Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

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Kapitel II

In solcher Stille saßen sie einst wieder da, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde, und hervor stürzte des Herrn Habichs Stubenmagd ganz atemlos, rauschte auf ihn zu und rief, indem die Hast fast ihre Stimme erstickte: »Herr Habichs, es ist da, es ist da!«

»3066 Rtlr. 6 Gr. 3 Pf. – Was da?« sprach Herr Habichs ärgerlich, daß er gestört wurde, ohne sich umzusehen.

»Die gnädige Frau ist in diesem Augenblicke glücklich entbunden worden.«

»Transport: 8736 Rtlr. 15 Gr. 9 ¼ Pf. – Ist's ein Junge?« sprach Herr Habichs, das Blatt im Buche umwendend.

»Ja! Ach! und so ein schöner, munterer, herziger dicker ...«

»Ist mir lieb, sehr lieb, unterbrach Herr Habichs, kann einmal das Geschäft fortsetzen. – 150 Rtlr. 6 Gr. ...« die Pfennige aber murmelte er schon wieder leise für sich und fiel ins alte Schweigen zurück.

Die Magd stand noch da. Als sie sah, daß der Herr sie nicht mehr bemerkte, hustete sie leise, scharrte mit dem Fuß; aber er blieb bewegungslos. Endlich sprach sie ganz kleinlaut: »Herr Habichs«. – »... 6 ½ Pf. – Schon gut, schon gut. Geh Sie nur!« –

»Gnädiger Herr, wollen Sie sich Ihr Kind nicht ansehn kommen?« – »Den 31. Dezember 80 Rtlr. 22 Gr. – Ist Sie noch da? Ansehn? Dummes Zeug! Um acht Uhr, wenn die Bureaustunden aus sind. Geh Sie! Alle Türen gut zugemacht, hört Sie? daß uns das Geschrei hier nicht stört. Wünsche meiner Frau gute Besserung. – Den 1. Januar 388 Rtlr. 4 Pf.« –

Die Magd schlich sich ganz verdutzt aus dem Turm, warf aber doch ein bischen malitiös laut die Tür hinter sich zu, so daß vieljähriger Bureaustaub aufgescheucht und umhergefegt wurde und Herrn Habichs, dem er auf die Brust fiel, ein leises Husten ankam. Wie er nun, um nicht ins Buch zu husten, die Finanznase ein wenig in die Höhe richtete – siehe da! zwei seiner Schreiber in der seltsamsten Stellung, wie er sie sonst nie gesehen hatte, Nase und Augen gen Himmel starrend und stierend, Mund weit offen, die Hand mit der Feder schlaff und tatenlos herunterbaumelnd, wie Zweige an der Trauerweide; ganz wie Verzückte oder Verrückte. Erschreckt schraubt sich Herr Habichs auf dem Esel ein wenig herum und sieh! der nächste Schreiber ganz in derselben Stellung. Er schraubt sich weiter und weiter, und in der Drehung vorbeispazieren seinem Auge alle zwölf Schreiber, einer nach dem andern, einer wie der andere, dem gemalten Erstaunen gleich, regungslos, guckend, horchend und maulaufsperrend, so daß gerade zwölf gebratene Tauben, wenn solche wirklich die löbliche Gewohnheit an sich hätten herumzufliegen und offene Mäuler zu suchen, Quartier gefunden hätten.

»Was da, was da?!« krächzte Herr Habichs in erstickter, leiser Wut. »Warum nicht gearbeitet?«

Die zwölf gemalten Erstaunen erschraken und fuhren leicht zusammen, wie alte, hängende Tapetenbilder vom Zugwind getroffen; aber sie staunten und faulenzten im nächsten Augenblicke unbeweglich fort.

»Gleich die Nase ins Buch, meine Herren! Narrheit das, unerhört!« kreischte Herr Habichs sie in der Runde an, indem er sich hastig, fast die Balance verlierend, rings herum schraubte. Da faßte der oberste Schreiber ein Herz und sprach:

»Werden gütigst entschuldigen, Herr Prinzipal, aber zweifelsohne vernehmen Dieselben auch jenen überaus lieblichen und ganz wunderbaren Gesang über dem Turme, der uns unwiderstehlich in sotane Verwunderung und Untätigkeit versetzet hat.« –

»Unsinn das! Über dem Turme Gesang, und lieblicher Gesang gar! Wer soll da singen? Ist Gesang lieblich? Exaltiertes Wesen! taugt nichts für einen tüchtigen Arbeiter. Gleich aufgehört sich Unsinn einzubilden! Kann das nicht leiden.« –

Die Schreiber rissen sich gewaltsam aus ihrer Träumerei. Zwölf Mäuler gingen langsam zu, aber ohne gebratene Tauben drin, zwölf Nasen zeigten wieder jede auf ihr korrespondierendes Buch und schnell war alles regungslos bis auf die zwölf Federn, die, in sittsamer Entfernung voneinander, ihr altes, steifes Menuett forttanzten.

Mit dem Gesange aber hatte es doch seine Richtigkeit gehabt, obgleich Herr Habichs nichts davon gewahr wurde; wie er denn überhaupt gar vieles nicht gewahr wurde.

In dem Augenblicke nämlich, als der Knabe geboren wurde, schwebte über Habichs Haus hin, langsam, leicht und feierlich, ein lichter, glänzender Schwan, die Schwingen vom rötlichen Kuß der sinkenden Sonne leise angeschimmert, und sang folgende Worte, die aber die Schreiber freilich nicht verstanden:

Du holdes Kindlein, sei gegrüßt!
Dein Leben wird, wie keines je,
Verbittert werden und versüßt
Von höchster Wonne, tiefstem Weh.
Du Röslein auf des Felsen Stirn,
In schwarzer Nacht du zuckender Schein,
Du Morgenglut auf eisiger Firn,
Ein Fremdling wirst du immer sein.
Der Maulwurf schilt den Adler blind,
Weil er nichts sieht im Maulwurfsloch:
Dich nennt man Tor einst, holdes Kind;
Bist weiser als die andern doch.
Dein Glück ist nur von dort ein Traum,
Der hier ein Weilchen dich entzückt,
Wie Regenbogenpracht den Saum
Der dunklen Wolke flüchtig schmückt.
Du bist erkoren und verdammt,
Bis der von Ost verirrte Strahl
Zurück in seine Heimat flammt,
Und Wonnen aufblühn aus jeder Qual.

So sang der Schwan, stieg höher und höher, das Lied verwehte leis, der Sänger schwand im dunklen Blau. Als nachher der Herr Habichs einmal alle seine Bücher durchsah, fand er, daß jeder der zwölf Schreiber an jenem Tage einen Rechenfehler gemacht hatte, was ihm so unerhört war, daß er sie zornig anließ und sie beinahe alle weggejagt hätte, wenn er nur gleich zwölf bessere hätte bekommen können.


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