George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Da es Sonntag war, hütete die kleine Fadette ihre Schafe, ohne dabei zu nähen oder zu stricken. Sie ging einem stillen Vergnügen nach, welches die Kinder in unserer Gegend manchmal sehr ernsthaft beschäftigt. Sie suchen ein vierblätteriges Kleeblatt, ein sogenanntes Kleeviere, das sehr selten ist und dem Finder, der seine Hand darüber legt, Glück verheißen soll.

»Hast du eins gefunden, Fränzchen?« fragte Landry, sobald er sich an ihrer Seite befand.

»Ich habe es schon oft gefunden,« antwortete sie; »aber es bringt doch kein Glück, wie man glaubt, und es hilft mir nichts, obgleich ich schon drei davon in meinem Gebetbuche habe.«

Landry setzte sich neben sie, als ob er mit ihr plaudern wollte. Aber mit einemmale wurde es ihm so beklommen, wie es ihm noch niemals neben der Madelon gewesen war, und trotzdem er im Sinne gehabt hatte, recht viel zu sagen, wußte er auch nicht ein Wort herauszubringen und konnte sich auf nichts mehr besinnen.

Auch die kleine Fadette wurde verlegen, denn: sprach der Zwilling auch nichts zu ihr, so betrachtete er sie doch mit sehr eigentümlichen Blicken. Endlich faßte sie sich ein Herz und fragte ihn, warum er sie denn so erstaunt ansehe.

»Ist es etwa,« sagte sie, »weil ich meine Haube in Ordnung gebracht habe? Darin bin ich deinem Rat gefolgt; ich habe gedacht, um ein verständiges Aussehen zu gewinnen, müsse ich damit anfangen, mich anständiger zu kleiden. Auch wage ich nicht, mich sehen zu lassen, denn ich fürchte, daß man mir noch gar einen Vorwurf daraus macht und etwa sagt, ich hätte den Versuch gemacht, mich weniger häßlich zu machen, ohne daß es mir damit gelungen wäre.«

»Mögen die Leute sagen, was sie wollen,« sagte Landry; »aber ich weiß wirklich nicht, was du nur angefangen hast, um dich so zu verschönern; denn du bist heute wirklich hübsch, und man müßte gar keine Augen im Kopfe haben, wenn man das nicht sehen könnte.«

»Spotte nicht, Landry,« hob die kleine Fadette wieder an. »Man sagt: Die Schönen lassen sich durch ihre Schönheit den Kopf verdrehen, und die Häßlichkeit bringe die Häßlichen zur Verzweiflung. Ich habe mich schon daran gewöhnt durch meinen Anblick den Leuten Schrecken einzujagen, und ich möchte jetzt nicht so einfältig werden, zu glauben, daß ich gefallen könnte. Aber du bist doch nicht etwa zu mir gekommen, um von diesen Dingen zu reden; ich denke du wirst mir sagen, daß die Madelon dir verziehen hat.«

»Ich komme nicht, um mit dir von der Madelon zu reden. Ich weiß nichts davon, ob sie mir verziehen hat, und bekümmere mich auch nicht darum. Ich weiß nur, daß du mit ihr darüber gesprochen hast, und du hast es so gut gemacht, daß ich dir großen Dank dafür schuldig bin.«

»Wie weißt du denn, daß ich mit ihr gesprochen habe? Sie hat es dir also gesagt? In diesem Falle habt ihr euch also wieder versöhnt.«

»Wir haben uns gar nicht versöhnt; wir lieben uns nicht genug, um miteinander böse zu sein. Ich weiß, daß du mit ihr geredet hast, weil sie es jemanden gesagt hat, der es mir wieder hinterbrachte.«

Die kleine Fadette wurde dunkelrot, was sie noch viel schöner erscheinen ließ; denn bis zu diesem Tage hatte man diesen züchtig verschämten Ton der Furcht und der Freude, der die Häßlichsten verschönt, noch niemals auf ihren Wangen erblickt. Aber zu gleicher Zeit geriet die Fadette in Unruhe bei dem Gedanken, daß die Madelon alle ihre Reden wiederholt haben könnte und sie vielleicht dem Gelächter preisgegeben hätte, wegen des Liebesgeständnisses, das sie ihr in Bezug auf Landry gemacht hatte.

»Was hat denn die Madelon von mir gesagt?« fragte sie weiter.

»Sie hat gesagt, daß ich ein einfältiger Tropf sei, der keinem einzigen Mädchen gefalle, nicht einmal der kleinen Fadette; daß diese mich verachte, daß sie mir ausweiche und sich schon die ganze Woche verborgen halte, um mir nur nicht zu begegnen, obgleich ich die ganze Woche nach ihr gesucht hätte und überall herumlaufe, um der kleinen Fadette zu begegnen. Du siehst also, Fränzchen, daß ich es bin, der zum Gespött der Leute geworden ist, weil es bekannt ist, daß ich dich liebe, und daß du mich nicht ausstehen kannst.«

»Das ist einmal ein abscheuliches Geschwätz,« erwiderte die Fadette ganz erstaunt, denn sie verstand sich nicht genug auf die Zauberei, um zu begreifen, daß in diesem Augenblick Landry schlauer war, als sie selbst. »Ich hätte nicht gedacht, daß die Madelon so verlogen und so falsch sein könnte. Aber man muß es verzeihen, Landry, denn es ist nur der Verdruß, der sie so reden läßt, und der ist nichts anderes, als die Liebe.«

»Das mag wohl sein,« sagte Landry, »denn eben deshalb hast du keinen Zorn gegen mich, Fränzchen. Du verzeihst mir alles, weil dir alles, was ich auch thun mag, vollkommen gleichgültig ist.«

»Das habe ich nicht verdient, Landry, daß du so redest; nein, wahrhaftig das habe ich nicht um dich verdient. Ich habe ganz anders mit der Madelon gesprochen. Was ich ihr gesagt habe, war nur für sie bestimmt, aber es war durchaus nicht zu deinem Nachteil, und hätte ihr im Gegenteil durchaus beweisen müssen, wie sehr ich dich achte.«

»Höre, Fränzchen,« sagte Landry, »laß uns nicht weiter streiten über das, was du gesagt oder nicht gesagt hast. Da du in manchen Dingen so klug bist, möchte ich dich über etwas zu Rate ziehen. Am vergangenen Sonntag im Steinbruch, habe ich, ohne selbst zu wissen, wie es eigentlich gekommen ist, eine so große Freundschaft für dich gewonnen, daß ich die ganze Woche über nicht mehr essen noch schlafen konnte. Ich will dir nichts verbergen; einem so schlauen Mädchen gegenüber wäre dies nur verlorene Mühe. Ich gestehe also, daß ich mich schon am Montag Morgen meiner Gefühle für dich geschämt habe, und daß ich mir vornahm recht weit fortzugehen, um nicht wieder in diese Thorheit zu verfallen. Aber schon am Montag Abend war ich wieder so tief hinein geraten, daß ich in der Nacht durch die Furt ging, ohne mich im geringsten um das Irrlicht zu kümmern, das mich freilich daran verhindern wollte dich aufzusuchen, denn es war wieder da. Aber, als es beginnen wollte sein boshaftes Spiel mit mir zu treiben, habe ich es verhöhnt. Seit dem Montag bin ich jeden Morgen ganz verstört, weil man nicht aufhört mich damit aufzuziehen, daß ich Geschmack an dir gefunden hätte. Jeden Abend bin ich wie toll, weil ich fühle, daß meine Neigung für dich viel stärker ist, als die falsche Scham. Da sehe ich dich nun heute so hübsch, und du hast überhaupt ein so verständiges Aussehen, daß alle Leute darüber erstaunt sein müssen. Wenn du nun so dabei bleibst, wird man, ehe noch vierzehn Tage vergangen sind, es nicht nur verzeihlich finden, daß ich mich in dich verliebt habe, sondern es wird auch noch vielen anderen Burschen ebenso ergehen. Es ist also für mich kein Verdienst dabei, dich zu lieben, und du bist es mir auch kaum schuldig mir den Vorzug zu geben. Und doch, wenn du an den letzten Sonntag denkst, du weißt an den Festtag des heiligen Andoche, dann wirst du dich daran erinnern, daß ich dich im Steinbruch um die Erlaubnis bat, dich küssen zu dürfen, und daß ich es dann mit solcher Herzlichkeit gethan habe, wie ich es nur hätte thun können, wenn du nicht als häßlich und unausstehlich verschrieen gewesen wärest. Sieh, Fadette, das ist es, worin mein Anspruch besteht. Sage mir, ob du ihn willst gelten lassen, oder ob die Sache dich ärgert, statt, daß du dadurch für mich gewonnen wirst.«

Die kleine Fadette verbarg ihr Gesicht schweigend in den Händen. Landry glaubte nach dem, was er von ihrer Unterredung mit der Madelon verstanden hatte, daß sie ihn liebe, und dieses Liebesgeständnis hatte auf ihn die Wirkung hervorgebracht, daß er sich seiner eignen Liebe augenblicklich bewußt geworden war. Jetzt aber, als er die beschämte und traurige Haltung des jungen Mädchens sah, begann er zu fürchten, ob sie der Madelon nicht etwa nur ein Märchen aufgebunden habe, in der guten Absicht dem von ihr unternommenen Versöhnungswerk den gewünschten Erfolg zu verschaffen. Dieser Gedanke machte ihn nur noch verliebter, aber zugleich erfüllte er ihn mit Kummer. Sanft zog er ihr die Hände vom Gesicht, und nun sah er, daß sie totenblaß geworden war. Als er ihr dann lebhafte Vorwürfe machte, daß sie seine glühende Liebe gar nicht erwidere, sank sie auf die Kniee und faltete seufzend ihre Hände, denn sie fühlte sich dem Ersticken nahe, und gleich darauf lag sie bewußtlos am Boden.


 << zurück weiter >>