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VIII

Krankheit des Herzogs von Beauvillier. Helvetius. Opposition der Pariser Ärzte gegen ihn. Fagons Tyrannei. Epileptischer Anfall desselben. Boshafte Bemerkung Saint-Simons. Der Kardinal von Bouillon geht in die Verbannung. Erkrankung des Dauphins. Deputation der Fischverkäuferinnen. Eine von ihnen umarmt den Dauphin. Verteilung der Kommandos. Dem Herzog von Chartres wird die Erlaubnis Dienst zu tun verweigert. Differenz zwischen dem Könige und dem Herzog von Orléans darüber. Besetzung des Bistums Noyon. Cosnac Erzbischof von Aix. Wie er als Bischof von Valence wichtige Dokumente verschwinden läßt. Er kauft in Holland ein Pamphlet auf.

 

Der Herzog von Beauvillier litt an einem Durchfall, der schon seit langem an ihm zehrte. Nun hatte sich Fieber dazugesellt, und er hatte große Mühe sein Schloß in Saint-Aignan bei Loches zu erreichen, wo er in äußerst bedenklichem Zustande darniederlag. Ich hatte gleich bei seiner Abreise erfahren, daß Fagon ihn aufgegeben und nur darum nach Bourbon geschickt hatte, weil er mit seinem Latein zu Ende war und ihn nicht unter seinen Augen sterben sehen wollte. Als ich diese ernste Nachricht aus Saint-Aignan erhalten hatte, eilte ich zum Herzog von Chevreuse, um ihn zu ermahnen, die Politik beiseitezusetzen und schleunigst Helvetius hinzusenden. Ich hatte die große Freude, von ihm zu erfahren, daß er bereits zu diesem Entschlusse gekommen sei und selbst am andern Tage mit Helvetius hinreise. weil er die Grade der Pariser Fakultät nicht erworben hatte: Helvetius war nur Doktor der Fakultät von Reims. Seine Studien hatte er in Leyden gemacht.
Ipekakuanha: Der Gebrauch des aus dieser Wurzel bereiteten Pulvers war den Pariser Drogisten wohl bekannt und von verschiedenen Ärzten verschrieben; Helvetius hat ihn nur geregelt. Am 15. Juli 1687 erhielt er die Erlaubnis, es gegen die Dysenterien anzuwenden, und man überließ ihm kurz darauf Kranke des Hôtel-Dieu, um Versuche an ihnen mit dem Heilmittel anzustellen. Die Resultate waren gut, und auf einen Rapport d'Aquins gewährte ihm der König am 23. August 1688 das Privileg, sein Spezifikum vier Jahre lang gegen Durchfall, rote Ruhr und Dysenterie zu verkaufen. Helvetius verwendete auch die Chinarinde und veröffentlichte 1694 eine Méthode pour guérir les fièvres malignes.

Helvetius war ein schwerer Holländer, der den Ärzten ein Dorn im Auge war, weil er die Grade der Pariser Fakultät nicht erworben hatte, namentlich war er der Schrecken Fagons, dessen Ansehen beim König ebenso außerordentlich war wie seine Tyrannei über die Medizin und diejenigen, die das Unglück hatten, seiner zu bedürfen. In ihrer Sprache hieß Helvetius also ein Empiriker, der nur Verachtung und Verfolgung verdiente, und wehe dem, der sich seiner bediente: er zog sich die Ungnade, den Zorn und die Verfolgung Fagons zu. Dennoch war Helvetius schon lange in Paris, heilte viele Leute, die von den Ärzten zurückgewiesen oder aufgegeben worden waren, und vor allem die Armen, die er mit großer Barmherzigkeit behandelte. Er empfing ihrer täglich zu einer bestimmten Stunde in seinem Hause, soviele kommen wollten, und lieferte ihnen die Heilmittel, häufig auch die Nahrung. Seine besondere Stärke war die Behandlung der veralteten Durchfälle und Dysenterien. Er ist es, dem man den Gebrauch und die verschiedene Zubereitung der Ipekakuanha, der amerikanischen Brechwurzel, für die verschiedenen Arten dieser Krankheiten verdankt und die Unterscheidung derjenigen, bei denen dieses Spezifikum noch nicht oder überhaupt nicht anwendbar ist. Dies verschaffte Helvetius Zulauf. Er war ferner ausgezeichnet in der Behandlung der Pocken und der anderen Giftkrankheiten, im übrigen war er ein mittelmäßiger Arzt.

Der Herzog von Chevreuse teilte dem Könige den Entschluß mit, den er gefaßt hatte. Er billigte ihn, und das Merkwürdigste ist, daß Fagon selbst darüber Freude bekundete, er, der bei einer anderen Gelegenheit darüber in Wut geraten wäre. Da er aber vollkommen überzeugt war, daß der Herzog von Beauvillier nicht davonkommen könne und in Saint-Aignan sterben würde, war er entzückt, daß dies unter den Händen von Helvetius geschehen sollte: so konnte er doch über ihn triumphieren. Gott sei Dank traf das Gegenteil ein. Helvetius fand ihn äußerst schlecht; in sieben oder acht Tagen brachte er ihn so weit, daß seine Genesung als sicher gelten konnte.

Der Herzog von Beauvillier

Er traf am achten März zu sehr früher Stunde in Versailles ein. Ich eilte mit der lebhaftesten Freude herbei, ihn zu umarmen. Als ich aus seinen Gemächern zurückkehrte und das Vorzimmer des Königs durchquerte, sah ich eine Menge Menschen, die sich um eine Ecke des Kamins drängten: ich näherte mich, um zu sehen, was es gäbe. Die Menge teilte sich, und ich erblickte Fagon, der, Hals und Brust vollständig entblößt, mit offenem Munde dasaß wie ein Sterbender: es war ein epileptischer Anfall. Er hatte deren manchmal, und dieser Umstand veranlaßte ihn, so eingezogen zu leben und machte seine Besuche bei den wenigen Kranken des Hofes, die er behandelte, so kurz. In seinem Hause ließ er sich nie konsultieren.

Sobald ich bemerkte, was diesen Auflauf verursachte, setzte ich meinen Weg zum Marschall von Lorge fort. Als ich dort, die helle Freude auf dem Gesichte, eintrat, fragte mich die Gesellschaft, die dort stets sehr zahlreich anwesend war, woher ich käme, daß ich so erfreut aussehe. »Woher ich komme?« antwortete ich; »von der Umarmung eines aufgegebenen Kranken, der sich wohl befindet und vom Anblick des aufgebenden Arztes, der im Sterben liegt.« Man fragte mich nach der Lösung dieses Rätsels. Ich gab sie, und alsbald war alles in Aufregung über den Zustand Fagons, der am Schritte des Papstes zu seinen Gunsten: Am Tage, an dem die Nachricht in Versailles eintraf, daß der Kardinal von Bouillon sich auf die Heimreise gemacht habe, trugen der Nuntius und der Kardinal von Noailles dem Könige die nochmalige Bitte Clemens XI., die Verbannung usw. aufzuheben vor, der König fand diese Intervention jedoch deplaciert und wollte auch keinen Brief des Kardinals von Bouillon lesen.
Dort erlangte er bald darauf die Aufhebung der Beschlagnahme: Am 3. und 21. Juni 1701. Übrigens hatte der Intendant des Kardinals bereits im voraufgegangenen November die Erlaubnis erhalten, die Einkünfte seiner Güter in Empfang zu nehmen.
nachdem er die heilige Tür des großen Jubiläums geschlossen: Saint-Simon sagt irrtümlich: geöffnet.
Hofe eine sehr bedeutende Persönlichkeit war, eine von denen, mit denen am meisten gerechnet wurde, selbst von den Ministern, und namentlich von der ganzen engeren Umgebung des Königs.

Der Marschall und die Marschallin von Lorge machten mir ein Zeichen, aus Furcht, ich möchte noch mehr sagen, und schalten mich nachher wegen meiner Unbesonnenheit aus, und mit Recht. Augenscheinlich kam Fagon nichts davon zu Ohren; denn ich habe immer sehr gut mit ihm gestanden.

Man erfuhr um dieselbe Zeit, daß der Kardinal von Bouillon, den der Fehlschlag seiner Machenschaften und der wiederholten Schritte des Papstes zu seinen Gunsten der letzten Hoffnung beraubt hatte, endlich von Rom abgereist war und sich nach Cluny, dem Orte seiner Verbannung begeben hatte. Dort erlangte er bald darauf die Aufhebung der Beschlagnahme seiner Besitzungen und Pfründen. Er hatte sich nicht enthalten können, nachdem er die heilige Tür des großen Jubiläums geschlossen, Medaillen schlagen zu lassen, auf deren einer Seite diese Zeremonie dargestellt war, und auf der anderen er selbst und als Umschrift sein Name und die Bezeichnung als Großalmosenier von Frankreich, was er damals nicht mehr war. Dies hatte den König von neuem gegen ihn aufgebracht und war vielleicht mit schuld an der Festigkeit, mit der er dem Papste in bezug auf die Rückkehr und das Exil des Kardinals von Bouillon widerstand.

 

Samstag den 19. März, am Tage vor Palmsonntag, als der König abends an seinem Betpult war, um sich dann wie gewöhnlich gleich zu entkleiden, hörte er in seinem Zimmer, das voll von Hofleuten war, schreien er war ein starker Esser: Nach den Mémoires de Sourches, Bd. I, S. 153 u. 309 f. hatte der Dauphin die Gewohnheit mehr als drei Männer zu essen, und da er sich keine andere Bewegung machte als zu Pferde, weil er nicht recht sicher auf den Beinen war, war sein Oberkörper übermäßig dick geworden.und aufgeregt nach Fagon und Felix rufen. Der Dauphin befand sich außerordentlich schlecht. Er hatte den Tag in Meudon verbracht, wo er nichts getan hatte als essen, und beim Abendessen des Königs hatte er sich mit Fisch überladen: er war ein starker Esser wie der König und wie die Königinnen, seine Mutter und Großmutter. Nach dem Essen hatte kein Anzeichen darauf hingedeutet. Er war eben aus dem Kabinett des Königs in seine Gemächer hinabgestiegen und hatte sich, wie es ebenfalls seine Gewohnheit war, sofort vor seinem Betpult hingekniet, um sich gleich darauf auszukleiden. Als er sein Betpult verließ und sich in seinen Stuhl setzte, um sich auszuziehen, verlor er plötzlich die Besinnung. Seine Diener, die außer sich vor Schreck waren, und einige von den Hofleuten, die seinem Coucher beiwohnten, eilten in die Gemächer des Königs hinauf, um den ersten Arzt und den ersten Chirurgen des Königs zu suchen, wobei sie den Lärm machten, von dem ich sprach.

Fagon

Der König, der schon ganz aufgeknöpft war, erhob sich alsbald von seinem Betpult und stieg zum Dauphin hinunter auf einer dunklen, engen und schwierigen Treppe, die in der Tiefe des an sein Schlafgemach stoßenden Vorzimmers ganz gerade in das sogenannte Caveau hinabführte. Dieses Caveau war ein ziemlich dunkles auf den kleinen Hof hinausgehendes Kabinett, das eine Tür hatte, die auf den Raum vor dem Bette des Dauphins und eine andere, die in sein erstes großes auf den Garten hinausgehendes Kabinett führte. Dieses Caveau hatte in einem Alkoven ein Bett, in dem er im Winter häufig schlief; aber da es ein sehr kleiner Raum war, entkleidete und bekleidete er sich in seinem Schlafzimmer. Sie fanden den Dauphin … wie er von seinen Leuten durch das Zimmer … geschleppt wurde: die Mémoires de Sourches erzählen: »Während man überallhin lief, um Hilfe zu erlangen, bemerkte man, daß er die Zähne ungewöhnlich stark aufeinander biß, und ein junger Bursche, der seine Hunde zu warten hatte, kam auf den Gedanken, sie ihm – wiewohl mit Mühe – mit Hilfe der Klinge eines schlechten Messers, das er hatte, zu öffnen, und als er dann diese Klinge gedreht hatte, um die Zähne noch mehr auseinanderzubringen, hatte er die Geistesgegenwart, den Griff des Messers, das ein Klappmesser war, zwischen die Zähne zu schieben, so daß der Dauphin sie nicht wieder schließen konnte.« Dieser Bursche, namens Gallantin, bezog dafür eine dauernde Pension aus dem königlichen Schatze, die auf seine Erben überging und bis zur Revolution ausbezahlt wurde.

Die Herzogin von Burgund, die auch eben ihre Gemächer aufgesucht hatte, erschien im gleichen Augenblick wie der König, und im Umsehen war das Schlafzimmer des Dauphins, ein weiter Raum, voll Menschen. Sie fanden den Dauphin halb nackt, wie er von seinen Leuten durch das Zimmer getragen oder vielmehr geschleppt wurde. Er erkannte weder den König, der zu ihm sprach, noch sonst jemand und verteidigte sich mit aller Kraft gegen Félix, der es in diesem dringenden Augenblick wagte, ihn in der Luft zur Ader zu lassen und damit Erfolg hatte: die Besinnung kehrte zurück, er verlangte nach einem Beichtiger. Der König hatte bereits nach dem Pfarrer geschickt.

Man gab ihm eine starke Dosis Brechweinstein, deren Wirkung lange auf sich warten ließ, aber gegen zwei Uhr eine erstaunliche Entleerung oben wie unten zuwege brachte. Um zweieinhalb Uhr, als die Gefahr vorüber schien, ging der König, der Tränen vergossen hatte, schlafen, doch gab er Befehl, ihn zu wecken, falls irgend etwas vorfallen sollte. Um fünf Uhr, als das Mittel seine Wirkung ganz vollendet hatte, ließen die Ärzte ihn ruhen und alle Leute aus dem Zimmer gehen.

Er mußte acht oder zehn Tage das Zimmer hüten, wo der König ihn zweimal täglich besuchte, und wo er, nachdem er sich wieder ganz wohl fühlte, den ganzen Tag spielte oder spielen sah. Seitdem gab er viel mehr auf seine Gesundheit acht und hütete sich sehr, seinen Magen zu stark mit Nahrung zu überladen. Wenn dieser Unfall ihm eine Viertelstunde später begegnet wäre, so hätte der erste Kammerdiener, der in seinem Zimmer schlief, ihn tot in seinem Bette gefunden. der darüber verstimmt war, daß man ihm keine Armee gab: der Herzog von Orléans hatte seit seinem Siege bei Cassel (oder Mont-Cassel, zwischen Bergues-Saint-Winoc, Aire und Thérouanne) am 11. April 1677 über Wilhelm von Oranien, kein Kommando über eine Armee mehr erhalten.

Paris liebte den Dauphin, vielleicht weil er dort oft in die Oper ging. Die Fischverkäuferinnen der Hallen verfielen auf den Gedanken, sich hervorzutun: sie sandten eine aus vier ihrer gewichtigsten Gevatterinnen bestehende Deputation ab, die sich nach dem Befinden des Dauphins erkundigen sollte. Er ließ sie eintreten: eine unter ihnen sprang ihm um den Hals und küßte ihn auf beide Backen; die andern küßten ihm die Hand. Sie wurden sehr gut aufgenommen. Bontemps führte sie durch die Appartements und gab ihnen ein Mittagessen, der Dauphin gab ihnen Geld, und der König schickte ihnen ebenfalls solches. Sie taten sich auf die Ehre viel zugute, ließen in der Saint-Eustache-Kirche ein schönes Te Deum singen und veranstalteten dann einen Schmaus.

 

Im April wurden die Kommandos verteilt: den Oberbefehl über die Flandrische Armee erhielt der Marschall von Boufflers, den über die in Deutschland stehende der Marschall von Villeroy. Der Herzog von Burgund war einen Augenblick dazu ausersehen, die des letzteren zu befehligen; man sah aber davon ab wegen des Verdrusses, den der Herzog von Orléans bekundete, daß dem Herzog von Chartres die Erlaubnis Dienst zu tun verweigert wurde. Der König hatte eingewilligt in der Hoffnung, der Herzog von Orléans, der darüber verstimmt war, daß man ihm keine Armee gab, würde seine Zustimmung nicht geben und machte zur Bedingung, daß es mit Billigung des Herzogs von Orléans geschehe. Der Herzog von Orléans und der Herzog von Chartres begriffen, daß es, wenn der Herzog von Chartres beständig Dienst tue, es bei seinem Alter nicht länger möglich sei, ihm im folgenden Jahre das Kommando die Verleihung des Gouvernements der Bretagne: vgl. Band I, S. 144 ff.einer Armee zu verweigern, wenn sie es in diesem nicht erlangen könnten; sie zogen es daher vor, sich auch während dieses Feldzuges mit dem subalternen Dienst zu begnügen.

Der König, der aus ebendiesem Grunde nicht wünschte, daß sein Neffe diente, war überrascht zu finden, daß der Herzog von Orléans dasselbe wollte wie sein Sohn. Diese glaubten ihn gefangen zu haben, aber er war es nicht und zeigte, daß er das Spiel durchschaute, indem er rundweg seine Einwilligung verweigerte. Er tat ihnen diesen Kummer an, damit man ihm nicht mehr von der Sache spreche. Aber auch darin täuschte er sich.

Der Herzog von Chartres beging ziemlich unüberlegte, aber bei seinem Alter nicht verwunderliche Streiche, die den König verstimmten und noch mehr in Verlegenheit brachten. Er wußte nicht, was er mit seinem Neffen machen sollte, den er gezwungen hatte, sein Schwiegersohn zu werden und dem er doch, abgesehen von den schriftlich niedergelegten Bedingungen, nichts von alledem gehalten, was er ihm versprochen, und was er ihn hatte hoffen lassen. Diese Verweigerung der Erlaubnis Dienst zu tun, die alle Hoffnung auf eine Armeekommando in unabsehbare Ferne hinausrückte, wenn nicht vernichtete, ließ die Wunde wieder aufbrechen, welche die Verleihung des Gouvernements der Bretagne an den Grafen von Toulouse geschlagen hatte, und machte es der Herzogin von Orléans leicht, ihren Gatten wegen seiner damaligen Schwäche zu verhöhnen.

Er ließ also seinen Sohn gewähren, der sich mit andern jungen Leuten einmal vornahm, heimlich nach Spanien und dann wieder nach England durchzugehen; er kannte ihn gut und machte sich keine Sorge, daß verglichen mit seinen Schwägern: dem Herzog von Maine, dem Grafen von Toulouse und dem Herzog von Condé.er diese Narrheiten wirklich begehen würde, darum sagte er auch kein Wort und freute sich sehr, daß der König unruhig wurde. Dieser sprach schließlich mit ihm darüber, und als er sah, daß er seine Vorstellungen mit Gleichmut aufnahm, warf er ihm vor, er sei schwach und verstehe es nicht, sich bei seinem Sohne Respekt zu verschaffen.

Da wurde der Herzog von Orléans böse, ebensosehr, weil er es sich vorgenommen hatte, als aus Zorn. Er fragte den König seinerseits, was er denn mit seinem Sohne machen wolle, der doch schon sechsundzwanzig Jahre alt und es überdrüssig sei, in den Galerien von Versailles herumzulungern und das Hofpflaster zu treten, überdrüssig verheiratet zu sein, wie er es sei, und ganz leer dazustehen verglichen mit seinen Schwägern, die mit Chargen, Gouverneurposten, Rang und Würden ohne Grund, ohne Politik und ohne Beispiel überhäuft seien. Sein Sohn sei schlechter daran als alle jungen Leute seines Alters in Frankreich, die Dienst täten, und denen man, weit entfernt, sie am Dienen zu hindern, Grade verleihe. Der Müßiggang sei aller Laster Anfang; es sei ihm freilich sehr schmerzlich zu sehen, daß sein einziger Sohn sich den Ausschweifungen, schlechter Gesellschaft und törichten Streichen überlasse, noch schmerzlicher sei es ihm aber, daß er einem jungen mit Recht verbitterten Hirn keine Schuld beimessen und nur den anklagen könne, der ihn durch seine Zurücksetzungen diesem Leben in die Arme treibe.

Wer über diese recht deutliche Sprache sehr erstaunt war, das war der König. Niemals war es dem Herzog von Orléans beigefallen, sich ihm gegenüber zu diesem Ton hinreißen zu lassen, auf tausend Meilen nicht, und dieser Ton war um so unangenehmer, als er durch Gründe unterstützt wurde, auf die der König nichts zu erwidern wußte, denen er aber trotzdem nicht weichen wollte. In seiner Überraschung und Verlegenheit war er hinreichend Herr über sich, um nicht als König, sondern als Bruder zu antworten. Er sagte zu dem Herzog von Orléans, er setze alles auf das Konto seiner väterlichen Zärtlichkeit und verzeihe es; er begegnete ihm liebreich und tat alles, was er konnte, um ihn durch Freundlichkeit und Freundschaft zu besänftigen. Aber da war dieser unselige Punkt: der Dienst zum Zweck der Erlangung des Oberkommandos, den der Herzog von Orléans verlangte, und den der König aus ebendiesem Grunde nicht wollte. Sie sagten das einander zwar nicht, errieten aber gegenseitig ihre Gründe nur zu wohl.

Diese Unterhaltung dauerte lang und war peinlich; der Herzog sprach stets in hohem Tone, der König stets versöhnlich. So trennten sie sich: der Herzog empört, aber ohne daß er gewagt hätte loszubrechen, und der König sehr gekränkt, doch ohne dem Herzog die Tür zu weisen, und noch weniger ihr Zerwürfnis ruchbar werden lassen zu wollen.

Die Prinzen von Geblüt dienten ebenfalls nicht. Der König wandte sich an den Prinzen von Condé – auch hier an den Vater – um dem Herzog von Condé und dem Prinzen von Conti Vernunft beibringen zu lassen. Aber der Herzog von Maine und der Graf von Toulouse gingen als Generalleutnante unter dem Marschall von Boufflers nach Flandern.

 

Der König wollte die beiden durch den Tod des Bischofs von Noyon und die Promotion des Kardinals von Coislin zur Charge des Großalmoseniers von Frankreich und zum Heiliggeistorden vakanten Stellen besetzen und ernannte, ohne daß die beiden dazu ausersehenen Prälaten noch sonst jemand eine Ahnung davon hatte, de Cosnac, Erzbischof von Aix und Fortin de la Hoguette, Erzbischof von Sens, zu Kommandeuren des Ordens.

Der Prinz von Conti

Cosnac war ein Mann von Stande aus der Provinz Limousin, der ehemals, als er Bischof von Valence und erster Almosenier des Herzogs von Orléans war, durch seinen Geist und seine Intrigen viel Aufsehen erregt hatte. Er hatte sich vollkommen an die verstorbene Herzogin angeschlossen, für die er ganz außerordentliche Dinge getan hat. Er war ihr Berater und ihr Herzensfreund, und der König wußte ihm dafür Dank. Er konnte es dem Herzog von Orléans jedoch nicht verweigern, ihn suchen und verhaften zu lassen, weil er verschwunden war und den Verdacht auf sich geladen hatte, daß er sich in den Besitz von Papieren gesetzt, die die Eifersucht des Herzogs von Orléans beunruhigten, um sie der Herzogin zu übergeben, und die der Herzog haben wollte.

Die Herzogin wurde vom König benachrichtigt und gab alsbald dem Bischof von Valence einen Wink, und dieser versteckte sich in einer obskuren Herberge in einem Winkel von Paris; aber der Herzog von Orléans, unterstützt von denen, die ihn beherrschten, brachte solche Spürnasen auf seine Fährte, daß er entdeckt und eines Morgens das Haus umstellt wurde. Bei dem Lärm, der nun entstand, verlor der Bischof den Kopf nicht: er fing alsbald an über heftige Kolik zu jammern, und der Offizier, der bei ihm eintrat, um ihn zu verhaften, fand ihn, wie er sich jämmerlich wand und daß er sich um die Dokumente nicht mehr zu sorgen brauchte: er ließ auf diese Weise nach seinen eigenen Memoiren nur Briefe der Herzogin von Orléans und der Mme. de Saint-Chamond verschwinden.krümmte. Der Bischof, ohne Verwahrung einzulegen, wie ein Mensch, der nur mit seinem Zustand beschäftigt ist, ächzte, er müsse sterben, wenn er nicht augenblicklich ein Klistier nehme; wenn er es wieder von sich gegeben habe, werde er gehorchen. Damit fuhr er fort aus Leibeskräften zu schreien.

Der Offizier, der nicht so grausam war, ihn in diesem Zustande abzuführen, beeilte sich, ein Klistier besorgen zu lassen, um seine Verhaftung schneller ins Werk zu setzen; er erklärte aber, er werde das Zimmer nur mit dem Prälaten verlassen. Das Klistier kam; der Bischof nahm es, und als es sich darum handelte, es wieder von sich zu geben, setzte er sich auf einen weiten Topf in seinem Bette, ohne es zu verlassen. Er hatte seine Gründe für dieses seltsame Verhalten. Die Papiere, die man ihm abnehmen wollte, befanden sich bei ihm im Bett, denn seit er sie in Händen hatte, ließ er sie nicht von sich. Während er nun seinem Klistier freie Bahn schaffte, beförderte er sie unter seiner Bettdecke geschickt auf den Grund des Topfes und entleerte darüber seinen Darm so gründlich, daß er sich um die Dokumente nicht mehr zu sorgen brauchte. Nachdem er sich ihrer auf diese Weise entledigt hatte, erklärte er, er fühle sich sehr erleichtert und fing an zu lachen wie ein Mensch, der sich nach schrecklichen Schmerzen vom Tode zum Leben zurückkehren fühlt, in Wirklichkeit aber über den gelungenen Streich und darüber, daß der so wachsame Offizier nichts erwischte als den Gestank des Stuhls, mit dem die Papiere in den Abtritt geworfen wurden.

Der Prälat, der verkleidet war und keine andern Kleider zum Anziehen da hatte, wurde ins Châtelet geführt und dort unter dem falschen Namen, den er und war der erste, der darüber lachte: da er beständig von der lettre de cachet bedroht war, die der Herzog von Orléans vom Könige erlangt hatte, ließ ihn dieser von einem Edelmann nach der Isle-en-Jourdain bringen, wo er zweieinhalb Jahre blieb, da die Herzogin gestorben war, ohne daß sie seine Rückberufung hatte erwirken können. Als das Exil zu Ende war, kehrte der Bischof nach Valence zurück; bei Hofe erschien er erst anläßlich der Versammlung des Klerus von 1682 wieder und dann anläßlich der anderen von 1685, wo er einer von denen war, welche die für Frankreich so schädliche Widerrufung des Edikts von Nantes herbeiführten.angenommen hatte, in das Gefangenenregister eingetragen. Da man aber nichts fand und nichts davon hatte als Beschämung, wurde er zwei Tage darauf freigelassen, unter vielen Entschuldigungen und einigen Vorhaltungen wegen seiner Verkleidung, die, so sagte man, daran schuld sei, daß man ihn nicht erkannt habe.

Daniel de Cosnac, Bischof von Valence

Die Herzogin von Orléans fühlte sich noch mehr erleichtert als er, und da der König sich sehr über den Ausgang der Sache freute, legte der Prälat dem Vorfall kein Gewicht bei und war der erste, der darüber lachte.

Ein anderes Mal verfertigte ein boshafter Mensch eine schlimme Satire auf die Herzogin, den Grafen von Guiche usw. und ließ sie in Holland drucken. Der König von England, der sofort Nachricht davon erhielt, machte die Herzogin darauf aufmerksam, und diese wandte sich gleich vertrauensvoll an den Bischof von Valence. »Lassen Sie mich nur machen,« erwiderte ihr dieser, »und machen Sie sich keinerlei Sorge!« Damit ging er und die Herzogin ihm nach, um zu erfahren, was er zu tun gedenke. Er gibt keine Antwort und verschwindet. Mehrere Tage lang hört man nichts von ihm. Die Herzogin ist voller Unruhe. Da, nach kaum vierzehn Tagen, sieht sie ihn in ihr Kabinett eintreten. Sie stößt einen Freudenschrei aus und fragt ihn, was denn aus ihm geworden sei, und woher er komme. »Aus Holland,« antwortet er, »wo ich Geld hingebracht, alle Exemplare und das Originalmanuskript der Satire gekauft, in meiner Gegenwart die Platten habe zerbrechen lassen, und woher ich alle Exemplare mitgebracht habe, um Sie von aller Unruhe zu befreien und Ihnen das Vergnügen zu verschaffen, sie zu verbrennen.« Der andere Prälat: Hardouin Fortin de la Hoguette, vgl. Register.

Die Herzogin war entzückt, und wirklich wurde alles getreulich verbrannt, und es ist nicht die geringste Spur übriggeblieben. So könnte man noch tausend ähnliche Dinge von ihm erzählen.

Niemand hatte mehr Geist und Geistesgegenwart wie er, niemand war regsamer und wußte mehr Auswege und Hilfsquellen, und zwar auf der Stelle. Seine Lebhaftigkeit grenzte ans Wunderbare; dabei war er sehr verständig, sehr spaßhaft in allem, was er sagte, ohne die Absicht, es zu sein, und ein ausgezeichneter Gesellschafter. Niemand war so sehr für die Intrige geschaffen, noch hatte einen größeren Scharfblick wie er. Im übrigen war er wenig skrupelhaft, außerordentlich ehrgeizig, dabei aber doch stolz, beherzt und frei, und er brachte es dahin, daß die Minister ihn fürchteten und mit ihm rechneten. Jener alte vertraute Verkehr mit der Herzogin von Orléans in vielen Dingen, an dem der König als Dritter beteiligt war, hatte ihm eine Freiheit und Vertraulichkeit im Umgang mit ihm verschafft, die er sein ganzes Leben lang zu bewahren und zu seinem Vorteil zu benutzen wußte.

Nach dem Tode der Herzogin überwarf er sich bald mit dem Herzog von Orléans. Er hatte mit ihm und seinen Günstlingen um ihretwillen schon vorher viele Differenzen gehabt. Er verkaufte seine Almoseniercharge an Tressan, Bischof von Mans, einen andern ehrgeizigen Intriganten von viel Geist, der aber auf eine viel weniger großzügige Weise seine Ränke spann. Dadurch stand er mit dem Könige nur um so besser, der ihm Abteien und endlich das Erzbistum Aix verlieh, das ihn zum Herren der Provence machte.

Der andere Prälat war ganz anders. Er war ein bedächtiger, ernster, frommer, ganz seinen Pflichten und seiner Diözese hingegebener Mann, bei dem alles geregelt und nichts übertrieben war. Er war von Poitiers nach Sens gekommen, vom Klerus und den Laien geliebt und geachtet und am Hofe sehr geschätzt. Er hing sehr an meinem Vater, hatte mir die größte Freundschaft bewahrt und nicht vergessen, daß mein Vater den seinigen zum Major von Blaye gemacht hatte, was den Grund zu ihrem Aufstieg legte.


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