Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

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Kapitel XXIV.

Malwina hatte am andern Morgen, in unbesonnener Freude, ihrer Mutter erzählt, wie wonnig sie die Nacht geträumt habe, wie über ihrem Haupte eine Rosenlaube emporgewachsen sei, und daß Junius ihr den Sproß dazu aus einem Zauberhaine mitgebracht habe, und die ganze Geschichte. Frau Habichs sah sie erstaunt an und sprach: »Ei Malwina! wer hätte es dir dummem Gänschen zugetraut, daß du so zartfühlende, romantische Phantasien in dir trägst; und du wolltest doch nie zur Bildung einer schönen Seele in den sympathetischen Schriften erhabner Schwärmer lesen.« – Da sagte Malwina, halb gereizt: »Nein, liebe Mutter! ich rede hier nicht von Phantasien und von Dingen, die in Büchern stehn, sondern von dem, was wirklich wahr ist. Komm' in meine Schlafstube und sieh!« – Frau Habichs folgte mit ungläubiger Neugier; als sie aber das Zimmer betrat, ihr Rosendüfte schon entgegenwehten und sie die, durch Zauber so schnell gewachsene, Laube gewahrte – da ward ihr plötzlich unheimlich; denn sie mochte das Zauberische wohl in Büchern leiden, aber in der Wirklichkeit es zu vertragen, das war ihr zu stark. Erschreckt und verstört rannte sie mit einem Schrei davon und hinunter in die Küche. Dort vernahm sie plötzlich das Gelärm und Gepolter aus dem Turm und sah ihren Mann und die zwölf Schreiber wild und gespenstig vorbeirennen. Da sank sie bewußtlos am Herde hin. –

Später, als die in dem verödeten, ausgestorbnen Hause des Herrn Habichs vorgefundnen Gerätschaften öffentlich versteigert wurden, hatte man in der Küche, am Herde umgefallen, auch eine stattliche, große Teekanne von ganz besondrem Ansehn gefunden. Der Versteigerer rief, als er sie ausbot: »Sehen Sie, meine Herren und Damen! eine Teekanne von ganz eigentümlicher, auffallender Physiognomie. Sieht sie nicht aus, als wenn sie sprechen wollte? Stemmt sie nicht den Henkel an die Seite, wie einen trotzenden Arm? Einen Taler zum ersten! Wer bietet mehr?« – Die Kanne wurde versteigert, und bei einem eleganten Tee zum erstenmal in Gebrauch genommen. Aber als das Wasser in ihr zu kochen begann, erhob sie einen so ungebührlichen, sprudelnden, plappernden Lärm, daß sie den ganzen, lebhaft sprechenden Damenkreis umher übertoste und eine allgemeine, furchtsame Verwirrung hervorbrachte. Die Erschrecktesten schwuren sogar darauf, im Aufbrausen einzelne Worte bestimmt und deutlich gehört zu haben. Da die Kanne den Spuk noch öfter wiederholte, ward der Hausherr einst zornig und warf sie zerschmetternd zu Boden. Und sie zersprang mit einem wildgellenden Ton, ähnlich einem Weiberschrei.

Malwina hatte den Lärm auch gehört und sah ihren Bruder mit dem singenden Vogel in den Garten eilen. Sie eilte ihm fliegend nach, aber schon sah sie ihn von fern in die Luft steigen. Sie rannte herzu; aber er stieg höher und höher und vernahm nichts von ihrem Rufen, Weinen und Händeringen; endlich verschwand er ganz aus ihren Blicken. Aber der Sang des Vogels blieb ihr im Ohr und sie folgte dem Klange, der sie leise fortzog, und wanderte weiter und weiter, durch die Wildnis fort, immer wähnend, sie komme dem Liede näher und doch immer fern davon. In dem Liede des Vogels aber vernahm sie nichts, als das Denken und Singen ihres Bruders Junius. Es wehte um sie, so traut und fremd zugleich, wie Geistesgruß. So hingelockt trat sie in eine dämmernde Schlucht unter hundertjährige Bäume. Das Lied lockte, näherklingend, sie immer tiefer hinein. Da stand in der Mitte des Dickichts auf einem stillen, lichten Plätzchen ein zierlicher, säulengetragner Tempel. Und an den schlanken Säulen hingen Harfen, in denen säuselte es leise und wie aus weiten Femen; das Gesäusel aber war das Lied des Goldvogels, oder der Sang ihres Bruders, sie wußte nicht, welches von beiden. In der Mitte des Tempels aber stand ein alabasterner Sarkophag ohne Bedeckung, mit weichen Kissen darinnen. Eine selige Müdigkeit kam über Malwina, sie legte sich zur Ruhe auf den Sarkophag und schloß die Augen. Ringsum rauschten die Quellen und flüsterten Zweige, zusammenklingend und rauschend mit der Musik der von unsichtbaren Händen berührten Harfen. Dazwischen klangen nun ganz deutlich die goldnen Töne des Vogels, innig und klar, doch unterbrochen, auftauchend und verhallend. Es war, wie hergehauchte Küsse ihres Bruders. So umsungen und umklungen entschlummerte sie leise und lächelnd. Und der Tempel mit dem Sarkophage versank langsam ins grünende, blühende Erdreich, bis an die Kuppel. Und ringsherum sproßten Rosen und Lilien empor, wuchsen und wucherten darüber hin, eine üppige hügelförmige Blumenwildnis.

Wer aber die Schlucht zu finden und das Lied des goldnen Vogels zu singen weiß, bei dessen Sang wird der Tempel langsam wieder aufsteigen, das lange schlummernde Mädchen wird die Augen aufschlagen und ihn als Bräutigam begrüßen.

Der Onkel Holofernes saß fern in seiner Stube. Die war voll von Büchern, Instrumenten und Gemälden. Rings um die Wand aber zog sich eine eigne Zierde. Es war dies nämlich eine Reihe festzusammengefügter, echter Weichselröhre, in die seltsamsten Figuren gezogen, bald Sterne, bald Rad, bald Sonnenblume. Diese Röhre, das Zimmer mit Wohlgeruch füllend, endeten an der einen Wand in einem großen, ganz schwarzbraun angerauchten Meerschaumkopfe, in Gestalt eines Totenschädels, in dem echt türkischer Tabak dampfte. An der entgegengesetzten Wand saß Holofernes, und von dem letzten Weichselrohre ging, von unten auf, ein langer, geschmeidiger Schlauch, in einer schönen Bernsteinspitze endend, zu seinem Munde. So bekam er den Tabaksdampf, durch den langen Weg, den er durchziehen mußte, kühl und geläutert auf die Zunge.

Neben ihm, und zwar soeben in unwilligem Verzagen beiseit geschoben, lag ein Packet unordentlich durcheinander beschriebener Papiere, mit vielen Ausstreichungen, Ausreißungen und Einflickungen. Auf dem Deckelbogen dieser Papiere aber stand mit großen, keckgezognen Schriftzügen deutlich zu lesen:

Hanswurst, eine Tragödie von Holofernes. Vor Holofernes selbst aber lag die alte Folioausgabe Shakespeares vom Jahre 1623, in der er mit ernstem, sinnendem Lächeln las.

Da schwebte hoch über seinem Haupte Junius auf dem singenden Vogel vorbei. Die andern Leute in der Gegend hörten und gewahrten nichts davon; aber Holofernes vernahm deutlich das schmetternde Lied. Er blickte vom Buch auf und horchte.

»Aha! ziehst du schon ab, Junius? Nun! glückliche Verschwebelung und viel Vergnügen! Und hol' alles der Henker!« So sprechend, klappte er den Folianten zu, stand auf, ließ die Pfeifenspitze an der Wand niederhängen, steckte sich rasch eine Zigarre an und ging mit heftigen Schritten, den Dampf wild und regellos von sich blasend, in der Stube auf und ab.

»Also auch du bist verpfuscht! (sprach er) Und ich alter Esel meinte es, wer weiß wie klug, mit dir anzufangen. Aber gerade ich habe alles verdorben. Wozu das Guckglas schenken? Wozu die Felswand bemalen und dazu Balladen absingen, dir zum bequemen Genuß? Und doch salbaderte ich so klug und eiferte gegen das Brei ums Maul schmieren, und hab' es auf so plumpe Weise selbst getan. Wußte ich nicht, daß einmal Geschaffnes nicht wieder geschaffen werden kann? Wußte ich nicht, daß das Genie nur an rohem Stoffe sich stark ringen kann, und am Fertigen, Harmonischen untergeht? Wußte ich nicht, daß ein Feuerstein keine Funken gibt, wenn man ihn ins Sonnenlicht hält, sondern nur, wenn man mit hartem, dunklen Stahl unbarmherzig auf ihn losprügelt? O! ich wollte einen Adler aus dir erziehn, und du bist eine Nachtigall geworden!

Und was die Liebschaft mit deiner süßen Fee anbetrifft, so wollte ich lieber, du hättest dich in das erste beste tüchtige, derbe Mensch vergafft, dann wärst du nicht in Zauberhainen willenlos spazieren geführt worden; du hättest das Leben überwunden und dir erobert; und wärst du stark genug gewesen, dir das Leben zum Zauberreich zu verwandeln, so war das Zauberreich deine Schöpfung.

Ja leben, leben! Das ist die Hauptsache, das macht den Kerl; das hat den hier gemacht (hier schlug er mit der Hand auf den Deckel der Folioausgabe Shakespeares). Er hat den Sommernachtstraum geschaffen; hätte er ihn aber selbst träumen wollen, dann wär' er ein Duckmäuser geworden, eine Mondscheinpastete, und nicht der größte Held, der je Kühnes ersonnen.

Ich wüßt' es; schrieb dir's ins ABC-Buch. Darin steht: Iß Beefsteak und trinke Rheinwein! O Junius! warum verstandest du das nicht? Muß man denn von jedem Menschen voraussetzen, daß er ein Dummkopf sei? Muß man Kernsprüche für jeden erläutern, umschreiben, zu Brei machen, damit er sie begreife? Muß man alles aus dem Lapidarstil in der Frau Muhme Salbaderdeutsch übersetzen? – Lebe, lebe! das wollt' ich sagen. Lebe echt und derb und tüchtig! – Nun ist's vorbei. – Schwelge du fort in seligstem Faullenzen! Dein alter Onkel ist des Lebens satt, denn er hat weder aus dir, noch aus sich selbst was machen können.

O ja! Alles gleich von tausend Seiten besehen, über alles Bücher zusammenschwatzen, in unendlicher Objektivität alles, auch jede Lumperei, zu würdigen und in unendlicher Ironie alles, auch das Göttliche, zu belächeln – das hab' ich los! Allen gesunden, festen Kern habe ich zu einem breiten Reflektionsbrei zerrieben und zermalmt.

O Gott! warum hast du mich nicht mit Einseitigkeit, mit Beschränktheit gesegnet? Ich hätte Großes getan als Feldherr, Staatsmann oder Dichter. Aber die Viel- und Allseitigkeit, die Sinn und Gedanken auseinanderstäubt, wie das zerstreuende Glas das Licht der Sonne, die ließ mich im Zentrum nichts übrig behalten, nichts, das ich hätte zusammenraffen und verdichten können zu zeugendem Strahl. Du verdammtes Selbstbewußtsein! Um alles gesunde Gefühl hast du mich betrogen! Wollt' ich zum Fühlen kommen – da sprang immer der Kobold auf und lachte drüber und zeigte mit seinem knöchernen Finger drauf und schrie mir zu: »Da sieh' hin! das ist dein Gemüt. Sieh' doch recht genau zu, wie ungeheuer komisch es da drin rumort und schreib' ein Lustspiel drüber!«

Und fühlt' ich einmal wirklich, da fuhr ich rasch zusammen, denn der Kobold schrie: »Kuck! halt fest, halt fest! Halt die Katz' beim Schwanz! Das kann ein Gedicht geben oder eine pathetische Stelle für ein Drama!«

Und sah ich andre, in ernster, erhabner Unbefangenheit, über ungeheuren Lebensschmerz weinen oder kämpfend schweigen – da wollte mich tiefes Erbarmen und mildes Mitgefühl überwältigen; aber ich Schändlicher riß mich los, schaute mit dem kalten Anatomenlächeln der Beobachtung ins zerrißne, zuckende Herz, und der Kobold in mir kreischte: »Sieh'! das kannst du wieder brauchen. Das gibt ein Novellchen, 2 Louisdor per Druckbogen.«

Und ward ich dann unwillig und zornig über mich selbst und rief: »Ich Elender! das Heiligtum des Grams durch überlegte Frechheit zu schänden und zu beflecken!« da schrie der Kobold wieder: »Schau, schau! dies dein schönes Entrüsten gegen dich selbst kannst du eben auch wieder brauchen; es gibt einen vortrefflichen, originellen Monolog; – nur mit der gehörigen Ironie behandelt! nur drüber stehn geblieben!«

O! hätt' ich mich hineingestürzt ins Leben! hätt' ich mich versenkt in Lust und Weh! ich wäre gekräftigt hervorgegangen aus dem Gewühl, ein ganzer, voller, einiger Mensch, ohne den Doppelgänger von Kobold, diese schlechte eine Hälfte, die der andern allen Genuß des Daseins wegspottet. Ist das Humor? Ja, das ist Humors Affe. Ein schöner Humor, der die Begeisterung erwürgt! – Aber jetzt ist es zu spät – aus mir wird nichts mehr.

Die einsame Natur soll mich desennuyieren und mich meine und der Menschen Erbärmlichkeit vergessen machen. Ich geh' heut noch zu Fuß weg und wandre in die Abyssinischen Hochalpen. Da wird noch eine kräftige, unentweihte, riesige Natur sein und hoffentlich stoße ich wochenlang auf keine menschliche Spur. Dort mag irgend eine Bestie mich verschlingen; es ist den Teufel was dran gelegen!«

Er trat zum Tisch, um zur Reise seine Zigarrentasche aus der Schublade zu nehmen. Da fiel ihm sein Manuskript der Tragödie »Hanswurst« ins Auge. Unwillig packte und zerknitterte er es und rief: »Ha! bist du auch da und verhöhnst mich? Du solltest der Triumph, das Resultat meines ganzen Lebens, Sinnens und Denkens werden. Aber kam ich wohl dazu, keck drauf los zu schreiben, daß was dagestanden hätte, groß und gewaltig, wie mit Schwerthieben aus dem Fels gehauen? Narrte ich mich nicht selbst fort und fort mit ewigem Beginnen, Verwerfen, Umschmelzen und Wiederergreifen? Morgen willst du wirklich anfangen! so log ich mir immer noch vor, nachdem ich längst viele hundert Bogen vollgeschmiert und zerrissen hatte. Und jedes Folgende wurde noch schlechter, als das eben Verworfne; alles Umschreibung, nicht Tat; Sentenz, nicht Schicksal; Selbstanatomie, nicht Gestalt.

O Hanswurst! Dein Schicksal sollte mir zur erhabnen Tragödie werden; aber ich selbst ward das Opfer. Der ewige Gottsched (denn er existiert, so gut wie der ewige Jude) hat mich umgebracht. Ich Narr! einen wunderschönen Chor der Stockphilister im Hades zu dichten, wobei Gottsched als Musikdirektor den Takt schlägt, und gar nicht zu merken, daß mir selbst eine der ersten Stimmen im Chore zukommt!«

Und er warf das Manuskript in den Ofen, schlug Feuer an und verbrannte die seit zwanzig Jahren zusammengetragenen und gesichteten Fragmente – seine einzige Hoffnung, daß sein Name nicht spurlos vorübergehn werde, wie der aller Durchschnittsmenschen.

Darauf steckte er in die eine Rocktasche ein reines Hemde, in die andre zwei Paar Strümpfe und einige Schnupftücher, in die Brusttasche eine Landkarte nebst Zigarrentasche, in die Hosentasche einen Beutel voll Goldstücke, nahm Hut und Stock, schloß die Stube ab, steckte den Schlüssel ein und ging fort.

Auf den nächsten Übernachtungsplätzen schrieb er ins Fremdenbuch, unter die Rubrik: »Veranlassung der Reise,« wohin andre: Geschäfte oder Erholung oder zum Vergnügen usw. geschrieben hatten, ganz einfach: »Aus Verdruß.« – Von Italien schiffte er nach Alexandria über und ging zu Fuß den Nil aufwärts nach Abyssinien. Dort ist er verschollen.

Aus der Brieftasche eines reisenden Engländers.

Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, teurer William Kernsley, als eure Philosophen sich träumen lassen. – Du weißt, daß ich Altengland nicht verlassen habe, um Menschen zu sehn; denn die sind auswärts womöglich noch elender, als daheim. Ich reise nur, um mein ermattetes Herz am Busen der großen, freien, wilden Natur von den Wunden zu heilen, die ein entarteter, verderbter, aller Ursprünglichkeit barer Gesellschaftszustand ihm schlug. In allen Ländern suche ich die Gegenden auf, wo es öde, majestätisch und dräuend aussieht, und dort fühle ich mich erleichtert. So war ich hier in der großen Stadt X angelangt und, ohne mich um ihre Lumpenmerkwürdigkeiten zu bekümmern, machte ich mich gleich am ersten Morgen allein auf in eine angrenzende, wuchernde Wald- und Klippenwildnis. Ich war noch nicht lange auf unwegsamen Stegen auf und ab gestiegen, als ich plötzlich unter mir einen tiefen Felskessel sah, durch hervorspringende Klippenwände im Umkreis sonderbar regelmäßig in zwölf zellenähnliche Schluchten auslaufend. Auf dem freien Platz der Mitte aber, genau im Zentrum, ragte eine seltsame, graue Felsbildung auf, überraschend ähnlich der Gestalt eines sitzenden Mannes. Das Gesicht war unverkennbar; die Nase ragte weit hervor und trug ein entschiednes Gepräge von Finanzsinn an sich; doch nicht des großartigen Finanzgenies, das alle weitläufigen Weltverhältnisse mit hellem Blick überschauend, über die ganze Erde hin spekuliert, sondern des niederen Grades – ein dumpfer, peinlicher Kontorausdruck. Geheimnisvoll angezogen und doch von Grauen gefesselt, schaute ich auf das natürliche Standbild, als ich plötzlich, nahe bei mir, rufen hörte: »Sechsmal sechs ist vierunddreißig.« – Und siehe! in einer der zwölf Schluchten saß eine Elster, die also geschrien hatte. Kaum von meinem Erstaunen erholt, schallt mir plötzlich aus der entgegengesetzten Schlucht zu: »Viermal fünf ist siebenundzwanzig.« – Aber um kurz zu sein: in jeder der zwölf Schluchten saß eine Elster, und alle zwölf schwatzten und schrien immerfort ein falsches Einmaleins durcheinander. Und bei jedem verkehrten Ausruf ging ein leises, aber sichtbares Zittern durch die graue, steinerne Mannesgestalt, und die Nase weitete sich aus, wie vor Zorn. – Solch eine wahrhafte Merkwürdigkeit war mir noch nicht vorgekommen. Ich überwand mein Grauen und suchte wenigstens eine der wunderbaren Elstern zu fangen. Aber ich mühte mich vergebens ab. In welche der Schluchten ich auch dringen mochte, jede Elster hüpfte in träger, sorgloser Flucht, immer nur zwei Schritt vor mir, immer mir ihr falsches Einmaleins zuschwatzend, bis sie zuletzt auf unzugänglichem Felsvorsprung vor mir sicher war. Ich eilte in die Stadt zurück. Den andern Tag mietete ich Leute, mit Vogelnetzen, Käfigen, Strickleitern, auch mit Steinhauen und Beilen versehen, und einen festen Wagen, um die Elstern zu fangen und mindestens den sonderbaren Kopf des Felsmannes mit fortzubringen. Es war ein heißer Tag. Ich und meine Leute krochen und klommen Fels auf, Fels ab, hierhin und dorthin, in jede Schlucht, auf jeden Gipfel. So mühten wir uns länger als sechs Stunden, bis wir vor Ermattung rasten mußten. Und doch war ich gestern in weniger als einer Stunde an jenen Ort gelangt, und die Richtung war, nach dem Stand der Sonne und nach entfernteren Umgebungen, genau dieselbe. Den andern Tag begann ich von neuem, mit noch größerem Eifer, aber vergebens. Als ich mich, durch zweckloses Suchen, am Abend des dritten Tages endlich überzeugt hatte, daß mein Unternehmen fruchtlos sei, bezahlte ich die Leute reichlich und ließ sie gehn. Da ich mich schon anfangs nicht für verpflichtet gehalten hatte, sie mit dem Zweck und Anlaß unsrer Arbeit bekannt zu machen, und dies jetzt, da es mißlungen war, für noch überflüssiger hielt, so hielten sie mich für verrückt und sprengten es in der Stadt aus, was mir natürlich so gleichgültig war, daß es mich nicht einmal belustigen konnte. Das, lieber Kernsley, wollte ich dir als das bedeutendste Abenteuer meiner Reise vorläufig melden. Ein andermal mehr.


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