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VI

Das Ergebnis des Konklave. Der Anteil der französischen Kardinäle an der Wahl des Kardinals Albani. Das Verhalten des Kardinals von Bouillon. Chamillart Minister. Barbesieux' Schmerz über seine Zurücksetzung. Sein Tod. Der Kabinettssekretär Rose. Seine Differenzen mit dem Prinzen von Condé. Die Fuchsinvasion. Seine Rache. Bosheit des Herzogs von Duras. Rose und seine Enkelin.

 

Der Kardinal Albani erhielt endlich alle Stimmen, und er hatte wirklich Mühe – und das ohne Verstellung – sich zur Annahme des Pontifikats zu entschließen. Er war aus Pesaro im Herzogtum Urbino und der Sohn eines Konsistorialadvokaten, den Urban VIII. zum Senator gemacht hatte. Unser Papst hatte die Laufbahn der kleinen Gouverneursposten eingeschlagen, aus der Innozenz XI. ihn herausnahm, um ihn zum Brevensekretär zu machen, und dessen Nachfolger, Alexander VIII., machte ihn 1690, als er erst vierzig Jahre alt war, zum Kardinal. Er war ein vortrefflicher Mann, der aber, da er während seiner Prälatur niemals außer Landes noch in den wichtigen Kongregationen gewesen war, für sein Pontifikat wenig Erfahrung und Eignung mitbrachte.

Die Franzosen hatten großen Anteil an seiner Erhöhung, nicht zum wenigsten der Kardinal von Bouillon, der sich während des Konklave im Verkehr mit unseren Kardinälen des besten Verhaltens befleißigte und aufs beste die französischen Interessen wahrnahm. Er ertrug alle die Verdrießlichkeiten, die die unsrigen ihm verursachten, ohne böse zu werden oder sich einen Schritt breit davon abbringen zu lassen, ihnen aus allen Kräften zu sekundieren, und er war um so erfreuter über die Wahl Albanis, als er sein Freund war, als er ihn stets gefördert und großen Anteil am Erfolge hatte, und als dieser Papst, der sich erst ganz wenige Tage vor seinem Eintritt ins Konklave zum Priester hatte weihen lassen, nicht Bischof war und von ihm, als dem Dekan des heiligen Kollegiums, geweiht werden mußte, was denn auch geschah. Er hoffte also, die Frucht seines guten Verhaltens und der nachdrücklichen Empfehlung des Papstes, die dieser ihm auch wirklich gewährte, zu ernten; aber das Maß war voll, und der Zorn des Königs ließ sich nicht beschwichtigen.

Unsere Kardinäle erhielten Befehl, zurückzukehren, ausgenommen Janson, der mit der Führung der Geschäfte des Königs in Rom betraut war, und Estrées, der nach Venedig ging. Ich weiß nicht, welche Laune diesen Papst bewog, den Namen Clemens XI. anzunehmen. Er ließ sich deswegen beim Kardinal Ottoboni entschuldigen, dessen Oheim, Alexander VIII., ihn zum Kardinal gemacht hatte. Er wurde am 23. November 1700 erwählt.

 

Der König machte am 23. November (1700) Chamillart zum Minister und befahl ihm, am nächsten Tage in der Sitzung des Staatsrats zu erscheinen. Er war über diese wichtige Gnade um so gerührter, als er noch nicht daran dachte. Der König, der ihn liebte und mit ihm immer mehr zufrieden war, empfand lebhaftes Vergnügen darüber, daß er ihm so schnell diese Freude machen und sein Ansehen bei den Finanzleuten in einer Zeit erhöhen seine Väter: sein Großvater Michel le Tellier und sein Vater Louvois.
Halsentzündung: Barbesieux hatte sie sich bei einer galanten Dame geholt, bei derselben, die 1699 den Grafen von Mailly, der an demselben Übel starb, angesteckt hatte. ( Cfr. Mme. Dunoyer, Lettres, No. XXXVIII Bd. II, S. 40.) Saint-Simon spricht von dieser gefährlichen Schönen, wo er von seinem Freunde Mailly redet, als von einer créature qu'il entretenoit. Der König ließ sie nach Barbesieux' Tode entfernen.
konnte, in der er voraussichtlich Geld brauchen würde. Barbesieux, Chamillarts Freund, aber, sein Vordermann und ihm in so vieler Hinsicht überlegen, nahm ihm seine Ernennung keineswegs übel, doch erfüllte ihn diese Bevorzugung mit der äußersten Bitterkeit. Seit mehr als sechzig Jahren hatten seine Väter in derselben Stellung einen sehr hervorragenden Anteil an der Regierung des Staates gehabt, und er selbst hatte sich in den nahezu zehn Jahren, die er sie ausfüllte, kaum weniger Ansehen und Autorität erworben als sie.

Chamillart tat als bescheidener Mann und guter Freund alles, was er konnte, um ihn zu trösten. Barbesieux war, wie gesagt, keineswegs aufgebracht gegen ihn, aber außer sich über die Tatsache der Bevorzugung, wollte er sich gar nicht beruhigen lassen und überließ sich, um seinen Kummer zu vertreiben, mit seinen Freunden mehr noch, als er es sonst gewöhnt war, der Ausschweifung. Er hatte zwischen Versailles und Vaucresson, am Ende des Parkes von Saint-Cloud, ein Haus auf freiem Felde erbaut, das man l'Étang nannte. Es hatte die trostloseste Lage von der Welt, doch war alles von dort aus bequem zu erreichen. Diesen Landsitz, der ihn Millionen gekostet hatte, suchte er häufig auf, und hier war es, wo er mit seinen Freunden in den Genüssen der Tafel und den anderen heimlichen Vergnügungen seine Mißstimmung zu ertränken versuchte; aber der Kummer schwamm obenauf und versetzte ihm, vereint mit Vergnügungen, die über seine Kräfte gingen, auf die er zu sehr baute, den Todesstoß. Vier Tage darauf kehrte er von l'Étang mit einer schweren Halsentzündung und hohem Fieber nach Versailles zurück. Diese Erkrankung erforderte bei seiner Athletennatur und bei seinem jugendlichen Alter viele Aderlässe, die aber bei dem Leben, das er jüngst geführt hatte, sehr gefährlich waren. Die Krankheit schien schon vom ersten Augenblick an bedenklich und dauerte nur fünf Tage. Als der Erzbischof von Reims, sein Oheim, ihn auf die dringende Gefahr aufmerksam machte, die er selbst Fagon gegenüber in Abrede stellte, hatte er kaum noch die Zeit, sein Testament zu machen und zu beichten.

Er starb in seiner vollen Kraft, voll Fassung, umgeben von seiner Familie. Seine Tür war während der ganzen Krankheit beständig vom ganzen Hof belagert. Es war am Vorabend vor Dreikönig. Er verschied vor Vollendung seines dreiunddreißigsten Lebensjahres in demselben Zimmer, wo sein Vater gestorben war.

Er war eine auffallende, sehr angenehme und sehr männliche Erscheinung, mit einem einnehmenden und liebenswürdigen Gesicht und entschlossen blickenden Augen. Er besaß viel Geist, Scharfsinn, Regsamkeit, klaren Blick. Die Arbeit ging ihm unglaublich leicht von der Hand, weshalb er sich darauf verließ und sich seinen Vergnügungen hingab, deren er in zwei Stunden mehr und gründlicher genoß als ein anderer in einem Tage. Seine ganze Persönlichkeit, seine Sprache, seine Manieren und seine leichte, korrekte, gewählte, aber doch natürliche, kräftige und beredte Ausdrucksweise, kurz, alles an ihm war reizvoll. Niemand hatte so viel Weltmännisches, so viel von einem großen Herren, der er wohl hätte sein mögen, an sich, niemand gab sich höflicher und, wenn es ihm gefiel, respektvoller, niemand verfügte über eine natürlichere und feinere Galanterie, verbreitete um sich angenehmere Empfindungen. Wenn er gefallen wollte, entzückte er, und wenn er verpflichtete, verdreifachte er den Reiz seines ohnehin schon gewinnenden Wesens. Niemand hielt besser Vortrag über eine Staatsangelegenheit, noch beherrschte vollkommener alle ihre Einzelheiten, noch führte sie leichter durch als er. Er erkannte mit großem Feingefühl alle die Verschiedenheiten der Menschen, mit denen er zu tun hatte, sowie die größere oder geringere Vielseitigkeit der Geschäfte, die er auf eine überraschende Weise erledigte. Aber er war stolz bis zum Äußersten, unternehmend, kühn, unverschämt, äußerst rachsüchtig, durch die geringste Kleinigkeit verletzbar und sehr schwer wieder zu versöhnen. Er war oft schlecht gelaunt und dann unausstehlich: er wußte das, vermochte sich aber nicht zu beherrschen. Von Natur barsch und hart, wurde er dann brutal und zu allen erdenklichen Beleidigungen und Zornausbrüchen fähig, wodurch er sich um viele Freunde brachte. Er war in ihrer Wahl nicht glücklich, und wenn er verstimmt war, beleidigte er sie, gleichviel, wer sie waren, nachher aber war er verzweifelt. Dabei war er wetterwendisch, aber der beste und nützlichste Freund von der Welt, solange er es war, und der gefährlichste, furchtbarste, konsequenteste, unversöhnlichste Feind und von Natur grausam. Er war ein Mann, der nirgends Widerstand finden wollte, und von äußerster Kühnheit.

Er hatte den König daran gewöhnt, seine Arbeit aufzuschieben, wenn er zuviel getrunken oder eine Partie vorhatte, die er nicht aufgeben wollte, und ließ ihm dann sagen, er habe Fieber. Der König ertrug es, weil seine Arbeit so leicht von der Hand ging und so nützlich war, und weil der Glaube, er könne alles selbst machen und einen Minister nach seinem Sinne heranziehen, ihm Freude bereitete. Er liebte ihn aber nicht und merkte sehr wohl, was es mit seinen Fieberanfällen auf sich hatte. Aber Frau von Maintenon, die seinen allzu mächtigen Vater aus persönlichen Gründen kaltgestellt hatte, begünstigte den Sohn, der ihr gegenüber voll Respekt war.

Alles in allem hatte er das Zeug zu einem großen aber äußerst gefährlichen Minister. Es ist sogar eine Frage, ob angesichts seines maßlosen Ehrgeizes sein Tod ein Verlust für den Staat war; für den Hof und die Welt war es jedenfalls keiner: sie gewannen viel durch den Tod eines Mannes, den alle seine Talente in dem Maße, da seine Macht zunahm, nur furchtbarer gemacht hätten, und dessen Zuverlässigkeit im Verkehr sehr mäßig, in den durch ihn geführten Geschäften aber stark bestritten war, – nicht daß er habgierig gewesen wäre, denn er war die Freigebigkeit, der Aufwand und die Verschwendung selbst, sondern wegen seiner Parteilichkeit und Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung seiner Ziele. Man hat ja anläßlich der Belagerung von Barcelona und in der Angelegenheit des Herrn von Noailles eine Probe von dem gesehen, wozu er fähig war.

Sobald er tot war, erstattete Saint-Pouenge dem König in Marly Bericht. Dieser war zwei Stunden vorher, als er von Versailles aufbrach, so sehr darauf gefaßt gewesen, daß er la Vrillière zurückgelassen hatte, um alles zu versiegeln. Fagon, der ihn von vornherein aufgegeben hatte und ihn ebensowenig liebte wie seinen Vater, wurde beschuldigt, ihn mit Absicht zu stark zur Ader gelassen zu haben; zum mindesten entschlüpften ihm Worte der Freude darüber, daß er die Krankheit nicht überwinden werde, als er das letzte oder vorletzte Mal sein Gemach verließ.

Barbesieux brachte die Leute häufig durch seine Antworten zur Verzweiflung, die er stets laut gab, wenn man bei seinen Audienzen leise zu ihm sprach; auch ließ er die hervorragendsten Persönlichkeiten, Männer wie Frauen, warten, während er in seinem Kabinett mit seinen Hunden spielte oder sich mit irgendeinem niedrigen Schmeichler abgab und, nachdem er lange Zeit auf sich hatte warten lassen, das Gemach auf der andern Seite verließ und ausging. Selbst seine Schwäger waren immer seinen Launen ausgesetzt, und seine besten Freunde näherten sich ihm erst, wenn sie das Terrain sondiert hatten.

 

Rose, einer der Kabinettssekretäre des Königs, starb am 6. Januar 1701, sechs- oder siebenundachtzig Jahre alt, bis zuletzt in voller geistiger Frische und vollkommen gesund. Er war auch Präsident an der Rechnungskammer, sehr reich und sehr geizig, aber er war ein sehr geistreicher Mann, dessen Einfälle und Schlagfertigkeit unvergleichlich waren. Dazu war er sehr gebildet, hatte ein klares bewunderungswürdiges Gedächtnis und beherrschte alle Einzelheiten der höfischen Verhältnisse wie der Geschäfte; heiter, freimütig, kühn, nicht selten sogar vermessen, war er doch denen gegenüber, die ihm nicht auf die Hühneraugen traten, höflich und respektvoll. Er füllte seinen Platz vollkommen aus und machte ganz den Eindruck eines Höflings aus der Zeit der Königin-Mutter. Er hatte im Dienste des Kardinals Mazarin gestanden und in hohem Maße dessen Vertrauen genossen, was ihn auch der Königin-Mutter nahegebracht. Beider und auch des Königs Wertschätzung hatte er sich bis zu seinem Tode stets zu bewahren gewußt, so daß selbst die Minister mit ihm rechneten und auf ihn Rücksicht nahmen. Er »hatte die Feder« und stand infolgedessen in einer Art von Verkehr mit dem König und hatte zuweilen Einblick in Dinge, die den Ministern unbekannt blieben.

»Die Feder haben« heißt öffentlicher Fälscher sein und das von Amts wegen tun, was jedem andern das Leben kosten würde. Dieses Amt besteht darin, die Handschrift des Königs so genau nachzumachen, daß die Nachahmung sich davon nicht unterscheiden läßt, und auf diese Weise alle die Briefe zu schreiben, die der König eigenhändig schreiben muß oder will, die zu schreiben ihm aber zu viel Mühe macht. Unter diesen Briefen befinden sich solche an die Souveräne und andere hochgestellte Fremde, ferner solche an seine Untertanen, wie Heerführer und andere hervorragende Leute, in geheimen dienstlichen Angelegenheiten sowohl wie als Zeichen besonderer Gunst oder Auszeichnung. Man konnte einen großen König unmöglich mit mehr Würde sprechen lassen als Rose es tat, auch nicht passender in jedem einzelnen Falle und über jeden Gegenstand sich äußern, wie diese Briefe, die der König sämtlich eigenhändig unterzeichnete.

Eine unendliche Fülle wichtiger Dinge war durch Roses Hände gegangen und ging zuweilen noch durch sie: er war außerordentlich treu und verschwiegen, und der König hatte vollstes Vertrauen zu ihm. So übt derjenige der vier Kabinettssekretäre, der die Feder hat, alle Funktionen seines Amtes aus, während die anderen drei nur die Bezüge haben.

Rose war schlau, verschlagen, gewandt und gefährlich. Es gibt von ihm zahllose Geschichten, von denen ich nur zwei oder drei mitteilen will, weil sie ihn und die in Frage kommenden Personen charakterisieren. Er hatte ganz in der Nähe von Chantilly eine schöne und gut gehaltene Besitzung, die er sehr liebte und häufig aufsuchte. Er zeigte sich dem Prinzen von Condé (Henri-Jules de Bourbon) gegenüber sehr respektvoll, wachte aber darüber, daß dieser ihm als Nachbar nicht über den Kopf wuchs. Der Prinz von Condé (mehr als er vielleicht noch seine Jagdbeamten), einer Nachbarschaft, die ihn einengte, überdrüssig, ließ Rose den Vorschlag machen, ihm seine Besitzung zu überlassen; dieser wollte aber nie etwas davon hören und sie um kein Geld hergeben. Als der Prinz zuletzt diese Hoffnung aufgeben mußte, fing er an, ihm allerlei Schabernack zu spielen, um ihm seinen Besitz zu verleiden und ihn zum Verkauf zu bestimmen. So ließ er ihm auch einmal drei- oder vierhundert Füchse, alte und junge, die er fangen und von überallher kommen ließ, über die Mauern seines Parks werfen. Man kann sich vorstellen, welches Tohuwabohu diese Sippschaft anrichtete und wie über die Maßen verblüfft Rose und seine Leute über dieses nicht endenwollende Fuchsgewimmel waren, das über Nacht in den Park eingebrochen war. Der Biedermann, der von Natur zornmütig und heftig war und den Prinzen von Condé gut kannte, war über die Urheber des Geschenkes nicht im unklaren. Er suchte den König in seinem Kabinett auf und bat ihn entschlossen um die Erlaubnis, ihm eine vielleicht ein wenig ungewöhnliche Frage vorzulegen. Der König, der sehr an ihn und seine Scherze gewöhnt war – Rose war nämlich spaßhaft und sehr witzig – fragte ihn, was es gebe.

»Was es gibt, Sire?« antwortete ihm Rose mit hochrotem Gesicht, »ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, ob wir in Frankreich zwei Könige haben.«

»Was soll das heißen?« fragte der König überrascht und wurde seinerseits rot.

»Was das heißen soll?« replizierte Rose, »das heißt, daß, wenn der Prinz von Condé König ist wie Sie, man weinen und unter diesem Tyrannen das Haupt beugen muß. Wenn er aber nur der erste Prinz von Geblüt ist, so bitte ich Sie um Gerechtigkeit gegen ihn, Sire; denn Sie schulden sie allen Ihren Untertanen und dürfen nicht dulden, daß sie zur Beute des Prinzen von Condé werden.« Hierauf erzählte er ihm, wie er ihn hatte bewegen wollen, ihm seine Besitzung zu verkaufen, wie er ihn dann durch alle möglichen Schikanen dazu zwingen wollte, und berichtete schließlich den Vorfall mit den Füchsen. Der König versprach ihm, er werde mit dem Prinzen von Condé auf eine Weise reden, daß er künftig vor ihm Ruhe haben solle. Er befahl ihm in der Tat, durch seine Leute und auf seine Kosten alle Füchse bis auf den letzten aus dem Park des Biedermannes entfernen zu lassen und zwar auf eine Weise, daß dadurch kein Schaden angerichtet werde, auch habe er für den Schaden aufzukommen, den die Füchse verursacht hätten. Und was sein zukünftiges Verhalten anlangt, so redete er ihm so gründlich ins Gewissen, daß der Prinz von Condé, der ein ergebenerer Höfling war als irgendein Mensch auf der Welt, Rose, der sich lange Zeit spröde verhielt, eifrig den Hof machte und nie wieder wagte, ihn auch nur im geringsten zu erzürnen.

Trotz dieser vielen Bemühungen, denen er sich zuletzt nicht länger verschließen konnte, gab er den Gedanken an eine Vergeltung niemals auf und regalierte ihn gerne hie und da mit einer Stichelei. Ich und fünfzig andere waren eines Tages Zeugen davon. An den Tagen, an welchen Staatsratssitzungen stattfanden, versammelten sich die Minister gegen Ende der Messe im Zimmer des Königs, um in das Kabinett einzutreten, wenn man sie zur Sitzung rief. Im Zimmer des Königs hielten sich um diese Zeit immer Höflinge auf oder Leute, die mit den Ministern zu sprechen hatten, mit denen sie dort bequemer redeten, wenn sie ihnen nur wenig zu sagen hatten. Der Prinz von Condé erschien dort häufig und zum ersten Prinzen von Geblüt: der Prinz von Condé wurde im Juni 1701, also einige Monate später, zum ersten Prinzen von Geblüt erklärt.sprach mit allen Ministern, ohne ihnen etwas zu sagen zu haben, in der Haltung eines Klienten, der devotest den Hof macht.

Rose, dem nichts entging, nahm die Gelegenheit wahr, daß viele der hervorragendsten Hofleute, die der Zufall an jenem Tage dort versammelt hatte, zugegen waren, und der Prinz von Condé mit viel Geschmeidigkeit und Schmeichelei um die Minister herumscharwenzelt hatte. Er beobachtete ihn scharf, und plötzlich ging er gerade auf ihn zu, schloß mit einem Finger ein Auge – eine Geste, die er manchmal an sich hatte – und sagte ganz laut zu ihm: »Monsieur, ich sehe, daß Sie hier diesen Herren den Hof machen, und schon seit mehreren Tagen. Das geschieht gewiß nicht umsonst. Ich kenne meinen Hof und meine Leute seit vielen Jahren, man wird mir das nicht weismachen: ich sehe wohl, worauf das abzielt!« Er sprach dies mit einer Lebhaftigkeit und Betonung, die den Prinzen, der sich dagegen nach Kräften zu verwahren versuchte, in die größte Verwirrung versetzten. Dieser Dialog bewirkte, daß die Minister und die anderen Leute von Bedeutung, die zugegen waren, sich um sie herumdrängten. Als Rose sah, daß eine genügende Zahl Neugieriger ihn umgab und die Eröffnung der Staatsratssitzung unmittelbar bevorstand, nahm er den Prinzen von Condé respektvoll beim Handgelenk und sagte mit einem feinen boshaften Lächeln: »Wollen Sie sich etwa nicht zum ersten Prinzen von Geblüt machen, Monsieur?« sprach's, machte eine Pirouette und verschwand. Wer verblüfft dastand, das war der Prinz von Condé, die übrigen Anwesenden aber konnten sich nicht enthalten, in ein fröhliches Gelächter auszubrechen.

Das war einer von den gewagten Streichen Roses, und er unterhielt und belustigte den Hof mehrere Tage lang. Der Prinz von Condé war wütend, aber er konnte nichts sagen und wagte es auch nicht. Kaum ein Jahr nach dieser Episode starb unser Biedermann.

Er hatte Herrn von Duras niemals eine Bosheit verziehen, die in der Tat grausam war. Es war bei Gelegenheit einer Reise des Hofes. Der Wagen Roses war, ich weiß nicht wie, zusammengebrochen. In seiner Ungeduld hatte er ein Pferd genommen. Er war kein guter Reiter: er und das Pferd überwarfen sich, und der Gaul setzte ihn in einer Kotlache ab. Da fuhr Herr von Duras vorbei, und Rose rief ihn unter seinem Pferd inmitten der Kotlache hervor um Beistand an. Herr von Duras, dessen Wagen sanft in diesem Schlamm hinfuhr, steckt den Kopf aus dem Schlag und fängt statt aller Hilfe an zu lachen und ruft, das müsse ein recht leckerhaftes Pferd sein, daß es sich derart auf den Rosen wälze, – womit er seinen Weg fortsetzte und ihn liegen ließ. Nach ihm kam der Herzog von Coislin gefahren, der barmherziger war und ihn auflas. Er war aber so wütend und so außer sich vor Zorn, daß die Insassen des Wagens lange Zeit nicht herauszubringen vermochten, gegen wen er so ergrimmt war. Das Schlimmste kam aber im Nachtquartier. Herr von Duras, der niemand fürchtete und seinen Schnabel ebensogut zu wetzen wußte wie Rose, hatte dem König und dem ganzen Hofe von dem Vorfalle erzählt und stürmisches Gelächter erweckt. Das empörte Rose derart, daß er sich Herrn von Duras seitdem nie wieder genähert hat, und wenn er, wie es manchmal geschah, ihm in Gegenwart des Königs irgendeinen Hieb versetzte, fing der König an zu lachen und sprach ihm von der Kotlache.

Gegen Ende seines Lebens hatte er seine Enkelin, die sehr reich war und noch viel mehr von ihm zu erwarten hatte, mit Portail verheiratet, der lange Zeit darnach als erster Präsident des Parlaments von Paris gestorben ist. Die Heirat war nicht von der Übereinstimmung des Paares getragen: die junge Frau, die sich bewußt war, eine reiche Partie zu sein, verachtete ihren Gatten und sagte, statt in ein gutes Haus zu kommen, sei sie im Portal stehengeblieben. Endlich beklagten sich der Vater, ein alter Rat an der Großen Kammer, und der Sohn bei Rose. Zuerst legte er wenig Gewicht darauf, als sie sich aber von neuem beklagten, versprach er, seine Enkelin ins Gebet zu nehmen, tat es aber nicht. Endlich, dieser fortwährenden Beschwerden müde, antwortete er ihnen zornig: »Sie haben vollkommen recht, sie ist ein unverschämtes Ding, eine Schelmin, mit der man nicht fertig werden kann, und wenn ich noch einmal Klagen über sie höre, dann enterbe ich sie, das habe ich mir fest vorgenommen!« Daraufhin hörten die Klagen auf.

Rose war ein kleiner, weder dicker noch magerer Mann mit einem sehr wohlgebildeten Gesicht, feinen Zügen, durchdringenden und geistsprühenden Augen. Er trug einen kurzen Mantel, ein Atlaskäppchen auf dem fast weißen Haar, einen kleinen leinenen Überkragen beinahe wie die Abbés und stets ein Taschentuch zwischen seinem Habit und seiner Weste: dort sei es seiner Nase am nächsten, sagte er. Er hatte Freundschaft zu mir gefaßt, machte sich sehr unbefangen über die »fremden Prinzen«, ihren Rang und ihre Ansprüche lustig und nannte die Herzöge, mit denen er auf vertrautem Fuße stand, stets: »Eure herzogliche Hoheit«. Das tat er, um jene andern angeblichen »Hoheiten« zu verspotten. Er hielt außerordentlich auf sich, war sehr lustig und bis an sein Ende im vollen Besitze seines scharfen Verstandes. der verschwiegenste Mann: Der Abbé de Choisy sagt in seinen Memoiren von dem Kanzler Pontchartrain: » On tireroit plutôt de l'huile d'un mur; il fait mystère de tout. C'est un vrai Bontemps« (Bd. I, S. 21 u. 32).
Jene Messe, nach welcher der König Frau von Maintenon … heiratete: Saint-Simon kommt in dem großen Bilde, das er später von Ludwig XIV. zeichnet, ausführlicher auf diese Heirat zurück, über deren Datierung man sich nicht einig ist.


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