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VII

Bontemps' Tod. Sein Verhältnis zum Könige. Sein Charakter. Der Goldschmuggel der Jesuiten. Konfiskation der Sendung. Orkan in Frankreich. Der Tod des Bischofs von Noyon. Der Abbé Bignon und sein Glück. Der neue Bischof von Noyon. Charakteristik desselben. Die Wundertäterin Schwester Rose. Duguet. Saint-Louis. Rancé weigert sich die Schwester Rose zu sehen. Ihre Bekehrungen.

 

Bontemps, der erste der vier ersten Kammerdiener des Königs und Gouverneur von Versailles und Marly, wo die Verwaltung der Schlösser, der Jagden und einer Menge verschiedenartiger Ausgaben vollkommen in seinen Händen lag, starb am 17. Januar (1701). Er war derjenige von allen persönlichen Dienern des Königs, der am längsten und uneingeschränktesten dessen Vertrauen in allen intimen Angelegenheiten genoß. Er war ein großer sehr gut gewachsener Mann, der sehr stark und schwer geworden war, nahezu achtzig Jahre alt wurde und innerhalb von vier Tagen einem Schlagfluß erlag. Er war der verschwiegenste, treueste und dem König ergebenste Mann, den dieser hätte finden können. Er hatte, womit alles gesagt ist, die nächtliche Messe in den Gemächern des Königs vorbereitet, die der Pater de la Chaise im Winter 1683 auf 1684 in Versailles las, und bei der er ministrierte, jene Messe, nach welcher der König Frau von Maintenon in Gegenwart des Erzbischofs von Paris, Harlay, Montchevreuils und Louvois' heiratete. Man kann von Bontemps und dem König in dieser Beziehung sagen: wie der Herr, so der Knecht; denn er war Witwer und hatte bei sich in Versailles ein Fräulein von la Roche.

Dieses Fräulein von la Roche erschien nirgends und selbst bei ihm sehr wenig. Sie verließ sein Haus gar nicht und beherrschte ihn vollkommen, fast ohne daß es so aussah. Niemand zweifelte daran, daß sie seine Maintenon sei, und daß er sie geheiratet habe. Warum hatte er es aber nicht öffentlich erklärt? Das hat man niemals erfahren können.

Bontemps war bäurisch und barsch, dabei aber doch respektvoll und ganz an seinem Platze. Er war stets nur bei sich zu Hause oder beim König, wo er überall und zu allen Stunden und zwar stets durch die rückwärtigen Eingänge eintrat. Er hatte nur den einen Gedanken, seinem Herren gut zu dienen, dem er völlig ergeben war, und nie trat er aus seiner Sphäre heraus. Abgesehen von den so intimen Funktionen seiner beiden Ämter, gingen durch ihn alle geheimen Befehle und Botschaften, die Audienzen, von denen man nichts erfuhr, die geheimen Briefe an den König und von ihm und alles, was Mysterium war. Das konnte wohl genügen, einen Mann zu verderben, der dafür bekannt war, daß er seit fünfzig Jahren dieses Vertrauen genoß, und der den Hof zu seinen Füßen hatte, angefangen von den Kindern des Königs und den angesehensten Ministern. Niemals vergaß er seinen Stand, darin gar nicht zu vergleichen mit den kleinsten der blauen Pagen, die alle unter seinen Befehlen standen. Er tat niemals irgend jemand etwas Böses und bediente sich seines Ansehens stets, um Gefälligkeiten zu erweisen. Eine große Zahl von Leuten, selbst von bedeutenden Persönlichkeiten, verdankten ihm ihre Karriere, doch war er in dieser Beziehung von einer Bescheidenheit, daß er sich mit ihnen entzweite, wenn sie auch nur ihm selbst gegenüber darauf angespielt hatten. Was er tat, tat er nur aus Freude am Wohltun, und man kann von ihm sagen, daß er sein ganzes Leben lang der Vater der Armen, die Zuflucht der Mühseligen und Beladenen und vielleicht der beste der Sterblichen gewesen ist. Seine Hände waren nicht nur vollkommen rein, er war auch von der allergrößten Selbstlosigkeit und von der äußersten Hingabe für alles, was mit seinem Amte zusammenhing.

Obgleich sein Ansehen in den Augen der anderen infolge seines Alters und seiner Schwerfälligkeit eine starke Verminderung erfahren hatte, erweckte sein Verlust eine öffentliche Trauer am Hofe sowohl, wie in Paris und in den Provinzen: jedermann war betrübt darüber wie über einen persönlichen Verlust, und ebenso zahllos wie unerhört waren die freiwillig seinem Andenken gewidmeten Kundgebungen und die überall für ihn abgehaltenen feierlichen Seelenmessen.

Ich verlor an ihm einen zuverlässigen Freund, der, wie ich schon an anderer Stelle gesagt habe, voll Respekt und Erkenntlichkeit für meinen Vater war. Er hinterließ zwei Söhne, die ihm in keiner Hinsicht glichen; der ältere besaß die Anwartschaft auf sein Amt als erster Kammerdiener, der andere war erster Garderobendiener.

 

Als die Silberflotte, die mit mehr als sechzig Millionen in Gold oder Silber und zwölf Millionen an Waren befrachtet war, den Hafen von Cadix erreicht hatte, und die Ladung der Schiffe gelöscht wurde, fanden sich acht große Kisten voll Schokolade mit folgender Adresse: »Schokolade für den sehr Ehrwürdigen Pater General der Gesellschaft Jesu.« Diese Kisten drohten den Leuten, trotz des Ansehens der Gesellschaft: Saint-Simon sagt an einer andern Stelle (Bd. VIII, S. 231): »Spanien wimmelte von ihren Kollegien, von ihren Noviziaten, von ihren Profeßhäusern, und da sie in jenem Lande erben, wie wenn sie keine Ordensleute wären, sind alle diese zahlreichen, weiträumigen und in jeder Beziehung großartigen Häuser außerordentlich reich.«die sie ausluden und das Doppelte an Kraft aufwandten, die für den Transport von Kisten in dieser Größe erforderlich war, das Kreuz durchzubrechen. Die gewaltige Mühe, die sie trotz dieses Kraftaufwandes damit hatten, erweckte in ihnen die Neugier zu erfahren, was wohl der Grund dieser ungewöhnlichen Schwere sein möchte. Als alle diese Kisten in die Magazine von Cadix eingelagert worden waren, öffneten die Leute, die sie dort hingeschafft hatten, eine von ihnen und fanden darin nur große schwere Würfel von Schokolade, die in Lagen übereinandergeschichtet waren. Sie nahmen einen davon in die Hand; sein Gewicht überraschte sie; dann einen zweiten und einen dritten; sie fanden sie alle gleichschwer. Sie wollten einen zerbrechen, aber er widerstand, doch sprang die Schokolade ab, und als sie den Versuch wiederholten, entdeckten sie, daß es lauter Würfel aus Gold waren, die man mit einer fingerdicken Schokoladenschicht überzogen hatte; denn nach diesem Versuch untersuchten sie durch Stichproben den Rest der Kiste und darauf die anderen sieben. Sie meldeten die Sache nach Madrid, wo man sich trotz des Ansehens der Gesellschaft das Vergnügen machen wollte, sie in Verlegenheit zu setzen. Man ließ die Jesuiten benachrichtigen, aber vergeblich: diese schlauen Politiker hüteten sich wohl eine so kostbare Schokolade zu reklamieren; sie wollten sie lieber verlieren als sich dazu bekennen. Sie erklärten es also als eine Beleidigung, ihnen so etwas zuzutrauen, sie wüßten von der ganzen Sache nichts, und dabei blieben sie mit solcher Festigkeit und Einmütigkeit, daß das Gold dem König zufiel. Daß der Nutzen nicht gering war, läßt sich aus dem Rauminhalt der acht großen Kisten voll großer Würfel aus gediegenem Golde schließen. Die Schokolade aber, womit sie Der Bischof von Noyon: François de Clermont-Tonnerre, Graf-Bischof von Noyon und Pair von Frankreich. Saint-Simon hat oben (Bd. I, S. 61 f., 118 ff.) ausführlich von diesem Prälaten gesprochen, der ein trefflicher Bischof war und sich durch ein sittenreines Leben auszeichnet. Er kommt in seinen Ergänzungen zu den Memoiren mehrmals auf ihn zurück. Unter anderm berichtet er, daß der Bischof das Volk, das ihn durch Geräusch in seiner Predigt störte, mit canaille chrétienne anredete. – Als der Hof auf dem Wege nach Flandern sich Noyon näherte, machte der Marschall von Humières, der ihm voraufreiste, bei dem Bischof halt und fand ihn inmitten der Notabeln von Noyon. »Monsieur,« sagte der Bischof zum Marschall, »ich stelle Ihnen diese Herren vor; es ist sicherlich die beste Gesellschaft von Noyon und zweifellos die schlimmste von Frankreich.« – Man war an dergleichen gewöhnt. Was seinen Klerus und die Umstehenden ein wenig mehr überraschte, war, daß der Prälat, als er am Tage einer feierlichen Prozession in Chorrock und Mitra die Kirche verließ, sich gegen die Mauer kehrte, seine Gewänder hochhob und anfing zu pissen, zur großen Entrüstung des Diakons und des Unterdiakons, die ihre Meßgewänder anhatten und die vorderen Enden seines Chormantels hielten, sie aber während der Notdurftverrichtung des Bischofs nicht loszulassen wagten. – Ein anderes Mal, in Versailles, als die alte Kapelle noch in Gebrauch war, deren Tribüne die einzige Verbindung mit dem großen Appartement im neuen Flügel war, begann er, als er abends dort durchkam, durch die Balustrade zu pissen. Das Geräusch des in die Kapelle auf den Marmorboden hinunterplätschernden Wassers ließ einen Schweizer herauskommen, der in dem ersten anstoßenden Zimmer an der Tür stand, und dieser war höchlich erstaunt, den Bischof von Noyon bei dieser Beschäftigung anzutreffen. Er sagte ihm, das sei schamlos, und er werde Bontemps, der gerade gegenüber wohnte, holen. Der Bischof von Noyon, obgleich ein Freund von Bontemps und der wohltätigste Mensch von der Welt, beeilte sich, so sehr er konnte, um sich unsichtbar zu machen, aber er wurde nicht schnell genug fertig, daß Bontemps ihn nicht noch im zweiten Zimmer des großen Appartements erwischt hätte. Ganz sprühend vor Zorn, sagte ihm dieser durch seine Größe und Schwere imponierende Mann seine Meinung und drohte ihm, es dem Könige zu sagen. Er besänftigte sich indes wieder; der Schweizer aber, ergrimmter darüber als der Gouverneur von Versailles und weniger auf Rücksichten geeicht, erzählte den Vorfall allen, deren er habhaft werden konnte und beklagte sich darüber. Alsbald wußte es der ganze Hof und der König ebenfalls, aber er tat nicht dergleichen. – Die Kardinäle betrachtete er als sich höchstens gleichstehend, beanspruchte und erlangte auch den Vorsitz vor ihnen im Parlament. Er nannte sie chimère d'Église. – Saint-Simon erzählt von ihm noch eine Menge Geschichten in seinen Nachträgen, die hier mitzuteilen zu weit führen würde.überzogen waren, verblieb denen, welche die Spitzbüberei entdeckt hatten.

 

Am Lichtmeßtage herrschte ein so wütender Orkan, daß niemand sich erinnerte, einen auch nur annähernd so heftigen Sturm erlebt zu haben. Die Schäden, die er im ganzen Königreiche anrichtete, waren unabsehbar. Die Spitze der St.-Ludwigskirche auf der Notre-Dame-Insel zu Paris wurde heruntergeweht, und viele Leute, die dort die Messe hörten, getötet oder verwundet. Dieser Orkan leitete die Störung in den Jahreszeiten und das häufige Auftreten der starken Winde zu allen Zeiten des Jahres ein; die Kälte zu allen Zeiten, der Regen usw. sind seitdem viel gewöhnlicher geworden; und diese Perioden schlechter Witterung haben bis heute nur noch zugenommen, so daß es schon seit langem keinen Frühling mehr gibt, wenig Herbste und nur hie und da ein paar Sommertage.

 

Der Bischof von Noyon starb um diese Zeit in Paris im Alter von vierundsiebzig Jahren. Er besaß den Heiliggeistorden und hatte sich nach dem Beispiel des Erzbischofs von Reims zum kirchlichen Staatsrat machen lassen. Ich habe so viel von diesem Prälaten gesprochen, daß ich mich hier damit begnügen will zu sagen, daß er sehr fromm starb, nachdem er seine Diözese sehr sorgfältig verwaltet hatte. Man fand unter seinen Papieren Entwürfe von seiner Hand, die für seine Leichenrede dienen sollten, so sehr hatte der Wahn der Eitelkeit diesen Prälaten berückt, der sonst ein gelehrter, sehr ehrenwerter, wackerer Mann, guter Bischof und kein geringer Geist war. Es konnte daher auch nicht fehlen, daß er, und besonders in seiner Diözese, betrauert wurde. Seine kein Bischof: d. h. kein Bischof, der nicht Pair war, also den Vorsitz vor ihm hatte.Eitelkeit wäre aufs schwerste verletzt worden, wenn er vorausgesehen hätte, wer seine Nachfolger sein würden.

Der Kanzler Pontchartrain, der seine Schwester, die Frau des Staatsrats Bignon außerordentlich geliebt und ihre Kinder sozusagen adoptiert hatte, war in großer Verlegenheit wegen des Abbé Bignon. Dieser war wirklich in vieler Beziehung was man einen Schöngeist nennen konnte, sehr gelehrt und hatte mit reichem Beifall gepredigt; sein Lebenswandel hatte aber so wenig seiner Lehre entsprochen, daß er nicht mehr wagte, sich auf der Kanzel zu zeigen und der König die Pfründen bereute, die er ihm gegeben hatte. Was nun mit einem Priester machen, dessen Aufführung ihm alle Hoffnung auf einen Bischofsstuhl geraubt hat? Die durch den Tod des Bischofs von Noyon frei gewordene Stelle eines kirchlichen Staatsrats schien seinem Oheim ganz geeignet, ihn für die verlorene Aussicht zu trösten und ihn in den Augen der Welt durch ein Amt zu rehabilitieren. Kitzlig war nur, daß diese Stellen für die ausgezeichnetsten unter den Bischöfen bestimmt waren und es recht barock war, den Abbé Bignon zum Nachfolger Herrn von Tonnerres, Graf-Bischofs von Noyon, zu machen, um ihn als Dritten neben den Erzbischof von Reims und den Bischof von Meaux zu setzen. Dennoch erreichte es der Kanzler – aber nur durch das Gewicht seines Ansehens. Er fügte dadurch dem Episkopat ein Unrecht zu und schlug dem Staatsrat eine Wunde, denn kein Bischof hat seitdem hineinwollen, da sie es für unpassend hielten, neben einem Geistlichen zweiten Ranges zu sitzen, was nur von den Bischöfen vermieden werden kann, die Pairs sind, weil diese dem Doyen der Staatsräte vorangehen, wie dies bei den Oberhirten von Reims und Noyon der Fall war. Capreae: Capri, die Insel des Tiberius, wo dieser sich, wie Sueton erzählt, zwölf Paläste erbauen ließ und seine letzten Jahre in Ausschweifungen hinbrachte.

Der Abbé Bignon

Der Abbé Bignon war außer sich vor Freude über eine bis dahin unerhörte Auszeichnung. Sein Oheim setzte ihn in die Bureaus des Staatsrates in Erwartung des Augenblicks, daß er ihn zum Präsidenten derselben machen könne, und an die Spitze sämtlicher Akademien. Letzteres Amt war eigens für ihn geschaffen worden: er war einer der ersten Gelehrten Europas und glänzte in dieser Stellung. Er häufte mehr als 50 000 Bände an, die er viele Jahre später dem berühmten Law verkaufte, der überall Geld anzulegen trachtete. Der Abbé Bignon bedurfte ihrer nicht mehr: er war Doyen des Staatsrats und Bibliothekar des Königs geworden und stand an der Spitze einer Anzahl von Bureaus und Geschäften. Er schuf sich eine verzauberte Insel in der Nähe von Meulan, die sich in ihrer Art mit Capreae vergleichen ließ, hatte ihn doch weder das Alter noch seine Stellung geändert.

Noyon wurde nicht besser besetzt, aber im umgekehrten Sinne wie die Staatsratsstelle, durch einen Mann von guter Geburt, sehr heiligen Sitten und frommem Lebenswandel, der im übrigen aber ein Tölpel war. Der Bischof von Chartres hatte in Saint-Sulpice einen großen schweren Trampel gefunden, einen schwerfälligen, dummen, unwissenden, querköpfigen, aber sehr wackeren Mann, einen frommen Priester, der einen Pfarrer beim Gottesdienst zwar nicht in der Kirche, wohl aber in einer Kapelle vertreten konnte. Vor allem aber war er ein ausgezeichneter Sulpizier in allen den Kleinlichkeiten und unnützen Kindereien, die dort Gesetz sind, und die er sein ganzes Leben lang neben oder sogar über die hervorragendsten Tugenden stellte. Dieser Bursche wußte es eben nicht anders und war nicht fähig, Besseres zu lernen; im übrigen war er arm und dabei schmutzig und ölig, daß man nur so staunen mußte. Teligny: richtig Tigny, dem Hauptgute der d'Aubigny, nicht sehr weit von Saumur.

Dieses Äußere übte eine zu mächtige Wirkung auf den Bischof von Chartres aus und bewog ihn, sich über ihn zu erkundigen. Es war ein Mann aus gutem altem Anjouer Adel, namens d'Aubigny: dieser Name übte eine noch stärkere Wirkung auf ihn aus. Er nahm ihn, oder wollte ihn nehmen, für einen Verwandten Frau von Maintenons, die aus der Provinz Aunis war und sich d'Aubigné nannte. Er sprach mit ihr darüber und mit dem Trampel ebenfalls, und so dumm dieser auch war, war er es doch nicht genug, um nicht die Vorteile einer solchen Verwandtschaft zu wittern, die man ihm sozusagen aufs Butterbrot strich. Frau von Maintenon andrerseits war entzückt, sich auf jene Familie gepfropft zu sehen. Das Wappen, der Name und, bald darauf, um alles gleich zu machen, die Livree, waren bald dieselben. Der adlige Trampel wurde in Saint-Cyr seiner angeblichen Kusine, die weder so adlig noch so bäurisch war, die aber alles vermochte, vorgestellt.

Teligny, der Bruder des Abbé, der in seiner Strohhütte ärmlich vegetierte, eilte, durch den Landboten benachrichtigt, nach Paris und machte ebenfalls Bekanntschaft mit dem Prälaten und seinem königlichen Beichtkinde. Er entpuppte sich als ein verschmitzter, kluger und scharfsinniger Kamerad, der seinen Bruder beherrschte und nach Möglichkeit seine Dummheiten wieder gutmachte.

Der Bischof von Chartres, der seinen Jünger abschleifen wollte, nahm ihn mit sich, machte ihn zu seinem Großvikar, und dieser gute vierschrötige Bursche, dem es nicht gelungen war, in einer so guten Schule irgend etwas anderes zu lernen als Äußerlichkeiten, wurde zum Bischof von Noyon ernannt, wo seine Frömmigkeit und Güte geschätzt, seine Verschrobenheiten und Dummheiten Der Kardinal von Noailles, seit kurzem erst aus Rom zurückgekehrt: am 18. Januar 1701.(obwohl sie von seinem Bruder, der nicht von ihm wich und sein Vormund war, pariert wurden) verabscheut wurden.

 

Der Kardinal von Noailles, seit kurzem erst aus Rom zurückgekehrt, wies aus seiner Diözese Fräulein Rose, eine berühmte Betschwester, aus, die an Ekstasen und Visionen litt, ein sehr ungewöhnliches Benehmen an den Tag legte, die Gewissen ihrer Gewissensräte beriet und ein wahres Rätsel war. Sie war eine alte Gascognerin, oder vielmehr aus der Languedoc, deren Dialekt sie in aller seiner Breite sprach. Ihrer Gestalt nach war sie eckig, hölzern, sehr mager, hatte ein außerordentlich häßliches, gelbes Gesicht, sehr lebhafte Augen und einen leidenschaftlichen Gesichtsausdruck, den sie jedoch zu mildern wußte. Voll Eifer, Beredsamkeit und Wissen, hatte sie etwas Prophetisches an sich, das Eindruck machte. Sie schlief wenig und auf hartem Lager, aß fast nichts, war recht schlecht gekleidet, arm, und ließ sich nur unter dem Schleier des Mysteriums sehen.

Diese Kreatur ist stets ein Rätsel gewesen; denn es ist Tatsache, daß sie selbstlos war, daß sie große und überraschende Bekehrungen erzielt hat, die Stich gehalten haben, daß sie sehr ungewöhnliche Dinge gesagt hat, von denen die einen sich auf die Gegenwart bezogen, aber sehr verborgen waren, die andern in der Zukunft lagen und eingetroffen sind, daß sie ohne Medikamente überraschende Heilungen bewirkt, und daß sie auf ihrer Seite sehr verständige, sehr vorsichtige, sehr gelehrte, sehr fromme Leute, ja erhabene Geister gehabt hat, die von dieser ihrer Anhängerschaft nichts haben noch gewinnen konnten und sie ihr dennoch ihr Leben lang bewahrten. Zu ihnen gehörte Duguet, der so berühmt Boileau: selbst als die enthusiastischesten Verehrer der Schwester Rose, wie Duguet (auch Saint-Simon gehörte bis zu einem gewissen Grade dazu), bemerkten, daß sie betrogen worden waren, bewahrte Boileau seinen ganzen Glauben an sie.
Sie verließen alle drei Paris: der dritte war ein gewisser de Paraza und nicht du Charmel; letzterer befand sich aber in La Trappe.
ist durch seine Werke, durch seinen umfassenden Geist und sein außerordentliches Wissen, das man als universell bezeichnen kann, durch die lautere Demut und Frömmigkeit seines Lebens und durch den Zauber und die Gediegenheit seiner Gespräche.

Nachdem Fräulein Rose lange Zeit in ihrer Heimat gelebt hatte, wo sie die Armen pflegte, und wo ihre Frömmigkeit ihr eifrige Anhänger verschafft hatte, kam sie, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit, nach Paris. Eine besondere Lehre hatte sie nicht, nur stand sie in starkem Gegensatz zu jener der Madame Guyon und ganz auf jansenistischer Seite. Ich weiß nicht, wie sie Bekanntschaft mit jenem Boileau machte, der wegen des Problème aus dem erzbischöflichen Palaste verabschiedet worden war. Hierauf sah sie du Charmel und andere und endlich Duguet, die sich, um die Wahrheit zu sagen, alle drei von ihr kaum weniger bezaubern ließen als der Erzbischof von Cambray von Frau Guyon.

Nachdem sie ziemlich lange ein recht verborgenes Leben in Paris geführt hatte, empfanden Duguet und du Charmel, ebenso wie sie selbst ein außerordentliches Verlangen, sie dem Abt Rancé von La Trappe vorzustellen, sei es, um sich durch das Urteil eines so großen Meisters über ein so außergewöhnliches Wesen klar zu werden, sei es in der Hoffnung, ihre Approbation zu erlangen und ihre Heilige durch ein so bedeutendes Zeugnis zu erhöhen.

Sie verließen alle drei Paris ohne ein Wort verlauten zu lassen und begaben sich nach La Trappe, wo man nichts von ihrem Plane wußte. Du Charmel quartierte sich in dem für die gewöhnlichen Gäste bestimmten Teile des Klosters ein, und Herr von Saint-Louis, der das abseits gelegene Abthaus bewohnte, konnte Duguet in ihren Teichen zu ertränken: das Kloster war von neun Teichen umgeben, die den Zugang ohne Führer unmöglich machten. Die erzählte Bedrohung des Abtes durch die verjagten Mönche fällt in das Jahr 1662. Félibien und andere erzählen in der Tat, daß Saint-Louis mit einer Kompagnie Kavallerie Rancé zu Hilfe kam, dieser aber jede bewaffnete Intervention ablehnte und die Meuterer von selbst bändigte.nicht ein Zimmer verweigern, und auch seiner Betschwester nicht, und mußte auch mit ihm essen.

Saint-Louis war ein unweit von La Trappe angesessener Edelmann, der sein Leben lang mit großer Auszeichnung gedient, lange ein Kavallerieregiment gehabt hatte und Brigadier geworden war. Herr von Turenne, der Marschall von Créquy und die Generäle, unter denen er gedient hatte, auch der König selbst, unter dem er den holländischen Krieg und andere Feldzüge mitgemacht hatte, schätzten ihn sehr und hatten ihn stets ausgezeichnet. Der König gab ihm eine ziemlich hohe Pension und hatte ihm viel Gewogenheit bewahrt. Er war beinahe blind, als 1684 der zwanzigjährige Waffenstillstand geschlossen wurde: dies bewog ihn, sich vom Dienste zurückzuziehen. Wenige Monate darauf berührte ihn Gott. Er kannte den Abt von La Trappe infolge der Nachbarschaft und hatte sogar Gelegenheit gehabt, ihm zu Beginn der Reform, die Rancé durchführte, seine Dienste anzubieten, weil er gehört hatte, daß die alten Mönche, die wahre Banditen waren und noch in La Trappe hausten, entschlossen waren, den Abt in ihren Teichen zu ertränken. Seit dieser Zeit war er mit Rancé in Verbindung geblieben. Nach La Trappe also war es, wohin er sich zurückzog und wo er länger als dreißig Jahre das zurückgezogenste bußfertigste und frömmste Leben geführt hat. Er war ein echter Krieger, ohne die geringste gelehrte Bildung, ohne viel Geist, aber mit dem klarsten, folgerichtigsten Verstande, den ich je gesehen habe; dazu hatte er ein vortreffliches Herz, eine Geradsinnigkeit, einen Freimut, eine Wahrhaftigkeit und eine Treue, die bewunderungswürdig waren.

Der Zufall wollte, daß ich auch nach La Trappe kam, während sie dort weilten. Ich hatte weder Duguet, noch seine Betschwester je gesehen. Sie sah in La Trappe niemand und verließ dort ihre Kammer fast gar nicht, nur für die Messe in der Kapelle, wo die Frauen sie hören konnten, da sie an die Abtwohnung angebaut war. Zu Lebzeiten des Abtes von La Trappe verbrachte ich dort gewöhnlich sechs, acht und manchmal zehn Tage. Ich hatte dort also Gelegenheit Fräulein Rose mehrmals zu sehen, und ebenso Duguet, was keine geringe Gunst war. Ich gestehe, daß ich mehr Außergewöhnliches als sonst etwas an Fräulein Rose fand. Was Duguet angeht, so war ich von ihm entzückt. Wir gingen täglich im Garten des Abthauses spazieren. Seine Aufmerksamkeit, seine Verehrung für Fräulein Rose, seine Begeisterung bei all dem wenigen, was sie sagte, verfehlten nicht, mich zu überraschen.

Herr von Saint-Louis, frei und offenherzig wie er war, konnte nie an ihr Geschmack finden und sagte es ganz unverblümt zu du Charmel und ließ es Duguet merken. Beide waren darüber recht betrübt, was sie aber ganz anders schmerzte, war die sanfte und höfliche Festigkeit, mit der der Abt von La Trappe sich die ganzen sechs Wochen, die sie dort verweilten, sträubte Fräulein Rose zu sehen, obwohl er noch imstande war, das Kloster zu verlassen und sie außerhalb desselben zu sehen. Auch benutzte er das nicht als Entschuldigung, er machte vielmehr geltend, daß er weder Mission noch Eignung für dergleichen Prüfungen habe, daß er für die Welt abgestorben sei und sich nur einem zurückgezogenen Büßerleben widme, das ihn hinlänglich beschäftige, um nicht den Wunsch in ihm aufkommen zu lassen, sich mit nutzlosen Kuriositäten zu zerstreuen, und daß es besser für ihn sei, wenn er von einem Urteil absehe und Gott für sie bitte, als wenn er sie sehe und sich einer Zerstreuung überlasse, die sich für seine Lage nicht schicke.

Sie gingen also, wie sie gekommen waren, aber sehr niedergeschlagen, daß sie den Zweck ihrer Reise nicht hatten erreichen können. Fräulein Rose hielt sich seitdem sehr verborgen in Paris und bei Anhängern in der Umgebung der Stadt. Erst als deren Zahl sich beträchtlich vermehrt hatte, zeigte sie sich mehr und mehr und wurde eine Gewissenrätin, die viel Aufsehen erregte. Der Kardinal von Noailles ließ sie examinieren, und ich glaube sogar, daß der Bischof von Meaux sie sprach. Das Ende vom Liede war, daß man sie auswies.

Sie hatte einen großen sehr stattlichen jungen Mann bekehrt, dessen Vater, ein Edelmann, einst Major von Blaye gewesen war und Vermögen besaß. Dieser junge Mann quittierte den Dienst und schloß sich an sie an, um sie nicht wieder zu verlassen. Er hieß Gondé und ging mit ihr nach Annecy, als sie aus Paris gewiesen wurde. Man hat seitdem kaum mehr von ihr sprechen hören, obwohl sie dort noch sehr lange gelebt hat.

Ich will hier die kurze Erzählung einer Anekdote einfügen, die wohl der Mitteilung wert ist. Der Vorwand jener Reise Fräulein Roses nach La Trappe war die von ihr bewirkte Bekehrung eines Pfarrers von sehr schönem Äußeren aus der Gegend von Toulouse, der kein besonders geistliches Leben führte. Sie überredete diesen Pfarrer, seine Pfründe im Stich zu lassen, nach Paris zu kommen und als Mönch in La Trappe einzutreten. Letzteres von ihm zu erreichen, kostete sie die äußerste Mühe, und er hat vorher und nachher oftmals gesagt, er wäre gegen seinen Willen Trappistenmönch geworden. Dennoch wurde er ein guter Ordensmann, Tamiers: diese Abtei existiert noch, sie liegt nicht sehr weit von Albertville in Savoyen.ja ein so guter, daß, als der Herzog von Savoyen lange danach den Abt von La Trappe um einen seiner Mönche bat, der fähig wäre, die Abtei Tamiers zu reformieren, er zur Ausführung dieses Planes dorthin geschickt wurde und Abt des Klosters ward. Er hatte dort so gute Erfolge, daß der Herzog von Savoyen, der damals an einem ziemlich langen Anfall von Frömmigkeit litt, viel Geschmack an ihm fand, sich mehrmals nach Tamiers zurückzog und ihm sein ganzes Vertrauen schenkte.


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