Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel VII

In dieser Zeit, und als Junius schon mit dem Schreibenlernen beschäftigt war, bekam die Frau Habichs zu ihrer großen Freude (denn sie hatte ja nun ein Spielzeug mehr) ein Töchterchen, das Malwina genannt wurde. Des Herrn Habichs Gesicht dabei war weder süß noch sauer. Eine Tochter war ihm nicht recht, weil sie kein Geschäft treiben konnte, und doch konnte er hoffen, einst durch sie eine angesehene und nützliche Verbindung einzugehen. So ließ er es dahingestellt sein. Junius aber hatte in dem lächelnden, schwarzäugigen Kinde das erste Wesen gefunden, das er von ganzer Seele lieben konnte. Sie ward der Morgenstern, der dem hellen Liebestage seines Lebens vorleuchtete. Am schlimmsten hatte es dabei die kleine, häßliche Katze, die bisher, seit Junius nicht mehr zum Püppchen zu brauchen war (denn zu tändeln müssen Weiber immer etwas haben), bei der Frau Habichs Kindesstelle vertreten hatte und demgemäß auf dem Schoß gewiegt, gehätschelt, getätschelt, überfüttert und gegen jede Beleidigung mit edler Entrüstung verteidigt worden war. Natürlich fand Frau Habichs ihr eigenes Töchterlein nun noch viel niedlicher als die kleine, häßliche Katze. Diese wurde vom Schoß geworfen und fortan mit Fußtritten in gehöriger Entfernung gehalten, bekam auch kein Futter mehr. Ein wichtiger Abschnitt in ihrer Ausbildung, denn sie soll seitdem gelernt haben, sich selbst Mäuse zu fangen. Dies letztere steht nur hier, als ein Fingerzeig für denkende Eltern, die ihre Kinder zu einer edlen Unabhängigkeit erziehen wollen.

Aber auch für Junius nahte sich eine wichtige Lebensepoche. Er hatte nämlich schnell schreiben gelernt und seinem Vater eines Abends ein schöngeschriebenes Probeblatt überreicht. Dies war nach Herrn Habichs Meinung die erste beachtenswerte Lebensregung des Knaben und er schenkte ihm einen Groschen und ermahnte ihn, nun mit Fleiß ans Rechnen zu gehen, denn dies sei die Hauptsache im Geschäft, folglich auch im menschlichen Leben.

Den andern Tag aber, als Junius nach vollbrachter Lehrstunde in den Garten spielen gehen wollte, gab ihm die Mutter, obgleich Herr Habichs es verboten hatte, das Guckglas des Onkels Holofernes mit.

Junius nahm es spielend in die Hand, sprang in den parkähnlichen Garten und vertiefte sich in die Irrgänge desselben bis zu seinem Lieblingsplätzchen am äußersten Rande des Gartens. Hier warf er sich, selig froh, unter einem uralten, blühenden Lindenbaum nieder, an dem ein heller Quell leise plätschernd vorbeizog. Blumen neigten und schmiegten sich an seine frische Wange, als wollten sie ihn streicheln, um und über ihm summten emsige Bienen. Da führte er halb träumend das Guckglas zum Auge und richtete den Blick hinauf in die blühenden Zweige. Aber Himmel, wie ward ihm! Wie von tausend Blitzen, bunt und wirr verschlungen, zuckte es mächtig vor seinem rasch geblendeten Auge und dazu rauschte, brauste und sang es auf ihn los in riesiger Klangesmacht, als ob von allen Seiten Donnerschläge über ihn herstürzten. Ein ungeheures Labyrinth von zuckenden Lichtern und, aus seinen Tiefen dringend, ein tausendstimmiger Riesenchor.

Überwältigt und betäubt sank Junius zurück und schloß zitternd die Augen. Doch der Schrecken, der ihn danieder warf, war ebenso süß gewesen, als furchtbar. Er konnte nicht widerstehen und, von wonniger Bangigkeit durchschauert, führte er das Glas wieder zum Auge und schaute rund um sich auf Zweige, Blumen, Quell und Himmel. Wieder stürmte es mächtig auf ihn ein, aber er hielt kräftig aus, und wie er immer länger, fester und mutiger um sich blickte – siehe! Da löste sich der Tumult gemach, das Wallen des Lichtmeeres wurde zu leiserem Wogen, das Wogen zu unmerklichem Zittern und schau! nichts waren die Blitze gewesen, als die Fülle der Farben und Gestalten ringsum, wie er sie sonst schon oft geschaut hatte, aber zu einem so unaussprechlichen Lichtglanz erhöht, und doch wieder gemildert, daß der ungewöhnte, bewilderte Sinn so hohe Schönheit auf die ersten Augenblicke nur als Chaos auseinandergerissener, wirrender Glanzstücke und Streifen in sich aufzunehmen und walten zu lassen vermochte. Und auch das vielverschlungene, durcheinander hallende Donnergeroll ließ, so schien es, nach, und wie der Mond befriedigend aus dem Kampf zerrissener Nachtwolken tritt, so tauchte leissäuselnd die Harmonie aus dem Riesengefecht der Klänge und horch! was er für Donner gehalten hatte, war nichts, als das Brausen und Flüstern der Zweige, das Plätschern und Rauschen der Quelle, das Summen und Dröhnen der Bienen, das Girren und Zwitschern der Vögel, wie Junius es sonst gehört, nur daß es ihm mit eins, allmächtig und verständlich, voll und reich bis ins tiefste Herz hinein zitterte und klang. Und was er sonst als ein einziges, dunkelverworrenes Tönen vernommen hatte, darin fühlte er jetzt tausend unterschiedene, deutlich erkennbare Stimmen, und doch umflutete es ihn in einem einigen Wogenschlage des Wohllauts. –

A. d. T. d. O. H.

Es gibt gar keinen Unterschied von laut und leise. Es ist nur je nachdem man's hört. Wenn wir abends nicht einschlafen können, und eine einsame Mücke uns um das Ohr singt, alles umher still, wenn wir uns dann ganz in diesen zudringlich peinigenden und doch unwiderstehlich fesselnden Singsang vertiefen, so klingt es lauter im Ohre, als ein lebhafter Marsch eines ganzen Musikkorps mit Trommel, Triangel und halbem Monde. Ja, der lauteste Schall, wenn er anhaltend ist, wird nach und nach für unsern Sinn völlig identisch mit der allertiefsten Stille, so wie die gewaltigste Bewegung dann den Eindruck majestätischer Ruhe macht. Dies versteht nur der, der mindestens einen Eisgang des Rheins einmal mit angesehen hat, wo man bald zu der Überzeugung kommt, die Eismassen stünden still, und nur das Ufer fliege an ihnen vorbei, sowie: die Eismassen machten durchaus keinen Lärm, sondern das Ufer, auf dem man sein eigen Wort nicht hören kann, sei stumm geworden. Hören wir doch selbst den donnernden Umschwung unserer eigenen Erde nicht, und der Sonnenuntergang ist für uns ein langsam feierliches Schauspiel, da sich doch die Erde mit der Geschwindigkeit einer abgeschossenen Kugel dreht. Wenn einmal plötzlich die Erde und der ganze sausende Sternenschwung still stünden, dann würde diese ungeheure Stille auf unser Ohr sicherlich ganz denselben Eindruck machen, als ob mit eins ein furchtbares Krachen zermalmend auf uns einbräche. –

Immer klarer und heller ward es vor Junius Auge und Ohr, je mehr er seinen Blick durch das Glas übte, und eine neue Wonne durchströmte warm alle seine Glieder, alles um ihn her war so zauberschön, wie sonst nur Träume sind, und doch fühlte er, daß er erst jetzt alles in seiner eigensten Wirklichkeit erkenne. Alle Formen und Gestalten traten in bedeutsameren, kräftigeren, schwungvollen Umrissen hervor und doch weich und mild verschmolzen, wie nie. Er sah nicht bloß, wie die Dinge aussahn, sondern auch, was sie bedeuteten. Die geheimnisvollen Hieroglyphen der Natur hatten für sein Auge unmittelbare Verständlichkeit gewonnen, ohne an süßem Reiz zu verlieren, denn je mehr er forschte und an lebendiger Erkenntnis eroberte, desto mehr blieb zu forschen übrig, desto reicher und geheimnisvoller umschlang ihn das noch nicht Erkannte. Und die tausend Sangweisen um ihn grüßten ihn trauter und trauter, je inniger er lauschte, und wurden zu lobpreisenden Liedern, die ihm alles, was dem Auge noch versiegelt war, aus dem Innersten der Erscheinung heraus schmeichelnd anvertrauten. Sie waren die Seele, das echteste Wesen der Dinge selbst. Er konnte nicht sagen, daß es Worte wären, was er hörte, aber in seinem Innern wurde all das wonnige Geräusch augenblicklich zu lebendigen Gedanken, und die Gedanken zu wohllautendem Wortstrom, der im Drange, hervorzuquellen, ihm fast die Brust zersprengen wollte. So bebte in ihm das Säuseln der Linde nach, freilich unendlich schwächer, als er es vernommen hatte:

Zum Schoß des Reinsten, was der Erd' entschwillt:
In himmelspiegelnd heilig heitre Flut
Versank das Reinste, was vom Himmel quillt:
Ein Lichtstrahl, zitternd leis aus heil'ger Glut.
Er zuckte Leben in den Keim, den Zwerg,
Der aus sich selbst nun schwoll und wuchs und schoß,
Bis er gen Himmel ragte, wie ein Berg,
Und tausendfach sich teilte, Sproß um Sproß.
So ward aus weicher Flut und zartem Licht
So Formenpracht, wie Heldenkraft, gewebt;
Schau, wie sich Strahl um Strahl zum Blatte flicht,
Wie Well' auf Welle bis zum Wipfel strebt!
Es nimmt und spendet Licht der Blüte Mund,
Gleich deinem Aug', das Himmelsstrahlen sprüht,
Und flüsternd tut er dir die Sage kund,
Wie Geistigstes am schaffendsten durchglüht.
Wie Mildestes sich eint zu höchster Kraft,
Zu längster Dauer allerfeinster Stoff,
Wie Leben sich an Leben mächtig rafft,
Wo reinstes Licht in reinste Erde troff.
Und was so irdisch strotzend zu dir spricht,
So fest in Erdenbrust zu wurzeln scheint,
Ist nichts, als helle Welle, heil'ges Licht,
Zu Stamm und Krone wundersam geeint.
Die Bienen summten:
Ich schweife fort auf irrer Wanderfahrt,
Und was mich lockt, erblick' ich hier und dort,
Ich küsse tausend Blüten jeder Art;
So geht's von einer Lust zur andern fort.
Doch was ich schwärmerisch und wirr genoß,
Das trag' ich endlich sorgsam sinnend heim,
Da bau' ich draus ein wohlgefügtes Schloß,
Mit tausend Zellen, voll von süßem Seim.
Und starb da draußen schon die Blumenschar,
Flieg' ich vergebens aus nach Blütenkuß;
Ist all das Süße, was mein eigen war,
Daheim erhalten mir aus einem Guß.
Und in dem Seim, den ich bereitet still,
Fühl' ich die ganze, lichte Frühlingswelt;
Nur wer im All das Eins erringen will,
Dem glückt's, daß er das All sich froh erhält.

Die Vögel sangen:
Die Erde, die liegt so weit und groß
Und schlummert und träumet leis;
Dort Palmen stolz, hier friedliches Moos.
Und keins vom andern was weiß.
Da formte der fernendurchschweifende Geist
Ein Stücklein vom feinsten Ton
Und schmückt es, daß es schillert und gleißt;
Habe Dank, du Lüftesohn!
Und von mutwilliger Winde Hauch
Schuf er ihm die Seele bald:
»Da fliege du hin von Strauch zu Strauch,
Da fliege von Wald zu Wald!«
»Da fliege du hin von Land zu Land,
Und mach', als Herold recht,
Süd, Nord, Ost, West miteinander bekannt,
Geschlechter mit Geschlecht.«
»Was du von der Palme Träumen geschaut,
Das singe den Tannen im Nord,
Und was die Tanne dir ernst vertraut,
Das bringe den Palmen dort!«
»Und wie es im Grünen schlummert und lacht,
Das künde den Lüften blau,
Und wie es im Äther atmet und wacht,
Das singe der träumenden Au!«
So fliegen wir leicht von Land zu Land,
So streifen wir hin und her,
Und flechten singend ein goldenes Band
Um Himmel und Erd' und Meer.
Und nickend lauschet die volle Welt,
Und eins im Traume das andre sieht,
Denn unser Sang hat das All gesellt
Zu einem einzigen, jauchzenden Lied.

Und leis verklingend hallte das Lied der Lerche nach:
Die Sternlein dort sing' ich zur Ruh,
Die Blümlein weck' ich auf,
Und schließen die dort die Äuglein zu,
Schaun die verwundert hinauf.

Und die Quelle rauschte:
In der Erde Busen schwillt es,
Heil'ge Kräfte werden wach,
Ineinander treibt und quillt es,
Strömt zusammen Bach in Bach.
Und in silberhellen Bronnen
Drängt es wallend sich hervor;
Quelle grüßt das Licht der Sonnen,
Jauchzt ihm zu im Orgelchor.
Was da drinnen tief gewaltet,
Plaudert sie dir freundlich aus,
Wie's hier draußen sich entfaltet,
Geht sie dann auf Kundschaft aus.
Einmal ihrer Gruft entriegelt,
Weilt sie nie an einem Ort,
Doch, was flüchtig sie gespiegelt,
Kennt und liebt sie fort und fort.
Wie die Bäume schnell entrücken,
Hinten bleibet Strauch und Moos;
Aber frisches Waldentzücken
Nimmt sie mit im hellen Schoß.
Tiefster Erdennacht entrissen,
Leis' von Himmelslicht erhellt,
Faßt sie in lebend'gem Wissen
In sich auf die ganze Welt.
Himmelsstrahlen müssen wecken,
Doch erhalten muß die Flut;
Wasser ist das heil'ge Becken,
Drin des Lebens Spende ruht.


 << zurück weiter >>