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Charakteristik des Herzogs von Orléans. Saint-Cloud. Der Ritter von Lothringen. Seine Verbannung. Verzweiflung des Herzogs darüber. Frau von Maintenon und Elisabeth Charlotte von Orléans. Die aufgefangenen Briefe. Die Versöhnung. Eröffnung des Testaments des Herzogs von Orléans. Ehren und Pensionen des Herzogs von Chartres. Vergiftung der ersten Gemahlin des Herzogs. D'Effiat. Der König und der erste Haushofmeister der Herzogin Purnon.

 

Der überwiegende Teil des Hofes erlitt durch den Tod des Herzogs von Orléans einen Verlust. Er war dort die Seele der Unterhaltung und der Vergnügungen, und wenn er ihn verließ, schien dort alles ohne Leben und Bewegung. Abgesehen von seiner Eingenommenheit für die fremden Prinzen, liebte er die Ordnung der Rangstufen, der Vorrechte, der Standesunterscheidungen; er ließ sie beobachten, soviel er konnte, und gab selbst das Beispiel. Er liebte die große Welt und hatte eine Leutseligkeit und eine Höflichkeit, die eine große Zahl von Vertretern derselben zu ihm zogen, und der Unterschied, den er zwischen den Leuten zu machen wußte, je nach dem, was sie waren, trug viel dazu bei. Bei aller Verbindlichkeit seiner Familiarität wußte er doch die Würde seiner hohen Geburt und Stellung zur Geltung zu bringen, ohne zurückzustoßen, aber auch ohne die unbesonnenen Elemente zum Mißbrauch zu verleiten. Er hatte von der Königin, seiner Mutter, die Kunst Hof zu halten Bildnisse der pfälzischen und anderer deutscher Prinzen: die Herzogin Elisabeth Charlotte hatte alle Möbel, Tapisserien und anderen Dekorationsgegenstände 1686 von ihrem Bruder geerbt, und zwei Jahre später, anläßlich der Zerstörung von Heidelberg, hatte Tessé Sorge getragen, die Bildnisse ihrer Ahnen für sie zurückzubehalten.
Schlacht bei Cassel: vgl. oben, Anm. zu Seite 117.
gelernt und gut behalten, auch wollte er einen großen Hof und erreichte ihn durch sein Verhalten. Im Palais-Royal war der Andrang immer groß. In Saint-Cloud, wo sein ganzer zahlreicher Hofstaat sich versammelte, gab es viele Damen, die anderwärts freilich kaum empfangen worden wären, darunter manche von hoher Abkunft, außerdem viele Spieler.

Der Herzog von Orléans

Die Vergnügungen, die in Spielen aller Art, in der besonderen Schönheit des Ortes, deren Genuß auch den Trägsten unter den Damen durch tausend Kaleschen leicht gemacht wurde, in musikalischen Darbietungen und den Freuden der Tafel bestanden, machten daraus ein Haus der Lust und des Glanzes, doch ohne daß die Herzogin irgend etwas dazu beitrug. Sie aß zu Mittag und zu Abend mit den Damen und dem Herzog, fuhr zuweilen mit einigen von ihnen in der Kalesche spazieren, schmollte häufig mit der Gesellschaft, machte sich durch ihre harte und strenge Art, manchmal auch durch ihre Bemerkungen von ihr gefürchtet und verbrachte den ganzen Tag in einem Kabinett, das sie sich ausgesucht hatte, und dessen Fenster höchstens zehn Fuß über dem Erdboden waren, mit der Betrachtung der Bildnisse der pfälzischen und anderer deutscher Prinzen, mit denen sie es tapeziert hatte, außerdem damit, daß sie tagaus tagein eigenhändig ganze Bände von Briefen schrieb, von denen sie selbst Abschriften anfertigte und sorgfältig verwahrte. Der Herzog hatte nicht vermocht, sie zu einem geselligeren Leben zu bequemen und ließ sie gewähren. Er behandelte sie mit aller Hochachtung, ohne sich weiter um ihre Person zu bekümmern, war auch fast nie allein mit ihr zusammen.

Der Herzog, der die Schlacht bei Cassel gewonnen eine angeborene Tapferkeit: andere Zeitgenossen waren davon nicht so sehr überzeugt. Er hatte sich in der Schlacht bei Cassel den Truppen mit zum Zopf geflochtenen Haaren und in einer Überwurfhaube gezeigt, wie die Frauen sie trugen, um der Mühe, ihre Haare erst lange zu frisieren, enthoben zu sein.und dabei viel Tapferkeit gezeigt hatte – eine angeborene Tapferkeit, die er bei allen den Belagerungen bewiesen, an denen er teilgenommen – besaß im übrigen nur die schlechten Eigenschaften der Frauen. Mit mehr Weltgewandtheit als Geist, keiner Spur von Belesenheit, doch einer ausgedehnten und genauen Kenntnis der Familien, Stammbäume und Heiratsverbindungen, war er zu gar nichts fähig. Niemand war so weichlich in körperlicher wie in geistiger Hinsicht, niemand schwächer, schüchterner, niemand wurde mehr von seinen Günstlingen getäuscht, beherrscht und mißachtet und sehr häufig sogar schlecht behandelt als er. Er liebte Klatsch und Stänkerei, war unfähig ein Geheimnis zu bewahren, argwöhnisch, mißtrauisch, säte an seinem Hofe Streit, um die Leute zu entzweien, um etwas in Erfahrung zu bringen, oft auch nur zum Vergnügen und machte den Zwischenträger.

Zu soviel Fehlern, denen keinerlei Tugenden die Wage hielten, hatte er einen abscheulichen Geschmack, den seine Geschenke und die glänzende Stellung, die er denen schuf, in die er sich vernarrt, auf die skandalöseste Weise offenkundig gemacht haben. Der Ritter von Lothringen und Châtillon hatten durch ihre Gesichter, in die sich der Herzog mehr vergafft hatte als in irgendein anderes, an seinem Hofe Glanz und Reichtum erworben. Der letztere, der weder etwas zu beißen, noch Verstand, noch Geist hatte, kam dort empor und erwarb sich Vermögen. Der andere nahm die Sache als Abkömmling der Guisen, der vor nichts errötet, sofern er nur sein Ziel erreicht, und schwang sein Leben lang den Pantoffel über dem Herzog. Er wurde mit Geld und Pfründen überhäuft, tat für sein Haus alles, was er wollte, und war stets ganz öffentlich der Herr Außer den Pfründen, die der Papst ihm verliehen hatte: der Papst hatte den Ritter von Lothringen ermächtigt, Pfründen zu besitzen und dennoch den Degen zu führen.bei Monsieur. Und da er neben dem Stolz der Guisen ihre Schlauheit und ihren Geist hatte, wußte er sich zwischen den König und den Herzog zu stellen und sich von beiden mit Rücksicht behandeln, um nicht zu sagen fürchten zu lassen und eine Wertschätzung, eine Auszeichnung und ein Ansehen zu genießen, das von Seiten des Königs fast ebenso ausgesprochen war wie von Seiten des Herzogs.

Er war denn auch sehr betrübt, weniger über seinen Verlust als solchen, als über den Verlust dieses Instruments, dessen er sich so großartig zu bedienen gewußt hatte. Außer den Pfründen, die der Herzog ihm verliehen hatte, dem Taschengeld, das er sich in beliebiger Höhe von ihm geben ließ, den Provisionen von allen am Hofe Monsieurs erfolgenden Ämterverkäufen, deren Höhe er selbst abschätzte, und die er gleich abzog, hatte er eine Pension von 10 000 Talern und die schönste Wohnung im Palais-Royal und in Saint-Cloud. Die Wohnungen behielt er auf die Bitte des Herzogs von Chartres; aber er wollte die fernere Auszahlung der Pension nicht annehmen, aus Hochherzigkeit, wie sie ihm aus Hochherzigkeit angeboten wurde.

Obgleich es schwer war, dem Könige gegenüber schüchterner und unterwürfiger zu sein, als der Herzog von Orléans es war, eine Unterwürfigkeit, die so weit ging, daß er seinen Ministern und vorher seinen Mätressen schmeichelte, verfehlte er doch nicht die brüderliche Vertraulichkeit zu bewahren und sich bei aller Betonung des Respekts frei und ungezwungen zu geben. Im Familienkreise nahm er sich noch viel mehr heraus, da warf er sich immer in einen Lehnsessel und wartete nicht erst, daß der König ihn zum Er war ein kleiner dickbäuchiger Mann: Nach La Bruyère war er um ein Drittel kleiner als sein ohnehin kleiner Bruder (Ludwig XIV.).
er strömte alle möglichen Parfüms aus: die Herzogin beklagte sich sehr, daß sie heftige Kopfschmerzen bekommen habe, als sie die Kassetten öffnete, in denen die Briefe seiner »Mignons« inmitten von Säckchen lagen, die mit den stärksten Parfüms getränkt waren.
Sitzen auffordere; im Kabinett, nach, dem Abendessen des Königs, saß kein anderer Prinz außer ihm, nicht einmal der Dauphin. Aber wenn er den Ehrendienst verrichtete, und wenn er sich dem König näherte oder ihn verließ, wurde er von keinem Privatmann an Respekt übertroffen, auch legte er selbst in seine ganz gewöhnlichen Handlungen Anmut und Würde. Wohl machte er dem Könige hie und da eine Szene, aber solche Verstimmungen waren bei ihm nicht von Dauer, und da sein Spiel, Saint-Cloud und seine Günstlinge ihn viel kosteten, war er schnell wieder begütigt, wenn der König ihm Geld gab.

Nie jedoch hat er es fertig gebracht, sich Frau von Maintenon zu unterwerfen noch sich zu enthalten, von Zeit zu Zeit dem König gegenüber auf sie zu sticheln oder vor seiner Umgebung bissige Bemerkungen über sie fallen zu lassen. Nicht die Gunst, in der sie beim Könige stand, war es, was ihn verletzte, aber der Gedanke, daß die Scarron seine Schwägerin geworden war, der war ihm unerträglich.

Er war ein kleiner dickbäuchiger Mann, der wie auf Stelzen ging, so hoch waren seine Schuhe, stets wie ein Weib geputzt, voll von Ringen und Armbändern, übersät mit Edelsteinen, mit einer langen auf der Brust ausgebreiteten schwarzen gepuderten Perücke und Bändern überall, wo er deren anbringen konnte. Er strömte alle möglichen Parfüms aus und war in jeder Hinsicht die Reinlichkeit selbst. Man sagte ihm nach, daß er unmerklich Rot auflegte. Sein Gesicht und seine Nase waren sehr lang, das erstere dabei voll, der Mund und die Augen schön. Alle seine Bildnisse gleichen ihm. Als ich ihn sah, war ich peinlich überrascht, daß man sich an die Bilder Ludwigs XIII. erinnert fühlte, dessen Sohn er war, mit dem er aber, von der Tapferkeit abgesehen, so gar keine Ähnlichkeit hatte.

 

Samstag den 11. Juni kehrte der Hof nach Versailles zurück. Dort angekommen, besuchte der König die Herzogin von Orléans, den Herzog und die Herzogin von Chartres, jeden in seinen Gemächern. Madame, die sehr in Unruhe über die Lage war, in der sie sich bei einer Gelegenheit, bei der für sie alles auf dem Spiele stand, dem Könige gegenüber befand, hatte die Herzogin von Ventadour veranlaßt, Frau von Maintenon zu besuchen. Sie tat es: Frau von Maintenon äußerte sich nur im allgemeinen und sagte bloß, sie würde zu Madame gehen, wenn diese sich von der Mittagstafel erhoben habe, und sie wollte, daß Frau von Ventadour als Dritte bei der Unterredung zugegen sei.

Es war am Sonntag, am Tage nach der Rückkehr von Marly. Nach dem Austausch der ersten Begrüßungen ging alles, was zugegen war, hinaus, ausgenommen Frau von Ventadour. Hierauf ließ Madame Frau von Maintenon sich setzen, was sie nicht getan hätte, wenn sie nicht gefühlt hätte, wie notwendig es war. Darauf fing sie an über die Gleichgültigkeit zu sprechen, womit der König sie während ihrer ganzen Krankheit behandelt hatte, und Frau von Maintenon ließ sie alles sagen, was sie wollte. Als sie fertig war, antwortete sie ihr, der König habe ihr aufgetragen, ihr zu sagen, daß ihr gemeinsamer Verlust in seinem Herzen alles auslösche, vorausgesetzt, daß er in der Folge Anlaß habe, zufriedener mit ihr zu sein, als dies seit einiger Zeit der Fall war. Seine bisherige Unzufriedenheit habe ihren Grund nicht nur in den Vorfällen gehabt, die mit der Angelegenheit ob es Ehe oder Konkubinat sei: wir besitzen diesen aufgefangenen Brief natürlich nicht mehr, doch fehlte es in der ungeheueren Korrespondenz Lieselottes nicht an andern, die uns einen genauen Begriff von der Art geben, wie sie sich über Frau von Maintenon ausdrückte. In einem dem aufgefangenen zeitlich ganz nahestehenden Briefe (vom 19. 4. 1701) findet sich eine sehr harte Schilderung des ganzen Hofes, und die Marquise wird darin durchgängig »der alte Dreck« genannt.des Herzogs von Chartres in Zusammenhang standen, sondern auch in andern Dingen, die ihn noch mehr berührten, über die er aber nicht habe sprechen wollen, und die der wahre Grund der Gleichgültigkeit gewesen seien, die er ihr während ihrer Krankheit zu zeigen gewünscht habe.

Madame, die sich ganz sicher glaubt, protestiert bei dieser Bemerkung lebhaft und versichert, daß sie, außer in der Sache ihres Sohnes, nie etwas gesagt noch getan habe, was mißfallen konnte und ergeht sich in Klagen und Rechtfertigungsversuchen.

Als sie am dringendsten Aufklärung verlangte, zieht Frau von Maintenon einen Brief aus ihrer Tasche und zeigt ihn ihr mit der Frage, ob sie die Schrift kenne. Es war ein Brief von ihrer Hand an ihre Tante, die Herzogin von Hannover, an die sie jeden Posttag schrieb. In diesem Briefe sagte sie, nachdem sie das Neueste vom Hofe berichtet, wörtlich, man wisse nicht mehr, was man von dem Verkehr des Königs und Frau von Maintenons sagen solle, ob es Ehe oder Konkubinat sei. Darauf kam sie auf die äußeren und die inneren Angelegenheiten zu sprechen und verbreitete sich über die Misere des Königreichs, die sie als hoffnungslos erklärte.

Die Post hatte den Brief geöffnet, wie sie sie fast alle öffnete und noch öffnet, und gefunden, daß er zu stark sei, als daß sie sich wie gewöhnlich damit begnügen könne, einen Auszug daraus zu geben, und hatte ihn dem Könige im Original gesandt.

Man kann sich vorstellen, daß Madame bei diesem Anblick und bei dieser Lektüre tot umsinken zu müssen glaubte. Sie brach in Tränen aus, und Frau von Maintenon stellte ihr in aller Bescheidenheit die Ungeheuerlichkeit aller Teile dieses Briefes, noch dazu in einem fremden Lande, vor, während Frau von Ventadour schließlich den Fluß ihrer Rede strömen ließ, bloß um Madame Zeit zu geben, daß sie Atem schöpfen und sich genügend fassen könne, um etwas zu sagen. Ihre beste Entschuldigung war das Eingeständnis dessen, was sie nicht leugnen konnte, Bitten um Verzeihung, Reue, Versprechungen. Als das alles erschöpft war, bat Frau von Maintenon sie, zu erlauben, daß sie, nachdem sie sich des Auftrags des Königs entledigt, nunmehr ihrerseits und in eigener Sache ein Wort zu ihr spreche und sich darüber beklage, daß, nachdem sie ihr ehemals die Ehre erwiesen, ihre Freundschaft zu wünschen und ihr die ihrige zu beteuern, seit einigen Jahren bei ihr ein völliger Umschlag eingetreten sei.

Madame glaubte Gelegenheit zu haben, wieder an Boden zu gewinnen: sie antwortete, sie sei um so erfreuter über diese Aufklärung, als sie es sei, die sich über die Veränderung im Verhalten Frau von Maintenons zu beklagen habe, die sie ganz plötzlich im Stich gelassen und gezwungen habe, sie schließlich ebenfalls aufzugeben, nachdem sie lange versucht, sie dahin zu bringen, mit ihr so zu leben, wie sie ehedem gelebt hatten.

Auf diese zweite Antwort machte sich Frau von Maintenon, wie nach der ersten, das Vergnügen, sie Klagen an Klagen, Bedauern an Bedauern und Vorwürfe an Vorwürfe reihen zu lassen. Hierauf gab sie Madame zu, sie habe sich allerdings zuerst von ihr zurückgezogen, und sie habe auch nicht gewagt, sich ihr wieder zu nähern, ihre Gründe dafür seien aber so schwerwiegend gewesen, daß sie nicht weniger habe tun können als dieses Verhalten beobachten. Auf diese Erklärung verdoppelten sich die Klagen Madames und ihr Verlangen zu erfahren, welches wohl ihre Gründe sein könnten.

Darauf sagte ihr Frau von Maintenon, das sei ein Geheimnis, das bis dahin noch nicht über ihre Zunge gekommen sei, obgleich diejenige, die es ihr auf ihr Wort, mit niemand darüber zu sprechen, anvertraut habe, seit zehn Jahren nicht mehr lebe, sie also volle Freiheit dazu gehabt habe. Sodann erzählte sie Madame tausend Dinge, eines beleidigender als das andere, die sie zu der Gemahlin des Dauphins über sie gesagt hatte, als sie schlecht mit dieser stand, Dinge, die sie ihr, nachdem sie sich wieder ausgesöhnt, Wort für Wort wiedererzählt habe.

Dieser zweite Blitzstrahl ließ die Herzogin zur Bildsäule erstarren. Es folgten einige Augenblicke des Schweigens. Frau von Ventadour nahm ihre Rolle von vorhin wieder auf, um Madame wieder zu sich kommen zu lassen. Diese wußte sich indes nicht anders zu helfen wie das erstemal, d. h. sie weinte und bat zum Schluß um Verzeihung und gestand alles ein, bezeigte Reue und bat flehentlich, alles zu vergessen.

Frau von Maintenon triumphierte geraume Zeit kalten Herzens über sie und ließ sie sich müde reden, weinen und ihre Hände ergreifen. Das war eine schreckliche Erniedrigung für eine so hochmütige und stolze Deutsche. Zuletzt ließ sich Frau von Maintenon rühren, wie sie schon vorher beschlossen, nachdem sie ausgiebige Rache genommen hätte. Sie umarmten sich, sie versprachen sich vollkommenes Vergessen und neue Freundschaft. Frau von Ventadour zerfloß in Freudentränen und das Siegel der Versöhnung war das Versprechen, daß der König sich ebenfalls mit ihr versöhnen und mit keinem Worte die eben behandelten Angelegenheiten berühren werde. Dadurch fühlte sich die Herzogin mehr als durch alles andere erleichtert.

Der König, dem weder der Besuch Frau von Maintenons bei der Herzogin von Orléans, noch was dort zur Verhandlung stand, unbekannt war, gab Madame einige Zeit sich zu erholen und ging dann noch am gleichen Tage zu ihr, um in ihrer und des Herzogs von Chartres Gegenwart das Testament des Herzogs von Orléans zu eröffnen. Zugegen waren dabei auch der Kanzler und sein Sohn, als Staatssekretär des königlichen Hauses, und Terrat, der Kanzler des Herzogs von Orléans. Dieses Testament war aus dem Jahre 1690, einfach und verständig und ernannte zum Vollstrecker denjenigen, der am Tage seiner Eröffnung erster Präsident des Parlaments von Paris sein würde. Der König hielt Frau von Maintenon Wort: er kam mit keinem Worte auf die Sache zu sprechen und erwies Madame sehr viele Freundlichkeiten, ebenso dem Herzog von Chartres, der – der Ausdruck ist nicht zu stark – über alle Maßen gut behandelt wurde.

Der König verlieh ihm außer den Pensionen, die er hatte und behielt, alle diejenigen, die sein Vater bezog. Das machte 650 000 Livres, so daß er mit seiner Apanage und seinen andern Gütern nach Abzug des Wittums der Herzogin von Orléans über 1 800 000 Livres Rente verfügte, wozu noch das Palais-Royal, Saint-Cloud und seine anderen Schlösser kamen. Er hatte, was bei den königlichen Prinzen noch nicht dagewesen war, Leibwachen und Schweizer, dieselben, die auch sein Vater hatte, seinen Gardistensaal in dem Teil des Schlosses von Versailles, wo der Gardistensaal des Herzogs von Orléans sich befand, einen Kanzler, einen Tod Madames, der ersten Frau des Herzogs von Orléans: Henriette-Anna, zweitälteste Tochter Karls I. von England. Vgl. über diese Vergiftungsaffäre, Saint-Simon, Edition A. de Boislisle, Bd. VIII, Appendix Nr. XXVII.Generalanwalt, in dessen Namen er gegebenenfalls prozessierte, und nicht in seinem eigenen, ferner das Ernennungsrecht für alle Pfründen seiner Apanage, mit Ausnahme der Bischofssitze, das heißt, daß alles, was Monsieur besaß, ihm voll erhalten blieb. Er behielt seine Kavallerie- und Infanterieregimenter bei und bekam auch noch die, welche sein Vater besessen hatte und dessen Schwerereiter- und Chevaulegerskompagnien, und er nahm den Namen Herzog von Orléans an.

Diese so großen und so unerhörten Ehren und über 100 000 Taler Pension mehr als Monsieur bezogen hatte, verdankte er allein der Rücksicht auf seine Heirat, den noch so frischen Vorwürfen Monsieurs, daß er von dieser nur Beschämung und sonst nichts hätte, und der Verlegenheit, die der König über das Verhältnis empfand, in dem er und der Herzog von Orléans gestanden, und das möglicherweise seinen Tod beschleunigt hatte.

 

Ich will von diesem Prinzen nicht Abschied nehmen, ohne eine Anekdote zu erzählen, die sehr wenigen Leuten zur Kenntnis gekommen ist. Sie bezieht sich auf den Tod Madames, der ersten Frau des Herzogs von Orléans, von der niemand gezweifelt hat, daß sie vergiftet worden ist, sogar auf ganz plumpe Weise. Ihre Galanterien machten Monsieur eifersüchtig; der entgegengesetzte Geschmack des Herzogs erfüllte Madame mit Unwillen; die Günstlinge, die sie haßte, säten nach Kräften Zwiespalt zwischen ihnen, um über Monsieur ganz nach Gutdünken zu verfügen. Der Ritter von Lothringen, der, da er 1643 geboren war, in der Blüte seiner Jugend und seiner Reize stand, setzte bei ihm endlich die Verbannung des Ritters von Lothringen durch: die Sache verhielt sich folgendermaßen: der Lothringer wollte sich im Januar 1670 von seinem Herren zwei Abteien geben lassen, die zu dessen Apanage gehörten und durch den Tod des Bischofs von Langres, Barbier de la Rivière, frei geworden waren. Der König widersetzte sich dem und ließ sogar den Ritter in die Bastille bringen, weil der Herzog von Orléans sich schmollend nach Villers-Cotterets zurückgezogen hatte und jedermann wissen ließ, warum. Er ließ den Günstling erst wieder frei, als der Herzog von Orléans wieder zurückgekehrt war und demütig um seine Gunst gebeten hatte. Der Ritter von Lothringen aber begab sich auf die ernstliche Mahnung des Hofes, trotz des Ärgers des Herzogs, nach Rom, von wo er erst 1672 wieder zurückkehrte. – Dieses Zerwürfnis mit dem Könige erregte im In- wie im Auslande das größte Aufsehen. Als dann der Herzog auf Drängen seiner Gemahlin und Colberts, den der König zu ihm geschickt hatte, nach 25 Tagen zurückkehrte, wurde dieses Ereignis dem Auslande notifiziert.übte eine unumschränkte Herrschaft über Monsieur aus und ließ es Madame und ebenso den ganzen Hofstaat des Herzogs fühlen. Madame, die nur ein Jahr jünger als er und entzückend war, konnte aus mehr als einem Grunde diese Herrschaft nicht dulden: sie stand beim Könige in allergrößter Gunst und Wertschätzung und setzte bei ihm endlich die Verbannung des Ritters von Lothringen durch.

Bei dieser Nachricht fiel der Herzog von Orléans in Ohnmacht, dann zerfloß er in Tränen und warf sich dem Könige zu Füßen, um den Widerruf eines Befehls zu erwirken, der ihn in die äußerste Verzweiflung setzte. Er vermochte nichts zu erreichen, geriet in helle Wut und begab sich nach Villers-Cotterets. Nachdem er gehörig gegen den König und gegen Madame, die immer versicherte, daß sie keinerlei Anteil an der Verbannung habe, Feuer und Flammen gespuckt hatte, konnte er um einer so offenkundig beschämenden Sache willen die Rolle des Mißvergnügten nicht lange durchführen. Der König ließ sich herbei, ihn in anderer Hinsicht zu befriedigen: er erhielt Geld, Komplimente, Freundschaftsbeweise, kehrte sehr betrübten Herzens zurück, und es dauerte nicht sehr lange, da lebte er mit dem Könige und Madame wieder wie gewöhnlich.

D'Effiat, ein Mann von unternehmendem Geiste, erster Stallmeister Monsieurs, und der Ritter von Beuvron, ein geschmeidiger und sanfter Mann, der aber eine Rolle bei Monsieur, dessen Garden er als Kapitän befehligte, spielen, vor allem aber durch ihn zu Geld kommen wollte, um reich zu werden, waren eng mit dem Ritter von Lothringen befreundet, dessen Abwesenheit ihren Angelegenheiten sehr schadete und sie befürchten ließ, irgendein anderer Mignon möchte seinen Platz einnehmen und sich ihnen nicht so gefügig zeigen. Keiner von den Dreien hatte die Hoffnung, daß die Verbannung ein Ende finden werde, da sie Madame in so großer Gunst beim Könige sahen, begann diese doch sogar an den Staatsgeschäften teilzunehmen und hatte sie doch im Auftrage des Königs eine geheimnisvolle Reise nach England gemacht, von der sie mit einem vollkommenen Erfolge triumphierender denn je zurückkehrte.

Sie war im Juni 1644 geboren und verfügte über eine sehr gute Gesundheit, wodurch ihnen die Rückkehr des Ritters von Lothringen vollends in unabsehbare Ferne gerückt wurde. Dieser hatte sich nach Italien und Rom begeben, um dort seinen Ärger spazieren zu führen. Ich weiß nicht, welcher von den Dreien zuerst auf den Gedanken verfiel; jedenfalls schickte der Ritter von Lothringen seinen beiden Freunden durch einen Eilboten, der vielleicht selbst nicht wußte, was er trug, ein sicheres schnellwirkendes Gift.

Madame war in Saint-Cloud und nahm seit einiger Zeit, um sich zu erfrischen, gegen sieben Uhr abends ein Glas Zichorienwasser. Ein Kammerdiener von ihr hatte es zuzubereiten; er stellte das Getränk samt dem dazu gehörigen Glas usw. in einen Schrank, der in einem ihrer Vorzimmer stand. Dieses Zichorienwasser befand sich in einem Fayence- oder Porzellantopf, und daneben stand immer noch gewöhnliches Wasser für den Fall, daß Madame das Zichorienwasser zu bitter fände, um es damit zu mischen. Dieses Vorzimmer war der allgemeine Durchgang, wenn man zu Madame wollte, und es hielt sich dort nie jemand auf, weil mehrere Vorzimmer vorhanden waren.

Der Marquis von Effiat hatte das alles ausspioniert. Als er am 29. Juni 1670 durch dieses Vorzimmer ging, fand er den Augenblick, den er suchte. Niemand befand sich darin, und er hatte bemerkt, daß niemand ihm folgte, um ebenfalls zu Madame zu gehen. Er macht kehrt, geht auf den Schrank zu, öffnet ihn, schüttet sein Gift in den Trank, bewaffnet sich dann, da er jemand hört, mit dem andern Gefäß, das das gewöhnliche Wasser enthält, und wie er es wieder hinstellen will, läuft der Kammerdiener, dem die Bereitung des Zichorienwassers anvertraut war, auf ihn und fragt ihn barsch, was er an dem Schranke zu schaffen habe. D'Effiat, ohne im geringsten in Verwirrung zu geraten, sagt zu ihm, er bitte ihn um Entschuldigung, aber er vergehe vor Durst und, da er wisse, daß sich in dem Schranke Wasser befinde – dabei zeigt er ihm den Topf mit dem gewöhnlichen Wasser – habe er der Versuchung nicht widerstehen können, davon zu trinken.

Der Diener brummt weiter, und der Marquis tritt, indem er ihn immer wieder beschwichtigt und sich entschuldigt, in das Kabinett der Herzogin ein und fängt ohne die leiseste Erregung an zu plaudern wie die andern Hofleute. Was eine Stunde später folgte, ist nicht Gegenstand meiner Aufzeichnungen und hat nur zuviel Staub in ganz Europa aufgewirbelt.

Als Madame am andern Tage, am 30. Juni, um drei Uhr morgens gestorben war, wurde der König vom größten Schmerz ergriffen. Allem Anschein nach erhielt er im Laufe des Tages Indizien, offenbar schwieg auch der Diener nicht und hatte der König die Vorstellung, daß Purnon, der erste Haushofmeister Madames, infolge seiner engen Vertrautheit mit d'Effiat, an dem Geheimnis teilhabe. Der König lag schon zu Bett: da erhebt er sich wieder, läßt Brissac holen, der seit kurzem bei seinen Garden stand und ihm ganz nahe zur Hand war, befiehlt ihm, sechs sehr sichere und verschwiegene Leibgardisten auszuwählen, sich des Mannes zu bemächtigen und ihn hintenherum zu ihm in seine Gemächer zu bringen. Dies wurde ausgeführt, bevor es Morgen wurde.

Sowie der König seiner ansichtig ward, befahl er Brissac und seinem ersten Kammerdiener sich zurückzuziehen, nahm ein Gesicht und einen Ton an, die wahrhaft schreckeinflößend waren und sagte zu ihm, indem er ihn von Kopf bis zu Füßen ansah: »Mein Freund, hört mich wohl an, wenn Ihr mir alles gesteht und auf das, was ich von Euch wissen will, die Wahrheit antwortet, so verzeihe ich Euch, was Ihr auch getan haben mögt, und es wird nie ein Wort darüber fallen; aber seht Euch vor, daß Ihr mir auch nicht den geringsten Umstand verheimlicht; denn wenn Ihr es tut, so seid Ihr tot, bevor Ihr dieses Zimmer verlaßt! Ist Madame nicht vergiftet worden?«

»Ja, Sire«, antwortete er.

»Und wer hat sie vergiftet?« fragte der König weiter, »und wie hat man es angestellt?« Er antwortete, es sei der Ritter von Lothringen gewesen, der das Gift an Beuvron und d'Effiat gesandt habe, und erzählte ihm, was ich eben mitgeteilt. Darauf verdoppelte der König sein Begnadigungsversprechen und seine Todesdrohungen und fragt: »Und mein Bruder, wußte er darum?«

»Nein, Sire, keiner von uns Dreien war dumm genug, um es ihm zu sagen; er kann kein Geheimnis bei sich behalten und hätte uns ins Verderben gestürzt.«

Bei dieser Antwort stieß der König ein tiefes hah! hervor, wie ein schwer bedrückter Mensch, der, sich plötzlich erleichtert fühlend, aufatmet.

»Das ist alles, was ich wissen wollte,« sagte er, »aber könnt Ihr mir auch wirklich dafür einstehen?« Er rief Brissac wieder herein und befahl ihm, den Mann irgendwohin zu führen und dort sofort frei zu lassen. Dieser Mann hat es lange Jahre später Herrn Joly de Fleury, Generalanwalt des Parlaments, erzählt, von dem ich diese Geschichte habe. Dieser selbe Beamte, mit dem ich wieder darauf zu sprechen gekommen bin, erzählte mir etwas, was er mir das erstemal nicht gesagt hatte, nämlich Folgendes: Wenige Tage nach der zweiten Eheschließung des Herzogs von Orléans, nahm der König Madame beiseite, erzählte ihr diese Tatsache und fügte hinzu, er wolle sie über Monsieur beruhigen und über sich selbst, der er zu billig denke, um ihr seinen Bruder zum Manne zu geben, wenn er eines solchen Verbrechens fähig wäre.

[Anmerkung aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re.] Das Verhalten des Kaisers: wir stehen am Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges, der im folgenden bruchstückweise sich in unserem Auszuge widerspiegelt. Die hier folgende Stammtafel und die sich daran anschließenden knappen Daten [Nach Ploetz.] sollen den zum Verständnis der Geschehnisse nötigen Rahmen geben.

Kaiser Leopold I. hatte außer seiner Tochter Maria Antonie zwei Söhne, aus zweiter Ehe: Joseph I. (Kaiser 1705-1711), aus dritter Ehe Karl VI. (Kaiser 1711-1740). Karl II., König von Spanien, ist kinderlos; Leopold I. als Vertreter der deutschen Linie des Hauses Habsburg nimmt das spanische Erbe für seinen zweiten Sohn Karl, Ludwig XIV. für seinen zweiten Enkel Philipp von Anjou in Anspruch. Wilhelm III. von Oranien an der Spitze der Seemächte (England und Holland) schließt mit Ludwig XIV. 1698 einen Teilungsvertrag; Karl II. dagegen setzt den Kurprinzen von Bayern zum Erben der gesamten Monarchie ein. Nach dessen plötzlichem Tode 1699 neue Unterhandlungen; endlich unterzeichnet Karl II. ein neues Testament, welches Philipp von Anjou zum Erben einsetzt. Große Allianz der Seemächte (1701) mit Kaiser Leopold, zunächst um dem Hause Österreich die spanischen Besitzungen in den Niederlanden und in Italien zu verschaffen, während Frankreich sich mit den Herzögen von Savoyen und Mantua, den Kurfürsten von Bayern und Köln verbündet. Die übrigen Stände des Deutschen Reiches, namentlich Preußen, mit dem Kaiser verbündet. Portugal tritt der großen Allianz bei, endlich auch Savoyen (1703), welches Frankreich verläßt. Vier Kriegsschauplätze: Spanien, Italien, Niederlande, Deutschland. Philipp von Anjou wird in Spanien als König Philipp V. anerkannt. Seine Hauptstütze ist Castilien.

1701. Prinz Eugen von Savoyen als Feldherr Kaiser Leopolds eröffnet den Krieg siegreich in Oberitalien, wird aber 1702 vom Herzog von Vendôme in seinem Vordringen gehemmt.
1703. Die Bayern fallen in Tirol ein, werden aber zurückgetrieben. Der englische Feldherr Marlborough dringt in den Niederlanden vor.

1704. Erzherzog Karl landet in Portugal, die Engländer erobern Gibraltar, Eugen und Marlborough vereinigen sich an der Donau und siegen unweit Donauwörth über die Franzosen und Bayern in der Schlacht bei Höchstädt. Bayern von den kaiserlichen Truppen besetzt.

1705. Leopold I. stirbt. Sein Sohn Joseph I. Kaiser.

1706. Karl erobert auf kurze Zeit Madrid. 23. Mai Sieg Marlboroughs bei Ramillies. 7. Sept. Sieg Eugens bei Turin mit Hilfe der Preußen unter Leopold von Dessau. Die Franzosen werden dauernd aus Italien verdrängt, Mantua von Österreich in Besitz genommen, dann auch Neapel.

1708. Sieg Marlboroughs und Eugens bei Oudenarde über Vendôme und den Herzog von Burgund. Lille belagert und genommen. Furchtbarer Winter in Frankreich.

Friedensverhandlungen. Forderung der Verbündeten: Herausgabe der spanischen Monarchie an Karl von Österreich; der niederländischen Grenzfestungen an die Holländer; für das deutsche Reich Wiederherstellung des im Westfälischen Frieden festgesetzten Besitzstandes. Dies alles wird von Ludwig XIV. bewilligt. Aber die Forderung, daß er seinen Enkel mit französischen Waffen aus Spanien vertreiben soll, bewirkt den Abbruch der Verhandlungen. Fortgang des Krieges.
(Fortsetzung in Bd. IV.)

Ahnentafel


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