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XIV

Bälle und Theateraufführungen am Hofe. Tod der Herzogin von Sully. Das Verschwinden Lépinaus. Seine Leiche wird in der Seine gefunden. Tod des Abtes von Watteville. Seine Abenteuer. Er erschießt seinen Prior. Ein zweiter Mord. Er tritt in türkische Dienste, schwört seinen Glauben ab und läßt sich beschneiden. Er wird Pascha in Morea und schädigt die Venezianer. Er verrät gegen volle Absolution durch den Papst die Türken und kehrt in seine Heimat zurück. Seine politische Rolle und seine Stellung in der Franche-Comté. Die große Ausmusterung nach dem Frieden von Rijswijk. Saint-Simon ohne Regiment. Er wird bei der Beförderung übergangen und quittiert den Dienst. Verhalten des Königs gegen ihn. Eintreffen des Herzogs von Villeroy aus Italien. Eine überraschende Kunde.

 

Das Jahr 1702 begann mit Bällen in Versailles; einige davon waren maskiert. Die Herzogin von Maine gab deren mehrere in ihrem Schlafgemach, wobei sie stets das Bett hütete, weil sie schwanger war, was ein ziemlich eigenartiges Schauspiel bot. Auch in Marly gab es Bälle, die meisten aber ohne Maskeraden. Die Herzogin von Burgund unterhielt sich auf allen sehr gut. Der König wohnte im engsten Kreise, aber oft, und stets bei Frau von Maintenon, der Aufführung frommer Stücke, wie Absalon, Athalie usw. bei. Die Herzogin von Burgund, der Herzog von Orléans, der Graf und die Gräfin von Ayen, der junge Graf von Noailles, Fräulein von Melun spielten dabei die Hauptrollen in sehr prächtigen Komödiantenkostümen. Der alte Baron, ein ausgezeichneter Schauspieler, unterrichtete war seit drei Monaten verschollen: nach der Gazette de Rotterdam und der Gazette d'Amsterdam hatte man die Wünschelrute und den in einem Glase Wasser aufgehangenen Schlüssel angewandt, um herauszubringen, auf welchem Wege er Paris verlassen haben konnte.sie und spielte mit ihnen. Der Marschall von Noailles und seine geschickte Frau waren die Erfinder und Anreger dieser privaten Vergnügen.

Der Tod der Herzogin von Sully beraubte die Bälle des besten und vornehmsten Tänzers seiner Zeit, des Ritters von Sully, ihres zweiten Sohnes, den der König tanzen ließ, obgleich er über das Alter schon hinaus war. Seine Mutter war eine Tochter des Oberfinanzintendanten Servien, dem Meudon gehörte, das ihn soviel gekostet hatte. Sie war arm, obwohl sie 800 000 Livres mitbekommen hatte und durch die Ereignisse Erbin geworden war; aber Sablé, ihr Bruder, hatte sich durch die niedrigste Hurerei und die lichtscheuste Ausschweifung ruiniert, obgleich er ein sehr stattlicher und geistreicher Mann war. Und der Abbé Servien, sein anderer Bruder, der nicht weniger Geist besaß, wurde nur durch seine Ausschweifungen bekannt und durch den italienischen Geschmack, der ihm oftmals Ungade zuzog.

So gehen in kurzer Zeit, und nicht selten mit Schande, die Familien jener so mächtigen und so reichen Minister zugrunde, die sie in ihrem Vermögen für die Ewigkeit gesichert zu haben scheinen.

 

Lépinau, der Gehilfe Chamillarts, war seit drei Monaten verschollen. Er war ein sanfter und trotz seiner wichtigen Stellung höflicher Mann, dessen Hände rein waren, obgleich er stets im Finanzwesen Verwendung gefunden hatte. Alle Welt liebte und schätzte ihn. Er war unverheiratet. Als er eines Nachmittags in Paris allein ausgegangen war, kehrte er nicht mehr zurück, und seine Leiche wurde endlich in der Nähe der Brücke von Neuilly in der Seine gefunden. Dieser arme Mann Er wurde frühzeitig Karthäusermönch: er leistete im Mailändischen Kriegsdienste und tötete einen spanischen Edelmann, worauf er sich nach Paris flüchtete. Von der Furcht vor der Hölle gepackt, wurde er zuerst Kapuziner (wie es heißt, mit 17 Jahren) und dann Karthäuser im Kloster von Bonlieu nahe seinem Familienschlosse.
Sein Prior: Jean de Tournon, ein früherer Kavallerieoffizier. Der Ausbruch aus dem Kloster erfolgte 1633.
war offenbar von Verbrechern, die ein Lösegeld erpressen wollten, ergriffen und lange festgehalten, dann ermordet und in den Fluß geworfen worden. Ebenso wie alle Nachforschungen nach ihm vergeblich geblieben waren, blieben es auch die nach den Urhebern des Verbrechens.

Der Tod des Abtes Jean de Watteville erregte weniger Aufsehen, aber das Wunderbare seines Lebens verdient es, daß man nicht darüber hinweggehe. Die Wattevilles sind Leute von Stande aus der Franche-Comté. Dieser hier war der jüngere Bruder des spanischen Gesandten am englischen Hofe, Barons von Watteville. Er wurde frühzeitig Karthäusermönch, und nachdem er Profeß abgelegt hatte, zum Priester geweiht. Er hatte viel Geist, aber einen freien ungestümen Geist, der bald über das Joch, das er auf sich genommen hatte, ungeduldig wurde. Unfähig länger so lästigen Regeln unterworfen zu sein, trachtete er danach, sich davon frei zu machen. Er fand Mittel, weltliche Kleidung, Geld, Pistolen und, in geringer Entfernung, ein Pferd zu haben. Alles das hatte sich vielleicht nicht beschaffen lassen, ohne einigen Verdacht zu erregen: sein Prior schöpfte Argwohn, öffnete mit seinem Hauptschlüssel seine Zelle und findet ihn in weltlicher Kleidung auf einer Leiter im Begriffe, das Kloster zu verlassen. Er fängt an zu schreien, der andere aber tötet ihn ganz seelenruhig mit einem Pistolenschuß.

Zwei oder drei Tage darauf hält er zum Mittagessen vor einem schlechten, einsam gelegenen Wirtshause an, weil er es nach Möglichkeit vermied, sich in bewohnten Gegenden blicken zu lassen, steigt ab und fragt, was es zu essen gebe. »Eine Hammelkeule und einen Kapaun«, antwortete der Wirt. »Schön!« erwidert ihm der Entmönchte, »steckt sie an den Bratspieß!« Der Wirt will ihm einwenden, daß das ums Doppelte zu viel für ihn sei und sein ganzer Vorrat in diesen beiden Stücken bestehe. Der Mönch wird ärgerlich und erklärt, wenn man bezahle, wäre es doch das mindeste, daß man bekomme, was man wolle, und daß er genug Appetit habe, um alles zu verzehren. Der Wirt wagt nichts zu entgegnen und steckt das Fleisch an den Spieß.

Als der Braten so ziemlich gar ist, erscheint ein anderer Mann zu Pferde, ebenfalls allein, um in dem Wirtshause zu Mittag zu essen. Er verlangt zu essen; er findet, daß nichts weiter da ist, als was er bereit sieht, vom Spieße gezogen zu werden. Er fragt, wie viele davon essen und ist höchlich erstaunt, daß es für einen einzigen Mann sein soll. Er schlägt vor, gegen Bezahlung seinen Teil davon zu essen und ist noch mehr überrascht über die Antwort des Wirtes, der ihn versichert, er zweifle nach dem Aussehen des Gastes, der das Essen bestellt hat, daß er sich dazu herbeilassen werde. Da steigt der Reisende vom Pferde, redet Watteville höflich an und bittet ihn zu gestatten, daß er gegen Bezahlung an seiner Mahlzeit teilnehme, da in der Wirtschaft nichts weiter vorhanden sei, als das, was er sich vorbehalten habe. Watteville zeigt keine Neigung einzuwilligen: es entsteht ein Disput; er wird hitzig; kurz, der Mönch macht es wie mit seinem Prior und tötet den Mann mit einem Pistolenschuß. Darauf setzt er sich ruhig an den Tisch und läßt sich, ohne sich um das Entsetzen des Wirtes und seiner Leute zu kümmern, die Hammelkeule und den Kapaun auftragen, verzehrt beide bis auf die Knochen, bezahlt, schwingt sich wieder in den Sattel und macht sich fort. um es kurz zu machen: Saint-Simon übergeht hier eine ganze Serie von Abenteuern: die Ankunft Wattevilles bei einem Verwandten, der ihm die Mittel gibt, außer Landes zu gehen, seine Reise quer durch Frankreich bis nach Spanien, seinen Aufenthalt in Madrid unter dem Namen Ritter von Hautecourt, die Ermordung des Sohnes eines Granden, der ihn zwang, sich in ein Kloster zurückzuziehen, dessen Äbtissin zu seiner Bekanntschaft gehörte, seine Flucht nach Lissabon mit einer der Nonnen, von dort nach Smyrna, wo seine Gefährtin bei der Ausschiffung stirbt, und endlich nach Konstantinopel.
wo die Türken die Venezianer bekriegten: die Türken hatten Morea seit den Zeiten Mahomets II. besetzt, die Halbinsel wurde in einer langen Reihe von Feldzügen von den Venezianern wieder erobert, die 1687 durch die Einnahme von Patras, Lepanto und Korinth durch den Dogen Morosini Peloponnesiacus gekrönt wurden. Der Friede von Carlowitz bestätigte die Venezianer in diesem Besitze (1699), doch fiel die Halbinsel 1715 wieder in die Hände der Türken zurück.

Da er nicht weiß, was aus ihm werden soll, geht er in die Türkei und – um es kurz zu machen – läßt sich beschneiden, nimmt den Turban und tritt in das Heer ein. Die Abschwörung seines Glaubens bringt ihn vorwärts, sein Geist und seine Tapferkeit bringen ihm Auszeichnung: er wird Pascha und der Vertrauensmann in Morea, wo die Türken die Venezianer bekriegten. Er eroberte ihnen feste Plätze und stellte sich mit den Türken so gut, daß er in der Lage zu sein glaubte, aus seiner Situation, die ihn nicht befriedigte, Nutzen zu ziehen. Er fand Mittel, mit dem Generalissimus der Republik verhandeln zu lassen und mit ihm einig zu werden. Er versprach mündlich, einige Plätze und viele Geheimnisse der Türken auszuliefern, sofern man ihm in bindendster Form die Absolution des Papstes für alle Untaten seines Lebens brächte, für seine Morde, seinen Abfall vom Glauben, volle Sicherheit vor den Karthäusern, das Versprechen, daß er in keinen andern Orden gesteckt werden, vielmehr ganz dem Weltklerus zugeteilt würde, mit den Rechten derer, die ihn nie verlassen haben, daß er seine Priesterfunktionen uneingeschränkt ausüben und alle wie auch immer beschaffenen Pfründen besitzen könne.

Die Venezianer fanden dabei zu gut ihre Rechnung, um nicht alle Hebel im Sinne dieser Forderungen in Bewegung zu setzen, und der Papst glaubte, die Kirche habe ein genügend großes Interesse daran, die Christen gegen die Türken zu begünstigen, daß er alle Forderungen des Paschas in Gnaden bewilligte.

Als Watteville ganz sicher war, daß alle Ausfertigungen in der besten Form in die Hände des Generalissimus gelangt seien, traf er seine Maßnahmen so gut, daß er alles, wozu er sich den Venezianern gegenüber der Papst nahm ihn wohl auf: Alexander VII. gab ihm 1659 die Abtei von Baume, und Philipp IV. von Spanien ging so weit, daß er für ihn um das Erzbistum Besançon warb, das im März 1662 frei geworden war, der Papst ließ sich aber nur herbei, ihn zum Großdekan des Kapitels zu machen (1664), obwohl dieses bereits einen solchen gewählt hatte.
bei der ersten Eroberung der Franche-Comté: im Jahre 1668. Watteville hatte seinen Landsleuten zuerst vorgeschlagen, aus der Franche-Comté einen vierzehnten schweizerischen Kanton zu machen, er änderte seine Meinung aber plötzlich zugunsten Ludwigs XIV., der mit seiner Armee erschien. Als der Friede von Aachen das Land den Spaniern wieder zurückgegeben hatte, begannen diese gegen Watteville eine Prozedur wegen Verrates; da seine Richter ihn aber nach Frankreich entweichen ließen, fiel die Prozedur. Während der zweiten Eroberung (1674) soll er keine Rolle gespielt haben, doch nahm er von seiner Abtei und von seinen Ämtern wieder Besitz.
Zum Erzbischof ernannt
: seit 1662 war in Besançon ein Titular, der bis 1698 Erzbischof blieb. Vgl. die Anm. zu S. 205 ( der Papst nahm ihn wohl auf).
besaß eine schöne Meute: er unterhielt auch ein Gestüt. Er war es, der in den senkrechten Fels die annähernd 500 Fuß hohen Treppen von Baume zur Erleichterung für seine Jagd hauen ließ.
Dem andern Geschlecht gegenüber war er nicht zurückhaltend: man sagte ihm nach, er habe seine alten türkischen Gewohnheiten beibehalten und sich eine Art Harem gehalten, an dessen Spitze eine Sultanin-Favoritin stand, die spätere Madame Lucas.
verpflichtet hatte, vollkommen ausführte. Gleich danach ging er zu ihrer Armee über, dann auf eines ihrer Schiffe, das ihn nach Italien brachte. Er begab sich nach Rom, der Papst nahm ihn wohl auf, und vollkommen beruhigt kehrte er in die Franche-Comté zu seiner Familie zurück und machte sich ein Vergnügen daraus, alle Karthäuser herausfordernd anzusehen.

Die Seltsamkeit seiner Lebensschicksale machte ihn bei der ersten Eroberung der Franche-Comté bekannt. Man sah ihn als einen Mann von Energie und Verschlagenheit an. Er verständigte sich mit dem Prinzen von Condé, dann mit den Ministern, die sich seiner bei der zweiten Eroberung derselben Provinz mit Nutzen bedienten. Er tat es aber nicht umsonst: er hatte sich den Erzbischofsstuhl von Besançon ausbedungen und wurde nach der zweiten Eroberung in der Tat zum Erzbischof ernannt. Der Papst konnte sich nicht entschließen, ihm die Bullen auszufertigen: er verschanzte sich hinter die Morde, den Glaubensabfall, die Beschneidung; der König schloß sich den Gründen des Papstes an und unterhandelte mit Watteville, der sich mit der Abtei Baume, der zweiten in der Franche-Comté, mit einer anderen guten in der Picardie und verschiedenen andern Vorteilen begnügte.

Er lebte seitdem teils in seiner Abtei Baume, teils auf seinen Besitzungen, manchmal in Besançon, selten in Paris und am Hofe, wo er stets mit Auszeichnung empfangen wurde. Er hatte überall seine Wagen und Pferde, trieb großen Aufwand, hielt große Tafel, besaß eine schöne Meute und liebte fröhliche Gesellschaft. Dem andern Geschlecht gegenüber war er nicht zurückhaltend, und er lebte nicht allein als großer Herr, sehr gefürchtet und respektiert, sondern Die Ausmusterung, die auf den Frieden von Rijswijk folgte: über diese große Ausmusterung, die den größten Teil des französischen Heeres traf und vom Februar bis zum November 1698 dauerte, vgl. A. de Boislisle Bd. X, S. 52, Anm. 2 seiner Saint-Simon-Ausgabe.nach der alten Mode, indem er seine Besitzungen, die seiner Abteien und manchmal auch seine Nachbarn sehr tyrannisierte und namentlich bei sich zu Hause sehr absolut herrschte. Die Intendanten bückten sich vor ihm und ließen ihn auf ausdrückliche Weisung des Hofes, solange er lebte, gewähren und wagten es in keiner Hinsicht, ihm zu nahe zu treten, weder in bezug auf die Steuern, die er in allen von ihm abhängigen Gebieten nahezu wie es ihm gut schien festsetzte, noch hinsichtlich seiner sehr häufig gewalttätigen Unternehmungen.

Zu diesen Sitten und dieser furcht- und respekterweckenden Haltung paßte es, daß er manchmal die Karthäuser besuchte, um sich zu freuen, daß er ihre Kutte fortgeworfen hatte. Er spielte sehr gut Lomber und gewann dabei so oft codille, daß ihm davon der Name Abbé Codille blieb. Er lebte so, stets gleich zügellos und gleich angesehen, bis nahe an neunzig Jahre.

 

Die Ausmusterung, die auf den Frieden von Rijswijk (1697) folgte, war sehr durchgreifend und wurde auf eine sehr seltsame Art ausgeführt: die Güte der Regimenter, vor allem bei der Kavallerie, das Verdienst der Offiziere, die Befehlshaber derselben – Barbezieux in seinem jugendlichen Ungestüm nahm auf nichts Rücksicht, und der König ließ ihm freie Hand. Ich hatte keinerlei Umgang mit ihm: mein Regiment wurde ausgemustert, und da es sehr gut war, machte er seine Trümmer königlichen Regimentern und dem Regiment Duras zum Geschenk. Meine eigene Kompagnie wurde dem Regiment des Grafen von Uzès, des Schwagers von Barbezieux, einverleibt. Ich teilte mein Schicksal mit vielen andern, was mich nicht tröstete. Die von der Ausmusterung betroffenen Reiterobersten dessen Bruder Generalleutnant war: Charles-César, Marquis von Saint-Mauris; er wurde am 23. Dez. 1702 nach der Schlacht bei Friedlingen Generalleutnant. Gest. 1704.ohne Kompagnie wurden à la suite von andern Regimentern gestellt: ich wurde dem von Saint-Mauris zugeteilt. Es war dies ein Edelmann aus der Franche-Comté, den ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte, und dessen Bruder Generalleutnant war und sich großer Schätzung erfreute.

Bald darauf verlangte die Pedanterie, die sich stets mit dem praktischen Dienste mischte, eine Anwesenheit von zwei Monaten bei den Regimentern, à la suite deren man stand. Das kam mir sehr hart vor. Ich verfehlte nicht, mich einzufinden; da ich aber verschiedentlich unpäßlich gewesen war und man mir die Bäder von Plombières angeraten hatte, bat ich um die Erlaubnis, dorthin zu gehen und verbrachte dort drei Jahre hintereinander die Verbannungszeit bei einem Regiment, in dem ich niemand kannte, keine Truppen unter mir hatte und nichts für mich zu tun fand.

Der König schien es nicht übelzunehmen. Ich ging häufig nach Marly; er sprach manchmal mit mir, was sehr bemerkt wurde: mit einem Wort, er behandelte mich gut und besser als meine Alters- und Dienstgenossen. Indessen stellte man einige Reiterobersten, die im Dienstalter nach mir kamen, wieder an die Spitze eines Regiments; es waren dies alte Offiziere, die für lange und gute Dienste Regimenter erhalten hatten: ich gab mich mit diesem Grunde zufrieden. Die Promotion, von der man sprach, rüttelte mich nicht auf: man lebte nicht mehr in einer Zeit, da man sich Würden oder Geburt zunutze machen konnte; außer für Taten vor dem Feinde wurde keine Ausnahme von der Regel der Anziennität gemacht.

Ich hatte zu viele Vordermänner, um daran denken zu können, Brigadier zu werden; alles, worauf ich ausging, trotz seiner Neffenschaft: er war Neffe Frau von Maintenons.war ein Regiment und an dessen Spitze zu dienen, da der Beginn des Krieges bevorstand, um nicht den Verdruß zu haben, ihn sozusagen als Generaladjutant von Saint-Mauris und ohne Truppe zu beginnen, nachdem ich, aus der Schlacht bei Neerwinden zurückkehrend, zur Auszeichnung bevorzugt worden war, ein Regiment bekommen, es gut wieder instand gesetzt und es, ich wage es zu sagen, während der vier folgenden Feldzüge, die den Krieg beendigten, mit Eifer und Anerkennung befehligt hatte.

Die Liste der Beförderungen wurde veröffentlicht. Sie überraschte alle Welt durch ihren großen Umfang; niemals hatte es eine gegeben, die auch nur annähernd so groß war. Ich überflog begierig die Kavalleriebrigadiere, um zu sehen, ob ich bald an die Reihe käme, und war sehr erstaunt, als ich am Ende deren fünf sah, die im Dienstalter nach mir kamen. Ihre Namen sind niemals meinem Gedächtnis entschwunden und stets darin gegenwärtig geblieben: es waren d'Ourches, Vendeuil, Streiff, der Graf von Ayen und Ruffey. Es ist schwer, sich gekränkter zu fühlen als ich es war: ich fand die Gleichheit der Anciennitätsordnung schon hinlänglich erniedrigend; die Bevorzugung des Grafen von Ayen, trotz seiner Neffenschaft, und die der vier gewöhnlichen Edelleute aber schien mir unerträglich. Ich schwieg indes, um nicht im Zorne etwas Unpassendes zu tun. Der Marschall von Lorge war ärgerlich, für mich wie für sich selbst: sein Bruder, der Marschall von Duras, war es kaum weniger, sowohl wegen des Mangels an Wertschätzung ihrer Person, als weil er, ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Art, Freundschaft für mich gefaßt hatte.

Alle beide schlugen mir vor, meinen Dienst zu quittieren: den ich gar nicht kannte: Saint-Simon erzählt weiter unten die Geschichte seiner Intimität mit Chamillart.die Verstimmung machte mir große Lust dazu; der Gedanke an mein Alter, an das Bevorstehen eines Krieges, an den Verzicht auf alle Aussichten des Kriegshandwerks, an die Langeweile der Untätigkeit, an den Schmerz während des Sommers immer von Krieg, von Abgang zum Kriegsschauplatz, von Beförderungen im Kriege sich Auszeichnender hören zu müssen, hielt mich mit Macht zurück.

Endlich, nachdem ich den Rat des Marschalls von Choiseul, des Herzogs von Beauvillier, des Kanzlers Pontchartrain und des Herzogs von la Rochefoucauld eingeholt hatte, verfaßte ich einen kurzen Brief an den König, in dem ich, ohne irgendeine Klage noch die geringste Andeutung irgendwelcher Unzufriedenheit und ohne vom Regiment noch von Beförderung zu sprechen, ihm mein Bedauern ausdrückte, daß meine schlechte Gesundheit mich nötige, seinen Dienst zu verlassen, worüber ich mich nur trösten könnte, indem ich angelegentlichst seine Gegenwart aufsuchte, um die Ehre zu haben, ihn zu sehen und ihm beständiger meinen Hof zu machen.

Mein Brief fand die Billigung meiner Berater, und am Dienstag der Karwoche überreichte ich ihn dem Könige persönlich an der Tür seines Kabinetts, als er aus der Messe kam. Von dort ging ich zu Chamillart, den ich gar nicht kannte. Er kam gerade aus seinen Gemächern, um in den Staatsrat zu gehen. Ich machte ihm mündlich das gleiche Kompliment, ohne etwas hinzuzufügen, was Unzufriedenheit ahnen lassen konnte, und ging dann sofort nach Paris.

Ich hatte Leute in verschiedener Stellung in Bewegung gesetzt, Männer und Frauen, mit denen ich befreundet war, um von dem unterrichtet zu werden, was der König – wo es auch sei – über meinen Brief sagen würde. Ich blieb acht Tage in Paris und kehrte erst am Osterdienstag nach Versailles zurück. Ich erfuhr vom Kanzler, daß, als der Staatsrat berufen war und am Osterdienstag in das Kabinett des Königs trat, dieser meinen Brief las, gleich darauf Chamillart zu sich rief und einen Augenblick abseits mit ihm sprach. Ich erfuhr anderswoher, daß er mit Bewegung zu ihm gesagt hatte: »Sehen Sie, da ist schon wieder einer, der uns verläßt!« und gleich darauf den Inhalt meines Briefes Wort für Wort mitteilte. Von anderer Seite wurde mir kein Wort bekannt, das ihm über meinen Brief entfallen wäre.

An diesem Osterdienstag erschien ich zum erstenmal nach Überreichung meines Briefes wieder vor ihm, als er von der Abendtafel aufstand. Ich würde mich schämen, die folgende Kleinigkeit zu berichten, wenn sie unter den obwaltenden Umständen nicht dazu diente, ihn zu kennzeichnen.

Obgleich der Ort, wo er sich auskleidete, hell erleuchtet war, übergab der Almosenier vom Dienst, der beim Abendgebet einen angezündeten Handleuchter hielt, diesen danach dem ersten Kammerdiener, der ihn vor den König trug, wenn dieser zu seinem Lehnsessel ging. Er ließ hierauf einen schnellen Blick in die Runde schweifen und nannte ganz laut einen der Anwesenden, dem darauf der erste Kammerdiener den Armleuchter überreichte. Dies war eine Auszeichnung und eine Gunst, die Aufmerksamkeit erregte, so sehr verstand der König die Kunst, einem Nichts Bedeutung zu verleihen. Er ließ ihn nur denen geben, die am meisten durch Würde und Geburt ausgezeichnet waren, außerordentlich selten geringeren Leuten, bei denen das Alter und die Ämter an deren Stelle traten. Mir ließ er ihn häufig reichen, selten Gesandten, den Nuntius ausgenommen und, in den letzten Zeiten, den spanischen Gesandten.

Man zog seinen Handschuh ab, man trat vor, man hielt diesen Leuchter, während der König zu Bett ging, was sehr kurze Zeit dauerte, und dann gab man ihn dem ersten Kammerdiener zurück. Ich hatte mich absichtlich etwas im Hintergrund gehalten und war, ebenso wie die Anwesenden, sehr überrascht, als ich mich nennen hörte, und in der Folge erhielt ich den Leuchter fast ebensooft wie ich ihn bis dahin erhalten hatte. Ich hatte den Leuchter nicht etwa erhalten, weil bei diesem Coucher keine sehr hervorstechenden Persönlichkeiten zugegen gewesen wären, denen er ihn hätte reichen lassen können, sondern der König war gekränkt genug, um nicht zu wollen, daß man es bemerke.

Das war auch alles, was ich von ihm während dreier Jahre an Auszeichnung erhielt, während deren er, mangels wichtigerer Gelegenheiten, keine Kleinigkeit außer acht ließ, um mich fühlen zu lassen, wie stark verstimmt er war. Er redete mich nicht mehr an, seine Blicke fielen nur noch zufällig auf mich; er sagte kein Wort über meinen Brief zum Marschall von Lorge, noch darüber, daß ich ihn verlassen hatte. Ich ging nicht mehr nach Marly und, nach einigen Reisen, hörte ich auf, ihm die Befriedigung zu verschaffen, mich ignorieren zu können.

Ich muß diese bezeichnenden Kleinigkeiten zu Ende bringen. Vierzehn oder fünfzehn Monate später machte der König eine Reise nach Trianon. Die Prinzessinnen hatten sich gewöhnt, jede zwei Damen zur Abendtafel zu befehlen, und der König mischte sich nicht darein, um ihnen diese Annehmlichkeit zu gewähren. er befahl Frau von Saint-Simon nicht nach Marly: wer von den Hofleuten den König nach Marly begleiten wollte, der rief, wenn der König vorüber kam: » Marly, Sire!« worauf der König seinen Namen nannte. Diese Erlaubnis galt als eine Auszeichnung.Er ward es aber müde; die Gesichter, die er an seiner Tafel sah, mißfielen ihm, weil er nicht daran gewöhnt war: morgens speiste er allein mit den Prinzessinnen und ihren Ehrendamen; er stellte also selbst eine Liste auf, und zwar eine sehr kurze, die alle Damen enthielt, die er abends sehen wollte, und sandte diese jeden Tag der Herzogin du Lude, damit sie sie benachrichtigen lasse.

Dieser Ausflug nach Trianon dauerte vom Mittwoch bis zum Samstag, umfaßte also drei Abendmahlzeiten. Wir, Frau von Saint-Simon und ich, hielten es mit diesem Trianonausflug wie mit Marly und waren an jenem Mittwoch, an dem der König sich dorthin begab, bei Chamillart in l'Étang zum Mittagessen, um dann von dort aus zum Übernachten nach Paris zu gehen. Als man im Begriff war, sich zur Tafel zu begeben, erhielt Frau von Saint-Simon eine Botschaft von der Herzogin du Lude, die sie benachrichtigte, daß sie auf der Liste des Königs für das Abendessen desselben Tages stehe. Die Überraschung war groß; wir kehrten nach Versailles zurück. Frau von Saint-Simon war bei weitem die jüngste Dame an der Tafel des Königs; außer ihr waren noch zugezogen die Herzoginnen von Chevreuse und von Beauvillier, die Gräfin von Gramont und drei oder vier andere notwendige Ehren- oder Palastdamen, sonst niemand. Am Freitag wurde sie wiederum befohlen, und mit denselben Damen; und seitdem hielt es der König bei den seltenen Ausflügen nach Trianon stets so.

Ich wußte bald, was das zu bedeuten hatte, und lachte darüber: er befahl Frau von Saint-Simon nicht nach Marly, weil die Gatten das Recht hatten, dorthin zu gehen, wenn ihre Frauen dort waren; sie übernachteten Der Herzog von Villeroy: der älteste Sohn des Marschalls, der ihn als Generalmajor nach Italien begleitet hatte.dort, und niemand sah dort den König, als wer auf der Liste stand. In Trianon hingegen stand es allen Hofleuten frei, zu allen Stunden des Tages zu erscheinen und dem Könige den Hof zu machen; niemand blieb dort über Nacht, außer denjenigen Diensttuenden, die unentbehrlich waren, nicht einmal eine Dame. Der König wollte also durch diese Unterscheidung deutlicher zu erkennen geben, daß die stillschweigende Ausschließung von seinen Gunstbezeigungen nur mir allein galt, und Frau von Saint-Simon keinen Teil daran hatte.

Ich habe diesen Gegenstand im Zusammenhange erschöpfen wollen, weil er für den Charakter des Königs bezeichnend ist und kehre nunmehr zu den Ereignissen des Jahres zurück.

Der Herzog von Villeroy traf am 6. Februar ein, von seinem Vater abgesandt, um dem Könige über eine Menge von Einzelheiten und Plänen Bericht zu erstatten, die durch Kuriere zu erledigen, zuviel Zeit erfordert hätte. Diese Reise schlug ihm zum Heile aus; drei Tage später bekam er Gelegenheit, es zu merken.

Die so umfangreiche Beförderung, von der ich gesprochen habe, und die mich um Ostern den Dienst quittieren ließ, war am 29. Januar bekanntgegeben worden. Mittwoch den 8. Februar ging man nach Marly, wo es Bälle gab. Wir nahmen an der Reise teil, Frau von Saint-Simon und ich, wie wir denn oft mit nach Marly gingen. Am andern Tage, Donnerstag den 9. Februar, traf Mahony, ein irischer Offizier von viel Geist und Tapferkeit, aus Italien mit der überraschendsten Nachricht ein, von der man in den letzten Jahrhunderten hat sprechen hören. Die Begebenheit, um die es sich handelt, war am 1. Februar vorgefallen.


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