Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

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Kapitel XVIII

Anfangs blickte Malwina mit ganz ehrlicher Aufmerksamkeit zum Onkel empor, denn sie konnte und wollte noch immer nicht glauben, daß er so sei, wie er sich gegeben hatte, und hoffte auf besseres. Da er aber durchaus den angenommenen kindischen Ton nicht änderte, blickte sie gekränkt, von Scham und Unwillen glühend, vor sich nieder. Endlich, gegen Ende der Geschichte, fuhr ihr blitzschnell durch den Sinn, worüber sie sich ärgerte, daß es ihr nicht gleich klar geworden wäre, nämlich: daß der Onkel ein Spottvogel sei. Plötzlich blickte sie wieder zu ihm auf und erhaschte auf den Lippen dessen, der sich im Augenblicke unbeobachtet glaubte, einen leisen, ganz eigen lächelnden Zug, der sie vollends aus aller Ungewißheit riß; obgleich Holofernes keineswegs in seinem Erzählungston karrikierte, sondern nur mit komischer Naturwahrheit die Sprache alberner übermütiger Erwachsener gegen Kinder treu nachahmte. Jetzt ward's dem Mädchen auf einmal ganz leicht ums Herz und mit reizend freundlicher Schlauheit und ungläubigen Lächeln blickte sie bis zum Ende der Geschichte dem Onkel ins Auge, der seine Rolle kaum festzuhalten vermochte. Als er auserzählt hatte, sah er sie mit süßlichem Lächeln fragend an, als ob er Dank oder Urteil von ihr verlange. Sie drehte sich lieblich schmollend, weg. »Nun? (fragte er) gefällt dir die Geschichte nicht?« Mit zögernder Bescheidenheit, doch ohne Furcht, antwortete sie, die Worte lang dehnend: »Die Geschichte könnte wohl ganz hübsch sein, wenn – sie – nur – anders erzählt würde,« kam auf einmal rasch heraus, wobei sie über ihren Mut errötete. »Ei, wie denn, liebe Malwina?« fragte Holofernes schon in natürlicherem Tone.

»Das weiß ich nicht grade zu sagen (antwortete sie). Aber sage, lieber Onkel, sprichst du denn immer so – so – wie – ein Kind?« – Jetzt aber hielt es Junius nicht länger aus. Wie zu ritterlicher Verteidigung drängte er sich vor und sprach, beinah erbittert: »Lieber Onkel, ich sehe, daß du meine Schwester nicht kennst; sie ist gar nicht so kindisch, wie du glaubst.«

Da erfaßte Malwina mit echt weiblichem Takte den Augenblick, ehe die Sache für alle Teile verdrießlich und verstimmend würde, indem sie des Onkels Hand ergriff, sah sie ihn mit bezauberndster, liebevollster Offenheit und doch wie scharf und pfiffig forschend an und sprach, fest und vertrauensvoll, so daß es kaum wie eine Frage klang: »Gelt Onkel, du spaßest bloß mit mir?« Rasch begegnete sie einem Blick des Onkels, der Antwort genug war; da rief sie bittend: »Sei nicht böse, lieber Onkel, daß ich böse auf dich war!« Dabei neigte sie rasch das Haupt und küßte mit Wärme des Onkels Hand. Der aber konnte sich nicht mehr halten. »Du prächtiges Mädel!« rief er jubelnd aus, faßte sie, zog sie an sich heran und küßte ihr Stirn, Auge und Mund.

Obgleich ich nun in Gefahr gerate, für einen sentimentalen Menschen oder für einen Nachahmer Jean Pauls gehalten zu werden, so darf ich doch, aus falscher Scham, dem Leser nicht die Wahrheit vorenthalten, nämlich die, daß bei dieser Versöhnungs- und innigen Verständigungsszene beide, sowohl die kleine Malwina, als der alte Kerl von Onkel so ergriffen waren, daß sie mit Mühe die Tränen zurückhielten, sie aus Freude und weil sie was zu verzeihen hatte, er auch aus Freude und weil er das liebliche Kind so unnütz gequält hatte, das nun so liebenswürdig und fein die Sache umdrehte, als sei sie der beleidigende Teil gewesen. Da schon viele Leser und Leserinnen diese ganze Szene nicht verstehn, so können sie sich denken, was erst gar die Frau Habichs, die hoffentlich viel roher und dümmer ist, als irgend jemand unter ihnen, sich dabei denken mußte; nämlich gar nichts. Sie stand ganz verblüfft da. Noch immer hatte sie auf den Moment gehofft, wo schicklich ein mütterlicher Sermon einzuschieben sei, um so mehr, da der Stoff dazu immer anwuchs; denn daß Malwina die Geschichte des Onkels zu tadeln wagte, die doch (dachte Frau Habichs) ganz für so ein einfältiges Kind geeignet und in der außerdem »sehr viel Moral« war, fand sie unerhört. Sie wollte schon dem Bruder wegen der dummen Impertinenz ihrer Tochter tausend Entschuldigungen machen, um nur die Sache einigermaßen wieder ins Gleis zu bringen, und siehe da! auf einmal beide Parteien feierlich versöhnt und im freundlichsten Einverständnis, und das ohne alle handgreifliche Verbindung, auf eine ihr völlig unverständliche Weise. Zuletzt, da sie gar nicht wußte, was zu denken sei, ergriff sie den sehr bequemen Ausweg, alles für eine geniale Grille ihres außerordentlichen Herrn Bruders zu halten und als solche zu respektieren, wie es einer »gebildeten Frau von höherem Seelenschwunge« ziemte. Sie veränderte demnach für den ganzen Tag ihre Taktik, verschmerzte das Herunterschlucken ihrer schönen Ermahnungssentenzen und behandelte Malwina mit der affektiersten Freundlichkeit, indem sie selbige den ganzen Tag mit dem liebkosenden Verkleinerungsnamen: »Winchen« oder »liebes Winchen« anzureden und dabei geziert ihr zuzulächeln recht beflissen war. Dies tat sie nie, als wenn Gesellschaft zugegen war. Unter vier Augen hieß es immer ganz ordentlich: »Malwina« mit möglichster Hausbackenheit und Härte ausgesprochen. –

So kam die Stunde heran, in der Herr Habichs aus dem Turme zum Mittagsessen kam. Nach kurzer, ziemlich kalter Begrüßung begann Holofernes gleich seinen Angriff folgendermaßen:

»Lieber Schwager, da ich nicht lange hier bleibe und wir heut vielleicht nicht mehr einen so günstigen Augenblick finden, so wollen wir uns nicht lange mit allgemeinen und gleichgiltigen Lapalien, als da sind: Wetter, Wohlbefinden etc. aufhalten, sondern gleich in medias res das heißt aufs Spezielle und Wichtige lossteuern. Ich tue Euch also kurz und gut den Vorschlag, Euern Junius, der, wie ihr wohl merken könnt, zum Geschäftsmann doch nimmermehr tauglich werden wird, mit mir zu nehmen und ihn die schönen Wissenschaften studieren, zu lassen, damit doch etwas Ganzes und Rechtes aus ihm werde. Nun sagt, was meint ihr dazu? Doch nein, Schwager, sagt lieber nichts, denn die Verlängerung Eurer wohlgeborenen Nase und das gespensterhaft spukende, wenn auch unausgebrummte: »Hm. hm!« auf Eurer mißbilligenden Lippe sagen schon genug. Aber hört erst meine Erläuterungen und Sacherklärungen, ehe Ihr aburteilt. Fürs Erste, um nur nebensächliches Gestein und Gestrüpp aus dem Wege zu räumen, gebe ich Euch das Versprechen, daß Euch die ganze Geschichte keinen Kreuzer kosten soll. Ich werde für alles sorgen und der Junge solls gut bei mir haben. Das ist doch schon ein reines Ersparnis; ja, Ihr könnt es ein Geschäft nennen, da es eine aktive Vermehrung Eures Kapitals ist. Fürs Zweite aber komme ich zur Hauptsache. Ihr haltet nämlich dafür: Geschäft sei etwas solides, reelles; schöne Wissenschaften aber eine Seifenblase, die farbig glänzt und zerplatzt und an der nur Kinder Vergnügen haben, d. h. mit andern Worten: gar nichts. Euer bestätigendes Kopfnicken sagt mir, daß ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Ein Schriftsteller ist für euch ein Mensch, der in anständiger Kleidung langsam verhungert, der selten Geld hat, und wenn er es hat, es an einem Tage totschlägt. Ein Dichter erst gar ist Euch einer in zerrissenen Kleidern, der im fünften Stocke nicht wohnt, sondern sein Lager hat, den ganzen Tag lang träumt und nichts verdient, des Abends in den kalten Mond und des Morgens in die warme Sonne sieht, weil er doch keine andere kalte Küche zum Abendbrod und kein andres warmes Frühstück hat.

Ich aber sage Euch, daß Ihr in der Kenntnis literarischer Zustände (wie sies nennen) sehr weit zurück seid, wenn Ihr solchen veralteten Traditionen Glauben beimessen könnt, die einst wohl ihre halbe Wahrheit hatten, jetzt aber keine mehr.

Vernehmt denn, daß die Literatur jetzt so gut ein Geschäft ist, wie jedes andere, und je nachdem's einer praktisch anzugreifen versteht, ein ebenso einträgliches. Ihr staunt, aber es ist so. Vor einiger Zeit hat einer der gefeiertsten und langweiligsten der jetzt lebenden Schriftsteller bei einem festlichen Diner (ihr seht daraus beiläufig, daß Schriftsteller auch an Diners teilnehmen) den ewig denkwürdigen Ausspruch getan: »Literature becomes more and more trade« das heißt verdeutscht: »Vom Profit lebt der Mensch,« ein Ausspruch, dessen gesunde, praktische Gemeinnützigkeit Euch, im Munde eines Romanverfertigers, mit Recht in Erstaunen setzt. Aber ich weiß, was Euch beim Literaturgeschäft verdrießt; die Unordnung nämlich. Ihr meint, ein Schriftsteller schreibe bloß, wenn es ihm einfiele, oder wenn er in der rechten Stimmung sei, oder besser, wenn es dem Satanas beliebt, über ihn zu kommen; während Ihr hingegen auf Eurem Bureau einen Tag wie den andern regelmäßig zu arbeiten vermögt. So denkt Ihr, und gegen Unkenntnis läßt sich freilich schwer ankämpfen. Aber wenn ihr irgend dem Wort eines ehrlichen Mannes zu glauben imstande seid, so laßt Euch von mir versichern, daß ein Schriftsteller ebenso gut seine Bureaustunden einhalten kann, wie irgend ein Geschäftsmann, wenn er nur will. Er hat nur nötig, sich vors leere Papier hinzusetzen und die Feder einzutauchen, und dann, immer drauf los! Erst gewaltsam sich zum Anfangen gezwungen. Steht erst eine Zeile da, dann kommt er leicht in den Zug, und es müßte schlecht gehen, wenn ein arbeitsamer Mensch nicht regelmäßig jeden Tag seine zwei bis drei Druckbogen fertig bringen sollte. Und was gehört denn so viel dazu? Ihr müßt mir doch einräumen, daß ein Mensch, der durch Not, Studium, Liebhaberei und Gewohnheit zugleich einmal darauf dressiert ist, was man so nennt: Gedanken zu haben, daß ein solcher doch durchschnittlich jeden Tag einen einzigen Gedanken haben wird. Mit einem Gedanken aber ist viel, alles gewonnen. Der Gedanke wird erst in seltsamen Worten hingeschrieben, so daß er imponiert und neu aussieht, wenn er auch ursprünglich sehr gewöhnlich oder (wozu man im Notfall auch seine Zuflucht nehmen kann) gestohlen sein sollte. So könnt ihr einen abgetragenen, unscheinbaren Rock durch reiche Verbrämung mit falschen Goldtressen in abenteuerlicher Neuheit erscheinen lassen. Darauf sinnt der Schriftsteller auf eine neue, noch seltsamere Wendung für eben denselben Gedanken, die leicht zu finden ist, denn man könnte ein Schema für dieses Verfahren aufstellen. Dies gefunden, setzt er es mit Hilfe irgend einer verbindenden Konjunktion hinter das schon Dastehende. So fährt er fort, den Gedanken zu wenden und zu drehn, ihm bald dies, bald jenes Kleid anzuziehn, bald den Kopf zum Schwanz, bald den Schwanz zum Fuß zu machen, bald diese Seite, bald jene hervorzukehren, alles mit recht viel Saft, Glanz, Blümchen – und vornehmblickenden Fremdausdrücken, so daß der lüsterne Leser immer etwas neues zu schmecken vermeint. Das geht wie in einem Kaleidoskop, wo immer dieselben Steinchen eines Taschenspielers, die eigentlich alle auf ein und derselben ganz einfachen Escamotage beruhn, durch Einkleidung aber mannigfach erscheinen, oder wie eine und dieselbe Fleischspeise mit tausenderlei verschiedenen Saucen und Zubereitungen und Gewürzen immer als ein ganz neues Gericht auftischen könnte. So wird denn von Zeile zu Zeile mit einem einzigen Gedanken Federball gespielt (grade so, wie ich selbst es, um Euch den schlagendsten Beweis zu liefern, in diesem Augenblicke tue) und es müßte mit dem Henker zugehen, wenn sich nicht mit ihm ein ganzer Druckbogen abgrenzen ließe, wie das Reich der Dito mit dem schmalgeschnittenen Riemen des Kuhfells. O! es existieren ganze Bücher von mehr als einem Bande, und die noch dazu eine ernstwissenschaftliche Miene annehmen, die ganz aus diesem angenehmen Gedankengaukelspiele, wie aus dem Nichts, hervorgegangen sind. Sieht man näher zu, so sind nur blutwenig Gedanken drin, und sieht man diesen noch näher ins Auge, so sind es nicht einmal rechte Gedanken, sondern nur Gedankenwechselbälger, zu deutsch: Redensarten. Und dennoch ists ein Buch, und ein gekauftes, gelesenes, gelobtes Buch dazu. Solch ein vereinfachtes Prinzip der Büchermacherkunst bringt dem Publikum grade das Angenehmste und Zuträglichste, so wie es für den Schriftsteller das Leichteste ist. Und hier komme ich auf den zweiten Hauptpunkt, nämlich: daß der industriöse Schriftsteller vor allem darauf bedacht sein muß und bedacht ist, nichts zu schreiben, was nicht zeitgemäß wäre. Das heißt: er soll die jetzt lebende Generation nicht für Atlasse halten, die den Himmel auf den Schultern zu tragen vermöchten, nicht für Prometheusse, denen es nicht zu unbequem wäre, nach Licht zu den Sternen emporzuklimmen; er soll die Leute nehmen, wie sie sind. Vor allem soll er bedenken, an wie viel höchst wichtigen Weltbewegungsideen, Eisenbahnprojekten, modernen Zerwürfnissen und Wirrnissen und politischen Lebensfragen sie ohnehin schon zu schleppen und zu keuchen haben und sie demnach nicht noch mehr belasten. Nur sparsam an Gedanken! er reicht dann länger aus und das Publikum hält's länger aus. Etwas, das die Verdauung befördert, ohne den Kopf zu beschweren, das angenehm kitzelt, ohne erschüttern zu wollen, das amüsiert, ohne mit Aufforderung zum Nachdenken zu plagen und zu stören, worüber man ein paar Stunden verlesen kann und am Ende doch nichts gelesen hat – dann kommt er in Kurs, Schwager! seine Firma gilt etwas, und wenn er sich erst durch drei bis vier höchst glänzend mittelmäßige Bücher berühmt gemacht und Kredit erworben hat, dann kann er durch zwanzig ganz schlechte und matte hindurch ungestört und behaglich von seinem Ruhme zehren. Kommen dann die Leute doch dahinter (was immer erst sehr spät geschieht), sinken seine Papiere, macht der Verleger ein schwieriges Gesicht; dann gilt's wieder eine einzige Kraftanstrengung; nur ein recht schlechtes(aber sehr glänzendes) Buch geschrieben, und überall heißt es: »Der P. P. hat sich in diesem seinem neuesten Werke wieder selbst übertroffen,« und sein Kredit ist von neuem auf ein Jahrzehnt gesichert.

Sollten einem Schriftsteller aber wirklich einmal alle Gedanken, auch die gewöhnlichsten, ausgehn, dann gibt's ein einfaches und leichtes Auskunftsmiltel. Er reise nur (der Buchhändler schießt das Geld dazu vor) von Danzig nach Stolpe; dann wird er unterwegs doch wohl irgend ein Bauermensch sehn, das Gänse hütet, oder einen alten Kerl, der alte Töpfe flickt, oder der Wagen wird stoßen, oder der Mond wird scheinen, oder der Mond wird nicht scheinen, und dabei muß ihm doch gewiß irgend etwas einfallen. Hat er aber einmal einen Einfall, nun, dann treibt er das vorher beschriebene Spiel. Einige berühmte Männer werden sich auf der Strecke zwischen Danzig und Stolpe mit Gottes Hilfe wohl auch noch auftreiben lassen. Bei ihnen macht er Visite. Ihre Stube, ihr Schlafrock, ihre Nasenspitze sind ausführlich zu beschreiben; ebenso ist alles zu berichten, was sie gesprochen haben, und sollte das zu wenig sein, so kann man es ja beliebig durch Erfindung erweitern. So wird sich die Reise rentieren, und sollte sie bei alledem im Volumen noch zu dünn ausfallen, so ist dem leicht abgeholfen. Der Schriftsteller bemerke und beschreibe nur mit Sorgfalt alles, was er auf jeder Station unterwegs gegessen und getrunken hat, und reicht das noch nicht aus, auch noch alles das, was er nicht gegessen und getrunken hat, was er aber hätte essen und trinken mögen, sollen, können, dürfen oder müssen.

In Stolpe angekommen, geht er dann ins Theater (wenn eins da ist) und das wirft allein ein paar Druckbogen ab.

Ihr seht demnach, Schwager, daß das Geschäft mit großer Ordnung und dabei doch mit großer Leichtigkeit geführt werden kann. Aber euch bleibt ein Hauptzweifel, das sehe ich euch an, nämlich: ob es nicht ganz auf Zufall und blinden Glückswurf ankäme, daß nach den dargebotenen Artikeln auch gehörige Nachfrage geschieht und demnach sich Absatz und Prozente, gestalten. Aber ich habe euch ja schon gesagt: ein industriöser Schriftsteller schreibt zeitgemäß, d. h. er weiß, was das gebildete Publikum (ich meine damit ästhetische Damen, Teereiter und anderes Gesindel) will und gibt nichts anderes.

Dabei aber hat er, wenn er klug, demütig und gewissenlos (ich will sagen praktisch) ist, noch eine mächtige Hauptstütze, nämlich das Cliquenwesen, eine allgemeine literarische Schadenversicherungsanstalt, von deren gewaltiger und wohltuender Verzweigung ihr euch, als Laie, gar keinen Begriff machen könnt. Der junge Schriftsteller hat sich beim Beginn seiner Laufbahn unter die Protektion eines schon berühmten, in Kredit stehenden, eines etablierten zu begeben; dieser ist sein Prinzipal. Dazu aber hat er einen zu wählen, der an der Spitze, oder doch in den ersten Reihen irgend einer herrschenden Hauptrichtung steht. Alles was er schreibt, hat er dann nach den Ansichten dieser Richtung durchaus zu modeln, was sehr leicht ist, und wobei er noch den Vorteil hat, das, was bei den Stiftern der Richtung erarbeiteter Gedanke war, als für seinen Gebrauch fertigliegende Redensart ohne eignen Aufwand aufzunehmen. Höchstens in unwichtigen Nebendingen darf er hier und dort eine entgegengesetzte Meinung schüchtern hindurchblicken lassen, um einige Selbständigkeit zu affektieren; dann kann es ihm gar nicht fehlen, er wird, sollte er auch ein alberner Bengel sein, in zwanzig Journalen als ein aufkeimender, epochemachender Genius ausposaunt und dem Publikum auf disputiert; er gehört zur Clique. Und wenn er sich auch hier unterordnen muß, so kann er sich dagegen an allen außerhalb der Clique Stehenden, gestützt auf die Macht des Phalanx, durch Arroganz und Grobheit schadlos halten. – Wer dies Verfahren, in eitler Selbstüberschätzung, nicht befolgt, sondern auf eignen Füßen stehn oder gar gegen herrschende Richtungen ankämpfen will, der ist gar übel beraten. Ist sein Talent unbedeutend, so daß er nicht wohl schaden kann, dann wird er in den erwähnten zwanzig Journalen jämmerlich »heruntergerissen« und geschimpft, was ihn allenfalls noch interessant machen könnte. Zeigt er aber einen ehernen Willen und tüchtige Kräfte, so daß er gefährlichwerden könnte, dann tritt ein das so sehr beliebte und wirksame Ignoriersystem. Er wird in den besagten zwanzig Journalen! ignoriert, als ob er gar nicht da wäre, damit das Publikum möglichst spät, am besten gar nicht, oder wenn er sich in fruchtlosem Streben aufgerieben hat, etwas von seiner Existenz gewahr werde.

Doch zurück zu unsrem praktischen jungen Manne, der unter dem Schild der Clique steht. Hat sich dieser beim Publikum eingerichtet, dann kommt der Zeitpunkt kühner Opposition und edler Selbständigkeit, wo er sich losreißt und seinen Herrn und Meister verläugnet. Nur muß er dabei bedacht sein, ebenso gesinnungslos und seicht zu revolutionieren, als er früher sich untergeordnet hat, sonst möchte es bald um seine Beliebtheit beim gebildeten Publikum geschehen sein. Den Anlaß dazu darf ja kein Prinzip geben (denn welcher Gebildete interessiert sich für kahle Prinzipien?), sondern irgend eine persönliche Klatscherei. Denn nur die Dinge und Personensind das Wahrhafte. Alle allgemeine Gesinnung ist bloß Deklamation. Auch eine Hintertür zur Versöhnung muß er offen lassen, denn vielleicht kann er die Leute später wieder einmal brauchen und sie ihn auch, nach dem bekannten Sprichwort: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Doch ich versteige mich zu weit und werde Euch unklar. Uur das gebe ich Euch noch zu bedenken, daß Ihr bei Eurem Geschäft ein wirklich schon vorhandenes Kapital riskiert, während das Kapital Eures Jungen, wenn er Schriftsteller wird, nur sein Gedankenfonds ist, der, an sich ohne allen reellen Wert, dennoch, wenn er erst einmal am Brett ist, ihm 2 bis 3 Louisdor pro Druckbogen abwirft. Dies alles gebe ich Euch zur Erwägung und frage Euch nun bestimmt, ob Ihr mir den Jungen mitgeben wollt, oder nicht?«

Diese lange Rede, von Holofernes durchaus im trocknen, sacherklärendn Geschäftston, bald Zeigefinger an der Nase, bald Zeigefinger an Zeigefinger vorgetragen, machte anfangs wirklich einigen Eindruck auf Habichs, denn er hatte seinen Schwager noch nie so vernünftig sprechen hören (wie er meinte). Aber Holofernes hatte sich im Verlauf allzusehr von der Lust des Spottes hinreissen lassen und war zu handgreiflich satirisch geworden, so daß Habichs mißtrauisch ward, und wie sonst immer, nicht recht wußte, was er aus Holofernes machen solle, und ob Ernst und Verstand oder Übermut und Tollheit aus ihm sprächen. Malwina, die den Onkel; was den Spott anbetrifft, zwar längst weg hatte, aber doch einsah, es sei ihm mit dem Vorschlage wegen Junius Ernst, und den Ausgang fürchtete, hatte sich ängstlich an ihren geliebten Bruder, den sie verlieren sollte, geschmiegt und hielt seine Hand krampfhaft erfaßt. Da sprach Holofernes, indem er sie liebevoll anblickte: »Nun besinnt Euch, Schwager! und sollte es etwa ein Hindernis sein, daß Eure beiden Kinder zu sehr aneinander hängen und daß Eure liebe kleine Tochter da die Trennung von ihrem Bruder nicht ertragen könnte, so bin ich gern bereit, auch sie mit mir zu nehmen, und es soll ihr an nichts fehlen, weder an Lebensunterhalt noch standesmäßiger Erziehung, noch, was wohl die Hauptsache ist, an Liebe«.

Jetzt aber stürzte Frau Habichs, wie eine Löwin, der man die Jungen rauben will, auf ihre Kinder los, umschlang sie mit einem Arm, indes sie den andern, mit abwehrender Hand, weit vorstreckte und rief: »Nein, nein, nein! das geb' ich nimmermehr zu, die Kinder bleiben hier!« Denn trotz aller rohen und rücksichtslosen Behandlung derselben liebte sie ihre Kinder doch heftig, aber ohne Vernunft, wie ein Tier seine Jungen. Aber Herr Habichs machte dieser, von sehen der Frau Habichs nicht ganz unbewußt pathetisch theatralischen Situation schnell ein nüchternes Ende, indem er, nun ganz entschlossen, erklärte: »Was Ihr da alles gesagt habt, Herr Schwager, mag, obgleich mit Euren gewöhnlichen Possen durchflochten, nicht so ganz ohne Grund sein. Ich habe demnach auch gar nichts dagegen, wenn jemand, der die Sache kennt und darin zu Hause ist, demgemäß handelt Denn da es doch einmal Leute gibt, die Bücher lesen wollen, so muß es auch Leute geben, die welche schreiben und dafür bezahlt werden, das leuchtet mir ein. Und das mögen immerhin mitunter eben so ordentliche und honette Menschen sein, als andre, wenn sie schon Schriftsteller sind. Was aber mich betrifft, so liegen dergleichen Dinge einmal ganz außerhalb meiner Sphäre, ich müßte mich deshalb ganz auf fremdes Urteil verlassen, was ich nie zu tun pflege. Ich bleibe demnach bei dem, was mir, nach meiner Erfahrung und meinem Bedürfnis, als recht, ersprießlich und notwendig erscheint; und hiergegen wird mir hoffentlich auch niemand etwas einreden.

Auch habe ich gehört oder gelesen, daß zu einem Schriftsteller immer ein besondres angebornes Talent gehöre, was man doch bei einem jungen Menschen, der noch keine Proben abgelegt hat, ohne weitres vorauszusetzen nicht berechtigt ist. Die Sache bleibt also immer unsicher. In den Geschäftsgang hingegen (ich rede hier vom eigentlichen, nicht von dem, den Ihr mir eben als existierend erörtert habt) kann sich jeder, auch nur mittelmäßig Begabte, durch Fleiß und guten Willen nach und nach hineinarbeiten. Deshalb sollte man bei allen jungen Leuten damit anfangen, und erst dann, wenn alle Strenge nichts gefruchtet hat und sich wirklich herausstellt, man habe es mit einem Subjekte zu tun, das zu gar nichts Vernünftigen in der Welt zu brauchen sei – dann lasse man solches laufen und sich als Genie oder anderweitiger Vagabund durchs Leben fechten, so gut es gehn will. In Hinsicht auf Junius aber werde ich es ein für allemal durchaus nicht leiden, daß er unbrauchbar oder ein Genie sei; dafür stehe ich Euch und dafür laßt mich nur sorgen. Auf den Kopf gefallen ist er nicht, daß weiß ich, und Trotz und Starrsinn lassen sich schon durch angemessene Maßregeln beseitigen. Hiermit habt Ihr meine unabänderliche Antwort«. –

»O ich Tölpel!« rief Holofernes in sich hinein. Darauf sagte er rasch: »Ich könnte Euch hierauf gar vieles erwidern, wenn nicht schon in meiner Anrede alle Eure irrigen Meinungen widerlegt wären. Da aber diese Euch nicht überzeugt hat, so sehe ich, daß ich mit meinem wohlgemeinten Vorschlage abgeblitzt bin, deshalb wollen wir die Sache abgetan sein lassen, und uns durch längeres, zweckloses Hin- und Herreden nicht gegenseitig langweilen und chikanieren. Denn wenn einer einmal weiß, daß und was er will, dann ist ihm weiter nicht beizukommen; und wenn Zwei, die von ganz entgegengesetzten Prinzipien ausgehn, miteinander auch noch so lange streiten, so kommen sie doch zu nichts weiter, als daß jeder immer seinen ersten Ausspruch, nur in etwas andren Worten, wiederholt, bis sie denn gewöhnlich zuletzt auch auf genau dieselben Worte zurückkommen und jeder mit Erstaunen sieht, wie er, trotz alles scheinbaren Nachgebens, Einräumens, Ausgleichens und Verständigens im Gespräch, dem andern doch nicht um ein Haar breit näher gerückt ist Aber ich verfalle in langweilige Sentenzenkrämerei. Also: Basta! Vielleicht ändern die Umstände einmal Euren Entschluß, und dann werde ich bei der Hand sein. – Im Grunde (fügte er für sich selbst hinzu) ist mir verdammt wenig daran gelegen, obgleich ich den Jungen gern um mich hätte. Denn was einer werden soll und will, das wird er doch, trotz allem Bureaustaub, allen Kassabüchern und Aktenstößen der Welt«. –

Darauf setzten sie sich zu Tische. Holofernes war jetzt hauptsächlich darauf bedacht, bei seiner kleinen Nichte wieder gut zu machen, was er an ihr verschuldet hatte. Er richtete oft freundliche und ohne Spott scherzhafte Reden an sie, worauf sie mit muntren, geistsprühenden Antworten bereit war. Frau Habichs hätte das für große Naseweisheit gehalten, wenn sie sich nicht diesmal dem Urteil ihres »genialen« Bruders unterworfen hätte, der, ohne es ausdrücklich bemerkbar zu machen, doch augenscheinlich sich daran freute. Deshalb ging Frau Habichs in ihrer lächerlichen Billigung so weit, ihrem Töchterlein hier und da beifällig lächelnde, vielsagenwollende Blicke zuzuwerfen, was sonst nie vorkam: denn sie hielt nun alles, was Malwina sagte, für Witz (was des Holofernes Meinung keineswegs war) und mußte also schon, um sich nichts zu vergeben, durch Nicken und Lächeln ihr Verstehen kund tun.

Holofernes fiel ein paarmal, neckend, aber nur leichthin in den vorigen Spotton zurück: aber die Kleine ließ sich jetzt damit nicht mehr beikommen, sondern sagte nur, ihn von der Seite ansehend: »Ach, Onkel!« und lachte ihn aus, daß er sich so komisch geberdete, und sich selbst, daß er sich vorher so plump hatte täuschen lassen. – Nach Tisch nahm Holofernes gleich von Habichs Abschied, indem er sagte, es könne leicht kommen, daß er vor Abschluß der Bureaustunden schon wieder fort wäre. Herrn Habichs war dies gar nicht unlieb, denn er fürchtete, Holofernes möchte dem Junius Tollheiten in den Kopf setzen. Er konnte sich schon über dessen Unvorsichtigkeit nicht zu gut geben, daß er vorher alles in Gegenwart des Junius gesagt hatte.

Als nacher Holofernes mit Junius einen Augenblick allein war, sprach er zu ihm: »Du siehst, daß ich versucht habe, was ich konnte. Da aber nichts daraus werden kann, so suche dich hineinzuschicken, wie's gehn will. Mußt du nun einmal ins Bureau, so tue es ab als notwendiges Übel; siehe aber zu, daß du, trotz dem, unabhängig fortbestehest als der, der du bist; laß dich nicht erdrücken und übertäuben; wer stark und wach ist, der hat an wenigen Stunden hellen, ungetrübten Bewußtseins für jeden Tag vollkommen genug, um sein geistiges Vermögen nicht vermodern zu lassen. In den Ländern, wo Frühling und Sommer kurz sind, sind sie desto zeugungskräftiger und treiben in wenig Wochen Sproß, Blüte und Frucht hervor. Die Bureaustunden sind dein langer Winter, in den Nebenstunden mag dein Geist schaffen. Das alles ist freilich Theorie, und ob ein Mensch es wirklich aushalten kann, oder nicht, weiß ich selber nicht; der Versuch ist aber doch zu machen, um so mehr, da es sein muß.

Vor allem möchte ich, daß du kräftiger das Leben anbeißest. Dein Gemüt ist bisher ein Guckkasten von lauter träumerischen Märchenbildern gewesen; das taugt nicht und führt zum Vernebeln und Verschwebeln. Vielleicht ist dir deshalb die harte und dürre Schule des Geschäftslebens gar nicht unzuträglich, bis der Himmel sich einmal freundlicher lichtet. Auch meinen historischen Bilderkram hast du mehr als Märchen und Gedicht, wie schlummernd, in dich aufgenommen, denn als Gestalt und Wahrheit.

Übrigens hast du meine guten Lehren und Ermahnungen als nichts andres anzusehn, als was sie sind, nämlich als Bemerkungen und Redensarten, die mir grade so einfallen, sie mögen sein wie sie wollen, und von denen ich selbst im Augenblicke kaum weiß, ob sie gescheidt sind oder dumm. Ein andrer könnte dir wieder in derselben Lage etwas ganz Entgegengesetztes sagen, was vielleicht eben so gescheidt oder respektive dumm wäre. Du hast dich also den Teufel drum zu scheren, sondern zu tun, was du für recht hältst und dich ganz auf dich selbst zu verlassen; denn höchst sonderbarer Weise hat die Natur die auffallende Einrichtung getroffen, daß die Neffen ebensowohl mit Vernunft und sittlicher Freiheit begabte Geschöpfe sind, als die Onkels. Darum sei unter uns beiden Freiheit und Gleichheit, und keine philisterhafte Respektspersonenaristokratie. Und damit basta!« – Und so schüttelte er Junius die Hand, der es herzlich erwiderte. Aber jetzt kam der Abend und die Stunde des Tees. Frau Habichs hatte alles arrangiert, sich effektvoll angekleidet und ihre Anstands- und Repräsentiermiene vorgeschnallt. Es rauschte die Treppe herauf und herein schwänzelten zwei Damen. Alsobald begann die Klappermühle der Begrüßungen und des unendlich wiederholten sich »unendlich Freuens«. Holofernes wurde vorgestellt. Man freute sich auch unendlich, ihn kennen zu lernen, man hatte schon viel von ihm gehört usw. usw. Er aber verwandelte sich plötzlich aus einem natürlichen Menschen in eine Drahtpuppe (so schien es nämlich), indem er seinen Gliedmaßen fortan nur eckige und gradlinige Bewegungen gestattete; seinem Gesicht aber hatte er ein unabänderliches Gepräge ungemein schafsmäßiger Verblüfftheit aufgedrückt Also linkisch und marionettenartig machte er seinen Kratzfuß. Auch die auf ihn losströmende Begrüßungssuade erwiderte er mit nichts als fragmentarisch herausgerissenen Stellen aus bekannten und in solchen Fällen gebräuchlichen Höflichkeitsredensarten, die aber der Laie eher für unartikulierte Interjektionen der Angst gehalten hätte. Manchmal brachte er sie sogar komisch falsch an. Man setzte sich. Er wartete damit, mit ängstlicher Förmlichkeit, bis zuletzt, dann ließ er sich mit der mühevollen Knie- und Steißbiegung eines hölzernen Doktor Faust auch nieder, die Arme genau parallel, jede Hand auf ein Knie, den Oberleib senkrecht, die Augen unbeweglich gradaus, weit offen und doch ohne irgend etwas anzusehn.

Dies alles tat er teils seiner Schwester zum Trotz, weil sie mit ihm geprahlt hatte, teils aus reiner Lust an Ironie, größtenteils aber, es ehrlich zu gestehen, um einer ihm drohenden natürlichen Verlegenheit durch eine künstliche vorzubeugen. Denn so sehr er sonst über alles leicht und viel zu sprechen wußte, so stand ihm doch unter Weibern, die er nicht näher kannte, oft kein einziges armes kleines Wörtlein zu Gebot, das er hätte sagen können, und hätte man ihn totschlagen wollen – es wäre ihm keins eingefallen. Um nun diese alberne, unfreiwillige Rolle des Verlegnen nicht vor sich und andern zu spielen, nahm er lieber die freiwillig schalkhafte an und fühlte sich dabei (allerdings mit einiger Selbsttäuschung; doch durchschaute er auch wieder diese Selbsttäuschung und verhöhnte sich selbst darüber) als den Überlegenen.

Nach und nach kam die ganze Sippschaft zusammen; immer neue und lautere Klappermühle der Begrüßung; ewig gleicher Marionettenkratzfuß des Holofernes mit angstvollen Höflichkeitsinterjektionen. Sonst war mit ihm nichts anzufangen und nichts aus ihm herauszubringen. Seine Schwester suchte durch einige bedeutend forcierte (sie meinte aber: sehr feine) Wendungen ihn ins Gespräch zu ziehn. Aber er fertigte sie, nach Umständen, mit einem »Oh!« oder »So?!« oder »Aha!« oder »Ja wohl!« ab. Einmal wagte er es sogar, nach Staberle, ein gänzlich verkehrt angebrachtes »Obschon, obschon!« dazwischen zu werfen, was etwas befremdete. Er beschloß auch, es nicht mehr zu thun, damit man nicht zu rasch hinter ihn käme.

Das Gewäsch teilte sich jetzt in einzeln gruppierte Duetts und Terzetts. Da es unmöglich war, den Holofernes auf direkte Weise mit hineinzuziehen, so beschlossen die kecksten der Damen bei sich, es auf indirektem Wege zu bewerkstelligen. Übrigens verzagten sie noch gar nicht an ihm, denn sie hielten alles für geniale Ungeschicklichkeit und trauten, ihrem Geiste und ihrer Liebenswürdigkeit schon zu, ihn noch auftauen zu machen. Einen Sonderling hatte man überhaupt erwartet, und das machte die Sache um so interessanter.

Nachdem nun die verschiedenen Duett- und Terzettstimmen sich erst, mit wichtiger Heimlichkeit, eine Viertelstunde lang sehr bedeutungsvolle Notizen über Strickkörbe, Stickmuster, Butterpreise und Dienstmägde zugeflüstert hatten, begannen die einzelnen Gruppen etwas lauter zu werden und wetteiferten schon, wer zuerst auf sich aufmerksam machen würde. Aber die eine Gruppe, der Holofernes zunächst, trug den Sieg davon durch besonders helles und geläufiges Kehlenspiel und durch das hier und da hastige und disputierende Dazwischen werfen der Worte: »Literatur – Genie – erhaben – Spindler – Lord Byron« usw.

Die andern, überwältigten Gruppen verstummten nach und nach. Alles horchte und aller Augen wandten sich abwechselnd bald auf die disputierenden gebildeten Damen, bald auf Holofernes, wie auf einen Richter der Unterwelt, von dem man den alles beendenden Urteilsspruch erwartete. Die disputierenden Damen sprachen aber immer noch privatim untereinander, d. h. scheinbar, denn eigentlich war jedes Wort nur für Holofernes berechnet, vor dem man sich als gebildet bewähren mußte und von dem man freiwilliges Eingreifen erwartete. Denn mit welchem feinen Takte (so dachte diejenige Dame, die am meisten sprach) war ihm das Stichwort zu seiner Rolle gegeben; man warf ihm ja den Ball zu, er brauchte ihn bloß zu fangen. Holofernes aber saß, nach wie vor, unerschütterlich, die Augen starr vor sich hin. Endlich wollte das Ding peinlich werden. Da wandte sich die eine der streitenden Damen, welche die entschlossendste war, plötzlich voll Verbindlichkeit zu ihm und attaquierte ihn gradezu mit den Worten: »Nichtwahr, Herr Holofernes, Sie sind auch meiner Meinung? Ich behaupte eben (sie wußte aber recht gut, daß sie hinlänglich laut geschrien hatte, und daß ihm keine Silbe konnte entgangen sein), daß Lord Byron, wenn wir ihn auch als Dichter im kühnen Fluge seiner düstern Phantasie bewundern müssen, doch als Mensch betrachtet, weder Anspruch auf unsere Achtung, noch auf unsere Liebe hat.« – Jetzt aber drangen die Gedanken stürmend auf Holofernes ein. Er konnte sich nicht halten und ließ seine Rolle fahren.

Teils wollte er sich für sich selbst aussprechen, weil er wußte, daß beim Sprechen die Ideen, sich fort und fort mehrend, sich um den Kern ansetzen, wie Schneemassen an die im Herabrollen wachsende Lawine; außerdem aber gewährte es ihm noch einen ganz besonderen Spaß, vorauszuwissen, daß das, was er zu sagen hatte, von keiner einzigen der Anwesenden verstanden, und doch von allen zum Schein bewundert werden würde. Er legte daher also los:

»Vergeben Sie, meine Gnädige, wenn ich von Haus aus Ihnen scheinbar widersprechen muß, und warten Sie mit Nachsicht das Ende meiner Erörterung ab, wo wir uns dann beide hoffentlich auf einem Punkte befinden werden.

Ich muß nämlich gestehen, daß es mir von jeher als total sinnlos und für mich vollkommen unbegreiflich erschienen ist, in ein und demselben, konkret ganzen, Individuum den Dichter von sittlichen Menschen zu trennen, beide zu vergleichen, oder gar einander gegenüber zu stellen. Denn was in aller Welt ist denn ein Dichter anders, als das, wohinein er sein ganzes Fühlen und Denken ausgeströmt, worin er die Quintessenz seines Ich verkörpert oder versinnbildlicht hat, nämlich seine Werke? Und was in aller Welt sind denn diese seine Werke anders als er selbst? Woher hat er sie genommen? Etwa aus dem Monde, oder aus der Champagnerflasche? O nein! Sein Sie versichert: was nicht in ihm war, als sein innerster Kern, von Ursprung an, das vermag er auch nicht als Kunstwerk (als Pfuscherei könnte einer es allerdings) außer sich hinstellen.

Freilich können Sie hier einwenden: Allerdings muß alles in ihm sein, was er in seinen Werken gibt, es kann aber noch viel anderes und schlechteres in ihm sein, was er in seinen Werken wohlweislich verschweigt und vorenthält, und was doch, bei der Beurteilung seiner sittlichen Persönlichkeit eine große Rolle spielen kann. – Immerhin, meine Gnädige, aber doch nur scheinbar. Einmal ist ein Dichter, seiner Natur nach, die ihn unaufhaltsam zu rücksichtslosem sich Hingeben in der Trunkenheit des Geistes treibt, kein kalter, berechnender Diplomat, der in jedem Augenblicke Herr darüber wäre, was zu sagen und was zu verschweigen sei. Aber gibt es auch wirklich einen solchen, der das reine Erz vor der Welt leuchten läßt, die Schlacken aber zurückbehält (was er übrigens nicht aus Heuchelei oder Weltklugheit, sondern aus Kunstverstand und edler Scham tut), so ist doch nicht zu leugnen, daß das reine Erz, das Gold, wirklich sein war und bleibt. Und was sind Schlacken gegen Gold? Doch nur Neben- und Beiwerk. Die Hauptsache bleibt das Gold, nicht nur in den Werken, sondern auch in dem schlackenhaltigen sittlichen Menschen. Ich will sagen: Wer imstande ist, uns im Kunstwerk wahrhaft (dies Wörtlein ist wohl zu beachten) Hohes, Edles, Göttliches zu geben, der gibts aus sich, der ist hoch, edel und göttlich selbst; und was an seiner Natur Niedriges und Schmutziges hängen und verschwiegen bleibt, das mag in einzelnen Lebensmomenten dem oberflächlichen oder hämischen Beobachter als die bestimmende Hauptsache hervorzutreten scheinen; für den, der weiter und tiefer sieht, aber bleibt es so zufällig und untergeordnet, daß es beim Totalbilde des ganzen vollen Menschen gar nicht in Betracht gezogen zu werden verdient.

Und erst gar bei Lord Byron, von dem hier insbesondere die Rede ist! Es gibt wohl schwerlich einen Dichter, der, in Bezug auf sich selbst, so unumwunden aufrichtig wäre, als er. Er ist es nicht aus Tugend, sondern aus gewaltiger Leidenschaftlichkeit und aus wegwerfender Verachtung der Menschen. Was kümmerts ihn, was dies Zwerggeschlecht von ihm denkt, ob es ihn liebt oder haßt! Er fühlt sich als ein Wesen andrer Natur, among them, but not of them. Wir können aus diesem Grunde grade Byrons Werke als den vollständigsten, nichts verhehlenden Inbegriff und Spiegel seines ganzen vollen Selbst betrachten und brauchen uns, wenn von seinem Charakter, seiner Gesinnung die Rede ist, nach keinem anderweitigen Kommentar, nach keiner (oft lügenhaften) Biographie umzusehn. Finden wir nun in seinen Werken Göttliches zu bewundern, so müssen wir es durchaus als sein eigen anerkennen und ihn selbst als göttlich. Aber there's the point! d. h. hier liegt der Hase im Pfeffer, und hier, meine Gnädige, lenke ich von meiner Opposition ein und sage:

Es ist Göttliches in seinen Werken und in ihm; aber das Göttliche ist verkehrt, abgefallen, es ist negativ göttlich, d. h. teuflisch, und Lord Byron ist das schönste lebendige Modell für einen modernen Dichter, der einen Teufel als dramatische Person darstellen wollte. – Sie werden eingestehn, meine Damen, daß mit Goethes Mephistopheles noch wenig getan ist. Es ist dies nur eine philosophische Vorarbeit zur lebendigen Darstellung eines Teufels, nicht die Darstellung selbst. Mephisto ist ein metaphysischer Begriff, er ist (wie dies schon unendlich abgedroschen worden) das unendlich verneinende Prinzip; er hat keine Persönlichkeit, denn er verneint durch kalt formelle Sophismen alles Glauben, Hoffen, Lieben, Gemüt, alles lebendige Schaffen des Geistes, kurz alles, was eben eine ganze, warme, lebendige Persönlichkeit ausmacht Er ist kein Charakter, denn er statuiert weder Einzelnes noch Ganzes. Sein Sein und Wesen ist nichts, als eine unendlich und konsequent verkettete Reihenfolge von dialektischen Negationen alles dessen, was da ist, lebt und wird. All sein Streben ist das Nichts. Er selbst hat durchaus kein Fühlen und Empfinden, ausgenommen das des Ärgers und der Schadenfreude abwechselnd, weil der Dichter doch etwas Menschliches brauchte, um seinen Gegenstand darstellbar zu machen. Auch diese scheinbaren Gemütszustände des Menschen sind eigentlich nichts, als eine symbolische Einkleidung, abwechselnd bald triumphierend weiterfressender, bald stockender und sich verwickelnder negierender Schlußfolgen. Ich sage Ihnen hier lauter alte Geschichten, aber sie gehören zum Zusammenhange.

Aber jetzt zu Byron. Hier haben wir einen schönen, vollen, lebendigen Teufel, keine metaphysische Formel, keine leere Schale, sondern ein heißes, gährendes, wechselndes, wahres Individuum: einen hinreißend entzückenden, einen grauenvoll niederschmetternden Teufel.

Mehr aus dunklem Ahnungsgefühl als aus klarer Erkenntnis, ist ähnliches schon oft von andern Leuten gesagt worden. Man hatte ihn ein »mauvais génie« usw. genannt und schon sein Klumpfuß war, auch für das oberflächliche Urteil, ein symbolischer Wink. Aber meines Wissens hat noch keiner die Sache verständig erörtert.

Ich sage also: Lord Byron ist ein Teufel (nicht etwa: der Teufel. Unterscheiden Sie das wohl, meine Damen! denn das wäre schon wieder ein Kollektivum, mithin ein Abstraktum). Was aber ist ein Teufel? – Ein gefallener Engel. – Weshalb fielen die Engel? – Aus Hochmut.– Gott schuf die schöne, harmonische, riesige Welt. Sie fühlten Alle diese Herrlichkeit und Schöne, sie fühlten sie tief. Aber ihr Jauchzen ward zum Knirschen, als ihnen klar ward: »Nur Einer, nur Er konnte das tun. Wir sind nichts, gar nichts; wir können nicht einen Stern in seine Sphäre schleudern, nicht ein Blümchen, nicht ein Gräschen, entkeimen lassen. Er gönnt uns aus Gnade, daß wir uns daran freuen mögen; aber nicht unsertwegen, nur zu seiner Verherrlichung. Wir mögen schwelgen in Wonnen, nur sollen wir untertänige Knechte sein. Aber ist das nicht Feigheit und sklavisches Verzagen? Gilt es nicht den Versuch? Wenn Einer das kann, kanns ein Andrer nicht auch, wenn er denselben Willen hat! Rafft euch auf, und wollt etwas! Ihr fühlt ein ewiges, unendliches Leben euch durchpulsen, so gut, wie Jener. Geht befragt ihn um sein Vorrecht über euch! Meßt Kraft an Kraft, begegnet ihm in trotzender Bewunderung, und lieber zertrümmert, voll Grimm und Schmerz, seine schöne, herrlich leuchtende Welt, eh' ihr den Vorsatz aufgebt, eine andre, größere aus euch selbst zu schaffen, in der ihr Herr seid, und keiner über euch! – So ungefähr (nur wahrscheinlich ganz anders) mögen die hochmütigen Engel gesprochen haben. Sie wissen aber, meine Damen, daß sich jene Engel gewaltig irrten. Sie hatten vergessen, daß all ihre Kraft nur in Ihm wurzle, daß, von ihm abgewandt, sich ihr ganzes Wesen verkehren würde, daß, sich in ihnen das Licht in Finsternis verwandeln müsse, wenn sie sich vom Strahl seines Auges abwendeten. Und (nehmen wir einmal das Unmögliche an!) hätten sie auch gesiegt und die Welt zertrümmert – eine zweite hätten sie nicht zu bauen vermocht.

Jetzt aber liegen sie unten in ihrer Ohnmacht Sie wollen sich selbst überreden, sie trotzten; aber die alte Bewunderung und Anbetung kommt gewaltig über sie. Sie wollen sich selbst überreden, sie haßten; aber die alte, riesige Liebe überfällt sie. Sie zerstören im Kleinen, um nicht aus ihrer Rolle zu fallen; aber sie weinen über die eigne Zerstörung. Sie müssen quälen, um ihren Charakter durchzuführen; aber ihre eigne Qual ist, daß sie nicht wohltun dürfen. Sie müssen verachten; und tief im Innern verehren sie. Sie leugnen Gott ab und seine Gerechtigkeit, ihm ins Angesicht; und niemand ist tiefer durchdrungen von Gott und seiner Gerechtigkeit, als sie. Sie sind unglücklich, nicht schlecht. Nur einen Augenblick den ungeheuren Stolz abgeworfen – und sie lägen gleich als die reinsten, lichtesten Geister, in seliger Hingebung, am Busen des Vaters. Aber eben diesen Stolz können Sie nicht abwerfen. Weshalb? – Um sich nicht zu blamieren. Sie nennens Kraft, Mut und Beharrlichkeit, daß sie in ihrem Abfall sich verstocken, und es doch nichts als Schwäche, ja, die lächerlichste aller Schwächen, nämlich die Eitelkeit. Sie meinen frei zu sein, weil sie niemand über sich erkennen. Heuchlerisch geben sie Gott die Schuld ihres ungeheuren Falles und schelten ihn einen Tyrannen; aber sie wissen recht gut, daß er die unendliche Güte ist und sie nur im Bann ihres Eigensinns schmachten. O, all ihr fratzenhaftes, koquettes Knirschen und Fäusteballen gen Himmel hilft ihnen nichts; sie täuschen mich nicht, denn ich sehe hindurch bis tief ins Herz und da sehe ich nichts, als ein ungeheures Weh um die verlorne Liebe. –

Nun, meine Damen, durchblättern Sie im Gedächtnis Byrons Werke, und Sie werden finden, daß ich nur einen stümperhaften Auszug aus ihnen geliefert habe, weiter nichts. Er ist voll Begeisterung. Alles Schöne, Edle und Große reißt ihn hin in unbewachten Augenblicken. Aber da denkt er an sein Nichts, und gigantischer Spott zuckt um seine Lippe. Er möchte Gott schon lieben, wenn dieser mit ihm unter der Firma: Lord Byron & Comp. das Weltgeschäft fortführen wollte; aber beherrschen darf er sich nicht lassen, weder von Erdendespoten (und darin hat er auch recht), noch von einem ewigen Herrn dort oben (und darin hat er Unrecht).

Ein Wurm zu sein gegen Ihn – da bäumt er sich und schäumt und knirscht und macht dem Ewigen Verbalinjurien, deren Ungerechtigkeit ihm selbst einleuchten muß; ja er bringt im Kain sogar offenbare und absichtliche Lügen von ihm auf. Und das nennt dann der alte, allzubehaglich gewordene Goethe, der vom Übersinnlichen nichts wissen will: »Verhaltene Parlamentsreden.«

Daß er ein Engel war, wer könnte das ableugnen, der einmal nur die himmlische Musik seiner Verse gefühlt hat. Oft selbst fällt ein sanfter Strahl versöhnendster, weichster Milde von oben herab in die Nacht und das Chaos seines Gemüts; es gährt und ist, als ob die zertrümmerte Welt darin sich wieder aufbauen wollte – da schüttelt er sich wild und trotzend, und alles stürzt wieder wild übereinander. – Und hier sind wir auf dem Punkte angekommen, auf den ich hin wollte, nämlich, daß Lord Byron, der Mensch, genau eben so gut und schlecht, eben so hoch und niedrig, so groß und klein ist, als Lord Byron, der Dichter.« – Holofernes schwieg, ganz atemlos, nicht vom vielen Sprechen, sondern von der Aufregung, in die er sich selbst hineinphantasiert hatte. Die Damenversammlung hatte sehr aufmerksam zugehört; aber da sie vom ganzen Verlauf der Rede wenig begriffen, so lauerten sie ungeduldig aufs Ende. »Was ist der langen Rede kurzer Sinn?« darauf waren sie alle gespannt, natürlich nicht aus echtem Interesse, sondern aus eitel Neugier. Aber der Schluß befriedigte sie auch wenig, denn sie sahen seine Folgerichtigkeit nicht ein. Frau Habichs hatte nur die ungewöhnlichen Ausdrücke an ihr Ohr rauschen lassen, ohne sonst viel zuzuhören; sie blickte mit Triumph bald auf ihren Bruder, bald im Kreis der Horchenden umher. Nach einer kleinen, verlegnen Pause lief ein Gemurmel von: Äußerst interessant!« und »Sehr originell!« und »Sehr schön gesagt!« usw. durch die Reihen; die entschlossene Dame aber, die Holofernes zum Sprechen aufgefordert hatte, verneigte sich jetzt verbindlich gegen ihn und stattete ihm ihren förmlichen Dank für die Angabe seines Urteils ab.

Aber es mußte doch auch etwas Angemessenes auf des Holofernes Rede gesagt werden. Daher nahm sich ein gebildetes, von edlem Selbstvertrauen erfülltes Fräulein zusammen und sprach: »Sehr wahr! Und wie hat er seine unglückliche Frau mißhandelt; mit wie teuflischer Schadenfreude hat er sie gequält!« Das war ein gefundener Bissen für die ganze Weibsversammlung, denn nun waren sie mit einem salto mortale glücklich wieder auf der bequemen und oft betretenen Heerstraße der Lästerung und Klatscherei angelangt und fühlten sich froh in ihrem Element, wie die Fische im See. Holofernes aber seufzte bei sich: »O most lame and impotent conclusion! O umgestürztes Götterbild, angeschnattert von einer Gans!« Und hinfort fiel er in seine vorige Stummheit und Hölzernheit zurück. Auch ward seine Rede jetzt wenig vermißt, denn das Verhältnis Byrons zu seiner Frau gab den schönsten Anknüpfungspunkt, auf näher liegende, ähnliche Fälle zu kommen, und nun gings: »Bibbelbabbel, Wischiwaschi, Gockgockgockräh, Gihkgahk« usw. usw. in freudigstem Erguß.

Jetzt aber nahte sich der Moment, wo Frau Habichs besprochnermaßen, durch »feine Winke« eine Vorlesung des Holofernes herbeiführen mußte, ehe es zu spät ward. Es war dies bei dem überall umhersprühenden Gespräch ein schweres Unternehmen, aber sie hieb kurz und gut den gordischen Knoten durch, indem sie erst einer der Anwesenden flüsternd anvertraute, ihr Bruder habe seine neueste Geistesproduktion in der Tasche und würde sich vielleicht erbitten lassen, sie vorzutragen. Die flüsterte es der nächsten weiter, so ging es die Reihe herum. Bald trat eine allgemeine Stille ein und endlich wandte sich diejenige Dame, die wir schon als die vorherrschend entschlossene kennen, an Holofernes und bat ihn, im Namen der ganzen Gesellschaft; »ihnen den hohen Genuß nicht vorzuenthalten.« Alles nahm eine aufmerksame, wichtig erwartende Miene an. Holofernes rückte näher zum Tisch, holte ein (wie mehrere Damen zu ihrer Genugtuung im Fluge bemerkten) dünnes Manuskript aus der Tasche und sprach: »Meine Damen! es möchte vielleicht absichtlich erscheinen, daß ich ein Fragment meines neuesten Erzeugnisses in dieser glänzenden Versammlung gerade in der Tasche habe; man möchte glauben, daß es vorausberechnet sei, um meiner Autoreneitelkeit genug zu tun. Dagegen muß ich Ihnen erwidern, daß selbiges Erzeugnis der Anfang einer heroischen Oper ist, den ich mir auf meiner Fußreise hierher in die Tasche steckte, weil ich gesonnen bin, selbige Oper selbst in Musik zu setzen; denn ein anderer kapiert den Geist und Ton davon doch nicht. Nie aber ist der Geist fruchtbarer an Melodienerfindung als beim Marschieren. Und es sind mir auch unterwegs wirklich schon musikalische Ideen in den Kopf gekommen, an denen ich selbst so große Freude habe, daß Sie, meine Damen, es nicht als Unart und Verletzung des Anstandes aufnehmen müssen, wenn ich beim Vorlesen, vom Eifer fortgerissen, bei den schlagendsten Stellen ins Singen gerate.« Dies kam den Damen etwas sonderbar und unheimlich vor; sie bemühten sich aber, es als einen überraschenden Einfall, der die Sache nur noch interessanter mache, durch ein geziertes Lächeln zu begrüßen, und Holofernes räusperte sich und begann getrost, mit malitiöser Ironie im Hintergrunde, seine Vorlesung also:

Ihren Willen will jedes Weib

Historisch-romantische Oper

Erster Aufzug

Schmaus und Fest in König Artus Halle.

König Artus, Königin Guenever, mit Krone und Purpur auf erhabenen Sesseln; Gawain, Keffe des Königs, andre Ritter, Damen, Knappen, Herolde usw.

Wechselchor

Die Ritter
Wilde Zwerge, Riesen, Drachen
Und dergleichen Ungeheuer
Schrecken wir mit Schwerteskrachen;
Höchste Lust sind Abenteuer.

Die Damen
Sind euch Arm und Bein nicht teuer?
Ach! was sind uns das für Sachen!
Ein verstümmelter Getreuer –
Sagt, was wir mit dem noch machen?

Die Ritter
Ruhig, ruhig, zarte Damen!
Wollen uns für euch auch schonen;
Wenn wir siegreich wiederkamen,
Mag uns euer Lächeln lohnen.

Die Damen.
Kommt ihr mit gesunden Gliedern
Und geschickt zu Tanz und Schmause,
Wollen wir den Gruß erwidern:
Krüppeln sind wir nicht zu Hause.

Tutti.
Nach den sauren Heldenzügen,
Süßer ist das Spiel der Minne;
Nach dem Raufen Tanzverjnüjen,
das ist ganz nach unsrem Sinne.

(Tom, des Königs Zwerg und Schildknapp, bucklig, häßlich, abenteuerlich und bunt gekleidet, hinkt herein.)

Rezitativ.

Tom.
Herr König Artus, seht, ich nah' Euch schüchtern.

Artus.
Wie so? Du bist doch sonst nicht furchtbetroffen.

Tom. (Molltonart.)
Seid Ihr zur Audienz nicht zu besoffen?

Artus.
Für diesmal bin ich noch so ziemlich nüchtern.

Tom.
So gönnt mir, Extraordinaria
Zu melden Euch in einer großen Aria.

Artus.
Es sei, es sei!
Doch mach' mir nicht zu lang den Brei!

Arie.

Tom.
Da draußen steht ein zart Jungfräulein,
O weh!
Die flennt und zieht ein schiefes Mäullein,
O weh!
Denn ihr geschah groß Ungelück,
Ein Tölpel hält ihr'n Buhl'n zurück,
O weh, o weh!
Und ihn gar hart gefangen hält,
Sie hofft nur noch auf dich, du Held,
O weh, o weh, o weh!
Allein da kommt sie selber ja,
Und aus ist meine Aria:
O weh!

(Isolt tritt auf und kniet vor Artus nieder.)

Rezitativ.

Isolde.
Zu deinen Füßen, hoher Held und König!

Artus (der ebenfalls vor ihr niederkniet).
Auf, Fräulein! Ihr beschämt mich gar nicht wönig;
Der Schönheit sind selbst Könige untertönig;
Sagt, was Ihr heischt! die kühnsten Wünsche krön' ich.

Wechsel-Chor.

Die Ritter.
Goddam! die ist nicht bitter;
Wie gern' wär' ich ihr Ritter!

Die Damen.
Sie ist nicht übel: doch
Hier sitzen andre noch.

(Artus und Isolt haben sich indes knieend bekomplimentiert, bis Artus sie aufhebt, selbst aufsteht und sich das Knie mit dem Tuch abklopft.)

Arie.

Isolt.
So hört das Ungeheure!
Wie mir durch schlimmen Frevel
Entrissen ward der Teure,
Mein süßer Lucidevel.
Ach! daß in Pech und Schwefel
Ich lieber möchte schmoren,
Statt daß ich ihn verloren.

Duettino.

Artus.
O laßt das Lamentieren!
Müßt Euch nicht alterieren.

Isolt.
Wenn ich nun aber will!

Artus.
O Schönste, schweiget still!

Da Capo.

Artus.
Wir haben jetzt genug uns angesungen;
Doch ist's bei aller Müh' mir nicht gelungen,
Euch zu verstehen, was Ihr eigentlich wollt,
Weil das Orchester gar zu greulich tollt;
Drum mögt Ihr mirs im Vers verständlich melden.
Die Frauen schützen ziemt famosen Helden.
(Er streicht sich den Bart.)

Isolt
Vernimm! mein Lucidevel ist ein Held,
Der starke Riesen leicht, wie Füchse, prellt.
Ich zog mit ihm en croupe auf irrer Bahn.
Als ihn gefangen nahm ein Grobian.

Artus
Wie? wenn er Riesen kann, gleich Füchsen, prellen –
Warum nicht könnt' er prellen den Gesellen?

Isolt
Das weiß ich wirklich nicht, wenn Hexerei
(Wie ich vermuten muß) nicht war dabei.

Königin Guenever
Du armes, liebes Kind! doch Dank dem Himmel,
Daß dich nicht selbst davongeschleppt der Lümmel;
Manch andrer packte dich beim ersten Griff.

Tom
Goddam! der Kerl verstand noch nicht den Pfiff;
Es ist gewiß ein schüchtern blöder Bengel.

Guenever
O sprich, erzähl's! wie sah er aus, mein Engel?

Isolt
Ach, wild und groß, mit furchtbar dicker Keule,
Mit der schlüg' er dem Mond wohl eine Beule;
Auch war er ganz so dumm nicht, wie ihr meint:
Er griff nach mir.

Guenever.
Bist eitel, Kind, wie's scheint

Isolt.
Allein ich lief, er konnte mich nicht fassen.

Tom.
He, Königin! hättet Ihr Euch fassen lassen?

Guenever.
Du bist ein unverschämter Kerl; halts Maul!

Tom.
So heißts zuerst; doch Streicheln kirrt den Gaul.

Guenever.
Vergleichst du mit dem Gaule zarte Frauen?

Tom.
Ja, beider Kollrigkeit ist nicht zu trauen;
Gehn sie nur durch, dann freun wir uns noch drum.

Guenever.
Geht deine durch, weiß sie gewiß, warum.

Artus.
O! hört auf, wie beim Spiel mit Federbällen;
Das leichte Witzwort ab und zu zerschnellen;
Denn hier, ich merk' es, gilt es Heldentat,
Drum bin ich, wie sichs ziemt, schon desperat. –
Sag' mir den Weg, betrübte Demoiselle!
Sag' mir: wo haust der plumpe Raubgeselle?
Daß, der so ungeschlachtet war bisher,
Geschlachtet wird von meiner Seitenwehr.

(Nachdrucksvolle Pause. Artus wirft sich, witzbewußt und feierlich, in die Brust.)

Chor (losbrechend).
Habt Ihr's gehört? welch guter Witz!
O Held, von Schwert und Sprache spitz,
Erprobt in Wort- und Waffenspiel,
Gleich stark an Speer und Rede-Stil (Stiel),
Des Zunge, wie sein Degen, ficht:
Verkenn' unsre Bewundrung nicht!
Du wirst so tapfer, als galant,
So witzig, als galant, erkannt.

Artus (sich tief verneigend).
Gerechten Beifall hören wir mit Huld;
Doch legt ihm an die Trense der Geduld!
Bis wir vom Fräulein hier genau vernommen,
Wo wir zu Ruhm und Rache mögen kommen.

Isolt (sehr rasch sprechend).
Wenn du ausreitest rechts von deinem Schloß,
So lenke nach dem großen Wald dein Roß,
Dort biegst du um des Waldes linke Ecke,
Und reitest fort am Saum auf eine Strecke,
Bis sich in 17 Wege teilt der Pfad;
Den 6ten dort, von links ab, reite grad;
Dann an dem Silbersee halbrechts vorüber,
Dann bei dem großen Fuchsloch links hinüber,
Von dort ab 199 Schritt
Vorbei an eines tollen Bettlers Hütt,
Dann 50 rechts, halblinks dann 120,
Da liegt ein toter Esel faul und ranzig,
Des linkes Ohr zeigt dir den rechten Weg
Noch tausend Schritte übem Hügel schräg:
Da wirst du sehn ein furchtbar großes Schlößlein,
Drin wohnt der Räuber, dort halt an dein Rößlein.

Artus.
Dank, daß Ihr Euch so deutlich expliziert!
Ich bin vollkommen jetzt orientiert.
(Beiseit zu Tom.)
Kannst du das Kreuz und Quer im Kopf behalten?

Tom (zu Artus).
Nein! lieber zählt' ich Weiberkleiderfalten.

Artus (ebenso).
Du lieber Gott! wie finden wir nun hin?

Tom.
Den toten Esel haltet fest im Sinn!

Artus (beiseit).
O Gott! wie ist für einen fahrenden Ritter
Das Schicksal so beschwerlich doch und bitter!
Nach toten Esels Spuren reit' ich aus
Und komm' am Ende selber tot nach Haus.

Tom (gemütlich).
Dann sind es zwei.

Artus (ebenso).
Was sagst du, guter Junge?

Tom.
Dem dummen Ohr tut nichts die kluge Zunge.

Artus la ut zu Isolt)
Wohlan! Ihr, Fräulein, bleibt an meinem Hof;
Ich reit' und bringe heim für Dichter Stoff.

Guenever
Ihr wolltet selbst Euch in Gefahr begeben?

Gawain
Schickt mich, Herr Ohm, und schonet Euer Leben!

Artus
Ich bin der König Artus nun einmal
Drum muß ich tapfer sein, beim heil'gen Gral!

Isolt
Auch hat Euch selbst beleidigt jener Freche;
Er sprach – doch ich geniere mich –

Artus
Ha! spreche!

Isolt
Als ich als meinen Rächer nannte dich,
Sprach er – doch nein, nein! ich geniere mich!

Artus
O sprich!

Isolt
Er sprach: »dem Hahnrei sage nur,
Bewachen soll er seine Frau, die –«

Guenever
Fuhr
Mir das nicht in die Nerven! Wärs hier Mode,
Ich würde mich ohnmachten halb zu Tode.

Arie

Artus
Ha, der Verräter!
Er soll mir ziehn vom Leder! –
(Trompetenbegleitung im Orchester.)
Holt mir mein Schwert Exkalibar,
Und sattelt meinen Gaul!
Den Tod verdienet er fürwahr,
Schon für sein böses Maul.

Terzett

Artus
Holt mir mein Schwert Exkalibar!

Guenever
Holt ihm sein Schwert Exkalibar!

Tom.
Nun, so holt doch sein Schwert Exkalibar!

Artus
Sprich Frau! Darf ich das leiden?

Guenever
Schlag' tot den frechen Heiden!

Tom
Indes er auf der Heiden
Muß Schimpf und Prügel leiden,
Läßt sie in Samt und Seiden
Allhier die Cour sich schneiden.

Guenever
Du gehst und willst dich schlagen,
O Angst, o Not, o Pein!

Artus
O Gattin, laß das Klagen!
Es muß nun einmal sein.

Tom
Sie tut ganz zum Verzagen
Wie Krokodile schrein,
Doch ist's ihr größt' Behagen,
Ihm fern becourt zu sein.

Artus
Holt mir mein Schwert Exkalibar!
Tot schlag' ich ihn schon morgen.

Chor
Holt ihm sein Schwert Exkalibar!
Tot schlägt er ihn schon morgen.
Und ist's erfreulich ganz und gar,
Wir bleiben hier geborgen.
Gar lustig springt die Mäuseschar,
Wo nicht der Herr tut sorgen.

Die Ritter
Wir schneiden hier indes die Cour;
Guenever läßt nicht schmachten.

Die Damen
Sie wird, bekommt sie einen nur,
Auf uns so streng nicht achten.

Tutti
Holt ihm sein Schwert Exkalibar!
Tot schlägt er ihn schon morgen
Und ist's erfreulich ganz und gar,
Wir bleiben hier geborgen.

(Während des letzten Chors sind Schwert und Rüstung gebracht und dem Artus von Tom und der Königin mit grotesken Gebärden angelegt worden.)

Ende des ersten Aufzugs.

Zweiter Aufzug.

Wildnis.
Im Hindergrunde das Schloß des Ritters Popanz mit einem großen Tor.

Chor. (Gefangner Ritter, hinter der Szene.)
Ha! er klappt schon mit dem Rachen;
Hu! die Menschenfressermiene;
Fühle schon die Rippen krachen
Unter seiner Freßmaschine.
Weh! er naht mit Hungerschritten:
Wen von uns wird er zerknacken?
Au! er greift in unsre Mitten;
Möcht' er mich doch nur nicht packen!

Popanz.
Her! vermagertes Geschmeiße!
Fühle kaum, daß ich was beiße.

Drei Stimmen.
Au, au, au, au!

Ganzer Chor. (Doch um drei Stimmen schwächer. Das: Au! dieser drei klingt immer schwächer durch die Worte des Chors hindurch, bis es zuletzt erstirbt.)
Wie er malmt und knirscht, o schau!
Gott sei Dank, daß ich's nicht war!
Aber ach! ich folge morgen;
Sind die drei gefressen zwar,
Sind sie nun doch wohlgeborgen.

(Popanz tritt auf, mit einer Serviette um den Hals, mit der er sich den Mund wischt.)

Bravour-Arie

Popanz
O kümmerliches Essen!
O schlimme Fastenzeit!
Erst drei hab' ich gefressen,
Mein Magen ist noch weit.

Was soll das mit mir werden?
Ich nehme täglich ab!
Die Hose schlurft zur Erden,
Die sonst mir war so knapp.

Und fängt auch meine Tatze
Mir noch ein Ritterlein;
Sind heuer, wie die Spatze,
Geraten dünn und klein.

O möchte zu mir fallen
Das Land, das Artus hat!
Von solcher Zahl Vasallen
Würd' ich vielleicht noch satt.

Jetzt geh' ich in die Kammer
Und strecke lang mich aus,
Verschlafe Hungerjammer,
Und träume fetten Schmaus.

(Ab.)

Artus und Tom treten auf.

Tom
Herr Artus, sprich! wie willst du's motivieren,
Daß wir per pedes hier einherspazieren,
Da doch im ersten Akt Isolt und du
Von einem Gaul gefabelt gradezu?

Artus
Was soll der Spott? Du hast doch nicht vergessen,
Daß ich zu Gaule wirklich war gesessen;
Doch als der Gaul den toten Esel sah,
Halsbrechend Kapriolen macht' er da,
Scheu von dem Moderduft, den er gerochen,
Bäumt er und fiel und hat den Hals gebrochen.

Tom
So? von dem Esel ward erzählt nur, um
Dies vorzulügen jetzt dem Publikum!
So mancher hat gewiß schon nachgesonnen,
Ob er nicht allegorisch eingesponnen;
Nun kommt's heraus: Man bracht' ihn nur herbei,
Daß Gaulabwesenheit entschuldigt sei.

Artus
Hör' auf mit Ironie und Zungendreschen!
Ich will nunmehr die heiße Kampfgier löschen.

Tom
Daß du nicht längst schon darauf losgerannt –
Was hindert dich? ist meine Zung' ein Band?

Duett

Artus
Genug, genug!
Drauf los nun ohn' Verzug! –
Doch höre, treuer Knappe,
Was ich dir sage jetzt:
Wenn er mir eine Flappe
Bis auf den Tod versetzt –

Tom.
Ich nehm's auf meine Kappe;
Bleibt Ihr auch hier zerfetzt:
Glaubt nicht, daß überschnappe
Die Herrin, die Ihr schätzt.

Artus.
Sag' meiner Königinne,
Behalt' es wohl im Sinne,
Daß ich voll treuer Minne
Für sie gestorben bin.

Tom.
Was sich auch hier entspinne,
Sie nimmt's geduldig hin,
Glüht doch für sie in Minne
Manch feinen Ritters Sinn.

Artus.
Nun fort zur Tat!
Ja, das ist auch mein Rat.

(Artus rennt auf das Schloß los; dicht vor dem Tore kehrt er plötzlich um und wendet sich zu Tom zurück.)

Artus.
Bald hätt' ich eins vergessen,
Behalt' es treu im Sinn:
Hier ist mein Los gemessen,
So sag' der Königin –

Tom.
Noch hat er was vergessen!
So geht doch endlich hin!
Er wird Euch ja nicht fressen,
So habt doch Heldensinn.

Artus.
Daß ich als treuer Ritter
Für sie gefallen bin.

Tom.
Ist's Euch nur nicht zu bitter,
Die Kön'gin nimmt es hin.

Artus.
Doch warum plaudr' ich hier?

Tom.
Ja, warum plaudert, zaudert Ihr?

Artus.
Zur Tat, zur Tat!

Tom.
Ja, das ist auch mein ganz unmaßgeblicher Rat.

(Artus rennt von neuem aufs Schloß los: dann, wie oben.)

Artus.
Streckt mich der Grimme nieder,
O dann vergiß es nicht!

Tom.
Er kommt schon wieder wieder!
Nein, ich vergeß' es nicht.

Artus (aufs Schloß losrennend).
Nun drauf und dran!
Mag werden draus was wolle!

Tom.
Verwegner Mann!
Stürmt doch nicht gar so tolle!

Terzett.

Artus.
'raus Kerl vor meine Blicke,
Daß dich mein Hauch zerknicke!

Popanz. (mit einer großen Keule auftretend).
Was willst du, kleines Herrlein?
Wer bist du, magres Närrlein?

Tom.
Das ist ein wahrer Büffel,
Der frißt ihn, wie 'ne Trüffel.

Artus.
Der König Artus bin ich
Und dein Verderben sinn' ich.

Popanz.
Das freut mich wirklich innig;
Dein Land und Leut' gewinn' ich.

Artus.
Damit hat's keine Not,
Viel lieber bleib' ich tot.

Popanz
Die Keule rührt dich an;
Was sagst du nun noch, Mann?

(Er berührt ihn mit der Keule. Ohrenzerreißendes Fortissimo des vollen Orchesters. Das Schwert des Artus fällt ihm aus der Hand und klirrend zu Boden, er selbst knickt in seiner ganzen Stellung zusammen, wie ein invalides Federmesser. Die Musik schließt mit Donnergepolter.
Das Folgende wird ohne Musikbegleitung, im Genre des musiklosen Terzetts im Sargines gesungen.)

Artus
Höchst merkwürdig und entsetzlich!
Zauberkraft raubt mir die Kräfte.

Popanz
Höchst erfreulich und ergötzlich!
Ein profitliches Geschäfte.

Tom
Faßt das Zipperlein ihn plötzlich?
Wie er bebt, der schlimm Geäffte!

Popanz
Du stehst vor mir jetzt wie ein dummer Junge,
Tot schlug' ich dich mit einem leichten Schwunge,
Doch sorg' ich lieber für die Zukunft weis',
Statt daß ich solchen magren Bissen beiß';
Willst du, daß ich dein liebes Leben schone,
So tritt mir ab hier Scepter, Land und Krone.

Artus
Tät' ichs! blamiert' ich mich doch gar zu sehr.
Nein, friß mich, oder ändre dein Begehr!

Popanz.
Hier gilt es Rechtsform leider, nicht Bezwingung;
Drum stell' ich dir, voll Großmut, die Bedingung:
Wenn du zu Neujahr hier zurückekehrst,
Und mir die große Frage recht erklärst:
»Welch Ding wohl will ein jedes Weib am meisten
Dann will ich dir Vasallendienste leisten;
Doch sagst du nicht die rechte Antwort hier,
Verfällst du, samt dem ganzen Lande, mir.

Tom.
Ach, lieber Herr! laß lieber tot dich schlagen!
Was will ein Weib zumeist? – Wer kann das sagen?
Wie sie die Laune wechselt just, geschichts,
Daß sie bald alles will, bald wieder nichts.

Artus.
Schweig'! die Bedingung hör' ich ohne Grauen:
Du solltest meiner Klugheit mehr vertrauen.
Denk' ich erst nach, dann wird's auch was Gescheits.

Popanz.
So schwöre hier zu sein aufs Schwerteskreuz!

Artus.
Ich schwör's und schwöre, meinen Schwur zu halten,
Er ist 'ne Demantfessel, nicht zu spalten.

Tom.
O Ehrlichkeit, die fast an Dummheit streicht!
Noch hat die Politik dich nicht verscheucht.

Popanz.
Nun scher' dich fort! Ich wünsche guten Morgen!

Artus.
Ju'n Morjen!

Tom.
Juten Morgen.

Popanz.
Juten Morjen!

(Alle ab.)


Holofernes hatte nicht lange gelesen, als schon die Begeisterung des Unsinns über ihn kam und er, vorausgesagtermaßen, ins Singen fiel. Aber fing dies schon auf eine alle Grenzen durchbrechende Weise an, wie es die Damen denn doch von einem wohlerzognen Menschen nicht erwartet hatten, so ward es, wie die Begeisterung wuchs, immer kecker, toller und wilder. Die unerwartetsten, burleskesten, musikalischen Witzsprünge jagten und überkegelten sich, mit rasch gewaltsamen, und doch kunstgerechten Übergängen, deren Übermut an Verrücktheit grenzte. Dabei entwickelte Holofernes eine fast übernatürliche Stärke und Gelenkigkeit der Stimme. Alle weiblichen Partien sang er im hellsten, reinsten, und doch travestierenden Sopran, und bei den Duetten und Terzetten ließ er zwei oder drei Sangweisen sich so durchkreuzen und verschlingen, daß es auf Augenblicke wirklich schien, als sänge er mit zwei oder drei Stimmen zugleich. Natürlich konnten Arme, Hände und Gesicht dabei unmöglich untätig bleiben. Der ganze Holofernes wurde zur lebendigen Groteske! namentlich nahmen die Gesichtszüge jedesmal mit unverschämt treffender Nachahmungsgabe den Charakter der grade im Singen begriffenen Person an, immer einfältig und albern; aber die Albernheit bewundernswert scharf und charakteristisch variiert; und kam eine andere Person des Stückes ans Singen – schnapp! ein kecker Gesichtsschneiderübergang – und starr und festgeprägt, als wäre er immer dagewesen, stand der andere entsprechende Gesichtsausdruck in steinerner Bestimmtheit und holzschnittlich komischer Kraft da.

Aber ein wahres Gaudium erst wäre es gewesen, das wechselnde Mienenspiel der zuhörenden Damen zu beobachten, und ein wahres Gaudium wäre es für mich und für den Leser, wenn ich dasselbe, rasch und lebendig, vor sein geistiges Auge zu stellen vermöchte. Aber ach! hier gehen mir, wie oft schon, die schlagenden Worte aus.

Wie sie erst dasaßen mit erzwungenem ästhetischen Erwartungslächeln; wie dies bald überging in Befremden; wie dies Befremden rasch, doch mühevoll, versteckt wurde unter die vornehme Miene eines tieferen Verstehens (denn sie dachten immer: nun kommts, nun kommts! und konnten nicht glauben, daß Holofernes eine ganz einfache Albernheit auftischen könne; es mußte etwas Tieferes dahinter stecken – das war klar); wie sie dann, merkend, daß sie es mit Witz zu tun hätten, sich zum lunteriechenden Lächeln, so Gott wollte, zum, in den Grenzen des Anstandes bleibenden Lachen zwingen wollten und doch nur ein verlegnes, furchtsames Schafsgesicht mit kaum verzognen Mundwinkeln zu stande brachten, denn sie waren schon in Angst, der Mensch würde ihnen unter den Augen verrückt; wie sie dann, in dieser Angst immer mehr bestärkt, auf den Stühlen leise und doch ruckweise hin und her rutschten, denn sie saßen schon auf dem Sprunge und waren drauf und dran, laut aufzujuchzen und in Wildgansflucht davon zu laufen; wie namentlich die beiden, zwischen denen er saß, jach erschreckt durch ein gewaltsam gestikulierendes Armschlenkern, plötzlich laut mit dem Stuhl rechts und links von ihm abrückten (so daß die andern alle ringsum sympathetisch zusammenfuhren) und doch gleich, sich schämend, wieder eine gesetzte und ungestörte Miene anzunehmen kämpften; wie endlich, bei den mehr Gewitzigten, die Furcht dem Unwillen und einer, hier hochfahrenden, dort sentimentalen, Verletztheit Raum machte; wie die Näschen sich nun, stolz teilnahmslos und halbausgesprochen verächtlich, sukzessive in die Höh' warfen; wie das Bewußtsein: er habe sie alle zum Narren, nach und nach auftauchte und sich in leisem, boshaftem Zucken ankündigte; wie endlich, während einige noch suchten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und einen urban spaßverstehenden Ausdruck, jedoch sehr ungeschickt, annahmen, unter den andern der hervorbrechende Unwille gegenseitiges Gemeingut wurde und dadurch wuchs, indem durch befremdetes Sichansehn, angedeutetes Sichzunicken und endlich gar Kopfschütteln eine die andre immer noch wütender machte – ach! Das alles beschreibe ein andrer! denn ich habe es soeben sehr schlecht beschrieben.

Endlich, als Holofernes grade an der obigen Schlußstelle war, empörte das so mal à propros angebrachte und wiederholte: »Juten Morjen!« die, dem Leser schon bekannte, entschlossne Dame dermaßen, daß es ihr zu toll wurde. Rasch und geräuschvoll stand sie auf, sprudelte, glühend im ganzen Gesicht, einige Worte von Unwohlsein hervor, bat, man solle sich doch ja nicht stören lassen, bedauerte es unendlich, zu Holofernes gewandt, diesen seltnen Genuß (sie betonte das Wort boshaft) nicht abwarten zu können, und mit Johanna d'Arc-Schritten war sie aus der Stube und die Treppe hinab. –

Allgemeiner Aufruhr und Aufstand. Lautes Erstaunen und Erschrecken, endlich Zischeln und befremdliches Blicken auf Holofernes. Frau Habichs war vernichtet. Die Prahlerei mit ihres Bruders Genie war ihr bitter vergällt worden. Statt eines Triumphs, eine schmachvolle Niederlage! Auch hat sie später in Gesellschaft nie ihres Bruders mit einer Silbe erwähnt, und fing eine andre einmal an, von ihm zu sprechen, so hielt sie's für eine beleidigende Stichelei und ward empfindlich und ausfallend.

Holofernes aber sah ein, daß der Moment gekommen sei, sich mit guter Art zu drücken. Er zog seine Uhr hervor und tat, als ob er über sein schon zu langes Verweilen erschräke. »Es tut mir leid, meine Damen (rief er ins Getümmel), daß ich dies, mein bestes Werk, noch nicht weiter ausgearbeitet habe, und daß außerdem meine Zeit gemessen ist. Vielleicht habe ich ein andermal das Vergnügen, Ihnen den Schluß vorzutragen. Nehmen Sie inzwischen meinen verbindlichsten Dank für ihre gütige Aufmerksamkeit und Nachsicht.«

Hier machte er seinen Kratzfuß, der ihm mit höhnisch abgemessenen, satirisch tiefen Knixen erwidert wurde und im nächsten Augenblicke schöpfte er außerhalb der Tür freier Atem. Auf der Treppe küßte er noch Junius und die kleine Malwina, die ihm nachgeeilt waren, herzlich zum Abschiede und – fort war er. Als nachher der Mond aufging, sah er ein kreuzfideles, in Spottlust schwelgendes Gesicht über die Landstraße hinfliegen.


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