Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

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Kapitel III

Am Vorabende des Tages, da des Herrn Habichs erstes Söhnlein getauft werden sollte, gerade am Schluß der Bureaustunden, in demselben Augenblicke, als Herr Habichs eben aus dem Gange in die eine Tür der Stube trat, wo seine Frau am Teetisch auf ihn wartete, klopfte es an der andern Tür derselben Stube! Verdrießlich, weil er glaubte, jetzt noch mit Geschäften behelligt zu werden, rief Herr Habichs sein: Herein! Und herein trat, feierlich und mutwillig, stolz und lustig, gravitätisch und nachlässig, ernst und komisch zugleich, ein stattlicher Mann in hohen, plumpen Stiefeln, grobem Tuchrock, mit langem, dickem, gepudertem Haar, starkbuschigen schwarzen Augenbrauen, unter denen es wie lauteres Geistesleben hervorleuchtete und zwischen denen eine schöne Königsadlernase sich herabwölbte. »Guten Morgen, liebe Schwester, guten Morgen, lieber Schwager!« sprach er ganz ruhig und reichte der Frau Habichs und ihrem Gemahle die Hand, als ob gar nichts los wäre. Diese aber waren höchst befremdet und überrascht, so daß sie erst gar nicht wußten, was sie sagen sollten. Der Mann war nämlich der einzige Bruder der Frau Habichs, der in einer andern Stadt, wohl fünfzig Meilen weit, wohnte und höchstens alle fünf Jahre einmal seine Schwester zu besuchen pflegte. Auch erfuhren sie niemals durch Briefe etwas voneinander, denn Herr Habichs hatte keine Zeit und Holofernes, wie alle großen Geister, keine Lust zum Briefschreiben. Was aber die Frau Habichs betrifft, so hatte sie zwar früher einmal viele schlechte Romane gelesen, das Schreiben aber, bei verwahrloster Erziehung, nur sehr mangelhaft gelernt. Nichtsdestoweniger schrieb sie kurz vor ihrer Verheiratung einmal an ihren Bruder und erhielt auch von ihm folgende Antwort:

Geliebte Schwester!!!

Mit brüderlicher Freude, doch auch in zahrter Wehmut gepahrt, hat meine innere Simpathie Deinen so liebenswürdigen Zeilen gelauscht; und ich ergreife die Feder.

Ja wol hast Du recht, das der Wert des Edleren in den speculativen Berechnungen des Kalten Zeitalters erdrückt wird. In meiner Phantasy mahlt sich ganz die Empfindung eines Leidens, daß Mir die eigne Erfahrung nur Leider! – zu treu wiederspiegelnd. Alle edlen Sehlen werden – verkant und bleiben nur in dem süßen Troste gestärkt, daß sie sich gegenseitig auch in der Entfernung, über die gemeineren Naturen des Eigennutzes erhaben, verstehen. Bei alleden ist Herr Habichs nach den Angaben Deines Briefes eine gute Parthie, wenn Du ihm auch nicht mit der schwärmerischen Hingebung des weiblichen Gemütes lieben kannst. Und wenn er Dir die Romanlektüre, die Sehlen von unsrem Schlage zum höheren erhebt, ferbothen hat – so ergib Dich der stillen Empfindung in Dir selbst Beruhigung und Beschäftigung zu finden.

Das erbetene Recépt für Leberklöse folgt anbei. Lebe wol und vergib Deinem Ewig unvergeßlichen Bruder

Holofernes.

Diesen Brief hielt Frau Habichs durchaus für Ernst und für erhaben, rührend und »padehdisch« und zeigte ihn deshalb mit Stolz allen ihren Freundinnen, bis eine von ihnen so gescheit und aufrichtig (vielleicht auch boshaft) war, einzusehen und ihr geradezu zu sagen, Holofernes habe darin nur ihren eignen Stil und ihre Rechtschreibung lächerlich machen wollen, und sie möge deshalb den Brief ja nicht weiter herumzeigen; so riete sie ihr wohlwollend als Freundin. Der Erfolg davon war, daß Frau Habichs fortan einen geheimen Haß auf jene Freundin warf, ihren Bruder aber fortan mit unsinnigen Weiberbriefen gänzlich verschonte.

Übrigens konnten sich Herr Habichs und Holofernes gegenseitig nicht besonders leiden, und auch Frau Habichs, obgleich innerlich stolz auf das »Schenie« ihres Bruders, hatte vieles an ihm zu tadeln. Herr Holofernes war nämlich gelahrten und geheimen Forschungen und Künsten ganz ergeben, und weihte ihnen seine ganze Zeit, was Herrn Habichs sehr ärgerte, denn er sagte, es käme nichts dabei heraus und die erste Pflicht des Mannes sei eine regelmäßige und nützliche praktische Tätigkeit; die Frau Habichs aber ärgerte es auch, denn sie sagte: die erste Pflicht des Mannes sei, ein fixes Einkommen zu haben und dann, sich eine Frau zu nehmen. Wäre dann einer nebenbei noch ein Genie, so wäre dies ein recht angenehmes, schönes Talent an ihm; aber doch nicht die Hauptsache. Auch in diesem Augenblicke war es Herrn Habichs wieder höchst ärgerlich, daß sein Schwager beim Gruß »Guten Morgen!« sagte, da es doch augenscheinlich Abend war, denn er konnte nun einmal keinen Unsinn leiden. Indem das Ehepaar den Holofernes noch ganz verdutzt anstarrte, unterbrach er die verlegene Stille mit den Worten: »Ei, was wundert ihr euch so? – Es ist doch ganz natürlich, daß ich der Taufe meines kleinen Neffen, die ihr morgen zelebrieren wollt, beizuwohnen komme.« –

»Woher weißt du was vom kleinen Neffen und von der Taufe? Wir haben dir ja kein Wort davon geschrieben?« sprach Frau Habichs erstaunt.

»Je nun«, sagte Holofernes, »ich komme, wie einer der drei Weisen aus dem Morgenlande. Wozu hat uns denn der Herrgott Lichter am Himmel angezündet, als damit wir bei ihrem Schein mehr sehen sollen, als bei dem von Wachskerzen oder Astral- oder Studier- oder Gaslampen; der gemeinen verächtlich schmierigen Talglichter gar nicht zu gedenken? Aber laßt euch das nicht anfechten. Kurz, ich hab's nun einmal gewußt und bin hier.« Dabei nahm Holofernes eine geheimnisvoll verschlossene Zaubermeisterphysiognomie an; um seinen Mund aber spürte man ein leises Lächeln, so daß man sehen konnte, das Habichssche Ehepaar sah's freilich nicht, wie er im Innern sich über seine eigne Feierlichkeit lustig machte.

»Unsinn! Scharlatanerie!« brummte Herr Habichs leise für sich und schüttelte den Kopf.

Die Frau Habichs überlief ein leiser Schauer, wie Gespensterfurcht; dann regte sich die Weibereitelkeit, einen so gescheiten Bruder zu haben, dann die Hausfrage, wie er aufzunehmen und zu bewirten sei. »Mit welcher Gelegenheit bist du gekommen? Wo bist du eingekehrt? Willst du nicht bei uns übernachten und deine Sachen herbringen lassen?« So ging's jetzt, denn die Plapperklappermühle begann zu erwachen. »Gekommen bin ich zu Fuß; eingekehrt nirgends; Sachen hab' ich nicht, und übernachten werd' ich nicht. Ich komme heut bloß, um mich für morgen anzumelden und werde in dieser mondhellen Nacht, weil ich gerade in einer schönen Gegend bin, noch eine kleine Fußreise machen.« –

»Sonderbares Reisen das!« sagte Herr Habichs.

»Gar nicht sonderbar, sondern angenehm, praktisch und vernünftig. Die Leute machen sich immer tausend und abertausend unnütze Weitläufigkeiten. Schwierigkeiten, Unbequemlichkeiten und alle möglichen ›keiten›, wenn sie einmal den fürchterlichen Entschluß gefaßt haben, zu reisen; gerade als ob sie mit aller Gewalt darauf hinarbeiteten, womöglich nicht vom Fleck zu kommen. Ich mach's umgekehrt. Ich gehe eben fort und das weitere findet sich. Was aber meine Nachtmärsche betrifft, so muß ich erklären, daß niemand das Wachen der Natur verstehen kann, der nicht ihren Schlummer belauscht hat. In der Nacht, da träumt sie von Gott und lauscht seinen ewigen Worten, um sie bei Tage zu offenbaren in Sproß und Blüte. Aber jetzt zeigt mir einmal euren kleinen Jungen.« –

»Er schläft,« sprach Frau Habichs. »Vor der Hand setz' dich, trink mit uns eine Tasse Tee und iß ein Butterbrot.« –

»Sehr gern, wenn ihr Rum zum Tee habt,« sprach Holofernes und ließ sich ganz behaglich in einen Lehnstuhl nieder. Dem Ehepaar war der Besuch peinlich und unheimlich; Holofernes aber schien davon gar nichts zu merken und sprach, heiter und unbefangen, allerlei durcheinander, wovon die beiden kein Wort verstanden. Herr Habichs hielt deshalb alles für baren Unsinn, und Frau Habichs alles für tiefe Weisheit. Als Holofernes sich satt gegessen hatte, fragte er seine Schwester gutmütig spöttisch, ob sie ihm wohl erlaube, eine Pfeife Tabak zu rauchen. Das konnte nun Herr Habichs nicht leiden, weil es unnütz Geld kostet und von ernster Arbeit abhält; Frau Habichs auch nicht, weil es die Gardinen gelb macht und die Kleider durchzieht. Sie konntens aber doch nicht abschlagen und Holofernes zog ein langes Pfeifenrohr aus dem Ärmel, dann aus der Tasche einen türkischen Tonkopf und eine kulpige Bernsteinspitze: er stopfte dann mit echt türkischem Tabak, und, indem er die ersten Züge behaglich einsog und die Stube mit Wohlgeruch füllte, sprach er: »Den ganzen Apparat und diesen edlen Opferweihrauch hab' ich mir unterwegs in einem Kramladen in Konstantinopel selbst gekauft.« Dabei lächelte er, so daß man nicht wußte, ob er bloß spaße oder im Ernst weiß machen wollte, er käme zu Fuß über Konstantinopel.

Jetzt fing der kleine Junge an zu schreien. Frau Habichs wollte ihn still machen.

»Gib mir ihn, Frau Schwester! ich weiß mit dergleichen umzugehen,« sagte Holofernes.

»Ei, wo sollst du das gelernt haben?« sprach Frau Habichs und lächelte, denn sie merkte, daß sie unbewußt eine Neckerei gesagt hatte.

»Man kann wissen, ohne gelernt zu haben. Gib den Jungen nur her!« Sie tat es; Holofernes richtete einen hellen, liebevollen, aber durchdringenden Blick in die Augen des Kleinen und sofort wurde der Junge still und sah den Onkel tief nachdenklich an.

»Und hast du noch immer nicht an eine Frau gedacht?« fragte Frau Habichs den Bruder, und da er es lächelnd verneinte, fuhr sie fort:

»Willst du denn wirklich nie heiraten? und warum denn nicht?« Holofernes nahm eine komisch ernsthafte Miene an. »Aus vielen und wichtigen Gründen, liebe Schwester,« erwiderte er, »hauptsächlich aber, weil ich noch kein Weib gefunden habe, das folgende drei Dinge begriffen hätte, nämlich:

  1. Daß ein nasser Fußboden im Zimmer unangenehm und ungesund sei.
  2. Daß in einer Arbeitsstube, in der Bücher und Schriften scheinbar wild durcheinander liegen, eine geheime, sehr wohl berechnete Ordnung herrschen könne, und daß eine ungeweihte Hand, die sich vorwitzig vermisst, alles darin recht hübsch zurecht zu legen, damit es, nach dem gemeinen Vorurteil, ordentlich aussehe, nichts anderes anrichten kann als die heilloseste Konfusion.
  3. Und hauptsächlich endlich, daß ein Mensch unmöglich zum zweiten Frühstück eine Sardellensemmel essen und ein Glas Rheinwein dazu trinken kann, ohne vom unüberwindlichsten Ekel erfaßt und geschüttelt zu werden, wenn er zufällig in einer Ecke der Stube auf einer Kommode einen Kamm oder gar eine alte abgenutzte Zahnbürste liegen sieht.«

»O du böser Mensch!« rief Frau Habichs, die doch ungefähr begriffen hatte, daß ihres Bruders Antwort eine Satire sei; der aber hatte sich wieder in das Anschauen des Kindes versenkt.

»Wahrhaftig ein hübscher Junge!« sprach er und küßte ihn, dann fügte er leise für sich hinzu: »Wer sollte dirs ansehn, daß du von einem Geldsack und einer Kaffeekanne abstammst? Welche höhere Hand hat dich hierher geworfen, wie eine Perle unter den Kehricht, du junger Paradiesvogel im Nest des Wiedehopfs?«

Dies sprechend fing er an, die Tabakwolken etwas leidenschaftlicher zu blasen, so daß sie sich dunkel verdichteten, dann wieder lichtblau, bald wie langgezogene Schleier, bald wie wallende Morgennebel sich leise verteilten und verzogen. Sie wölkten, ballten, jagten, zogen und bogen, streckten und reckten, zerrten und kräuselten sich, wogten und schwebten, stiegen und gaukelten – ein ewig phantastisches Wechselspiel von halbkenntlichen, flüchtig angedeuteten, rasch zerfließenden Formen und Gestalten, eine stille, wilde Jagd von lieblichen seltsamen kleinen Spukgesichten. Das Kind sah nach dem Tabakwolkenspiel mit größern und größern, erstauntern und erstauntern Augen. Dann belebte sich sein Gesichtlein, es lächelte die zerfließenden Nebelbilder an, es begann zu lallen, als ob es sich mit ihnen unterhielte.

»Und ein kluger Junge!« rief Holofernes ganz warm, »ein goldner, gescheiter Junge! Seht doch: er versteht den schönen Hexentanz und würde ihn euch gleich dramatisch erklären, wenn er sprechen könnte. So bleibt's bloß Gelall; aber ein tiefsinniges Gelall, das sage ich euch, denn ich versteh's gar wohl. Aus dem Jungen wird was, denn es kommen ihm Gedanken beim Anblick des Tabakdampfes, wie allen geistreichen Menschen. Deshalb haben wir ja in Deutschland so viel Philosophie und Tiefsinn, weil wir viel Tabakrauch haben, und das französische Gouvernement ist nicht recht klug und rennt selbst in sein Verderben, da es den Tabak immer noch so schwer besteuert. Denn wo viel Tabakrauch, da sind viel Gedanken; wo viel Gedanken, da sind keine Taten, folglich auch keine Revolutionen. Das sollte das französische Gouvernement zu Herzen nehmen. Aber jetzt lebt wohl! Morgen bin ich wieder hier und ich hoffe, ihr werdet mir die Ehre nicht verweigern, bei eurem Kind Pate zu stehen. Adieu, Junge!« – Er küßte ihn und gab ihn der Mutter; dann rauchte er wieder eifrig und immer eifriger, das Wolkenspiel wurde düsterer, schwerer, massenhafter. Herr Habichs hustete, Frau Habichs keuchte und mühte sich vergebens die Worte: »Bist du verrückt, Bruder?« hervorzubringen. Es wirbelte, schwindelte, dunkelte ihnen vor den Augen, der Rauch füllte die Stube und deckte selbst das Licht mit Nacht, das Ehepaar war einer Ohnmacht nahe. Da tönte es aus dem Kern der Finsternis: »Guten Morgen, auf Wiedersehen!« Sogleich teilte sich der Dampf leise, das Licht tauchte wieder hervor, die Wölkchen sonderten sich, verschwebten und verzettelten sich hier und dort, es wurde völlig klar und rein in der Stube; aber wer nicht mehr im Lehnstuhl saß, das war der Herr Holofernes; Tür und Fenster waren fest zu gewesen und geblieben, aber wer fort und verschwunden war, das war der Herr Holofernes.


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