Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

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Kapitel XI

Möge der Leser nicht etwa, durch eine Stelle dieses zufällig hier eingewebten Tagebuchblattes veranlaßt, einen voreiligen Schluß und die eheliche Treue der Frau Habichs in Zweifel ziehn. Die Wahrheit zu gestehen, war sie durch Mangel an Gelegenheit und Liebenswürdigkeit, durch Phlegma und eingebläutes Pflichtgefühl vor jedem Vergehen der Art bewahrt geblieben. Sollte der Leser sich aber wundern, daß er in einem Geschöpfe, das ihm zuerst als durchaus nüchtern, alltäglich und gedankenlos vorgeführt war, nun plötzlich eine exaltierte Romanleserin findet, so mag er darüber vielleicht Aufklärung finden in folgender Stelle.

A. d. T. d. O. H.

O wie wenige begreifen, was Poesie sei. Oft die gebildetst Scheinenden, am allerwenigsten der Pöbel. Der eine, der es in Deutschland gewußt und durch die Tat gezeigt hat, ist vielfach pfäffisch verketzert und unrein verehrt worden. Alles lebendige Sein in seiner reichen Fülle mit gesunden derben Sinnen und hellem heitern Blick erfassen, so daß jedes Ding nur als Offenbarung und Körper des darin von Anbeginn wohnenden (nicht hinzugefabelnden oder erdachten) göttlichen Gedankens erkannt wird, immer im Zusammenhange mit dem ganzen und einen, und dies Schauen in harmonisch verwebter mild geschaffener Erfindung den Erkennenden symbolisch hingeben – das ungefähr macht den großen Dichter. Aber da meinen viele, der Poet taumle schwebend und nebelnd von einer Wolkeninsel zur andern, und was er spende, habe mit dem wirklichen Sein gar nichts zu schaffen und sei eine angenehm phantastische, willkürliche Spielerei. Diese Leute wundern sich daher, wenn sie einmal einen Dichter zu sehen bekommen, daß derselbe die Nase in die Länge und den Mund in die Quere hat, wie andre Menschen, und wenn er sich gar vor ihren Augen an Kartoffeln und Rindfleisch satt ißt, so scheint ihnen das fast unanständig. Auf der andern Seite sind sie wieder in dem Wahne, ein Dichter schreibe dann am besten und kühnsten, wenn er von Rheinwein oder gar liederlichem Champagner besoffen ist.

Von diesem Standpunkt aus betrachten oft ehrbare, gesetzte Berufsmenschen die Poesie als eine erlaubte angenehme Erholung, wenn die ernsten Geschäfte des wirklichen Lebens erst abgetan sind. Sie ahnen nicht, daß Poesie eben nichts andres ist, als die Verkündigung der echten, das heißt: der geistig verklärten Wirklichkeit.

Bei solchem gänzlichen Verkennen des innern Wesens hält sich der Krämersinn natürlich ans ganz äußerliche. Wo süßlicher oder ungeberdig tobender Wortschwall ist, das nennen sie Poesie. Solche Philister haben den unausstehlichen und ganz verkehrten Ausdruck: »Schöne Diktion« erfunden. Und noch erst gar die Frauenzimmer, bei denen ein gutherziges, aber ganz falsches Sittlichkeitsgefühl namentlich hinzukommt, um sie vollkommen zu verwirren! Wo sie ihn nur mit einigen schimmernden Tugendsentenzen, wie mit Rosenbuketts bespickt und verhüllt sehn, da nehmen sie einen ganzen Wust des unreinsten Kotes mit frommer Miene hin. Kommt aber einmal in einem dramatischen Dichter etwa der Ausdruck vor: »Geht mir damit vom Leibe, denn ich habe den Henker davon!« da heißt es gleich: Näschen gerümpft und in die Höhe geworfen und zimperlich ausgerufen: »O pfui! wie unzart, wie prosaisch!« – Weil Shakespeare schlechte Menschen charakterisiert hat, so ist er selbst ein schlechter Kerl; weil Goethe die Szene in Auerbachs Keller gedichtet hat, so ist er ein roher Zotenreißer. O Unverstand!

Diese sinnlose Trennung der Poesie von der Wirklichkeit macht es auch, daß oft die trivialsten, hausbackensten Naturen, ganz unbeschadet ihrer Stockphilisterei, eine Liebhaberei für schöne Literatur proklamieren, teils, um einen gewissen, prickelnden Kitzel zu befriedigen, den sie fälschlich für Begeisterung für etwas höheres nehmen und ausgeben, da er doch lediglich weichliche Sinnlichkeit ist; teils aus Eitelkeit. Natürlich werden sie nur an denjenigen Werken gefallen finden, wo viel Geschrei und wenig Wolle ist, in denen süßliche oder verwilderte, nie dagewesene Fratzen in affektierten Phrasen, die gar nicht von dieser Welt sind, viel weniger aber von einer höheren, phantasieren. Wo sie aber einmal Fleisch und Leben, echten Kern und echten Geist spüren, da wird ihnen umheimlich und es heißt gleich: »O pfui! wie gewöhnlich, wie platt, wie unpoetisch!« Solche Leute haben auch noch die komische Eigenschaft, oft, und mit einer gewissen bescheiden tuenden Selbstgefälligkeit, wenn sie mit einem Dichter sprechen und ihre flachen Urteile ausgekramt haben, die Redensart zu brauchen: »Ich bin freilich nur ein ganz prosaischer Mensch (oder wenn's ein Frauenzimmer ist: Geschöpf).« Wieder dieser unglückliche Gegensatz. Als ob ein echter Mensch, ein wahrhaft lebendiges Geschöpf je prosaisch sein könnte! Eigentlich aber wollen die Leutchen mit jener Redensart nichts andres gesagt haben, als: »Ich bin ein vernünftiger Mensch und nicht so verrückt, wie du.«

Die Frau Habichs also las schlechte Romane, Nicodemus schrieb verarbeitend, bearbeitend, überarbeitend und überüberarbeitend an seiner großen Botanik fort und dem Junius gab er dabei auch Bücher zu lesen. Glücklicherweise war ihm früher der alte, triviale Gemeinplatz eingebläut worden, daß Romane der Jugend schädlich seien, und so tat er, wenn auch aus unrechtem Grunde, das Rechte, indem er den Knaben mit der schlechten Lektüre seiner Frau Mama verschonte. Er verschaffte ihm dafür Reisebeschreibungen und Geschichtswerke, die Junius mit großem Eifer las, denn sein lebendig schaffender Geist gab allem darin Berichteten eine frischere Färbung und ein höheres, bedeutsames Leben. So lernte er in der Zeit der Lehrstunden eigentlich mehr, als ihm der gute Nicodemus beigebracht haben würde, nur freilich die Zinsrechnung blieb ihm ein böhmisches Dorf. Einst hatte ihm Nicodemus zufällig ein Buch mit Gedichten gebracht. Junius erstaunte, als er anfing zu lesen und wußte erst gar nicht, was er davon denken sollte. »Was? (rief er bei sich) hat denn der auch das Guckglas des Onkels Holofernes gehabt?« Bei jeder Zeile mehr überrascht, las und las er weiter, und nun erst fiel ihm ein, was ihm vorher nie in den Sinn gekommen war, daß er ja ebensowohl als jener Dichter, die wunderbaren Worte, die aus Hain und Busch ihm entgegentönten, ordentlich aufschreiben könne. Sogleich machte er den Versuch und schrieb auf:

Sang mit wundersüßem Schall
Also einst die Nachtigall:
Wie so hold und wunderschön,
Rose, bist du anzusehn!
Blühend,
Glühend,
Düfte sprühend.
Weh! ich muß des Busens Drang
Strömen aus in flücht'gem Klang,
Der mit Sangesallgewalt
Wonnig sich in Lüften wiegt;
Aber bald
Leis verhallt
Und verfliegt.
Ach! was flüchtig stets verschallt:
Könnt' ich's fassen in Gestalt!
Dann entschwänden nicht im Nu
Klänge, die der Brust entsprangen;
Würden prangen
Schön, wie du,
Blühend,
Glühend,
Düfte sprühend.
Eine Ros' an Liedes Statt,
Jeder Ton ein Rosenblatt,
Rose, darum lieb' ich dich
Inniglich!
Rose gab mit duft'gem Wehn
Leise flüsternd zu verstehn:
Ach! wie singst du, Nachtigall,
Mit so wundersüßem Schall!
Innig,
Minnig,
Süß und sinnig.
Was die Brust mir schwillt mit Macht,
Was mich hold erglühen macht,
Lebt im Duft mit Allgewalt,
Der in Lüften wonnig weht;
Aber bald
Leis entwallt,
Und vergeht.
Ach! was ohne Klang entwallt,
Unerkannt, vergessen bald,
Was mit Macht die Brust durchzieht:
Innig,
Minnig,
Süß und sinnig;
Düfte – Nachtigallgesang,
Jeder Atemzug ein Klang.
Nachtigall, ich liebe dich
Inniglich.

Aber kaum standen, statt der lebendig wechselnden, sich verschlingenden Klänge die starren, schwarzen Buchstaben auf dem Papier, so gähnten und widerten sie Junius an. Sie kamen ihm vor wie Totengräber, die den Wohllaut zu Grabe getragen hatten, und schon wollte er im Unmut das Blatt zerreißen, als Nicodemus es sah, mit den Worten: »Was hast du denn da?« es ihm aus der Hand nahm und las. »Ei, ei! (sagte er schmunzelnd) recht artig, recht hübsch! Woraus hast du das abgeschrieben?« – »Abgeschrieben? wie denn?« fragte Junius. – »Aus welchem Buche, meine ich?« – »Es ist aus gar keinem Buche.« – »Nun woher hast du es denn? Du wirst es doch nicht selbst gemacht haben?« – »Nein, gemacht habe ich es nicht; ich hab' es aus dem Walde.« – »Sonderbar! wer hat's denn da gesungen?« – »Je, das steht ja hier. Die Nachtigall und Rose haben's gesungen und da hab' ich's gehört.« – »Du verschmitzter Junge! (sprach Nicodemus) so hast du es also doch selbst gemacht. Das ist viel, recht viel für dein Alter.«

Junius versicherte nochmals, daß er es nicht gemacht habe, aber Nicodemus, kaum darauf achtend, nahm das für kindische Dichterschüchternheit, ließ sich nicht irre machen und las das Liedchen noch einmal mit Wohlgefallen durch. – »Aber woher hast du nur diese Kenntnis des Metrums genommen? (fragte er verwundert). Sollte dir etwa Apels Metrik oder Dillschneiders Verskunde aus meiner Bibliothek in die Hände gekommen sein?« – »Was weiß ich von Metrum und Apel und Dillschneider! (sprach Junius naseweis). Ich hab's einmal so gehört, nur noch viel schöner, wie's dasteht.« –

Als die Stunde aus war, brachte Nicodemus den Jungen und das Gedicht zur Frau Habichs, der er letzteres triumphierend überreichte, mit den Worten: »Da sehn Sie, worüber ich Ihren Kleinen überrascht habe. Er hat es selbst gemacht.« Frau Habichs las, und obgleich sie es nicht verstand, klang und klapperte es ihr doch so vor den Ohren, daß sie entzückt ausrief: »Wie, Junius, du hast das gemacht? Hast du schon so romantisch zarte Gefühle gelernt?« – »Ach! was wollt ihr? Wie sollt' ich's denn gemacht haben?« – »Nun, lieber Junius! du brauchst dich darum nicht zu schämen (rief die triumphierende Mutter). Das Exerzitium der Poesie ist ein schönes, genialisches Talent, das du in deinen Freistunden ferner zivilisieren magst. Du kannst dadurch einst die ästhetische Zierde edlerer Geselligkeit werden und manche angenehme Stunde für schönere Seelen verkürzen helfen.« – »Für sein Alter ist es wirklich außerordentlich!« sprach Nicodemus. – »Außerordentlich!« stimmte Frau Habichs jauchzend ein, und nun ging es an ein Lobhudeln, daß es Junius angst und bange wurde. Er dachte in sich: Als ich's euch erzählte, was ich gehört hatte, da hieltet ihr mich für verrückt, und gabt mir ein Brechmittel, und jetzt, wo ich's ledern und langweilig auf einen elenden Fetzen Papier geschmiert habe, da werde ich gelobt, als ob ich wer weiß was für eine gute Tat getan hätte.

Frau Habichs konnte kaum erwarten, bis ihr Mann abends aus dem Turm kam. Kaum trat er in die Stube, so lief sie ihm schon mit dem Gedicht entgegen und rief: »Sieh doch, Habichs! was unser lieber Kleiner da gemacht hat.« Herr Habichs glaubte ein schwieriges Rechenexempel zu sehen und nahm das Blatt; aber als er es näher ansah, ward seine Stirn finstrer und finstrer. »Dummheiten! (rief er endlich aus, indem er das Blatt zerknitterte). Das fehlte noch! hat er nichts bess'res zu tun, als dergleichen Unsinn, Mosje Sohn? (und dabei gab er ihm eine derbe Ohrfeige). Ich verbitte mir dergleichen ein für allemal!« – Junius wurde nun ganz irr; erst gelobt, dann geohrfeigt; beides ganz unverdienter Weise. Vor Zorn weinend und schluchzend lief er aus der Stube in den Garten. Frau Habichs sah ihren Herrn Gemahl starr und entgeistert an. Endlich brach sie, empfindlich gekränkt, los: »In der Tat, mein Herr Gemahl, diese Handlungsart war Ihrer rohen, gemeinnützigen Seele ganz würdig! Auf diese Weise haben auch die Sandalen und Hunden und andere kannibalischen Völker die schönen Künste protegiert und befördert. Sie sollten stolz darauf sein, daß Ihr Sohn Ihnen die verdienstlose Ehre antut, ein frühzeitiges Genie zu sein, und dafür mißhandeln Sie das arme unschuldige Kind auf eine so eklatant brutale Manier!«

»Schweigen Sie, Frau Gemahlin! (krächzte Habichs). Sie verstehen den Teufel was davon. Wäre ich ein Genie gewesen, wer würde das Geschäft geführt haben, he? Ich und Sie könnten jetzt betteln gehn, das hätten Sie von Ihrem prächtigen Genie.«

»Das mag Ihrer einseitigen Gesinnungsweise sich so vorstellen (eiferte Frau Habichs, verächtlich ihn messend), denn armselige Geister vermögen die eminente Kapazität nicht zu begreifen, die im traulichen Verein das ernste Streben der praktischen Weltansicht mit den Rosen der Poesie zu verflechten weiß. Würde es dem Geschäft schaden, und würde es uns nicht Ehre bei der Mit- und Nachwelt bringen, wenn unser Junius einmal die Zeit außer den Büreaustunden von abends 8 Uhr an dazu anwendete, ein großer Dichter zu werden?« – »Ein großer Dichter? ein großer Narr, ja! Was ist von einem Menschen zu erwarten, der das Edelste, was wir haben, und was uns vom Vieh unterscheidet: die Sprache, anstatt sie zu nützlichem, lukrativen Verkehr, wozu sie uns Gott gegeben hat, anzuwenden, dergestalt mißbraucht, daß er sie einer sinn- und zwecklosen Klapperei und Klingelei zuliebe verzerrt, verschiebt, verdreht und zerfetzt, nur um verrückte Dinge in verrückter Form zu Markte zu bringen? Wie kann der je das Nützliche und Wichtige, ich meine: das Geschäft, mit Ernst und Eifer betreiben, der seine ganze Seele ans Unnütze und Kindische hängt? Ein berühmter Dichter, jawohl! – Und wäre er wirklich imstande, dabei das Geschäft zur Not fortzuführen, so würde dieser Ruf allein ihn um allen Kredit bringen und ruinieren. Ein Dichter, ein Fasler, ein Phantast! wer wird mit dem solide Geldgeschäfte eingehen wollen, zu denen durchaus gesunder, ungetrübter Menschenverstand gehört, den er nicht hat. Und von Ihnen, Herr Nicodemus, den ich bisher für einen ernsthaften und verständigen, jungen Mann hielt, muß es mich sehr wundern, daß Sie dem Bengel zu dergleichen Torheit Anleitung geben; denn von selbst könnte er doch nicht darauf gekommen sein.« –

Nicodemus dachte an sein Manuskript, warf sich in die Brust und sprach pikiert: »Ich wüßte nicht, Herr Habichs, wie ich dazu gekommen sein sollte, ihm, wie Sie sich auszudrücken beliebten: Anleitung dazu zu geben; denn in unsern Lehrstunden haben wir es allerdings mit wichtigeren, reelleren Dingen zu tun. Der Knabe ist durch sein eignes Ingenium dazu geleitet worden, wie solches bei einem Poeten immer der Fall ist, sintemalen sich die Poesie nicht durch Unterricht erlernen läßt. Nascitur poeta. Ich aber fand nicht nötig, ihn von dergleichen abzuschrecken, denn die Poesie dient dazu, den Menschen angenehm zu unterrichten und durch liebliche Erfindungen seinen Verstand auszubilden und paart so das Süße mit dem Nützlichen, utile dulci, wie solches schon von den Alten anerkannt war.« –

»Die Alten gehn mich gar nichts an (erwiderte Herr Habichs) und kurz und gut: ich will es nicht haben und ersuche Sie, in ihm dergleichen Liebhabereien nicht aufkommen zu lassen, sondern im Gegenteil alle seine Zeit durch Arbeit auszufüllen; denn er wird alle Tage älter und es wäre wohl bald an der Zeit, ihn in meinem Bureau zu beschäftigen, damit er den Gang des Geschäftes früh übersehen lerne und ein für allemal keine Zeit zu kindischen Phantastereien übrig habe. Was dich aber anbetrifft, Frau Gemahlin, so bitte ich inständig, dich in die Erziehung des Jungen ganz und gar nicht zu mischen, sondern deine Weisheit für dich zu behalten.« –

Diese wegwerfende Behandlung empörte die Frau Habichs. Schnell besann sie sich auf alle Phrasen und Fremdausdrücke, die aus den zuletzt von ihr gelesenen Büchern bei ihr hängen geblieben waren, um durch imposante Geistesüberlegenheit den Gemahl verstummen zu machen, und trug folgendes Ragout aus denselben pathetisch und höhnisch vor: »Ei! nicht in die Erziehung mischen? Nicht wahr, weil ich ein Weib bin, mein Herr Gemahl? Aber der Herr Gemahl täten wohl, einmal aus Ihrem Turm heraus auf das mächtige Fortschreiten der kosmopolitischen Humanität des Zeitgeistes zu horchen, um sich nicht durch engherzige Borniertheitsvorurteile vor dem Tribunale höherer Intelligenz zu blamieren. Der Herr Gemahl würde dann wissen, daß es als eine Lebensfrage des Jahrhunderts angeregt ist, die Zerwürfnisse des sozialen Zeitwirrnis durch Emanzipation der Frauen zu regressieren. Denn die göttlichen Tendenzen der Freiheit und Gleichgültigkeit, verbunden mit einer aufgeklärten Liberalitätsphilosophie müssen alle Hemmnisse einer barbarischen Tradition negativieren, die der Druck verderbter soziabler Institutionen der geistlichen Entfaltung eines eben so edlen und freien Teiles der Menschlichkeit, als Sie, mein Herr Gemahl, aufgebürdet hat. Freilich werden dann Kulturzustände eintreten, mein Herr Gemahl, von denen Sie sich nichts träumen lassen und aus denen ich selber noch nicht gescheit werde, und soziable Revolutionen werden der objektivischen, selbstbewußten Weiblichkeit, die geistlichen, soziellen und staatslichen Funktionen zum Lebensgebiet anweisen, die das stärkere Geschlecht durch Usurpation sich arrogiert hat. Und der Prinzip des Gewährungskampfes wird den Sieg davon tragen in freier Verfügung über Neigung und Perschon, vom dumpfen Joch des kochenden und strickenden sich Hergebens an eine einzelne, unberechtigte Persönlichkeit emanzepiert zur schönen Harmonie abwechselnden, freisinnigen Liebestausches, sowie zum Bücher-Schreiben, Cigarren-Rauchen, Alleininswirtshausgehn und politischer Klubsgemeinheit durch repräsentierende Versammlung. Aber Sie, mein Herr, werden das nie begreifen und ewig die morschen, stagnierenden Exkremente abgetaner und erstorbner Weltauswicklungsperioden mit Stabilitätsanschauungen, materiellen Interessen und retorgarden Impulsen vermengeliert in sich kontensieren.« –

Noch einen verachtenden Blick warf sie ihm zu; ihre Augen leuchteten, triumphierend blickte sie um sich, und wirklich: nur in einem Augenblicke fast somnambüler Begeisterung konnte sie sich zum Abdeklamieren eines (verhältnismäßig) noch so zusammenhängenden Unsinns aufraffen. Herrn Habichs war angst und bange geworden. In der Mitte der Rede fing er an, eine verwickelte Münzreduktion im Kopfe zu berechnen, nur um das Zuhören los zu sein. Als er merkte, daß seine Frau fertig war, sprach er: "Um Gottes willen! woher hast du diesen Unsinn? Ist das jetzt Ton in euren ästhetischen Klatschzirkeln? Ihr tätet besser, euch um Kaffee und Strümpfe zu bekümmern, denn ihr seid viel zu einfältig und habt viel zu wenig gelernt, um über irgend etwas Andres zu denken oder gar zu räsonnieren. Was mich betrifft, so bitte ich, mir künftig nicht mehr mit derlei Tollheit die Ohren zu zersprengen." – Aber jetzt war Frau Habichs auch ausgebeutelt und erschöpft. Sie schwieg still und begnügte sich, ihren Gemahl mit verachtenden Blicken zu messen. Eines Sonntag morgens war Junius sehr früh aufgestanden. Leicht, von Morgenfrische umweht und umflattert, schritt er durch den Garten nach der Wildnis zu. Ihm war so voll und bang, als bereite sich seine Seele, erwartungsvoll zitternd, etwas Überirdisches Heiliges zu begrüßen. So mag dem Propheten zu Mut sein, ehe der Geist Gottes über ihn kommt. Junius drang weiter vor durch hohe, majestätische Buchen und Eichen, kühle Waldesschauer umfingen ihn und küßten die Glut von seinen Wangen. Sinnend und langsam, den Blick unter sich, wandelte er hin. Und dichter rückte Stamm an Stamm, und höher schoß Wipfel an Wipfel empor, keck ins ewige Blau greifend, und kühn geschwungner schloß Zweig sich an Zweig in reichem lieblich geschmückten Bogenbau. Und als Junius aufsah, siehe! da stand er in einem riesigen, lebendigen Tempel; drin wallte kein betäubender, hirnumnebelnder Weihrauch, nur frische, freie Walddüfte strichen umher; drin starrte es ihm nicht ringsum steinern entgegen, sondern überall war Saft und Regung, Sprossen und Gedeihn, ein überschwengliches Leben; und das goldne Licht war nicht gezwungen, sich durch steife Fensterumrisse gewaltsam einzudrängen, sondern lachend und mild quoll und schlüpfte es durch Zweig und Blatt an allen Ecken und Enden; keine brennend und dunkel gefärbten Scheiben umdämmerten den Sinn mit einer heiligen Dumpfheit, sondern göttliche Heiterkeit lachte vom Blau des Himmels ins tiefste Herz hinein. Und das leise Summen, Singen und Brausen in den Laubeskronen schwoll und wuchs und durchströmte, ein mächtiger, tönender Strom, läuternd und befruchtend, die Brust des Knaben, und er lauschte ihm die Worte ab, die aber zu ihm in kühnen, erhabnen Rhythmen erklangen, wie sie die Sprache nicht nachzubilden vermag: »Was senkest du nieder den Blick und starrest in die dunklen Tiefen der eignen Brust? Schaue auf und umher, mit hellem Auge in die helle Welt, oder du wirst dir selbst zum Grabe. Wage es, aus dir selbst hinauszugehn und dich hinzugeben der Fülle des Lebendigen ringsum, und je mehr du dich hingibst, je inniger und klarer wirst du dich selbst besitzen. Laß die freundlichen, wechselnden Bilder des Seins in bunten Scharen auf dich eindringen und überwinde sie in heitrem, wühlendem Kampfe. Und siehe! Gestalt um Gestalt und in Allem ein unendliches Werden und Wechseln, ein Erblühen, Erstarken, Vergehen und ein ewig neues Entkeimen aus der Verwesung. Und der Tempel deiner Brust bevölkert sich von tausend und tausend Gebilden, so daß es drinnen lebt und blüht, wie draußen, und alle sind sie in dir zu ewigen Gedanken geworden. Sie Alle, und unendlich mehr, die du noch nicht erschauen und erfassen kannst, hat Gott der Herr also herrlich gedacht und gesprochen im Anbeginn der Tage; und sie wurden. Und auf daß seine blühende Welt verstanden und genossen würde, hauchte er in dich einen Atemzug seines innersten, heiligsten Wesens, und ward Mensch in dir; und in Millionen lebt und wirkt er fort. Schaue den herrlich ragenden, königlich daherwandelnden Menschengestalten ins leuchtende Auge und siehe, wie es um dich her stäubt von Funken der Gottheit, wie es dich mild umspinnt mit Schimmern der Gottheit! Sie alle sind seines Seins teilhaftig. Und Er, so unendlich hingegeben, so millionenfach menschgeworden – ist und bleibt doch der ewig Ganze, Unendliche, Einzige; reicher, je mehr er spendet; immer mehr sein eigen, je mehr er von sich weggibt. Siehe! er hat sich in deine Brust gesenkt in seiner heiligen Ganzheit, kein Teilchen seines Wesens hat er dir vorenthalten; du kannst ihn ausdenken und ausempfinden, wenn du rein, stark und kühn bist. Und doch war, ist und bleibt er der allgewaltige Weltenlenker über und außer dir. Im Manne ward er Mensch, auf daß er sich auch hienieden, tätigdenkend, ewig erneue; aber auf daß die Kraft harmonisch und gezügelt bleibe von der einigenden, versöhnenden und erhaltenden Milde und Liebe, wird er ewig wiedergeboren im Weibe. Ehre die süße, erhabne Gestalt, die, ein Gedanke der Schönheit, sinnend hingeneigt dasitzt und lauscht und träumt; denn in ihrem weichen, unendlich liebenden Busen rauscht fort und fort die leise Quelle schöner Menschlichkeit, in ihrem stillen Schoße schlummern die Keime ewiger Menschwerdung. –

Und wie Er sich unendlich hingibt und kräftig sich selbst behält: so sei auch du ganz Liebe und Kraft, Überwundner und Sieger. Opfre dich auf, um dich zu haben!' –


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