Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

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Kapitel V

Unter solcherlei Gesprächen, wobei es Herrn Habichs grün und blau vor den Augen geworden war, kamen sie endlich bei der Wöchnerin an, um die sie, eintretend, einen Kreis von Damen kaffeetrinkend und klatschend versammelt fanden.

Da war nun an Herrn Holofernes das Blaßwerden und Erschrecken, denn das Gespräch versammelter Weiber machte auf ihn ganz denselben schauerlichen Eindruck, wie auf manche das Kratzen und Greinen eines gewaltsam rückwärts geführten Griffels auf der Schiefertafel. Er faßte sich jedoch bald und grüßte alle mit leise spöttelnder, linkischer Höflichkeit. Hierauf ging's an's Ueberreichen der Patengeschenke. Da hatte sich nun Frau Habichs eingebildet, ihr Bruder werde mit einem Röllchen Goldstücke aus seiner Ersparnis oder gar seiner Goldmacherfabrik herausrücken. Sie wußte schon genau, in welcher Ecke des Schreibtisches sie selbige verstecken würde, und wie sie sie dem kleinen Junius alle Jahre zu seinem Geburtstage einmal zeigen wollte und ihm dann jedesmal erzählen, daß sie vom Onkel wären und daß er sie einmal haben sollte, was den Jungen freilich nicht satt gemacht hätte; und so wollte sie das Röllchen aufheben, bis Junius heiratete, ein vermögendes Mädchen natürlich, und dann wollte sie ihm für die Goldstücke Hemden, Tischtücher und Servietten kaufen. Alles das war schon genau berechnet, nur die Hauptsache fehlte noch. Nun denke man sich den Ärger und das Erstaunen der Frau Habichs und ihres Gemahls, denn auch der hatte auf etwas Solides und Honettes gerechnet, als Holofernes ein dünnes, buntes, mit grillenhaft grotesken Arabesken auf dem Deckel verziertes Büchlein hervorzog und dies mit den Worten überreichte:

»Da euch doch vor allem daran gelegen sein muß, daß euer Junge was lernt, da aber die gewöhnliche Methode verabscheuungswert ist und den Menschen sowohl schlecht, als dumm macht, so schenke ich dem Jungen hiermit dies ABC-Buch, auf das ich wohl stolz sein kann, denn ich habe solches selbst ersonnen, gesetzt, gedruckt, geheftet und eingebunden. Auch habe ich die Bilder darin selbst verfertigt. Diese Bilder werden Ihnen allen, meine Herrschaften, etwas sehr plump vorkommen, ich weiß es, aber Sie werden gewiß begreifen und zugeben, daß zierliche, geleckte Bilderchen die Phantasie des Kindes, deren Erweckung man doch durch Bilderbücher allein bezweckt, nur träge, feige und zahm machen können. Man zeige ihm erst das Ungestaltete, Verzerrte, Verzeichnete, aber in starken kecken Strichen, so daß sich's dem jungen, weichen Hirn einprägt. Dann wird der angestammte Schönheitssinn im Knaben sich dagegen empören, ankämpfen und ringen und so unwillkürlich, durch eigene Kraft, das Schöne zu ersinnen anfangen, bis die dunkle Kraft sich zur Einsicht reinigt und verklärt und das Wohlgefallen an Harmonie und Schönheit dann ein selbsterrungener, unverlierbarer Sieg ist. Dies wird und muß um so mehr geschehen, da in der Fratze schon der geheimnisvolle Schlüssel, die kräftigste Hindeutung der Schönheit, ja die Schönheit selbst enthalten ist, nur verschoben und auseinander gestreut wie ein wohlgebildetes Gesicht im Hohlspiegel, wie das Licht durchs Prisma gebrochen. Sie werden, meine Damen, diese Bemerkung gewiß selbst schon beim Studium der verschiedenen Malerschulen gemacht haben. Da sehen Sie immer aus der steifen, rohen und fratzenhaften Manier die großen Meister hervorgehen, aus den göttlichen Schöpfungen dieser aber, in raschem Abfall, die geleckten, lüsternen, gedankenlosen, affektierten Weichlinge: und ein Erheben erfolgt immer erst dann wieder, wenn das oberflächliche Treiben solcher Akademiker in handgreifliche Abgeschmacktheit und Barbarei ausgeartet ist. Was insbesondere die unverhältnismäßige Größe der Köpfe zum übrigen Körper bei meinen Figuren betrifft, so hat das noch einen anderen Grund. Wenn Sie die sonst so treffliche Technik, namentlich älterer deutscher Meister betrachten, so werden Sie ihnen gewiß nicht den totalen Mangel an Auge zutrauen, daß selbige nicht gewußt hätten, wie ihre Köpfe gar nicht auf die kleinen verkrüppelten Leiber passen, so daß alle Figuren wie Zwerge aussehen. Aber sie hielten das Bild eines Menschen nur für Mittel, einen Charakter, oder, was hier dasselbe ist, eine Idee zu versinnbildlichen. Nun ist Ihnen bekannt, daß das menschliche Antlitz die Effloreszenz, Quintessenz, der Auszug aus dem ganzen innern und äußern Wesen des Menschen ist; alle andern Glieder, obgleich in ihrem lebendig bewegten Einklang mitwirkend zum Siege über das Gemüt des Beschauers, sind doch nur Hilfstruppen. Dies drückten die alten Maler, auf ihre naive Weise, mechanisch durch die großen Köpfe und kleinen Leiber aus. Oder geben Sie nicht zu, meine Damen, daß es Unsinn wäre, ein Porträt zu besitzen, wo unter der Brust alles andere abgeschnitten ist, und doch sich einbilden, man besitze eine Erinnerung an den ganzen Menschen, wenn das Gesagte nicht seine Richtigkeit hätte? Man könnte sonst ebensogut sich von einem werten Freunde eine Hand oder einen Rücken, die in mancher Stellung auch charakteristisch und unverkennbar sein können, malen lassen und zum Andenken aufbewahren. Auf diese hohe Wichtigkeit des menschlichen Angesichts wollte ich auch meinen kleinen Neffen in den Bildern aufmerksam machen. Auch hängt die Erkenntnis davon genau mit dem Geiste des Christentums zusammen und Junius soll kein Heide werden.« –

Holofernes hatte seine Rede mit Willen so lang ausgedehnt, um sich an den versammelten Frauenzimmern, die ihm einen solchen Schreck beigebracht hatten, zu rächen. Und in der Tat war diese Rede für ihrer aller Geduld eine länger und länger auszerrende Folterbank, so daß diese Geduld beinahe zerrissen wäre. So lange verurteilt zu sein, anzuhören, ohne ein Wort mitzusprechen, und was noch schrecklicher ist, Gedanken anzuhören! Dabei mußten sie noch süße und aufmerksame Gesichter schneiden, um ihren Mangel an Verständnis nicht merken zu lassen. Sie ließen unterdes, zu einigem Troste, das ABC-Buch im Kreise herumgehen und besahen die Zeichnungen; aber zu ihrer Pein durften sie jetzt nicht einmal über die verzerrten Figuren lächeln oder gar spöttelnd zischeln, da sich Holofernes dieserhalb in unverständlichen, mithin verdammt gescheiten, Ausdrücken gerechtfertigt hatte.

»Wirklich höchst interessant!« flüsterte jetzt ein Fräulein, das einmal zwölf italienische Vokabeln auswendig gelernt hatte, mithin eine sehr gebildete Dame war. Dies wollten alle andern wie ein Feldgeschrei hastig aufraffen, und rüsteten sich schnell und einmütig, ihre Zungen wieder aufs rascheste als Mühlräder in Bewegung zu setzen, indem sie die Ströme mannigfacher Reden darüber hinschäumen, rauschen, sprudeln, plätschern und platschern ließen; aber Holofernes war ganz unbarmherzig. Mit höhnischem Lächeln stürzte er sie zurück in den gähnenden Höllenabgrund des Schweigens und Zuhörens, indem er sich so zu Herrn Habichs wandte: »Was den Inhalt des Büchleins betrifft, so müßt Ihr Euch nicht wundern, lieber Schwager, wenn derselbe gänzlich von dem gewöhnlichen abweicht, ja Ihr werdet schwerlich die darin als Leseübung enthaltenen Sätze verstehen; selbst Sie, meine geistreichen Damen, würden sich kaum ganz darein zu finden wissen. Ich könnte als Grund anführen, daß, indem ich aus einer kräftigen und klaren Gedankenreihe einzelne bedeutsame Glieder herausreiße und diese, mit Wegwerfung der Zwischenglieder, rätselhaft hinstelle, dadurch die Denkkraft des von Natur neu- und wißbegierigen Kindes angespornt würde, das Fehlende durch eigene Tat zu ergänzen. Möchte dies nun gelingen oder nicht, so wäre es auf jeden Fall eine Übung der Kraft; und Erweckung der Selbsttätigkeit ist am Ende doch das A und O aller Erziehung. Aber meine Gründe gehen noch tiefer. Man gebe nur ja den Kindern bei ihrem ersten Unterricht Gedanken zu lesen, die gänzlich über ihrem Bereich liegen! Dadurch allein kann das Ahnungsvermögen, und durch dies allein die Sehnsucht nach dem Göttlichen, die Verwandtschaft der Seele dem Drüben, aller Glauben und alle Begeisterung, kurz: die Einheit des Einzelngeistes mit dem Urgeiste erhalten werden. Gebt ihr aber den Kindern nur das, was sie handgreiflich und hausbacken, als erworbenen und fertigen Besitz in die Taschen des Wissens schieben können, so erzieht ihr nüchterne, egoistische, in oberflächlichem Selbstgenügen sich überhebende Materialisten und Atheisten, die auch nicht einmal in ihrer Niedrigkeit glücklich sein können, denn bald wird Überdruß und Ekel sie auch zu irdischem Genuß unfähig machen, denn auch dieser hat seine ewig auffrischende Würze nur in einem tief verborgenen geistigen Kerne, in einem Beischmack vom Höchsten, vom Göttlichen. – Auch habe ich mich wohl vor einer sichtbar werdenden Verbindung und Regelmäßigkeit gehütet, sondern im Gegenteil nach möglichster Konfusion gestrebt, denn wenn sich dem Kinde bei seiner ersten Belehrung gleich ein fertig gebautes, ausgemessenes und abgezirkeltes System auch nur dunkel einprägt, so bleibt es zeitlebens ein Knecht, eine Versteinerung. Es soll aber ein frischer Bach werden, der seine Bahn selbst wählend, Dämme durchbricht und auf eigenem Wege sich das Unendliche sucht.« – Jetzt aber hatte Holofernes seine schadenfrohe Laune gesättigt und es tat ihm nun leid, länger seine Perlen unter die – Hühner zu werfen. Er zog rasch noch eine Kapsel hervor und nahm aus derselben ein kurzes und plumpes hölzernes Rohr, das an dem einen Ende mit einem seltsam geschliffenen Glase geschlossen war. »Dieses Guckglas,« sagte er, »das ich auch selbst geschliffen habe und dessen besondere Eigenschaften sich von selbst offenbaren müssen, ohne daß ich mich darüber auslasse, bitte ich dem kleinen Junius zu geben, wenn er mein ABC-Buch ganz durchstudiert hat und überhaupt lesen und schreiben kann.«

Frau Habichs nahm neugierig das Glas und sah hindurch. Erst sah sie nur ein Gewirr von Farben, alle Umrisse verschwommen und verwischt. Sie blickte schärfer, da saßen plötzlich, statt ihrer Klatschschwestern eben so viel Gänse vor ihrem Auge, Herr Habichs als verdrießlich zusammengeduckter Rabe, seltsam schwarz unter den weißen, und Holofernes als ein sonderbar bunter, fremder Vogel. Aber in einem Nu, ehe sie das Bild noch recht erfaßt hatte, war es wieder in gestaltlosem Gewirr verschwunden. Erschreckt und verwirrt nahm sie das Glas vom Auge, gierig griff ihre Nachbarin danach. Der ging es genau ebenso und so machte das Glas die Runde bis zu Herrn Habichs, der es, leise brummend: »Impertinente Sottisen!« seiner Frau zurückgab, die es in die Kapsel steckte und weglegte. Alle Damen machten ein verlegenes, süßliches Gesicht, das eine wilde Augenauskratzbegierde nur halb bemäntelte. Holofernes aber sprach: »Ich entnehme aus Ihrer Verlegenheit, meine Damen, daß Sie nicht wissen, was Sie aus meinem Patengeschenk machen sollen. Ohne Zweifel haben Sie gar nichts durch das Glas gesehen (die Damen machten schweigend Beistimmungsgesichter, obgleich es nicht wahr war); ja! es ist auch nur für ganz besonders konstruierte Augen, wie sie mein kleiner Neffe besitzt, berechnet. Doch nun leben Sie wohl und nehmen Sie meinen herzlichen Dank für die schöne, unvergeßliche Stunde, die Sie mir durch Ihre angenehme Unterhaltung gewährt haben. Hierauf küßte er den kleinen Junius und mit seinem alten Gruß: »Guten Morgen, liebe Schwester! guten Morgen, lieber Schwager!« war er aus der Stube und fort. Alle waren konsterniert und verstimmt. Frau Habichs nur, die erst beinahe des Todes gewesen war, sich durch die magern Geschenke ihres Bruders vor der ganzen Gesellschaft zu blamieren, blickte ihm jetzt stolz nach und einen Blick des Triumphes rings umher werfend, sprach sie: »Es ist doch etwas Schönes und Pathetisches um die wissenschaftliche Gelehrsamkeit, wodurch der Aufschwung der Menschheit zur Würde des Erhabneren bezweckt wird! Wenn er nur geheiratet und eine ordentliche Hauswirtschaft hätte, der liebe Bruder!«


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