George Sand
Die Grille oder die kleine Fadette
George Sand

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Vierzehntes Kapitel

Zuerst fand Landry die Idee der Fadette so komisch, daß er eher hätte darüber lachen mögen, als daß er sich geärgert hätte.

»Das ist ein Mädchen,« sagte er zu sich selbst, »das noch viel närrischer zu sein scheint, als sie böse ist, und dabei viel uneigennütziger, als man denken sollte, denn die von ihr geforderte Belohnung wird meine Familie nicht zu Grunde richten.« – – Indessen, als er weiter darüber nachdachte, fand er die Einlösung seiner Schuld viel schwerer, als es den Anschein hatte. Die kleine Fadette tanzte sehr gut; er hatte sie ja oft auf den Feldern und am Rande der Wege mit den Hirtenbuben herumspringen sehen, und sie war dabei so flink und gewandt gewesen, wie ein wahres Teufelskind, so daß man Mühe hatte, ihren Bewegungen zu folgen. Aber sie war so unschön, und selbst an den Sonntagen so schlecht gekleidet, daß kein Bursche von Landrys Alter sie zum Tanze geführt haben würde, besonders nicht an Orten, wo viele Leute versammelt waren. Höchstens die Schweinehirten und die Buben, die noch nicht zur ersten Kommunion gegangen waren, nahmen keinen Anstand daran sie zum Tanze aufzufordern; aber die ländlichen Schönen sahen sie sehr ungern mit in ihrer Reihe stehen. Landry mußte es also als eine große Demütigung empfinden, an eine solche Tänzerin gebunden zu sein. Vollends wurde ihm beklommen zu Mute, wenn er daran dachte, daß er sich von der schönen Madelon wenigstens drei Kontretänze hatte zusagen lassen. Wie würde diese eine Beleidigung aufnehmen, die er ihr gezwungenerweise zufügen mußte, wenn er sie nicht zum Tanze holte!

Endlich, da er Frost und Hunger empfand, und noch beständig in der Angst war, das Irrlicht ziehe hinter ihm her, beschleunigte er seine Schritte, ohne viel zu denken, und ohne sich umzusehen. Als er zu Hause angekommen war, trocknete er seine Kleider und erzählte, daß er in der Stockfinsternis die Furt gar nicht habe finden können, und daß es ihm Mühe gekostet habe, aus dem Wasser wieder herauszukommen. Aber von dem Irrlicht, oder von der kleinen Fadette sagte er nichts, denn er schämte sich zu gestehen, daß er sich gefürchtet habe. Er ging zu Bett und tröstete sich mit dem Gedanken, daß es morgen noch früh genug sein würde, sich über die Folgen dieser unangenehmen Begegnung zu ärgern. Aber, wie er es auch anstellen mochte, er schlief sehr schlecht, und hatte wohl mehr als fünfzig Träume, in denen ihm stets die kleine Fadette erschien. Bald sah er sie auf dem Irrlicht reiten, das in Gestalt eines großen roten Hahnes erschien, der in einer seiner Krallen eine Hornlaterne mit einem Licht darin trug, dessen Strahlen einen hellen Schein über die ganze Wiese verbreiteten. Und dann wieder erschien die kleine Fadette in eine Grille verwandelt, von der Größe einer Ziege, und sie sang ihm mit ihrer Grillenstimme ein Lied vor, das er nicht verstehen konnte; aber die Worte desselben gingen immer auf denselben Reim hinaus, und er unterschied in ihnen auch den Namen seines Bruders Sylvinet. Zuletzt wirbelte ihm der Kopf davon, und der Schein des Irrlichtes zuckte so deutlich und grell vor ihm auf, daß er darüber erwachte, und noch die kleinen schwarzen, roten oder blauen Punkte zu sehen glaubte, die man vor den Augen herumtanzen sieht, wenn man zu lange unverwandt in die Sonne oder in den Mond geblickt hat.

Landry war nach dieser unruhigen Nacht so ermüdet, daß er während der ganzen Messe immer wieder einschlief, und auch nicht ein Wort von der Predigt des Herrn Pfarrers vernahm, der doch sein Möglichstes that, die Tugenden und die guten Eigenschaften des heiligen Andoche in einer Art zu loben und zu preisen, daß es gar nicht besser hätte geschehen können. Beim Hinausgehen aus der Kirche fühlte sich Landry noch so ermattet, daß er die Fadette ganz vergessen hatte. Sie aber stand an der Kirchenthür, ganz in der Nähe der schönen Madelon, die sich hier aufhielt in der festen Überzeugung, daß sie es sei, der die erste Aufforderung zum Tanze gebühre. Aber als Landry auf sie zuging, um mit ihr zu reden, war es unvermeidlich, daß er auch mit der Grille in Berührung kam, die ihm einen Schritt entgegentrat und mit einer Keckheit ohne Gleichen laut zurief:

»Komm, Landry, du hast mich gestern Abend für den ersten Tanz aufgefordert; ich rechne darauf, daß wir nicht dabei fehlen werden!«

Landry wurde dunkelrot, und als er auch die Madelon vor Staunen und Verdruß über solch einen Zwischenfall rot werden sah, faßte er sich ein Herz und antwortete der kleinen Fadette:

»Es kann wohl sein, Grille, daß ich versprochen habe mit dir zu tanzen; aber ich hatte schon früher eine andere dazu aufgefordert, und wenn ich mein erstes Versprechen erfüllt habe, kommt die Reihe an dich.«

»Nein, das geht nicht,« erwiderte die Fadette mit voller Entschiedenheit. »Deine Erinnerung täuscht dich, Landry; du hast keiner anderen früher als mir ein Versprechen gegeben, weil du mir dein Wort schon im vorigen Jahre gegeben hast, und gestern Abend hast du es nur erneuert. Wenn die Madelon Lust haben sollte heut mit dir zu tanzen, so ist ja dein Zwillingsbruder da; er ist dir vollkommen ähnlich, und kann statt deiner mit ihr tanzen; ihr seid der eine wie der andere gleich viel wert.«

»Die Grille hat recht,« gab die Madelon stolz zur Antwort, indem sie Sylvinets Hand ergriff, »da es schon vor so langer Zeit geschehen ist, daß du ein Versprechen gegeben hast, Landry, muß es natürlich auch gehalten werden, und ich tanze ebenso gern mit deinem Bruder.«

»Ja, ja! Das ist ja ganz einerlei,« sagte Sylvinet in unbefangener Weise. »Wir werden nun alle vier tanzen.«

Es war wohl geraten die Sache hiermit zu beschließen, wenn man nicht die Aufmerksamkeit der Leute auf sich ziehen wollte. Die Grille begann jetzt so stolz und mit solcher Gewandtheit ihre Füße in Bewegung zu setzen, daß noch nie ein Kontretanz besser geleitet und durchgeführt worden war. Wäre sie geputzt und hübsch gewesen, dann hätte man ihr mit Vergnügen zusehen müssen, denn sie tanzte ganz vortrefflich, und unter alle den Schönen war nicht eine einzige, die sie nicht um ihre Gewandtheit und um ihren zierlichen Anstand hätte beneiden können. Aber der Aufputz der armen Grille war so häßlich, daß sie dadurch noch zehnmal häßlicher erschien als sonst. Landry, der gar nicht mehr wagte die Madelon auch nur anzusehen, so verdrießlich war er und so gedemütigt fühlte er sich ihr gegenüber, fand seine Tänzerin, als er sie betrachtete, noch unsäglich viel garstiger als in den Lumpen, die sie alle Tage trug. Sie hatte geglaubt sich recht schön gemacht zu haben, aber ihre Ausstaffierung konnte nur zum Lachen reizen.

Sie trug eine Haube, die vom langen Liegen ganz vergilbt war, und anstatt klein und zierlich nach hinten zurückgerafft zu sein, wie die neueste Mode in der Gegend es vorschrieb, zu beiden Seiten des Kopfes zwei große, breite und sehr flache Schleifen bildete. Die Enden derselben fielen vom Hinterkopf bis auf die Schultern herab, wodurch die arme Fadette ein Aussehen erhielt, als ob sie ihre Großmutter gewesen wäre. So erschien der Kopf auf dem kleinen mageren Halse so groß, daß es aussah, als ob man einen Scheffel auf einen dünnen Stock gestellt hätte. Ihr Rock, den sie aus einem halbwollenen Stoff gefertigt hatte, war um zwei Handbreit zu kurz; und da sie überhaupt in diesem Jahre sehr gewachsen war, kamen ihre mageren, von der Sonne ganz verbrannten Arme wie zwei Spinnebeine aus den Ärmeln hervor. Zur Vollendung dieser Toilette hatte sie eine hochrote Schürze vorgebunden, auf die sie sehr eitel war. Die Schürze stammte indessen von ihrer Mutter her, und sie hatte ganz vergessen die Franzen davon abzutrennen, welche schon seit mehr als zehn Jahren von den jungen Mädchen nicht mehr getragen wurden. Das arme Kind war keine von denen, die gefallsüchtig genannt werden können, ja sie war viel zu wenig eitel, und hielt viel zu wenig auf sich selbst. Nur zu Spiel und Scherz geneigt, lebte sie wie ein Knabe, unbekümmert um ihr Aussehen. Unter den festlich Geputzten nahm sie sich aus wie eine Alte im Sonntagsstaat, und man verachtete sie wegen ihres schlechten Anzuges, der keineswegs durch die Armut geboten wurde, sondern nur dem Geiz der Großmutter und dem mangelhaften Geschmack der Enkelin zuzuschreiben war.


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