Friedrich von Sallet
Kontraste und Paradoxen
Friedrich von Sallet

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Kapitel XX

Junius sah dem Tage seines Bureaueintritts mit ganz andrer Stimmung entgegen, als der Leser es sich einbildet. Das rasche Gelingen im Erlernen der edlen Rechenkunst, die an Spaß und Ernst so reiche Anwesenheit des Onkels, das Lesen der von diesem ihm gegebnen humoristischen Märchen, endlich der Abschluß eines ganzen Lebensabschnittes – alles kam zusammen, ihn zu erheitern und über sich selbst zu erheben. So oft er auch früher, wenn er seinem Vater einmal ein paar flüchtige Worte in den zwölfeckigen Turm zu bringen hatte, von dumpfem Grauen betäubt aus demselben zurückgekehrt war – das war jetzt plötzlich vergessen. Alles schien ihm leicht und überwindlich und frischen Mutes faßte er an seinem Geburtstage den festen Vorsatz, sich als ein tüchtiger Mensch in das neue Leben und Wirken zu finden. Denn im Übermut seiner Jugend hatte er noch nie erfahren, was es mit einem sogenannten guten Vorsatz für eine Bewandtnis hat: nämlich gar keine.

 

A. d. T. d. O. H.

Ein guter Vorsatz ist weiter nichts, als ein moralischer Fieberanfall (dem grade die schwächsten Naturen am häufigsten ausgesetzt sind), ein flüchtiges, unbewußtes Kokettieren mit Kraft und Tugend und führt zu gar nichts. Wie oft faßt ein Kind, das aus Lebhaftigkeit ungezogen ist, nach einer eindringlichen Ermahnung den guten Vorsatz, anders zu werden. Einen halben Tag lang hält dann die erzwungne Rolle aus, dann bricht das Naturell mit doppeltem Übermut wieder hervor. Man lasse es doch ruhig unartig sein! Nur die Zeit, d. h. das Leben, kann das ändern. – Ein Trunkenbold, der seine Frau geprügelt hat, faßt am andern Morgen den guten und festen Vorsatz, nie mehr zu trinken, allenfals gibt er auch sein Ehrenwort drauf; und an demselben Abend liegt er besoffen unterm Tisch. Der Dämon des Trunkes ist viel zu gewaltig, um einem bloßen guten Vorsatz zu weichen. Nur einem tieferschütternden Lebensereignis gelingt es vielleicht, ihn zu bannen, und auch das höchst selten und meist nur periodisch. – Der rasch fassende, geniale Kopf, der aber nie mit Beharrlichkeit etwas Positives gelernt hat, dem, was er weiß, nur so in den Schoß gefallen ist, wie Blütenflocken, faßt plötzlich den guten Vorsatz, ein solides, anhaltendes Studium zu beginnen. Einen halben Tag lang, und wenn er sehr starr und eigensinnig ist, einen ganzen, sitzt er brütend über Folianten. Da wird ihm schon klar, daß er Gefahr läuft, bei solchem Leben das einzubüßen, was er schon hat, und daß er sich damit zufrieden zu geben habe. – Der lächerlichste gute Vorsatz ist es aber, wenn einer sich entschließt, einen Stand und eine Lebenstätigkeit, die seiner innersten Natur ganz fremd und zuwider sind, mit Neigung und Beharrlichkeit zu ergreifen und durchzusetzen. Es ist dies ein rascher, rauschartiger Anflug, der bald verbraust, um dem bittersten Unmut und dem trägsten Verzagen Platz zu machen. – Zur einzelnen Tat kann sich der Mensch durch einen raschen, festen Entschluß stählen und tüchtig machen; aber nimmer durch einen guten Vorsatz zu einer langen regelmäßigen Reihenfolge von Selbstbekämpfungen und Anstrengungen, sich in einen Schnürleib zu zwängen, in den er nun einmal nicht paßt. Er lasse also dieses ganze, unersprießliche Heuchelspiel sein. Oder, wer hat's je erlebt, daß ein Mensch durch einen guten Vorsatz (wohlgemerkt: ohne Mitwirkung zwingender Umstände) dauernd ein andrer geworden wäre? Er wende sich portofrei an mich und ich will diese Stelle des Tagebuchs modifizieren.

Es kommt alles darauf an, von Haus aus keine Richtung einzuschlagen, die auf Holzwege und in die Pechhütte führt; denn wer einmal da hinein geraten ist, kommt in diesem Leben nicht mehr auf den rechten Weg. Darum seid wachsam!

So schritt also Junius am folgenden Morgen, an inch taller, in den Turm. Er sollte vorerst noch als Hilfsarbeiter neben seinem Vater im Mittelgebauer sitzen, um diesen immer gleich um Rat und Erklärung fragen zu können. Den ersten Eindruck überwand Junius noch; das innere Aufkochen und das halb glühende, halb zitternde Gefühl einer neuen Würde und Wichtigkeit, die er nun auf den Schultern zu tragen hatte, trieb die Betäubung der ungeheuren Leere und Langweiligkeit von seinem Haupte zurück, und als er sich auf den für ihn angefertigten Ledersessel schwang und sich darauf in die Höhe schraubte – da fühlte er einen ordentlichen, selbstgenügsamen Triumph und war in dem Augenblick nicht besser, als ein eitler Geck. Aber er ist zu entschuldigen; denn wie oft geschieht es auch ernsten und reifen Männern, daß sie sich auf Dinge was Rechts einbilden, obgleich sie sonst Vernunft und Urteil genug haben, dieselben verächtlich und läppisch zu finden. Hängt dem witzigsten Kopfe, der von den beißendsten Witzworten über die heut gebräuchliche Verteilung von Ehrenzeichen sprudelt, selbst einen Orden ins Knopfloch, und zwar den allergemeinsten und nichtssagendsten, und, wenn es euch Spaß macht, einen ausgemachten, eingebildeten Narren zu sehn, so lauert ihm auf, wie er zum erstenmal mit der neuen Zierde über die Straße mehr tänzelt, als geht. Wenn ihr ihm dann begegnet, wird er euch genau ebenso süßlich und es verbergen wollend anlächeln, wie ein albernes, zwischen Prüderie und Leichtfertigkeit schwankendes Mädchen, das ernst bleiben möchte, und es nicht fertig bringt (Unterzeichnet Holofernes). Junius stürzte sich nun mit einem ungeheuren Anlauf auf die Arbeit los. Eine Viertelstunde lang hielt sein Eifer mit der Windsbraut gleichen Schritt; dann aber fiel er aus dem Fanfare in den Galopp, dann in Trab, dann in Schritt, der Schritt ward fauler und fauler, zuletzt blieb die Mähre stehn, ohne daß der Reiter am Zügel geruckt hätte. Aber das entmutigte Junius noch nicht. »Du hast nun eine gehörige Zeit gearbeitet (dachte er), fürs erstemal ist es gewiß viel; künftig wird's noch besser gehn. Jetzt kannst du mit gutem Gewissen einen Augenblick verschnaufen.« – Dies denkend richtete er das Haupt empor und blickte rings auf die Mitarbeiter, die noch lange nicht ans Verschnaufen dachten. Aber Himmel, wie ward ihm da; aller Ernst war weggeblasen und der Kobold des Übermutes tollte in seinem Hirnkasten herum. Die dicht an seiner Wange vorbeistreichende, im Arbeitseifer auf und ab nickende, beträchtliche Nase seines Vaters erinnerte ihn lebhaft an ein Märchen von einer Prinzessin mit der langen Nase, das er in diesen Tagen gelesen hatte. Wenn die jetzt wüchse (dachte er), sich durch alle Drahtgitter durchbohrte und allen zwölf Schreibern hintereinander langsam und regenwurmähnlich übers Buch wegkröche! Dann dachte er an den Teufel Fanfarello aus Gozzis Märchen von den drei Pomeranzen, der mit einem Blasebalg die Leute vor sich herjagt, damit sie in einem Tage tausend Meilen machen, und was diese zwölf ewig seßhaften, hinternangewurzelten Halbmenschen für heillose Gesichter machen müßten, wenn besagter Teufel plötzlich mit Sturmeseile, in unfreiwillig gewaltsamem Rennen, über die Heide hin zerstiebte.

Das Bild wurde so lebhaft, der Kontrast der ruhig rechnenden, stabilen, ewig ungestörten Gesichter mit den entsetzten, atemlosen, vom Winde gepeitschten, wurde in seiner Einbildungskraft so plastisch, daß ein wütendes Lachen in ihm emporstieg. Er besann sich aber noch zur rechten Zeit, preßte sein Schnupftuch gewaltsam vor das aufschwellende, sich rötende Gesicht und erstickte so im Kampf den Lachteufel, der sich jedoch nicht lautlos töten ließ, sondern im Todeskrampfe ein kurzes, verzweiflungsvolles Mittelding von Krähen und Wiehern ausstieß.

Die Schreiber sahen sich plötzlich um, der Vater blickte ihn streng befremdet an. Aber Junius nahm sich zusammen und schnell ein ernsthaftes Geschäftsgesicht an. Der unnatürliche Laut wurde für ein, aus übertrieben schüchterner Pietät vor den heiligen Hallen des Bureaus, halb unterdrücktes Niesen hingenommen und alles war wieder in Ordnung. Der Vater schob Junius eine Arbeit nach der andern zu; aber diesem wurde es in dem Turme, trotz aller guten Vorsätze, nach und nach immer lederner und unleidlicher, zuletzt aber so quälend, drückend und bewältigend, daß es an körperlichen Schmerz grenzte. Nach seiner Berechnung mußten die Bureaustunden längst vorüber sein; er lauerte schon von Sekunde zu Sekunde auf den Schlag der Stadtuhren und glaubte zuletzt, sie gingen heute alle falsch. Da zog Herr Habichs einmal seine Uhr hervor, Junius warf einen raschen Seitenblick darauf, und o Jammer! noch eine ganze Stunde fehlte an der Zeit. Diese brachte er in dumpfer Betäubung hin, nur mechanisch die Feder bewegend; auch machte er dabei einige nicht unbedeutende Konfusionen, für die er später vom Vater einige bedeutende Grobheiten anhören mußte. Als die Stunde (die wegen zu großer Langeweile rasch verstrichen war) wirklich schlug, wollte er sich noch gar nicht stören lassen, denn: »er glaubte keine Siege mehr«. Nur da er alle aufstehn und gehen sah, schlich er ihnen zögernd und wie zerschlagen nach.

Malwina trat ihm zu Haus entgegen und, indem sie ihm das Haar aus der Stirn strich und ihn liebevoll fragend, doch fest, ansah, sprach sie besorgt und wie mitleidig: »Nun, Junius, wie geht's?« Er nahm rasch eine schlecht nachgeahmte Heiterkeit an und erwiderte mit einem halben Seufzer: »O, recht gut, ganz gut!« Denn er wollte sich immer noch weismachen, bloß der Anfang falle schwer und es werde alles noch gut gehn. Malwina aber küßte ihn und wandte sich mit einer stillgeweinten Träne von ihm ab, denn sie verstand das verstörte Antlitz ihres Bruders und fühlte die ganze Last einer peinigenden, trostlosen Zukunft für ihn. –

Der Leser sieht schon jetzt den ganzen Fortgang ein, ohne daß ich ihn weitläuftig entwickle. Die Selbsttäuschung des Junius war bald zerstört, der Turm ward ihm mehr und mehr zur Folterkammer und bald war er so weit, sich mit vollstem Bewußtsein unaussprechlich unglücklich zu fühlen. Dies hatte zur Folge, daß er gegen seine Schwester anfing stolz und verschlossen zu werden, denn er wollte seinen ungeheuren Irrtum, als er versprach, seiner Bestimmung gewachsen zu sein, nicht eingestehn. Aber Liebe ist ein treuer Pudel; je mehr du ihn mit Füßen von dir stoßest, je schmeichelnder und beharrlicher kehrt er wieder, dich zu liebkosen; und Malwina liebte ihren Bruder. Sie durchschaute ihn ganz, und ließ nicht ab, bis er sich ihr ganz gegeben hatte.

In einem weichen Augenblicke ließ er sich unter Streicheln und Tränen das Geheimnis seines Unglücks ablocken, und nun, da die Sache einmal im Zuge war, wurde sein ganzes Leben eine abwechselnde Verkettung von Bureaustunden und Jeremiaden. Wie alle schwachen und zu weichen Charaktere verwandte er das Teilchen Zeit, das noch sein war, dazu, sich über den für ihn verlornen Teil in nie endende und sich ewig wiederholende Lamentationen zu ergießen; und so hatte er gar nichts mehr für sich. Hätte er, mit Heldenfaust, die Viertelstunde beim Schopf zu fassen gewußt, dann hätten alle Bureaustunden der Welt nicht vermocht, das bessere Leben, Denken und Schaffen in ihm zu ersticken. Malwina, die erst in zu weicher, mitleidiger Liebe wie zerflossen war, begriff dies bald und raffte sich zusammen. Sie wußte sehr wohl (woher? aus Lebenserfahrung gewiß nicht, aber sie wußte es), daß leichter, mutwilliger Scherz die schwärzesten Wolken des Gemüts verjagen kann, und daß, wenn der Himmel nur erst hell ist, gar bald ein heitres, saftvolles, kräftiges Sprossen, Blühen und Reifen auflebt. Deshalb tat sie sich Gewalt an und war heiter, ja übermütig gegen den Bruder. Aber nur ein flüchtiges Aufflackern konnte sie in ihm anregen und bald sank er wieder zurück in Dumpfheit und Lebensüberdruß.

Malwina für sich selbst litt nicht weniger als Junius, denn sie war nun in langen Stunden nur der rohen, kränkenden Gegenwart ihrer Mutter ausgesetzt, ohne von einem hellen Liebesblick des Bruders erquickt zu werden. Dazu das bittre Gefühl, das, was sie lieben und ehren sollte, nicht lieben und verehren zu können! (denn in der Brust des reinen Weibes sitzt das Gefühl der Pflicht auf dem Throne). Aber alles das trug und verschmerzte sie still für sich und verwandte das Wenige, was ihr an Heiterkeit blieb, aufopfernd zur Erleichterung ihres Bruders. Dazu kam noch die unaussprechliche Nichtigkeit und Sinnlosigkeit der ihr zugemuteten Beschäftigungen. Da sollte sie nun, Zahl für Zahl, auf einem steifen, fratzenhaften Muster die Stiche nachzählen und mit ängstlicher Genauigkeit dieselben einem quadratisch gestreiften Stück Zeug wieder aufnähen; und war nichts dabei verzählt, so war es schön, mochten auch Gesichter, aus den unaussprechlichsten Dreckfarben zusammengekleckst, darauf prangen. Pfui, pfui! Eine nichtswürdige, wahrhaft schändliche Beschäftigung, von irgend einem Weiberhasser recht ausdrücklich ersonnen, alles Bessere und Echte, alles Denken und Empfinden zu verstumpfen und zu begraben. (Unterzeichnet Holofernes.) Aber davon wußte sich Malwina frei zu machen. Sie warf die Muster weg und begann für sich, nach eigner Empfindung, zu sticken. Und siehe! es gelang. Jetzt hatte sie einen Ausdruck für ihre süßesten Erinnerungen gefunden. Sie stickte bald reich erfundne, lieblich verschlungne Arabesken von Laub, Blumen und Vögeln, bald kecke Felsgruppen mit Wasserstürzen, bald die holde Dämmernacht des Haines und in der Mitte, auf weiches Moos geschmiegt, einen blondlockigen, frischen Knaben, wie ihr Bruder war, da er den ersten Blick durch das Guckglas des Onkels Holofernes tat. Frau Habichs wollte dergleichen »Hallotria« (wie sie's nannte) anfangs nicht dulden, hauptsächlich deshalb, weil sie's selbst nicht machen konnte; als sie aber sah, daß die Sache sich gut ausnahm, erlaubte sie es ihrer Tochter, um, nach ihrer alten Gewohnheit, vor andern mit der Geschicklichkeit des Kindes zu prunken.

Mit Junius kam es unterdes so weit, daß seine einzige Wonne, sein einziger Genuß der Schlaf war. Den ganzen Tag hindurch sehnte er sich von Minute zu Minute auf den Augenblick, wo sich sein Geist, gemartert und angeekelt von den ewig einförmigen Eindrücken des Lebens, entfesselt ins Nichts des Vergessens tauchen könne, und sein Erwachen war ein Zusammenfahren und Erschrecken: daß er nun wieder zurückkehren müsse zum Bewußtsein des unerträglichen Seins. Da geschah es, daß ihn des Nachts verschwommene Träume überschlichen von süßem Herumirren unter nickenden Blütenzweigen, vom Kuß der Morgenröte und fernem, abgebrochnen Herüberklingen süßer Sangeslaute. Aber ehe der Traum Gestalt gewann, war er verwischt und beim Erwachen vergessen. Nur ein Gefühl des Wohlseins, wie linder Balsam über alle Glieder ausgeströmt, und ein geheimes, leises Nachklingen im Innern blieb zurück und half die Last des Tages tragen. Aber von Nacht zu Nacht ward der Traum deutlicher, die Formen lichter und dauernder, das Singen näher und zusammenhängender, und die Erinnerung vermochte alles, beim halben Erwachen, einen Augenblick festzuhalten. Dann entschlüpfte es dem Denken und verschwand, wie eine entgaukelnde Libelle am jenseitigen Ufer des Baches.

Und wieder ward das Träumen deutlicher und Junius wandelte, in hellbewußtem, seligem Schwelgen, in einem Lande des Leuchtens und Blühens, umsungen und umrauscht von tiefen, wonnigen Liedern. Er sah sich in seine Kindheit zurückversetzt, als er in der Wildnis sich vollsog an Licht und Ton. Aber um ihn waltete ein tieferes Geheimnis, als damals. Die Lieder klangen wie ahnungsvolle, noch unerfüllte Prophezeiungen, die Blütenaugen winkten ihm, wie unerforschte Rätsel. Es war so schön, als habe er alles, und doch krankte er an unaussprechlichem Sehnen, als fehle ihm alles.

Und in einer andern Nacht, als er im Traum wieder sein Zauberreich durchstreifte, sieh! da schwebte um die fernsten Stämme, unter rötlich angeschimmerten Blütenzweigen, eine hohe wonnige Frauengestalt; ein leuchtender Blick traf ihn von fern aus holderstaunten Augen und verschwunden war sie im Dickicht und Junius erwacht.

Aber sein Herz war voll und wachend träumte er weiter. Die Wände des zwölfeckigen Turms sah er heut nicht; sie waren wie übergrünt und überrankt, im Ohre summten ihm süße Klänge und immer und überall fühlte er sich, ins Herz des Herzens, getroffen von einem holden Blicke. Aber statt im Bureau Arbeiten abzufertigen, hatte er heimlich ein Blättchen Papier aufs Buch gelegt und schrieb darauf:

Es hat der Tag sich matt gemüht;
Die stille Blume: Nacht erblüht;
Hin stirbt des Ruders träger Takt,
Schlaff sinkt die Hand, die es gepackt.

Nun, Seele, dich nicht länger härm'!
Vergiß der Reede Schrein und Lärm,
Und strecke weich dich in den Kahn,
Und überlaß' ihn seiner Bahn!

Er wiegt sich auf den Wellen weit,
Willkommen sel'ge Dunkelheit!
Die Haupt und Brust mir kühl umwebt,
Drin alles Leben sich begräbt.

Leis durch die Nacht der Nachen zieht,
Ich weiß es nicht, wie weit er flieht.
Weh mir! hart stößt es auf einmal –
Weckt mich der Meister schon zur Qual? –

O nein! O schau das süße Licht,
Das zitternd mir die Stirn umflicht!
Wie winkt vom grünen Inselland
Mir aus den Zweigen Hand um Hand!

O Labyrinth von Lied und Blüt',
Das mich umsprüht, umrankt, umglüht!
Blickt denn kein lieber Stern daher,
Mich leitend aus dem Wundermeer? –

Woher, du süßes Angesicht,
Du Augenstrahl, wie Weltenlicht?
Aus Blüte, Stern und Edelstein
Sogst du in dich, was hell und rein.

Ich fühl' es mir ins Herze gehn,
Wie lebendes Erschaffungswehn;
In meines Busens wilder Nacht,
Da regt es sich, wie Weltenpracht.

Wohin dein süßes Lächeln traf,
Da zucket Leben durch den Schlaf;
Schon reiht sich selig Stern an Stern;
Horch! wie es tönt so wunderfern.

Und immer heller wird der Drang,
Und immer voller wird der Klang,
Es kreist und wandelt ab und auf
Im wonnigsten Gedankenlauf.

Wer bist du, also groß und mild,
Daß solch ein Leben dir entquillt?
Du gössest aus des Auges Glanz
Ins Herz mir einen Himmel ganz.

Du wendest dich? – Es dröhnt und klirrt;
Und Stern um Stern zerstiebt, verschwirrt.
Im Herzen ist es wieder Nacht
Und harret bang, ob's noch erwacht.

Am Abend suchte Junius seine Schwester auf, denn er wußte sein Glück nicht allein zu tragen. Schweigend zeigte er ihr sein Gedicht, denn es schien ihm schon Entweihung und unzarte Dreistigkeit, es selbst vorzulesen. Aber er rechnete drauf, seine Schwester würde weiter in ihn dringen. So senden wir oft, vor der Mitteilung eines süßen Geheimnisses, die wir bangend wünschen, schüchtern eine Avantgarde voraus, die erkunden muß, ob das Terrain rein und zur Aufnahme des Hauptkorps bereit sei.

Malwina verstand den Wink und das Gedicht. Als sie es las, überflog ein schönes Erröten ihre Wange, ein süßes Staunen lächelte um ihren Mund. »Woher hast du das, Junius?« sprach sie, seine Hand ergreifend und ihn, Zutraun fordernd, anblickend. Da strömte Junius die Erzählung seines Traums mit leuchtendem Blick und glühenden Wangen hin. Malwina hörte erst mit inniger Freude zu über die Freude des Bruders, und daß er endlich in seinem verödeten Leben eine frische Oase der Erquickung gefunden habe. Aber nach und nach zog sich eine leise, kummervolle Besorgnis bewölkend über ihre helle Stirn, die ein halbschmerzliches Lächeln der Lippen vergebens wegzuleugnen suchte. Junius bemerkte es und fragte besorgt: »Was ist dir?« Da faßte sie sich rasch und sprach heiter und wie erstaunt: »Mir? Warum?« – »Du hast etwas, Malwina! (sprach Junius) Sag' es nur!« – »Nein doch! (sprach sie jetzt) Was willst du auch? Ich sinne über dein Glück und freue mich.« – Dabei küßte sie ihn scherzhaft und neckend und er ließ sich (wie in ähnlichen Fällen immer der Mann vom Weibe) täuschen und erzählte weiter.

Dem Leser aber brauche ich wohl nicht erst zu sagen, daß ein ahnender Schmerz über sie gekommen war, sie werde von nun an nicht mehr des Bruders ganze und einzige Liebe haben, daß sie aber, gleich gefaßt und entsagend, dachte: »Nun, wenn er dich nicht mehr ganz und einzig liebt – was tut's? du kannst ihn immer ganz und einzig fortlieben, er wehrt dir's ja nicht.«

Dies brauche ich, wie gesagt, dem Leser nicht erst mitzuteilen; denn der Leser ist ein intelligenter Mensch, und auf sein Selbstdenken und Hieroglyphenentziffern kann ich mich überall verlassen. Aber über die törichten Kinder, die einen bloßen Traum, ohne es zu merken, ganz ernst als Wirklichkeit und Lebenssache behandeln, wird sich der Leser gewiß wundern: und ich wundre mich auch über sie. Und des Junius Traum kehrte wieder. Er wandelte in Blütenhainen und durch all das Gewirr von seliger Musik hindurch hörte er, erst fern, dann näher und näher, einen wundersam bekannten Sang. Er drang weiter; da sah er, an einem lebendigen Springquell, dessen blitzende Tropfen mit träumerischem Gesäusel ins helle Becken zurückfielen und im tiefen Blau der stillen Flut verschwanden, auf Blumenrasen wonnig hingeschmiegt, das hohe Frauenbild, das ihm einmal nur von fern erschienen war. Aber auf einem Blütenzweige über ihrem Haupte wiegte sich ein goldner Vogel und sang, so daß Musik, wie ein goldner Schauer, auf sie hinab, ihr über Stirn und Brust rieselte.

Aber wie erglühte Junius und schrak wonnig zusammen, als er Ton um Ton, Gedanken um Gedanken, im Liede des Vogels sein eignes Lied von gestern wieder erkannte, nur lebendig gemacht durch reineren, innigeren Wohllaut. Und die Fee lauschte in süßem Sinnen dem Liede, mit klaren träumerischen Augen dem Spiele des Springquells zuschauend; die aufgelösten, goldlichten Flechten stahlen sich mutwillig und weich liebkosend, in Locken und Löckchen, über Schultern und Brust und unbewußt spielte die linke Hand mit dem äußersten Ende derselben; auf die rechte war das schöne Haupt gelehnt.

Junius stand wie angezaubert. Heiß drängte es ihn, sich zu nahen, und doch trieb ein ehrfurchtsvolles Verzagen ihn zurück. Endlich, trunken von den Klängen seines eignen Liedes und von dem seligen Lächeln, mit dem die Fee ihnen lauschte, wagte er es, sich leise, leise näher zu schleichen, Blütenzweige schlugen ihm, Duft und Tau versprühend, neckend ins Gesicht, und je leiser er sich durchwinden wollte, je lauter rauschte jeder berührte Blütenbaum bis zum Wipfel hinauf. Da erwachte die Fee mit eins aus süßem Selbstvergessen; ihre Blicke trafen Junius, sie erschrak, erglühte und wollte aus der lieblichen Hinschmiegung sich zusammenraffen und die üppige Lockenfülle schlichtend verbergen; aber in reizender Verwirrung machte sie es nur ärger und ärger, bis sie lächelnd ihr vergebliches Mühen aufgab. Welch Empfinden für Junius! Die, der er voll heiliger Scheu kaum gewagt hätte den Saum des Gewandes zu küssen, bebte vor ihm, wie ein furchtsames Kind. Bald aber hatte sie sich gefaßt und sprach, in muntrer, unbefangner Heiterkeit: »Bist du es, Junius? Sei willkommen!« Dabei winkte sie ihn neben sich. Ehe er recht wußte, wie ihm geschah, saß er, halb hingeschmiegt, an ihrer Seite. »Du weißt schöne Lieder zu dichten (flüsterte sie und nahm seine Hand). Eben hörte ich zu. Gelt, morgen bekomme ich wieder eins zu hören?« –Aber Junius war immer noch sprachlos. Da faßte sie ihn, ohne weitres, mit beiden, weichen Händen beim Haupte und, indem sie lachend sprach: »Ei du Träumer! ist denn nichts aus dir herauszubringen?« nahte sie sich ihm und küßte ihm Stirn, Auge und Mund, indes die Wellen ihres Haares streichelnd über seinem Haupte zusammenschlugen. Aber das war wahrhaftig nicht die Art, ihn gesprächig zu machen. In ihm wogte ein gewaltig klingendes Meer von stürmischer Lust. Fest und warm umschlang sein Arm den Leib der Fee, Schläfe an Schläfe gedrückt, schmiegte er sich an sie und zog sie, in leisem Nicken, vor und rückwärts zum Takte des singenden Vogels und des säuselnden Springquells. Endlich sank er, weich an sie gelehnt, mit ihr zurück an die Blumenlehne, schloß die Augen, und, wie Veilchenduft, kam süß betäubender Schlaf über ihn. Und im Traum flog er fern über goldne Wolkensäume, von Morgenröte zu Morgenröte, um, unter und über ihm tanzende Welten. Da fühlte er plötzlich einen brennenden Biß in der Fußsohle und siehe! an ihm hing festgebissen ein schwarzes, klumpiges, unförmliches Ungetüm, das mit plumper Wucht ihn herabzog aus dem Äther. Anfangs kämpfte er, es loszuschütteln, oder mit ihm aufzuschweben: aber der Schmerz raubte ihm die Kraft, sein Sturz wurde schwindelnder und rascher, bis er pfeilschnell durch die pfeifende Luft dahinfuhr. Mit hartem Krach stürzte er auf den zwölfeckigen Turm seines Vaters, und siehe da! – er war erwacht und lag in seinem Bette, um ihn sein Vater mit etwas weniger gleichgültigem Gesicht, als gewöhnlich, seine Mutter, lamentierend und händeringend, dahinter die Magd, ihre Frau grotesk kopierend, seine Schwester, still in Tränen gebadet, und endlich der dicke Doktor, an den sich der Leser erinnert, in der Hand einen hölzernen Stiel, an dem sich unten ein am Ende glühend gemachtes Eisen befand.

»Sehen Sie? (rief der Doktor). Er kommt zu sich; das Brennen hat den Starrkrampf vertrieben. Ein höchst interessanter Fall, in der Tat!«

Jetzt wandten sich aller Blicke freudig auf Junius. Herr Habichs nur sah mürrisch, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß Junius wirklich aufgelebt sei, ging er fort, um nicht die ganze Bureauzeit zu versäumen, sagend: »Wenn was vorfällt, laßt mich rufen.« Dabei brummte er noch für sich: »Nichts als Ungelegenheit und Versäumnis hat man mit dem Bengel!« – Frau Habichs aber stürzte auf Junius los und drohte ihn mit fast grimmigen Küssen aufs neue zu ersticken, während Malwina, still bescheiden, sich ans Bett setzte und nur, unter Freudentränen, seine Hand, die sie ergriffen hielt, oftmals küßte. Der Doktor aber verkleisterte und verband die Fußwunde, die er ihm eben gebrannt hatte. Mit Erstaunen erfuhr Junius nun erst, daß er von des Morgens bis gegen Mittag scheintot dagelegen habe und durch nichts zu sich gebracht werden konnte, bis der Doktor auf das eben so angenehme, als wirksame Mittel kam, ihm mit glühendem Eisen ein wenig auf der Fußsohle herumzukitzeln.

Aber jetzt hub der Doktor an, eine lange und gelehrte Rede zu halten, wie noch lange nicht alles vorbei sei, und wie man mit der höchsten Vorsicht zu verfahren habe, um üble und dauernde Folgen zu verhüten; denn ... Was auf dieses »denn« folgte, war aber Rotwelsch, mit wenig deutschen Worten vermengt, weshalb es füglich hier wegbleibt. Nach dieser Rede setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb ein gewaltig langes Rezept, gab dann noch einige allgemeine Verhaltungsmaßregeln, namentlich, daß Junius fürs erste im Bett bleiben müsse, und empfahl sich. Auf der Treppe sagte er noch einmal: »Ein höchst interessanter Fall! in der Tat, höchst interessant.«

Junius hatte jetzt Zeit und Muße genug, darüber nachzusinnen, wie er sich im Traum bei der Fee benommen hatte, nämlich: wie ein Einfaltspinsel. Er schämte und ärgerte sich so, daß er selbst seiner Schwester, die liebevoll den ganzen Tag um ihn war, nichts anvertrauen mochte. Im Geist aber arbeitete er tausend Dinge aus, die er, wenn er die Fee wiedersehen würde, sagen und fragen wolle. Da schwirrte und wirrte es in seinem Hirn, ein Labyrinth von Gedanken, schmeichlerisch kosenden Wendungen und Worten der Innigkeit und des Entzückens, so daß er meinte, er müsse für ein Jahrhundert lang genug zu sprechen haben. Und doch hatte er das vorige Mal nicht eine einzige, arme Silbe hervorgebracht. – Eine unangenehme Störung und ein ironischer Kontrast gegen diese schöpferische Trunkenheit war für ihn das regelmäßig wiederkehrende, ekelhafte Medizineinnehmen, gegen das er sich vergebens sträubte, und die geräuschvolle und ungeschickte Besorglichkeit seiner Mutter.

Endlich kam der Abend. Noch nicht lange war er entschlafen, als er sich leise und süß angehaucht fühlte. Noch ehe er die Augen auftat, erschrak er über das helle Licht, das durch seine Augenlider zuckte. Er öffnete sie und lag am Springquell, über ihn hingebeugt das lächelnde Antlitz der Fee. »Ei! du mußt mir auch nicht immer tändeln und träumen! (sprach sie, mit liebreichem Vorwurf). Sieh! ein Skorpion hat dir darüber den Fuß verwundet Aber wasch' ihn nur im Quell!« – Sie bot, sich aufrichtend, dem Junius die Hand. Er folgte ihr zum silberhellen Quellbecken und kaum hatte er mit der Sohle leicht die frische Oberfläche der Flut berührt – da schwand der Schmerz und sein Fuß war heil. »Nun komm und folge mir!« sprach sie und zog ihn an der Hand mit fort Da sah er die wandelnde Göttergestalt mit bewundernder Ehrfurcht an und sprach: »O sage, wer bist du, die du mich Armen so entzückst und tröstest über die traurige Leere meiner Tage?« – »Ich heiße Tausendblüt (sagte sie); doch falle nicht wieder ins Tändeln! Denk' an den Skorpion und folge mir frisch!« Und sie gingen durch den Hain und traten in eine Höhle. Das Licht des Tages verglimmte, aber aus den Wänden, aus weitklaffenden Schluchten und unter ihren Füßen aus tiefsten Gründen hinauf, flimmerten, sanftes Licht ausgießend, Metalladern in riesiger Verzweigung, wie ungeheure Weihnachtsbäume, und wie reife Beeren blitzten Edelsteine an ihren Ästen. Und das geschäftige Zwerggeschlecht der Kobolde tummelte sich um die Stämme und pflückte die Edelsteine und ward nicht müde. So gingen sie lange hin, da endete der Gang und sie standen draußen in der Nacht auf schroffem, schwindelnden Abhang. Im matten Lichte, das von Mond und Sternen durch wild zerrissenes, schwarzes Nachtgewölk niederbebte, bäumten sich dunkle Steinmassen empor, ein zerklüftetes Riesenmauerwerk. Da flog der goldne Vogel von Tausendblüts Schultern, wo er sich während des ganzen Weges träumend gewiegt hatte, empor, flatterte gegen die Nachtwolken an und sang hell in die dunkle Nacht sein schmetterndes Erweckungslied. Und siehe! im Osten rötete sich der Himmel, die Sonne stieg, lichtdonnernd, empor, die Wolken flohen, eine dunkle Riesenschar, von ihren goldnen Pfeilen verjagt, und leises Murmeln des Erwachens rollte überall umher, bis es wuchs zum Getöse des kräftigen Lebens.

Und drüben auf schwarzer Klippe kämpfte eine hochragende, eisenumschiente Rittergestalt, mit schleudernder Gewandtheit und malmender Kraft, wild ringend gegen einen blauschuppigen, ungestalten Linddrachen. Das Haupt, vom sausenden Schwerthieb getrennt, flog herab, der unförmliche Leichnam wälzte sich donnernd und jäh abstürzend nach, und unten warf der Sieger klirrend das Rüstzeug ab, bis er nackt aus ihm hervorging, wie Tag aus Nacht, und er badete den blendenden Heldenleib im gährenden Blute des Drachen. Jetzt lagerte sich, daher schwebend, goldnes Gewölk um die Klippe, darauf Junius mit Tausendblüt stand. Sie trat mit dem Furchtsamen keck an den Rand und betrat die Wolke. Er folgte schwankend. Da faßte sie mit weichem Arme fest seinen Leib, er umschlang den ihren, und die Goldwolke trug, langsam ziehend, die Umschlungnen fort; vor ihnen flog schmetternd der goldne Vogel. Und überall ward hinter ihnen Nacht, vor ihnen Morgenröte und Tag, und unten bewegte und tummelte sich's von Helden-, Liebes- und Zauberleben. Hier stand ein gläserner Sarg, in ihm ruhte ein schönes, blasses Kind, und langnäsiges Zwerggezücht kauerte umher und jammerte. – Ein königlicher Strom zog in hellgrünen Wogen zwischen rebengeschmückten Bergen, Waldabhängen und schwarzen Felsabstürzen hindurch. Und wo das Tal sich weitete, prangten Städte mit ehrwürdigen Münstern und auf den Höhen ragten Burgen in kühnem Bau ins Blau des Himmels. Vom Söller schaute ein holdes Frauenbild und errötete; denn unten ging der erzumschiente Drachentöter vorüber, daß die Feste von seinem Tritt erdröhnte. Auf der weißen Stirn der Maid aber lauerte, durch alle Lieblichkeit hindurch, ein grimmes Dräuen. So jagten sich tausend und tausend Bilder. Sie schwebten über die Länder hinweg zum Meere. Auf den Wellen des Meeres saß, wie der Großtürk auf schwellenden Polstern, ein kleiner, nackter Junge mit blühendem Antlitz und blonden Locken, auf die ein scharlachrotes Spitzmützchen schief gedrückt war. Der hatte eine goldne Harfe und spielte und sang wundersame Lieder vom Frieden der Tiefe, und rings tauchten, bald hier, bald dort, silberlockige Wellengesichter empor, horchten und zerflossen wieder. Tief unten in goldnen Gründen aber schimmerten versunkne Städte und dumpf dröhnender Glockenklang wand sich von ihren Türmen empor, bis er oben das Wasser in stillen Kreisen bewegte und leis auf der Fläche verscholl. – Und drüben auf schwarzer Felswand des riesig aufragenden, wild zerklüfteten Hochgebirgs lag ein gefesselter Titane und ein Geier fraß ihm an der Leber. Aber er knirschte nicht, er stöhnte nicht, die erhabne Stirn nur trotzte in finstrem Ernste. Er hatte göttliches Licht von den Sternen geraubt und den Menschen eingeblasen. Deshalb zürnte ihm der hohe Gott, der, ebenso heiter als unbarmherzig, auf hohem Throne saß, und hatte ihn in ewige Fesseln geschlagen. Aber das göttliche Licht flammte und wehte fort durch das Erdengeschlecht und blickte aus tausend und tausend leuchtenden Menschenaugen hinauf zum Olymp, das düstre, irre Lichtzucken seiner Gewaltblitze durch reineren Glanz beschämend. Der Gott schüttelte, leis unwillig, die Locken, und der Himmel bebte und donnerte, aber das göttliche Licht im Menschen konnte er nicht zum Verflackern und Verlöschen zwingen. – Dort aber, aus würzigen Hainen, schoß eine Felssäule zum Himmel empor und oben saß in flammendem Neste, das weithin duftete, ein ergrauter Wundervogel und ließ sich still vom Feuer aufzehren. Und aus der Asche rang sich erneuertes jugendliches Leben, und in frischer Schwingenpracht stürmte der neu erstandene Phönix den Sternen zu. – Endlich lag unten, unabsehbar ausgedehnt, trocknes, brennendes, gelbrotes Wüstenland, daraus hoben sich breite Riesenbauten empor, nach oben in abenteuerlicher Spitze auslaufend. Ein ungeheures Steinbild saß da, hoch über einzeln zerstreute Palmen emporragend und stemmte die erstarrten Hände auf die Knie. Und als der goldne Vogel den Morgen emporsang und ein zitternder Schimmer der Morgenröte die kalte Stirn des Steinbildes traf, da tönte es aus der Brust der starren Gestalt fern und dumpf hervor, wie ein Akkord eines dunkel gefühlten, halbträumenden Hymnus. Aber das Bild war nicht lebendig. – Unten aber sank ein Wald von Zelten nieder, und kleine, braune, feurige Männer wickelten die Zelte zusammen, schwangen sich auf schlanke Rosse und jagten, ihre Behausungen auf dem Sattelknopf mit forttragend, von dannen mit Windeseile. –

Tausendblüt senkte sich mit Junius herab und sie traten in die Dunkelheit einer ragenden Pyramide. Jahrtausend alte Gesichter grinsten, reihenweis und steif aufgestellt, braun und verzerrt aus der unheimlichen Dämmerung. Endlich ward es Nacht, der Vogel schwieg und stumm gingen sie weiter. Mattes Licht dämmerte wirr vor ihnen auf, dann leuchtete es mild durch grünes Gelaub, sie traten, die Zweige wegbiegend, aus einer Höhlenöffnung hervor und standen in Tausendblüts seligem Zauberhaine.

Tausendblüt setzte sich mit Junius wieder an den Springquell, zog eine goldne Harfe unter Blumen hervor, reichte sie ihm dar und sprach: »Nun sing' auch etwas zum Dank!« Junius griff schnell eins aus den geschauten Bildern heraus und sang:

Es sitzt auf dunkler Klippe
Die lichte, gewaltige Fei;
Sang strömt von süßer Lippe
Der süßen Lorelei.
Wohl alle können's hören,
Doch viele fassen's nicht.
»Laß, Knabe, dich nicht betören!«
Die graue Klugheit spricht.
Dort unten auf den Wellen,
Arbeitend, rudern viel':
Daß sie nur nicht zerschellen,
Das ist ihr höchstes Ziel.
Sie schließen den Sangeswonnen
Verstockt die störrige Brust,
Und meinen viel gewonnen,
Entrannen sie der Lust.
Das Lied von süßem Tone
Vernehmen sie nimmermehr;
Ihr Los ist ewige Frone
Und Ruderarbeit schwer.
Wem aber warmes Leben
Und Mut im Busen wallt,
Der hat sich ganz ergeben
Der hohen Sangesgewalt.
Der läßt das Ruder fallen,
Und achtet's nicht für Not,
Wenn von des Wirbels Wallen
Verschlungen wird sein Boot.
Nun ruht er, weich umkoset,
Tief unten in süßem Traum;
Des Lebens Müh' vertoset
Im stillen Kristallenraum.
Und in die Träume mengt sich
Das Lied der Lorelei,
Und Märchenwonne drängt sich
In süßem Gewirr herbei.
Wohl mir, daß mich mit Schäumen
Der heilige Strom verschlang,
Ich liege schon lang in Träumen
Und horche dem Wundergesang.


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