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XI

Man bereitet sich zum Kriege vor. Der Beginn des spanischen Erbfolgekrieges. Tessé. Der Herzog von Savoyen. Catinat zum Oberbefehlshaber in Italien bestimmt. Tessés Verzweiflung. Ségur und sein Liebesabenteuer mit einer Äbtissin. Sie kommt auf der Reise ins Bad in einem Wirtshaus nieder. Der Herzog von Saint-Aignan unterhält den Hof mit dieser Historie. Er erfährt, daß die Äbtissin seine Tochter ist. Weihung des Abtes von Soubise. Intrigen am Hofe und in Italien. Chamillarts Freunde. Mlle de Lillebonne. Der Dauphin. Der Marschall von Villeroy. Vaudémont. Seine Laufbahn und sein Charakter. Seine Stellung zu Frankreich.

 

Das Verhalten des Kaisers, das Murren der Holländer, das tiefe Schweigen Englands, ließen in Versailles darauf denken, sich in Bereitschaft zu setzen, das Testament Karls II. von Spanien, das den Herzog von Anjou auf den Thron berief, überall aufrechtzuerhalten. Tessé wurde nach Mailand gesandt, um mit dem Prinzen von Vaudémont die militärischen Fragen zu besprechen und ausersehen, die Truppen zu kommandieren, die der König zu Vaudémonts Verfügung ins Mailändische senden würde. Dieser schickte bald danach Colmenero, General der Artillerie im Mailändischen, seinen Vertrauten, zum Könige, damit er ihm über alles Bericht erstatte und auf die Absendung der Truppen dringe. Man traf auch zu Wasser die bestmöglichen Vorbereitungen und ließ einen starken von Generälen befehligten Truppenkörper abgehen, der das Mailändische teils zu Wasser erreichen Vertrag von Mantua: mit Tessé und Vaudémont, unterzeichnet am 24. Febr. 1701. Der Herzog lieferte darin dem Könige seine festen Plätze und seine Staaten aus. Das Resultat von Tessés Missionen in Turin selbst und in Wien war aber nicht glücklich gewesen.sollte, teils zu Lande, da der Herzog von Savoyen den Durchzug gestattet hatte.

Philipp V. von Spanien

Man hatte Tessé nach Italien gesandt, weil er dem Herzog von Savoyen und seinen Ministern angenehm war. Er hatte in Turin die Unterhandlungen über den letzten Frieden und die Heirat der Herzogin von Burgund geführt. Er war ein sanfter geschmeidiger, einschmeichelnder Mann mit mehr Schlauheit als Geist oder Fähigkeit, aber in allem denkbar glücklich. Seine Züge waren sehr vornehm und seine Rede eine geschmeidige Höflingsrede.

Man bedurfte fortwährend des Herzogs von Savoyen für den Durchzug und die Lebensmittelzufuhr, man wollte sich seiner daher als Verbündeten versichern. Auch Mantua war durch seine Lage von hervorragender Bedeutung, und Tessé kannte den Herzog von Mantua, Ferdinand IV. von Gonzaga, sehr gut.

 

Catinat wurde gewählt, das Kommando in Italien zu führen. Tessé war außer sich, daß er einen General über sich haben sollte. Der Glanz und das Gewicht, das er aus dem Ende des letzten Krieges in Italien (1696) gezogen hatte, die Vorteile, die er am Hofe daraus zu gewinnen versucht hatte, nachdem der Friede und seine Charge als erster Stallmeister der Herzogin von Burgund ihn dort Wurzel schlagen ließen, die Familiarität, die er am Hofe von Turin erworben und sein Anteil am Vertrage von Mantua hatten ihn auf den Oberbefehl über die Truppen des Königs unter dem Herzog von Savoyen hoffen lassen: er war verwöhnt, aber Herr von Vaudémont hatte ihm vollends den Kopf verdreht.

Dieser Günstling des Glücks, der nichts versäumte, obwohl er niemals ein Gefecht mitgemacht: diese Behauptung Saint-Simons entspricht nicht den Tatsachen; Tessé hatte verschiedentlich im Feuer gestanden und war sogar bei Epinal 1670, bei Rheinfeld und beim Übergang über die Kinzig 1678, sowie bei der Belagerung von Veillane 1691 verwundet worden.um der Haltbarkeit der Ketten, mit denen er es an sich gefesselt hatte, sicher zu sein, und der besser wie irgendeiner über die inneren Verhältnisse der Höfe, mit denen er zu tun hatte, unterrichtet war, hatte alles aufgewandt, um Tessé an sich zu fesseln: Feste, Liebeshändel, Vertrauen, Ehrerbietung, bürgerliche und militärische Ehren, die in jeder Hinsicht denen glichen, die ihm selbst erwiesen wurden, nichts wurde gespart. Es schien daher Tessé, der die törichte Eitelkeit besessen hatte, die einem Gouverneur und Generalkapitän des Mailändischen zukommenden Ehren anzunehmen, sehr hart, von dieser Höhe plötzlich zu der gewöhnlichen Stellung eines simplen Generalleutnants, der mit allen andern im Dienst abwechselt, herabzusinken, und noch dazu im Mailändischen selbst. Er versuchte wenigstens das zu erreichen, unter Catinat den Befehl über sie zu führen, aber es wurde ihm verweigert, und so sah er sich noch weit von dem Marschallstab entfernt, dessen er bereits sicher war, obwohl er niemals ein Gefecht mitgemacht, vielleicht auch nicht einmal eine Lunte hatte abbrennen sehen, weil er zufällig abwesend war, ein Detachement hatte, oder eine Mission durchführen mußte; aber man läßt sich keine Gerechtigkeit widerfahren, und man mißt die Schuld bei, wem man kann.

Er erwartete also Catinat, der ihn zu Ende des letzten Krieges zum Unterhändler mit dem Turiner Hofe vorgeschlagen und damit sein Glück gemacht hatte. Er erwartete ihn, sage ich, mit der festen Absicht, ihm das Schlimmste anzutun, was er könnte, um ihn von dieser Armee wegzubringen. Er hoffte dadurch sein Nachfolger zu werden und bald auch den Marschallstab zu erhalten. Dieses Ziel gedachte er, unterstützt durch unterhalb Vicenza: lies unterhalb Verona.
Letzteren hatte er an Ségur … verkauft: für 55 000 Taler.
den Herzog von Savoyen und Vaudémont, zu erreichen.

 

Durch einige Flintenschüsse, welche die Kaiserlichen auf einige zwanzig Soldaten abgaben, die Pracomtal unterhalb Vicenza, bei Albaredo, die Etsch hatte überschreiten lassen, war der Krieg tatsächlich ausgebrochen. Sie töteten einen Spanier und nahmen fast alle übrigen gefangen und wollten sie trotz aller Reklamationen nur auf Grund eines Auswechselungsvertrages wieder freigeben.

Der König ließ daher die Generale zu ihren Armeen abgehen. Tallard, einer von ihnen, war durch die kleinen Chargen, die der König ihm, als er von England zurückkehrte, zum Verkaufen gegeben hatte, – darunter den Gouverneurposten der Landschaft Foix, den der Tod von Mirepoix vakant gemacht hatte – zu Geld gekommen. Letzteren hatte er an Ségur, Kapitän der Schwerenreiter, einen braven Edelmann aus Périgord, verkauft, der in der Schlacht bei la Marsaille ein Bein verloren hatte. Er war in seiner Jugend schön gewesen und von vollkommenem Wuchs, wie man noch deutlich sehen konnte, dazu sanft, höflich und galant. Er war schwarzer Musketier, und diese Kompagnie hatte, während der Hof in Fontainebleau war, ihr Quartier immer in Nemours.

Ségur spielte sehr gut Laute, er langweilte sich in Nemours: er machte die Bekanntschaft mit der Äbtissin des ganz nahe gelegenen Zisterzienserklosters la Joye, Anne de Beauvillier, und bezauberte sie so sehr durch die Augen und Ohren, daß er ihr ein Kind machte. Im neunten Schwangerschaftsmonat war Madame sehr in Unruhe, was aus ihr werden sollte, und Die Leute des Herzogs von Saint-Aignan: des Vaters des Herzogs von Beauvillier.ihre Nonnen hielten sie für sehr krank. Zu ihrem Unglück traf sie ihre Maßnahmen nicht zeitig genug oder täuschte sich über die Richtigkeit ihrer Berechnung. Sie begab sich auf die Reise, angeblich ins Bad, und da das Abreisen immer mit Schwierigkeiten verbunden ist, konnte es erst spät vonstatten gehen, und es bot sich ihr keine andere Gelegenheit zum Übernachten als in Fontainebleau, in einem schlechten Wirtshaus, das noch dazu überfüllt war, weil der Hof damals in Fontainebleau war. Dieses Nachtquartier schlug ihr zum Unheil aus: in der Nacht setzten die Wehen ein, und sie kam nieder. Alles, was in der Herberge war, vernahm ihre Schmerzensschreie: man eilt ihr zu Hilfe, viel mehr Leute als sie gewünscht hätte, auch Chirurg und Hebamme fehlten nicht; kurz, sie trank den Kelch bis zur Neige, und am Morgen war sie das Tagesgespräch.

Die Leute des Herzogs von Saint-Aignan erzählten ihm die Neuigkeit, als sie ihn anzogen, und er fand den Vorfall so spaßhaft, daß er ihn mit vielem Behagen beim Lever des Königs erzählte. Dieser war damals sehr lustig und lachte herzlich über die Frau Äbtissin und ihr Püppchen, das sie, um sich besser zu verbergen, in einer überfüllten Herberge mitten im Hoflager ablegen gekommen war, und zwar (was man noch nicht wußte, da es noch nicht bekannt war, wo sie Äbtissin war) vier Meilen von ihrer Abtei entfernt. Das hatte man aber bald heraus.

Als Herr von Saint-Aignan heimgekehrt war, fand er die Gesichter seiner Leute sehr lang geworden: sie gaben einander ein Zeichen, und keiner sagte ein Wort. Endlich merkte er, daß etwas nicht in Ordnung war und fragte sie, was sie eigentlich hätten: die Verlegenheit Saint-Germain-des-Prés: die Abtei des Kardinals von Fürstenberg und sein gewöhnlicher Aufenthaltsort, wenn er in Paris war.verdoppelte sich, und schließlich wollte Herr von Saint-Aignan durchaus wissen, worum es sich handle. Ein Kammerdiener faßte sich ein Herz und sagte ihm, daß die bewußte Äbtissin, von der man ihm eine so hübsche Geschichte erzählt habe, seine Tochter sei. Während er zum Könige gegangen sei, habe sie ihn um Hilfe bitten lassen, damit er sie aus der Herberge fortbringen lasse.

François de Clermont Tonnerre, Bischof von Langres

Wer aufs peinlichste überrascht war, das war der Herzog, der diese Geschichte soeben dem König und dem ganzen Hofe erzählt, und nachdem er alle Welt damit zum Lachen gebracht hatte, ihr nun selbst zur Erheiterung dienen sollte. Er trug das Geschehene so gut er konnte, ließ die Äbtissin und ihr Gepäck fortschaffen, und da der Skandal offenkundig war, gab sie ihre Demission und hat seitdem mehr als vierzig Jahre lang verborgen in einem andern Kloster gelebt. Auch habe ich fast nie Ségur bei Herrn von Beauvillier gesehen, der ihm indes, wie aller Welt, Höflichkeit bewies.

 

Nachdem endlich die Bullen, und was für den Abt von Soubise sonst noch nötig war, eingetroffen, wurde er Sonntag, den 26. Juni (1701), in einem Alter von genau 27 Jahren durch den Kardinal von Fürstenberg geweiht, und zwar in Saint-Germain-des-Prés, unter Assistenz der Herzog-Bischöfe von Laon und Langres, beide aus dem Hause Clermont und in Gegenwart der größten und erlesensten Gesellschaft. Es gab keine schöneren Gesichter, jedes seinem Alter entsprechend, als die des Weihenden und des Geweihten; die der beiden Assistierenden entsprachen ihnen. Die schönsten und bestgeschmückten Damen bildeten dabei das Gefolge Amors, der mit der Anmut, dem Scherz und dem Lachen das Fest ordnete und es zu dem vornehmsten, großartigsten, glänzendsten und galantesten machte, das man sehen konnte.

 

Kehren wir jetzt nach Italien zurück! Um gut zu verstehen, was dort seit dem Beginn des Krieges vor sich ging und später alles geschah, ist es nötig, die Triebfedern und Machenschaften aufzudecken, die sich allmählich weit über die italienischen Grenzen hinaus erstreckten und den Staat an den Rand des Abgrundes brachten. Man muß sich dessen erinnern, was über die Karriere und den Charakter Chamillarts gesagt worden ist, und noch hinzufügen, daß noch niemals ein Minister beim Könige eine solche Stellung gehabt hat, nicht in seinem Geiste durch die Schätzung seiner Fähigkeit, sondern in seinem Herzen, infolge einer Neigung, die er seit den ersten Zeiten des Billardspieles zu ihm gefaßt und seitdem fortwährend durch alle die Auszeichnungen und Beförderungen bekundet hatte, die er ihm zuteil werden ließ, und durch die Vertraulichkeiten, die er ihm gestattete. Er krönte seine Gunstbeweise durch die Last der beiden Ministerien der Finanzen und des Krieges, die er auf seine Schultern lud, und seine Neigung zu ihm wuchs täglich durch Chamillarts Eingeständnis seiner Unwissenheit in vielen Dingen und durch das kleine der Eitelkeit des Königs schmeichelnde Vergnügen, seinen Minister in zwei so wichtigen Funktionen zu unterrichten und zu leiten.

Frau von Maintenon hatte nicht weniger Zärtlichkeit – denn mit diesem Namen muß man ihre Zuneigung bezeichnen – zu ihm. Seine vollkommene Abhängigkeit von ihr entzückte sie, und ihre Freundschaft für ihn gefiel dem Könige außerordentlich.

Ein Minister in dieser Position ist allmächtig; diese Position war deutlich sichtbar: es gab niemand, der ihn nicht niedrig umschmeichelte. Seine recht geringe Einsicht war ganz sich selbst überlassen, weil er von seiner unbrauchbaren Familie keine Hilfe hatte, und es mangelte ihm die Fähigkeit der Beurteilung und Unterscheidung. Er überließ sich seinen alten Freunden, denen, die ihn an den Hof gebracht hatten, und den Persönlichkeiten, von denen er annahm, daß sie sich eines Ansehens und eines Glanzes erfreuten, die ihnen Anspruch auf Rücksicht gaben.

Matignon gehörte zu den ersteren: er hatte seinen Vater Guy Chamillart als Intendanten von Caen und ihn selbst als Intendanten von Rouen gesehen; er war ihr Freund gewesen und hatte dem Sohne als richtiger auf seinen Vorteil bedachter Normanne den Freundschaftsdienst erwiesen, ihm das Lehnrecht einer Besitzung abzutreten, die von Torigny abhing. Das hatte Chamillarts Herz so sehr gewonnen, daß er es nie vergaß, so daß Matignon während seiner ganzen Ministertätigkeit alles über ihn vermochte und Millionen aus ihm herauszog, er und Marsan, sein Schwager und intimer Freund, den er mit ihm bekannt machte, und der sich ihn durch seine Schmeicheleien verpflichtete.

Zu den zweiten gehörten Monsieur le Grand und der Marschall von Villeroy, die durch die herablassende Gunst und die Autorität, die sie unschwer über ihn erlangten, und durch das überlegene Gebaren, das sie sich bei Hofe herausnahmen, Eindruck auf ihn machten und ihn verwirrten. Er war ihnen um so mehr ergeben, als sie ihren Einfluß nicht zur Erlangung von Geld benutzten, wie die beiden andern. Durch sie fand er die unordentliche Aufführung ihres Vaters: François-Marie de Lorraine, jüngerer Bruder des Herzogs Charles III. d'Elbeuf.sich allmählich mit der Herzogin von Ventadour befreundet, die in einem intimen Verhältnis zum Marschall von Villeroy stand und dadurch auch mit Monsieur le Grand sehr liiert war. Daraus ergab sich eine andere Verbindung, die bald darauf unmittelbar und sehr enge wurde: es war die mit Fräulein von Lillebonne und ihrer Schwester, Frau von Espinoy, die ein Herz, eine Seele und ein Geist waren.

Die letztere war eine sanfte schöne Person, die nur so viel Geist besaß, als sie zur Erreichung ihrer Ziele bedurfte, diesen aber im höchsten Maße, und die nie etwas tat, ohne einen Zweck damit zu verbinden; im übrigen war sie von Natur gut, verbindlich und höflich. Die andere hatte allen Geist, allen Verstand und allen Scharfblick, den man sich denken kann; sie war dazu von ihrer Mutter erzogen und stand unter dem Einfluß des Ritters von Lothringen, mit dem sie seit so langer Zeit und so eng verbunden war, daß man sie heimlich verheiratet glaubte. Man hat aus mehr als einer Stelle dieser Memoiren ersehen, was für ein Mann dieser Lothringer war, der zur Zeit der Guisen eine große Rolle unter ihnen gespielt hat.

Fräulein von Lillebonne war ihm nicht unebenbürtig, und unter einem kalten, gleichgültigen, trägen, vernachlässigten Äußeren glühten bei ihr der grenzenloseste Ehrgeiz und ein maßloser Hochmut, den sie jedoch unter einer ausgezeichneten Höflichkeit verbarg und nur gelegentlich zum Vorschein kommen ließ. Auf diese beiden Schwestern waren die Augen des ganzen Hofes gerichtet. Die Zerrüttung ihrer Verhältnisse und die unordentliche Aufführung ihres Vaters hatten ihren Kochtopf so gründlich umgeworfen, daß sie sehr oft daheim nichts zu essen hatten. Herr von Louvois gab ihnen edlerweise Geld, und die Not zwang sie, es anzunehmen.

Diese selbe Not veranlaßte sie, der Prinzessin von Conti den Hof zu machen, bei welcher der Dauphin damals stets zu finden war: sie fühlte sich dadurch geehrt, zog sie sehr an sich, gab ihnen Wohnung, nährte sie am Hofe, überhäufte sie mit Geschenken und verschaffte ihnen alle Annehmlichkeiten, die sie konnte.

Der Dauphin faßte zu ihnen und ihrer Mutter Zuneigung und dann Vertrauen; sie wichen nicht mehr vom Hofe und waren als Gesellschaft des Dauphins jedesmal dabei, wenn der Hof nach Marly ging. Die Mutter, die hoch bei Jahren war und sich von alledem mit Anstand zurückgezogen hatte, hielt darum doch von ferne das Steuer in der Hand. Sie ließ sich selten mehr beim Dauphin sehen, für den ihr Erscheinen jedesmal ein Fest war. Jeden Morgen trank er bei Frau von Lillebonne Schokolade. Dort wurden dann wichtige Drähte gezogen. Ihr Gemach war um diese Stunde ein Heiligtum, in das niemand hineingelangte als Frau von Espinoy. Alle beide waren sie die Verwahrerinnen seiner Seele und die Vertrauten seiner Liebe für Fräulein Choin und weit davon entfernt gewesen, sie zu verlassen, als sie vom Hofe verwiesen wurde. Sie vermochten alles über sie.

In Meudon waren sie die Königinnen. Alles was zum Hofe des Dauphins gehörte, machte ihnen beinahe mit dem gleichen Respekt den Hof wie ihm. Seine Equipagen und seine besondere Dienerschaft standen zu ihrem Befehl. Niemals hat Fräulein von Lillebonne du Mont Monsieur genannt, du Mont, welcher der vertraute Stallmeister des Dauphins war und für seine Vergnügungen und Equipagen sorgte und seine Ausgaben verwaltete. Sie rief ihn in Meudon von einem Ende eines Zimmers zum andern in Gegenwart des Dauphins und seines ganzen Hofes, um ihm ihre Befehle zu erteilen, als ob er ihr eigener Stallmeister gewesen wäre. Und er, mit dem in Meudon alle Welt, die Prinzen von Geblüt nicht ausgenommen, rechnete, lief herbei und gehorchte mit einer respektvolleren Miene, als er sie dem Dauphin zeigte, dem gegenüber er sich weniger Zwang auferlegte.

Niemand zweifelte daher, daß sie nach dem Tode des Königs regieren würden. Dieser selbst behandelte sie mit der größten Auszeichnung und Rücksicht, und Frau von Maintenon desgleichen.

Auch ein erfahrenerer Mann als Chamillart wäre von diesem Glanze geblendet worden. Der Marschall von Villeroy, der mit Monsieur le Grand, und wenn das möglich war, noch mehr mit dem Ritter von Lothringen befreundet war, stand zu ihnen in den allernächsten Beziehungen. Sie waren sehr erfreut, mit seiner Hilfe Chamillart unter ihre Herrschaft zu bringen, und er wünschte sehr, auf sie rechnen zu können, um so mehr als sie sicher waren. Sie hatten alle ihre Gründe: diejenigen Chamillarts werden aus den eben auseinandergesetzten Verhältnissen erkennbar; die der beiden Schwestern waren, abgesehen von der Gewogenheit Chamillarts, Vaudémont, den Bruder ihrer Mutter, durch ihn unter Benutzung der fortwährenden Beziehungen, die der Krieg in Italien ihnen an die Hand geben würde, zu fördern.

Der Marschall von Villeroy also, der ihnen ganz ergeben war, stellte diese Verbindung mit Chamillart und, was durch eine notwendige Konsequenz dasselbe war, die Verbindung Vaudémonts mit ihm her. Von In der Stellung, die er einnahm: als Gouverneur des Mailändischen und Oberbefehlshaber der Truppen.Herrn von Vendôme, der eine so wichtige Rolle in dieser Kabale spielte, die um so gefährlicher war, als weder der Marschall noch Chamillart, die einander an Kurzsichtigkeit kaum etwas nachgaben, etwas davon merkten, werde ich seinerzeit sprechen.

Diese Verbindungen waren bereits vor dem Tode des Königs von Spanien (1700) geknüpft worden. Die gegenwärtigen Verhältnisse machten sie nur noch enger und ließen Vaudémont aus der Entfernung mit eintreten. In der Stellung, die er einnahm, wußte er bald seine Nichten zu unterstützen und durch sie direkt daran teilzunehmen durch den brieflichen und geschäftlichen Verkehr mit dem Minister von Frankreich, der, von dem vollen Vertrauen und der Zuneigung des Königs getragen, über alles verfügte, was den Krieg und die Finanzen betraf. Soweit der Hof; nun zu Italien.

Vaudémont, Bastardsohn jenes Karl IV., Herzogs von Lothringen, der so bekannt ist durch das Gewebe von Treulosigkeiten, die ihn bei allen Mächten verhaßt machten, ihm ein so elendes herumirrendes Leben eintrugen, ihn seiner Güter beraubten und in Spanien ins Gefängnis brachten, – Vaudémont war bei besserem Verhalten, größerer Klugheit und mehr Urteilskraft der sehr würdige Sohn eines solchen Vaters. Er war einer der stattlichsten Männer seiner Zeit: sein schönes stolzes Gesicht zeigte schöne sehr lebhafte Augen voll Feuer und Geist. Letzteren besaß er in Fülle und dazu noch ebensoviel Verschlagenheit und Intrigantentum wie sein Vater. Er begleitete ihn von Jugend ab in alle seine Kriege und lernte von ihm das Handwerk gründlich. Er folgte ihm auch nach Paris, wo seine Galanterie Aufsehen erregte. Dort knüpfte er Das, wenn auch illegitime, Blut, das in seinen Adern floß: das Blut des Hauses Lothringen, des Erbfeindes Frankreichs.Freundschaft an mit dem Marquis, späteren Marschall von Villeroy.

Die Verbindung des Herzogs Karl mit den Spaniern und seine Aufenthalte in der Franche-Comté, die ihnen damals gehörte, fesselte Herrn von Vaudémont an ihren Dienst, und die Katastrophe seines Vaters vermochte nicht, ihn von Spanien zu trennen, da er dort auf eine Karriere hoffte, auf die er sich anderwärts keine Hoffnung machen konnte.

Die neue Interessenverbindung Spaniens mit Holland und die Nachbarschaft der Niederlande knüpfte dort Beziehungen an, die Vaudémont auszunutzen wußte. Er verstand es, sich beim Prinzen von Oranien einzuschmeicheln und wurde allmählich so befreundet mit ihm, daß er sein volles Vertrauen gewann. Er machte, mit verschiedenen geheimen Aufträgen betraut, eine Reise nach Spanien und fand den dortigen Hof verzweifelt über seine Einbußen und sehr erbittert gegen die Person Ludwigs XIV. Das wenn auch illegitime Blut, das in seinen Adern floß, hatte ihn ebensowenig wie die nahe Freundschaft, in die er zu den Prinzen von Oranien getreten war, gelehrt, den König zu lieben. Er hatte nichts von ihm zu erwarten: er ließ sich also nach Höflingsart in Madrid gegen die Person Ludwigs XIV. mit einer Keckheit aus, die man nicht anders als unanständig nennen konnte.

Auf dem Rückwege nach Flandern wollte er Italien sehen und machte in Rom Station, wo er sich nach Kräften bei der spanischen Partei lieb Kind machte und, um ihr zu gefallen, sich über den König ebenso äußerte, wie er es in Madrid getan hatte. Was man zuerst verachtet hatte, und worüber man hinweggesehen hatte, konnte auf einem Theater wie Rom, dem gemeinsamen Vaterland aller katholischen Nationen, nicht länger ruhig hingenommen werden: die Diener des Königs fühlten sich durch eine so offenkundige und so fortgesetzte Unverschämtheit beleidigt und schrieben so nachdrücklich an den König, daß dieser den König von Spanien bitten ließ, entweder einem Verhalten zu steuern, das so weit von dem zu allen Zeiten den gekrönten Häuptern geschuldeten Respekt entfernt war, oder nicht überrascht zu sein, wenn er Herrn von Vaudémont aus Rom ausweisen und behandeln lasse, wie er es verdiene.

Vaudémont

Dieser Schritt machte der Szene ein Ende, die Herr von Vaudémont mit soviel Frechheit gab, und dieselben Parteigänger Österreichs, die ihn dort bestärkt hatten, waren die ersten, ihn verschwinden zu lassen. Er kehrte also durch Tirol und Deutschland nach den Niederlanden zurück mit diesem neuen Verdienst Spanien und dem Kaiser gegenüber, für das der Prinz von Oranien dank seinem persönlichen Hasse gegen den König nicht am wenigsten empfänglich, wie auch der Prinz (Karl V.) von Lothringen nicht gerade gleichgültig war, wegen der Lage, in welcher der König ihn beständig hielt, obgleich er sich nie das Geringste ihm gegenüber hatte zuschulden kommen lassen. Vaudémont war sein Vetter, und der Prinz von Lothringen damals auf der Höhe seines Ruhmes und seines Ansehens im Rate und am Hofe des Kaisers.

Alles trug daher nach dieser überstürzten Abreise von Rom dazu bei, Herrn von Vaudémont mit Riesenschritten vorwärtskommen zu lassen: das Goldene Vließ, die spanische Grandenwürde, der Rang eines Reichsfürsten, die Charge eines Generalkapitäns, alles das regnete auf ihn herab, und bald darauf noch der hohe Grad eines Generalobersten der Reiterei und endlich eines Governador de las armas in den Niederlanden. So emporgehoben und entsprechend bezahlt, lebte er im Glanze, und da er unendlich viel Geist und Gewandtheit besaß, brachte er es fertig, den Neid zu besänftigen und sich ebensoviel Liebe zu gewinnen wie Ansehen durch seinen Einfluß und Respekt durch seine Stellung und seine Charge.

Er war ein leutseliger, zuvorkommender, verbindlicher Mann, bedacht, zu gefallen und Dienste zu leisten, der ebensosehr um die Liebe des Bürgers und Handwerkers, wie um die der hervorragendsten Persönlichkeiten warb. Die Muße des Friedens ließ ihn wieder wie ehemals Liebesabenteuer suchen, aber er war nicht glücklich in dem, was er fand. Noch weniger war er es in der Suche nach geschickten Leuten, die ihm wieder von seinem Funde helfen sollten: sie hätten ihn beinahe mit Quecksilberkuren umgebracht. Ich habe ihn erzählen hören, daß, als er in den Zustand geraten war, in den dieses Heilmittel ihn versetzt hatte, ein Zustand, den er als einen allgemeinen gichtischen Rheumatismus bezeichnete, und der ihn ganze Jahre quälte und ihn des Gebrauchs der Arme und Beine beraubte, ein Naturheilkundiger, dem er sich zuletzt anvertraute, ihn so wiederhergestellt habe, wie er damals war und in Stand gesetzt, wieder zu Pferd zu steigen. Er ging wenig und mit Mühe, setzte und erhob sich mit Anstrengung, doch ohne daß man ihm notwendig bei allen seinen Verrichtungen helfen mußte, auch hatte er in den Fingern, die ganz verkrümmt und wie ineinander verflochten waren, keine Knochen mehr. Trotzdem verfügte er über eine sehr gute Gesundheit und einen vollkommen klaren Kopf.

Als der Krieg von 1688 gekommen war, bot Wilhelm von Oranien, der Herr über die Truppen Spaniens sein wollte, all sein Ansehen auf, um seinem Freunde den Oberbefehl über die Armeen zu verschaffen. Von den Chargen, die er bis dahin hatte, bedurfte es dazu nur noch eines Schrittes. Der Prinz von Waldeck, der sie kommandierte, war alt: man brachte es dahin, daß er sich zurückzog und Herr von Vaudémont unter dem Kurfürsten von Bayern, und als Chef in dessen Abwesenheit, an seine Stelle gesetzt wurde. Als sich dann der Friede näherte, ließ es sich der Prinz von Oranien sehr angelegen sein, Vaudémonts Ernennung zum Gouverneur des Mailändischen durchzusetzen. Er bediente sich dazu des Kaisers, der alle seine Diener in Spanien und die Königin in Bewegung setzte, und Herr von Vaudémont sah sich als Inhaber der größten und glänzendsten Stellung der spanischen Monarchie durch die Protektion des neuen Königs von England und des Kaisers.

Angesichts aller dieser Umstände und als Sohn und Vetter zweier auf Lebenszeit von Frankreich ihrer Staaten beraubten Souveräne war es schwer, daß er seine Neigung änderte. Um sich in dieser hohen und so gewinnbringenden Stellung zu halten, hatte er, der Sohn Fortunas, der nichts besaß, als was sie ihm schenkte, sich den Befehlen Spaniens unterworfen, indem er Philipp V. zum Herzog von Mailand proklamierte. Er hatte dabei alle Minen springen lassen, um sich seines Dankes zu versichern, der für ihn nötig war, wollte er sich in seiner Stellung erhalten und darin die erforderliche Wertschätzung genießen. Darin wurde er wunderbar gut durch die Kunst und die Freunde seiner Nichten unterstützt, durch die Lothringer, Villeroy, die Damen, den Dauphin und Chamillart, die den König so sehr für ihn einnahmen, daß er sich an nichts von alledem, was bis dahin vorgefallen war, erinnerte und es sich in den Kopf setzte, daß der König von Spanien, sein Enkel, Vaudémont das Mailändische verdanke.

Auf diese Weise verankert, versäumte er nichts, um Tessé an sich zu fesseln, als den Vertrauensmann, den unser Hof zu ihm sandte, damit er mit ihm alle militärischen Dinge bespreche, und er verdrehte ihm durch eine Menge von Ehren und indem er ihn scheinbar zu seinem Vertrauten machte, den Kopf.


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