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XV

Der Prinz Eugen will Cremona überrumpeln. Er bringt auf verschiedenen Wegen eine Anzahl Soldaten in die Stadt, die ein vermauertes, unbewachtes Tor öffnen sollen. Die eingedrungenen Truppen werden bei Tagesgrauen von d'Entragues entdeckt und angegriffen. Der Marschall Villeroy gefangen. Die Zerstörung der Pobrücke rettet die Stadt im letzten Augenblick. Der Prinz Eugen verläßt sie, als er sieht, daß die Verstärkungen nicht zu ihm stoßen können. Die Kaiserlichen räumen die Stadt. Der Marschall Villeroy wird nach Innsbruck, später nach Graz gebracht. Abenteuer Montgons. Wirkung der Nachricht auf den Hof. Die Marschallin Clérambault und die Gräfin von Beuvron. Tod des Bischofs von Agde. Der Herzog von Vendôme zum Oberbefehlshaber in Italien ernannt.

 

Der Prinz Eugen, der den Rummel besser verstand als der Marschall von Villeroy, hatte ihn genötigt, mitten im Mailändischen zu überwintern und hielt ihn dort sehr eingeengt, während er selbst seine Lager, mit denen er die unsrigen stark beunruhigte, über einen weiten Raum verteilt hatte. In dieser vorteilhaften Lage faßte er den Plan, das Zentrum unserer Lager zu überrumpeln und durch diesen entscheidenden Schlag, der ihn in die Mitte unserer Armee und unseres Landes führte, die erstere zu zerstreuen und sich des letzteren zu bemächtigen und sich dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, darauf Mailand zu nehmen und die wenigen festen Plätze des Landes, die alle sehr schlecht imstande waren, und so seine Eroberung sicher und plötzlich zu vollenden. Dieses Zentrum war Cremona: das von den Franzosen 1696 genommen worden war. Die Garnison bestand aus 12 Bataillonen und 12 Schwadronen. Der spanische Gouverneur hieß Diego de la Concha.
was später Anlaß zu dem Verdachte gab: ein Verdacht, der sich jedoch als ungerechtfertigt erwies.
gab ihm Rechenschaft: Dieser Fall von Ungehorsam einem bestimmten Befehle gegenüber trug Revel, der übrigens für seine Unabhängigkeit und seinen unternehmenden Geist bekannt war, nur Lob und die höchsten Belohnungen ein, aber der Kardinal von Bouillon nahm aus seinem Exil daraus Veranlassung, damit das Verhalten zu vergleichen, das er 1699 in Rom beobachtet hatte, und dessen Beweggründe vom Könige verkannt worden waren.

Prinz Eugen von Savoyen

Dieses Zentrum war Cremona. Es befand sich dort ein spanischer Gouverneur und eine sehr starke Garnison; einige andere Truppen waren am Schlusse des Feldzuges noch dazu gekommen, mit dem Generalleutnant Crenan, der den Oberbefehl führen sollte. Praslin befehligte dort die Kavallerie als Brigadier: er war eben zum Generalmajor ernannt worden, aber die Nachricht von der Beförderung war noch nicht nach Cremona gelangt – und Fimarcon befehligte die Dragoner. Gegen die letzten Tage des Januar war Revel, der erste Generalleutnant der Armee, in Cremona eingetroffen und befehligte dort wegen seiner Anziennität vor Crenan. Er erhielt vom Marschall Villeroy, der seine Lager visitierte, den Befehl, ein starkes Detachement nach Parma zu schicken, das der Herzog dieses Namens zu seiner Sicherheit von ihm erbat, was später Anlaß zum Verdachte gab, er habe es in Übereinstimmung mit dem Prinzen Eugen getan, um Cremona davon zu entblößen.

Auf die Nachrichten von verschiedenen Bewegungen der Feinde begnügte sich Revel als vorsichtiger Mann, das Detachement zu bilden und bereit zu halten, ohne es abgehen zu lassen. Der Marschall von Villeroy beendigte seine Besichtigungsreise mit Mailand, wo er mit dem Prinzen von Vaudémont Beratung hielt, und kehrte von dort zu einer ziemlich frühen Stunde am letzten Januar nach Cremona zurück. Revel meldete sich bei ihm und gab ihm Rechenschaft über die Gründe, die ihn veranlaßt hatten, das Detachement zurückzuhalten, das er auf seinen Befehl nach Parma hatte schicken sollen. Der Marschall billigte seine Maßregel sehr; er speiste dann in zahlreicher Gesellschaft zu Abend, wo er durch seine Nachdenklichkeit auffiel. Er das von einem Priester bewohnt wurde: von dem Probst von Santa-Maria-Nuova.versäumte auch nicht, nachher eine Partie Lomber zu spielen, aber man bemerkte, daß er dabei einige Zerstreutheit zeigte, und er zog sich sehr frühzeitig zurück.

Der Prinz Eugen war informiert, daß in Cremona ein alter Aquädukt vorhanden war, der weit in das Land hinausging und in der Stadt bis in den Keller eines Hauses reichte, das von einem Priester bewohnt wurde, daß man diesen Aquädukt vor ganz kurzer Zeit gereinigt hatte und daß er augenblicklich nur ganz wenig Wasser führte, ferner daß die Stadt ehemals durch diesen nämlichen Aquädukt überrumpelt worden war. Er ließ heimlich seinen Eintritt in das offene Feld auskundschaften, gewann den Priester, bei dem er endigte, und der einem Stadttor benachbart wohnte, das vermauert und nicht bewacht war, ließ was er konnte an ausgewählten, als Priester und Landleute verkleideten Soldaten sich in Cremona einschleichen, die sich darauf in das befreundete Haus zurückzogen, wo man sich so heimlich als möglich mit allen Hacken versah, deren man habhaft werden konnte.

Nachdem alles gut und schnell vorbereitet worden war, gab der Prinz Eugen dem Prinzen Thomas von Vaudémont, dem ersten Generalleutnant seiner Armee und einzigen Sohne des Generalgouverneurs des Mailändischen für den König von Spanien, ein starkes Detachement, vertraute ihm seine Unternehmung an und beauftragte ihn, sich einer Redoute zu bemächtigen, die den Kopf der Pobrücke verteidigte, um auf der Brücke ihm zu Hilfe zu eilen, wenn es in der Stadt zum Kampfe gekommen sei. Er detachierte 500 Mann Elitetruppen mit tüchtigen Offizieren, die sich durch den Aquädukt zu dem Priester begeben sollten, wo die Leute, die er sich hatte in die Stadt das Marineregiment: das régiment des Vaisseaux, ein Infanterieregiment von drei Bataillonen, das 1638 von dem Erzbischof Sourdis, Generalleutnant der Seestreitkräfte, formiert, aber 1667 königlich geworden war.einschleichen lassen, sie erwarteten. Mit ihnen, die inzwischen die Wälle, Posten, Plätze und Straßen der Stadt gut ausgekundschaftet haben sollten, hatten sie für den Rest der Truppen das vermauerte Tor zu öffnen. Gleichzeitig marschierte er persönlich und mit einer großen Truppenzahl heran, um dieses Tor rechtzeitig zu erreichen.

Alles war genau verabredet und wurde pünktlich und so heimlich und glücklich wie möglich ausgeführt. Der erste, der sich dessen versah, war Crenans Koch, der, als er beim ersten Morgengrauen einkaufen ging, die Straßen voll von Soldaten sah, deren Uniformen ihm unbekannt waren. Er sprang wieder in das Haus seines Herren zurück und weckte ihn eilends auf: weder er noch seine Diener wollten ihm glauben; in der Ungewißheit kleidete sich Crenan aber im Augenblick an, ging aus dem Hause und überzeugte sich nur allzusehr von der Richtigkeit der Behauptung des Kochs.

Zu gleicher Zeit machte sich infolge eines glücklichen Zufalles, der Cremona rettete, das Marineregiment auf einem Platze der Stadt in kriegsmäßiger Ausrüstung zur Revue bereit. D'Entragues, ein kleiner Edelmann aus der Dauphiné, war sein Oberst: er war ein sehr wackerer Kerl, sehr eifrig, sehr tapfer und hatte ein außerordentliches Verlangen zu handeln und sich auszuzeichnen. Er hatte die Wachsamkeit des Marschalls von Boufflers gelernt, dessen Generaladjutant er gewesen war, und der ihn sehr förderte, weil er ihn als einen begabten und ehrenwerten Mann erkannt hatte.

D'Entragues wollte dieses Regiment besichtigen und begann mit Tagesgrauen. Bei dieser noch schwachen Helligkeit, als seine Bataillone bereits unter Waffen und formiert waren, bemerkte er am Ende der Straße bereits völlig angekleidet: nach anderen Berichten lag er noch im Bett.
nicht mit derselben Höflichkeit empfing: der Marschall selbst indes lobte in seinen Berichten die wohlbekannte Höflichkeit der Prinzen Eugen und von Commercy.
sich gegenüber undeutlich, wie sich Infanterie formierte. Er wußte durch den abends zuvor ausgegebenen Befehl, daß niemand zu marschieren noch ein anderer als er eine Besichtigung vorzunehmen hatte. Er fürchtete also sofort eine Überrumpelung, marschierte sofort auf jene Truppen los, die er als kaiserliche erkannte, griff sie an, warf sie zurück, hielt den Stoß der neuen, die eintrafen, aus und eröffnete ein so hartnäckiges Gefecht, daß er der ganzen Stadt Zeit gab, aufzuwachen, und den meisten Truppen, zu den Waffen zu greifen und herbeizueilen, während sie ohne ihn im Schlafe niedergemacht worden wären.

Bei diesem selben Morgengrauen schrieb der Marschall von Villeroy bereits völlig angekleidet in seinem Zimmer: er hört Lärm, verlangt ein Pferd, schickt nachsehen, was los ist und erfährt, den Fuß im Steigbügel, von mehreren gleichzeitig, daß die Feinde in der Stadt sind. Er reitet die Straße hinunter, um den großen Platz zu gewinnen, wo stets der Sammelpunkt ist im Fall von Alarm; nur ein einziger Generaladjutant und ein einziger Page folgen ihm. Bei der Straßenbiegung stößt er auf eine Patrouille, die ihn umzingelt und gefangennimmt. Er merkt gleich, daß es aussichtslos ist, sich zu verteidigen: er nimmt den Offizier beiseite, gibt sich zu erkennen, verspricht ihm 10 000 Pistolen und ein Regiment, wenn er ihn freiläßt, und noch größere Belohnungen von seiten des Königs. Der Offizier zeigt sich unbeugsam, antwortet ihm, er habe dem Kaiser nicht bis dahin gedient, um ihn zu verraten und führt ihn unverzüglich zum Prinzen Eugen, der ihn nicht mit derselben Höflichkeit empfing, die er von ihm in dem gleichen Falle erfahren hätte: er ließ ihn einige Zeit bei seinem Gefolge, während welcher der Marschall Crenan zu Tode verwundet als Gefangenen herbeiführen sah und ausrief, er wollte, er wäre an seiner Stelle. Einen Augenblick darauf wurden sie beide aus der Stadt herausgesandt und verbrachten den Tag in einiger Entfernung davon unter Bewachung in dem Wagen des Prinzen Eugen.

Revel, nunmehr der einzige Generalleutnant und infolge der Gefangennahme des Marschalls von Villeroy Oberbefehlshaber, versuchte die Truppen zu sammeln. Jede Straße lieferte ein Gefecht; die Mehrzahl der Truppen war durch die Stadt zerstreut, einige hatten sich zu stärkeren Abteilungen zusammengeschlossen, eine ganze Anzahl Soldaten war kaum bewaffnet, manche sogar nur im Hemd. Alle kämpften sie mit der größten Tapferkeit, die meisten aber wurden zurückgedrängt und allmählich genötigt, die Wälle zu gewinnen, ein Umstand, der sie dort alle natürlicherweise sammelte. Wenn die Feinde sich ihrer bemächtigt oder unsern Truppen nicht die Zeit gelassen hätten, dort wieder Mut zu fassen und sich mit allen ihren Kräften zu formieren, hätte ihnen das Innere der Stadt niemals widerstehen können. Statt daß sie jedoch alle ihre Kräfte einsetzten, um unsere Truppen von den Wällen zu vertreiben, hielten sie sich nur an das Innere der Stadt.

Als Praslin den Generalmajor Montgon nicht entdeckte, hatte er sich an die Spitze der irischen Bataillone gestellt, die unter ihm Wunder an Tapferkeit verrichteten: sie behaupteten den großen Platz und säuberten die benachbarten Straßen. Obgleich beständig damit beschäftigt, sich zu verteidigen oder anzugreifen, erkannte Praslin, daß die Rettung von Cremona, wenn es gerettet werden könnte, von der Zerstörung der Pobrücke Glockenturm der Kathedrale: dieser Torrazzo genannte Turm gehörte zum Palazzo Pubblico und ist mit dem Dom durch Loggien verbunden. Er hat eine Höhe von 121 Metern und gilt als der höchste von Italien. Er wurde in den Jahren 1261-1284 erbaut.abhinge, wodurch die Kaiserlichen verhindert würden, Verstärkungen heranzuziehen und frische Truppen ins Gefecht zu führen. Er wiederholte es so oft, daß Mahony hinging und es Revel meldete, der nicht daran gedacht hatte, die Idee aber so gut fand, daß er Praslin sagen ließ, er möge alles tun, was er für zweckmäßig halte.

Praslin ließ sofort die Besatzung der Redoute am Brückenkopf zurückziehen. Man durfte keine Minute verlieren, der Prinz Thomas von Vaudémont erschien bereits: so hatte man denn gerade noch Zeit, diese Truppen zurückzuziehen und die Brücke zu zerstören, was unter den Augen des Prinzen Thomas von Vaudémont ausgeführt wurde, der es durch sein ganzes Musketenfeuer nicht verhindern konnte.

Es war jetzt drei Uhr nachmittags. Der Prinz Eugen war im Palazzo Pubblico, um dem Magistrat den Treueid abzunehmen. Als er ihn verließ, beunruhigte es ihn zu sehen, daß seine Truppen an den meisten Punkten nachließen, und er bestieg mit dem Prinzen von Commercy den Glockenturm der Kathedrale, um mit einem Blick zu sehen, was an allen Punkten der Stadt vorging; seine Unruhe war um so größer, als er die Verstärkung nicht eintreffen sah, die der Prinz Thomas von Vaudémont heranführte. Kaum waren sie oben, als sie sein Detachement am Ufer des Po und die Brücke zerstört sahen, was die Hilfe nutzlos machte. Nicht mehr befriedigte sie, was sie an all den verschiedenen Stellen der Stadt und der Wälle entdeckten.

Außer sich, zu sehen, daß seine Unternehmung so schlecht stand, nachdem er der Eroberung schon beinahe sicher war, heulte der Prinz Eugen auf und zerraufte sich das Haar, als er wieder herunterstieg. Er dachte nunmehr an den Rückzug, obgleich er an Truppenzahl überlegen war.

Fimarcon verrichtete unterdessen mit seinen Dragonern Wunder, nachdem er sie hatte absitzen lassen. Gleichzeitig dachte Revel, der seine Leute von Hunger, Müdigkeit und Wunden ermattet sah, hatten sie doch seit Tagesanbruch keinen Augenblick Ruhe gehabt, daran, sich mit ihnen in das Kastell von Cremona zurückzuziehen, um sich dort wenigstens in gedeckter Stellung zu verteidigen und dort eine ehrenvolle Kapitulation zu erlangen: so daß die beiden gegnerischen Oberbefehlshaber gleichzeitig an den Rückzug dachten.

Die Kämpfe ließen also gegen Abend an den meisten Punkten in diesem gemeinsamen Gedanken an den Rückzug nach, als unsere Truppen eine letzte Anstrengung machten, um die Feinde von einem der Stadttore zu verjagen, das ihnen die Verbindungen mit dem Walle abschnitt, auf dem sich die Iren befanden, und um dieses Tor während der Nacht frei zu haben und durch dasselbe Hilfstruppen heranziehen zu können. Die Iren unterstützten diesen Angriff so gut von ihrem Walle, daß der obere Teil des Tores genommen wurde; die Feinde behielten den unteren Teil, der mit der Straße auf gleicher Höhe lag.

Auf diesen letzten Kampf folgte eine ziemlich lange Ruhe. Revel gedachte unterdessen, die Truppen sich allmählich in das Kastell zurückziehen zu lassen, als ihm Mahony, auf die eingetretene lange Ruhe hin vorschlug, er möge rekognoszieren lassen, was überall vorginge und sich selbst erbot, Nachrichten einzuziehen und ihm dann Meldung zu erstatten. Es wurde bereits dunkel: die Streifreiter zogen daraus Nutzen. Sie sahen, daß alles ruhig war und erkannten, daß die Feinde sich Ustiano: kleine Stadt am Oglio, über den die Kaiserlichen dort eine Brücke geschlagen hatten.zurückgezogen hatten. Diese große Neuigkeit wurde Revel überbracht, der sie lange nicht glauben wollte und viele andere mit ihm. Endlich davon überzeugt, ließ er alles, bis es ganz hell geworden war, in dem gegenwärtigen Zustande. Als dann der Tag erschienen war, fand er die Straßen und Plätze mit Gefallenen übersät und mit Verwundeten gefüllt. Er traf alle erforderlichen Anordnungen und entsandte Mahony, der Erstaunliches geleistet hatte, an den König.

Der Prinz Eugen marschierte die ganze Nacht mit dem Detachement, das er herangeführt hatte, und ließ den Marschall von Villeroy sehr unschicklicherweise entwaffnet und schlecht beritten folgen. Er sandte ihn dann nach Ustiano und später, auf den Befehl des Kaisers, nach Innsbruck, von wo dieser ihn darauf nach Graz in Steiermark bringen ließ. Alle seine Leute und seine Equipage wurden ihm nach Ustiano nachgesandt und folgten ihm seitdem. Crenan starb im Wagen des Marschalls von Villeroy, als er nach Ustiano fuhr, um sich mit ihm zu vereinigen. D'Entragues, dessen Revue und Tapferkeit man die Rettung Cremonas zu verdanken hatte, überlebte den so ruhmreichen Tag nicht. Der spanische Gouverneur wurde mit der Hälfte unserer Truppen getötet, die Kaiserlichen verloren ihrer aber eine noch größere Anzahl, und es mißlang ihnen ein Schlag, der binnen kurzem den Krieg in Italien zu ihren Gunsten entschieden hätte.

Der Generalmajor Montgon erlebte ein Abenteuer, das seinem Rufe nicht förderlich war. Er verließ zu Fuß beim ersten großen Lärm das Haus und kehrte unmittelbar darauf wieder zurück: er behauptete, von den Pferden der Feinde zu Boden geworfen und niedergetreten worden zu sein, erklärte, er sei schwer verwundet und legte sich ins Bett. Dann sandte er zu der nächsten Wache, um sich gefangen zu geben und zu bitten, daß man ihn in Sicherheit bringe. Er verbrachte so diese schreckliche Nacht in Ruhe zwischen zwei Leintüchern. Er erfuhr dort, daß Cremona genommen, darauf wieder zurückerobert worden sei. Nun war es nötig, daß er sich seiner Schutzwache erkenntlich bewies, und er erlangte von Revel, daß sie frei abziehen konnte.

Das Ärgerliche war, daß man an Montgon keine Wunde fand. Der Prinz Eugen reklamierte ihn als Gefangenen, und Montgon verlangte nichts Besseres; unsere Generäle aber behaupteten, er habe seine Freiheit mit der Befreiung der Stadt wiedererlangt. Der König wollte die Meinung der Marschälle von Frankreich hören, doch ließ er, bevor diese sich geäußert hatten, sagen, es verlohne sich nicht der Mühe, sich darüber zu streiten. Man stritt sich bereits nicht mehr: der Prinz Eugen hatte nachgegeben.

Montgon versäumte nicht, ihn aufzusuchen; aber der Prinz Eugen, der keine Gefangenen wollte, die ihm nicht zweifellos gehörten, schickte ihn frei zurück. Dieses Abenteuer, das großes Aufsehen machte und Montgon sehr schadete, hätte ihn beim Könige um allen Kredit gebracht, wenn nicht Frau von Maintenon gewesen wäre, die von jeher die erklärte Gönnerin seiner Gattin war.

Ich erfuhr diese Neuigkeit in meinem Zimmer durch den Herzog von Lauzun. Alsbald ging ich aufs Schloß, wo ich eine große Aufregung bemerkte und eine Menge Gruppen, die sich eifrig unterhielten. Der Marschall von Villeroy wurde behandelt, wie die Unglücklichen behandelt zu werden pflegen, die den Neid erweckt haben. Der König aber ergriff laut und öffentlich seine Partei: er bezeugte bei der Mittagstafel Frau von Armagnac gegenüber, wie sehr ihn das Unglück ihres Bruders schmerzte und entschuldigte ihn, indem er sogar Ärger über diejenigen erkennen ließ, die sich seiner bemächtigt hatten. In der Tat war es auch nicht an ihm, der am Abend vor der Überrumpelung in Cremona ankam, über den Aquädukt und das vermauerte Tor orientiert zu sein oder zu wissen, ob bereits kaiserliche Soldaten in die Stadt geschmuggelt und versteckt worden waren. Crenan und der spanische Gouverneur waren diejenigen, die dafür verantwortlich waren, und der Marschall konnte nichts anderes tun, als auf den ersten Lärm nach dem großen Platz zu reiten, und war auch nicht verantwortlich dafür, daß er auf dem Wege dorthin an einer Straßenbiegung gefangengenommen wurde.

Der König schrieb dem Marschall von Villeroy einen Brief, der so verbindlich war wie nur möglich, und schickte ihn ihm offen, damit die Feinde keinen Verdacht schöpften und selbst sähen, wie groß seine Achtung und Freundschaft für ihn seien. Der Marschallin von Villeroy ließ er, obgleich er keinerlei nähere Beziehungen zu ihr hatte, durch ihren Sohn, durch Monsieur le Grand und andere tausend angenehme Dinge sagen, und nach Marly sprach er lange mit ihr allein und überhäufte sie mit Güte. Auf diese Art sah er sie mehrmals während der Abwesenheit ihres Gatten, als dessen Verteidiger sich zu zeigen er nicht müde wurde.

 

Im Februar nahm die Herzogin von Orléans eine In ihrer Jugend war sie brustkrank: auch die Herzogin von Orléans erzählt 1713 dasselbe.Veränderung bei sich vor. Sie verabschiedete ihre Ehrenfräulein nebst ihrer Hofmeisterin, indem sie ihnen Pensionen gab und nahm zu sich, doch ohne Titel noch Namen, die Marschallin von Clérambault und die Gräfin von Beuvron, die sie stets sehr gerne gehabt, der Herzog aber gehaßt hatte. Alle beide waren Witwen, die Gräfin von Beuvron arm, und beide hatten nichts Besseres zu tun. Sie gab jeder von ihnen viertausend Livres Pension, und der König gab ihnen eine Wohnung in Versailles. Sie folgten Madame überall hin und nahmen, ohne zu fragen, an allen Reisen nach Marly teil.

Die Marschallin von Clérambault war eine Tochter des Staatssekretärs Chavigny und Schwester des Bischofs von Troyes, von dessen Resignation ich gesprochen habe. Sie war Hofmeisterin der Königin von Spanien, der Tochter des Herzogs von Orléans, gewesen, die mit ihr wegen verschiedener Dinge aneinandergeriet und sie auf recht unschickliche Weise fortjagte. Sie war eine ziemlich nahe Verwandte des Kanzlers Pontchartrain und seiner Frau und sehr mit ihnen befreundet. Ich habe sie viel in Pontchartrain gesehen, wohin sie häufig mit ihnen ging, ebenso bei ihnen am Hofe. Sie war eine sehr merkwürdige alte Dame, und wenn sie sich keinen Zwang aufzuerlegen brauchte und zum Plaudern aufgelegt war, eine ausgezeichnete und sehr lustige Gesellschafterin, voll von treffenden Bemerkungen und von einem sprudelnden ungezwungenen Witz. Wenn sie sich aber nicht frei fühlte, brachte sie es fertig, tagelang kein Wort zu sprechen.

In ihrer Jugend war sie brustkrank und dem Tode nahe, sie hatte es aber über sich gewonnen, ein ganzes Jahr lang kein Wort zu sprechen. Bei ihrer angeborenen für alles andere hatte sie gar nichts übrig: doch galt ihre Wohnung in Versailles als la merveille du monde par la magnificence et par le bon goût des meubles.
Stets hatte sie die Maske vor:
diese Masken wurden beim Grüßen und wenn man ein Zimmer betrat, abgenommen.
Ruhe, Gleichmütigkeit und Kälte hatte sie diese Gewohnheit beibehalten. Man kann nicht gut mehr Geist haben, als sie besaß, noch einen, der sich eigenartiger äußerte. Obgleich sie sehr spät an den Hof gekommen, war sie doch leidenschaftlich dafür eingenommen und verblüffend gut über alles unterrichtet, was dort vorging; auch war es entzückend, sie davon erzählen zu hören, wenn sie sich die Mühe zu machen geruhte. Sie ließ sich aber nur vor sehr wenigen Personen gehen und nur unter vier Augen. Geizig bis zum Äußersten, liebte sie das Spiel leidenschaftlich, dazu auch die Unterhaltungen im allerengsten Kreise; für alles andere hatte sie gar nichts übrig.

Ich erinnere mich, daß sie sich in Pontchartrain, als sie von der Messe zurückkam, beim schönsten Wetter von der Welt, auf die Brücke stellte, die zu den Gärten führt, sich dort langsam nach allen Seiten umdrehte und dann zu der Gesellschaft sagte: »So, für heute hätte ich mir genug Bewegung gemacht. Nun Schluß! man spreche mir nicht mehr davon, wir wollen jetzt gleich ans Spiel gehen.« Damit nahm sie die Karten zur Hand, die sie nur während der beiden Mahlzeiten fortlegte, und sie nahm es sogar übel, wenn man sich zwei Stunden nach Mitternacht von ihr verabschiedete.

Sie aß wenig, oft ohne dazu zu trinken, höchstens ein Glas Wasser. Sie hatte große Kenntnisse, in der Geschichte sowohl wie in den Wissenschaften, gab sich aber nie den Anschein. Stets hatte sie die Maske vor dem Gesicht, im Wagen, in der Sänfte, und wenn sie zu Fuß durch die Galerien des Schlosses ging: es war dies eine alte Mode, von der sie nicht hatte lassen können, nicht einmal im Wagen der Herzogin von Orléans. Sie sagte, die Haut ihres Gesichtes blättere Sie hatte eine Schwester: sie hatte deren zwei in Saint-Antoine-des-Champs, Anne-Julie und Marie.
Um ihre beiden Söhne: 1. Jules, Abt von Saint-Savin zu Poitiers 1677, von Jard 1680, von Saint-Taurin zu Évreux, und von Chartreuve 1708. 2. Philippe, Marquis von Clérambault, der 1704 bei Höchstädt fiel.
ab, sobald die Luft es treffe; in der Tat erhielt sie sie während ihres ganzen Lebens, das achtzig Jahre überschritt, schön, ohne daß sie übrigens jemals auf Schönheit Anspruch gemacht hätte. Bei alledem wurde sie sehr geschätzt und respektiert.

Sie behauptete, durch Berechnungen und aus kleinen Anzeichen die Zukunft vorauszuwissen, und das hatte sie der Herzogin von Orléans lieb und wert gemacht, die starkes Interesse für dergleichen hatte; aber die Marschallin machte aus diesem Wissen ein großes Geheimnis. Ich muß das Bild dieser Persönlichkeit noch durch einen letzten Zug ergänzen. Sie hatte eine Schwester, die Nonne in Saint-Antoine-des-Champs zu Paris war und, wie man sagte, mindestens ebensoviel Geist und Wissen besaß wie sie selbst. Sie war der einzige Mensch, den sie liebte. Sie besuchte sie sehr häufig von Versailles aus, und obgleich sie trotz ihres großen Reichtums sehr geizig war, überhäufte sie sie mit Geschenken. Diese Schwester wurde krank: sie besuchte sie und schickte zu ihr ohne Unterlaß. Als sie wußte, daß es sehr schlecht um sie stand und begriff, daß sie nicht davon kommen würde, sagte sie: »Ach ja! meine arme Schwester, man spreche mir nicht mehr von ihr!« Ihre Schwester starb, und nie mehr sprach sie von ihr, und niemand erwähnte sie ferner ihr gegenüber. Um ihre beiden Söhne kümmerte sie sich gar nicht, was kein großes Unrecht war, obgleich sie sich ihr gegenüber sehr korrekt verhielten. Sie verlor sie beide: man merkte ihr aber nichts an, nicht einmal gleich nach dem Eintreffen der Kunde von ihrem Tode.

Die Gräfin von Beuvron war eine andere Frau, der man nicht mißfallen durfte, ebensowenig wie der Marschallin von Clérambault, und sie gehörte zu meinen der Bischof von Agde: Louis Foucquet; der Oberintendant war Nicolas Foucquet, der Erzbischof von Narbonne François Foucquet und der Abt Foucquet Basile F. Vgl. Register.nächsten Freundinnen. Sie war von Geburt ein Mädchen von Stande aus der Gascogne; ihr Vater nannte sich der Marquis von Théobon und führte den Namen Rochefort. Sie war Ehrenfräulein der Königin (Maria-Theresia), als sie den Grafen von Beuvron heiratete, den Bruder der Herzogin von Arpajon und des Grafen von Beuvron, des Vaters des Herzogs von Harcourt. Seit 1688 war sie Witwe, hatte keine Kinder und kein Vermögen. Intrigen des Palais-Royal führten dazu, daß der Herzog von Orléans sie fortjagte, zum großen Mißvergnügen der Herzogin, der es mehrere Jahre lang nicht erlaubt war, sie zu sehen, und die sie endlich nur selten und heimlich in Pariser Klöstern sah. Sie schrieb ihr Tag für Tag und erhielt von ihr Antwort durch einen Pagen, den sie eigens dazu an sie sandte. Erst nach dem Tode des Herzogs war sie wieder an den Hof, den dieser ihr hatte verbieten lassen, zurückgekehrt. Sie war eine Frau, die über viel Geist und Weltkenntnis verfügte und, wenn man von ihrer Launenhaftigkeit und ihrer außerordentlichen Leidenschaft für das Spiel absah, sehr liebenswürdig und eine sehr gute und zuverlässige Freundin war.

 

Am 4. Februar (1702) starb der Bischof von Agde, der eine große Zahl von Pfründen innehatte. Er war ein Bruder des Oberintendanten Foucquet, der 1680 nach zwanzigjährigem Gefängnis in Pignerol gestorben war, des Erzbischofs von Narbonne und des seinerzeit so bekannten Abbé Foucquet, der zwei Monate vor dem Oberintendanten gestorben war und durch seine Unbesonnenheiten und Torheiten sehr stark zu der Ungnade desselben beigetragen hatte. Letzterer war 1656 Ordenskanzler. Die Ungnade, in die ihr Bruder, der Oberintendant, gefallen war, beraubte sie der Abzeichen des Ordens und führte sie in die Verbannung. Der Bischof von Agde wechselte oft den Aufenthaltsort und erhielt endlich die Erlaubnis, in Agde zu bleiben, doch durfte er diese Stadt für den Rest seiner Tage nicht verlassen. Er wurde 1659 nach der Demission seines Bruders Ordenskanzler.

 

Zum Oberbefehlshaber in Italien an Stelle des gefangenen Marschalls von Villeroy wurde, nachdem der Herzog von Harcourt aus Gesundheitsrücksichten abgelehnt hatte, der Herzog von Vendôme bestimmt. Der Ärger des Herzogs von Orléans und der Prinzen von Geblüt über diese Bevorzugung war außerordentlich, und sie gaben ihn deutlich zu erkennen. Sie fühlten schon seit langer Zeit, daß der König entschlossen war, sich keines von ihnen zu bedienen, und daß er eine Vorliebe für die illegitime Geburt hatte. Diese letzte Bevorzugung erbitterte sie. Der Herzog von Vendôme, der das in den wenigen Stunden, die er zwischen seiner Ernennung und seiner Abreise in Marly und in Paris verbrachte, deutlich merkte, wurde nicht müde zu verbreiten, daß er seine Erwählung nur der Weigerung des Herzogs von Harcourt zu verdanken habe, und so den Ärger der Prinzen zu besänftigen, während er sich ein Verdienst daraus machte, nichts abzulehnen, nicht einmal das, was ein anderer nicht genommen hatte, um seine Anhänglichkeit an die Person des Königs zu zeigen und seinen Wunsch, den Versuch zu machen zum Wohle des Staates beizutragen.


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