebiete, wenn er eine Frau nicht mißhandeln lasse, die er vor aller Augen zu seiner Tänzerin erwählt hatte, mochte sie nun häßlich oder schön, klein oder groß sein. Als er bemerkte, wie er von der Umgebung der Madelon aus mit schiefen Blicken angeschielt wurde, schritt er grades Weges auf die Aladeinse und Alaphilippe und Konsorten zu und sagte ihnen:

»Nun, ist's etwa eine Sache, die euch angeht, wenn's mir beliebt jenem Mädchen eine Aufmerksamkeit zu erzeigen? Inwiefern habt ihr etwas dabei zu sagen? Und wenn ihr euch etwa dadurch gekränkt fühlt, weshalb wendet ihr euch zur Seite, um es leise vor euch hinzuzischeln? Stehe ich nicht hier vor euch, oder könnt ihr mich etwa nicht sehen? Es hat hier jemand gesagt, daß ich noch ein Kind sei; aber es findet sich hier kein Mann, oder auch nur ein herangewachsener Bursche, der mir so etwas ins Gesicht sagen möchte! Ich erwarte, daß man den Mund aufthut, und wir werden sehen, ob man hier dem Mädchen noch etwas zu Leide zu thun wagt, das gleich mit jenem Kinde von einem Burschen zum Tanze antreten wird.«

Sylvinet hatte seinen Bruder nicht verlassen, und obgleich er es gar nicht billigte, daß er diesen Auftritt veranlaßt hatte, hielt er sich doch dicht an seiner Seite, um ihm beistehen zu können. Es standen hier vier oder fünf hochgewachsene junge Leute zusammen, die noch um einen Kopf größer waren, als die Zwillinge; aber als sie diese so entschlossen vorgehen sahen, und da es im Grunde genommen in Betracht zu ziehen war, ob man es um solcher Kleinigkeit wegen zu einer Prügelei kommen lassen wolle, verhielt man sich mäuschenstill, und blickte sich einander an, wie um sich zu fragen, wer wohl gewillt sei, sich mit Landry zu messen. Kein einziger trat aus dem Kreise vor, und Landry, der während der ganzen Zeit die Hand der Fadette nicht losgelassen hatte, sagte jetzt zu ihr:

»Setze rasch deine Haube wieder auf; wir wollen tanzen, damit ich sehe, ob man sie dir wieder herunterreißen wird.«

»Ach nein,« sagte die kleine Fadette, indem sie ihre Thränen trocknete; »für heute habe ich genug getanzt, und ich erlasse dir die übrigen Tänze.«

»Nein, nein, das geht nicht; wir müssen noch tanzen,« sagte Landry, der, von Mut und Stolz beseelt, ganz in Feuer geriet. »Es soll nicht gesagt werden, daß du nicht mit mir tanzen könntest, ohne beleidigt zu werden.«

Er führte sie noch einmal zum Tanze, und niemand wagte es ein unrechtes Wort an ihn zu richten, oder ihn auch nur schief anzusehen. Die Madelon tanzte mit ihren Liebhabern an einer andern Stelle. Nach Beendigung dieses Tanzes sagte die kleine Fadette ganz leise zu Landry:

»Jetzt ist es genug, Landry. Ich bin zufrieden mit dir und gebe dir dein Wort zurück. Ich gehe nach Hause, und tanze du nun diesen Abend mit wem du willst.«

Sie holte ihren kleinen Bruder, der sich mit den anderen Kindern herumbalgte, und ging dann so eilig fort, daß Landry nicht einmal sah, welchen Weg sie eingeschlagen hatte.


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