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IV

Desmaretz. Das Verhältnis des alten Herzogs von Saint-Simon zu ihm. Der Hof und die Lotterien. Ernennung des Erzbischofs von Paris zum Kardinal. Verbannung des Abtes de Vaubrun. Seine Beziehungen zum Kardinal von Bouillon. Dieser beharrt bei seinem passiven Widerstand gegen die Befehle des Königs. Seine Bewerbung um das Dekanat. Seine Maßregelung. Die Versammlung des französischen Klerus. Der Erzbischof von Reims und sein Champagner. Der Disput über die chinesischen Gebräuche und die Jesuiten. Niederlage der letzteren. Ihre Abgabenfreiheit. Tod des Paters Valois. Tod le Nostres. Seine Gartenkunst. Er fällt Clemens X. um den Hals.

 

Die durch die spanische Erbfolgefrage geschaffene Lage war so heikel, daß man alles aufbot, um Geld zu bekommen und für jede Möglichkeit bereit zu sein. Man begann mit einer heimlichen Untersuchung der Geschäfte der Steuerpächter und großen Finanzleute, deren Gewinne während des letzten Krieges ungeheuer gewesen waren. Chamillart erlangte mit vieler Mühe vom Könige die Erlaubnis, sich für diese Untersuchung Desmaretz' zu bedienen. Dieser war ein großer, sehr gut gewachsener Mann mit einem einnehmenden Gesicht, das Weisheit und Milde verkündete, Eigenschaften, die ihm am allerwenigsten eigen waren. Sein Vater war Schatzmeister von Frankreich in Soissons und hatte eine Schwester Colberts geheiratet, lange vor dem glänzenden Aufstieg dieses Ministers, der später Desmaretz, seinen Neffen, in seine Bureaus nahm und ihn dann zum Gegen Ende von Colberts Leben: nicht gegen Ende, sondern in der Mitte seines Ministeriums: 1674.Finanzintendanten machte. Er war ein Mann von klarem, langsam arbeitendem, schwerfälligem Verstande, den aber der Ehrgeiz und die Liebe zum Gewinn anspornte, so daß Seignelay, sein Vetter, eine Abneigung gegen ihn gefaßt hatte, zumal Colbert ihn ihm stets als Muster hinstellte.

Von seinem Oheim erzogen und geleitet, hatte Desmaretz von ihm alle Maximen und die ganze Kunst der Finanzverwaltung gelernt: er hatte alle ihre verschiedenen Zweige gründlich erfaßt, und da alles durch seine Hände ging, war niemand genauer als er von den Machenschaften der Finanzleute, von dem Gewinn, den sie seinerzeit gemacht und – durch seine Bekanntschaften – von dem, den sie seitdem gemacht haben konnten, unterrichtet.

Gegen Ende von Colberts Leben entschloß man sich, eine Quantität kleiner Silberstücke im Werte von dreieinhalb Sols zu schlagen, um den täglichen Kleinhandel zu erleichtern. Desmaretz hatte mehrere Besitzungen gekauft, darunter Maillebois und – auf dem Wege der Verpfändung – die Domäne Châteauneuf-en-Thymerais, bei welcher diese Besitzung zu Lehen ging, außerdem noch eine Anzahl anderer Güter. Er hatte das Schloß von Maillebois, das von d'O, dem Oberfinanzintendanten Heinrichs III. und Heinrichs IV., erbaut worden war, sehr verschönert und das dazugehörige Dorf an einen anderen Platz versetzt, um seinen Park zu vergrößern und zu schmücken, der denn auch prachtvoll geworden war.

Diese Ausgaben, die sein väterliches Erbe, die Mitgift seiner Frau und die Bezüge seines Postens so weit überschritten, machten viel von sich reden. Er wurde hernach beschuldigt, bei der Prägung jener Dreieinhalb-Solsstücke ganz ungeheuer in seine Tasche gearbeitet zu haben. Das Gerücht davon kam schließlich Colbert zu Ohren, dieser wollte eine Untersuchung anstellen und verfiel in die kurze Krankheit, an der er starb. Waren es Beweise, die er in Händen hatte, waren es Verdachtsgründe, oder war es eine Verstimmung, – sicher ist jedenfalls, daß er von seinem Bette aus an den König gegen seinen Neffen schrieb, ihn bat, ihm die Finanzverwaltung abzunehmen und ihm das schwerste Mißtrauen gegen ihn einflößte. Als Colbert tot und le Peletier Generalkontrolleur war, gab der König diesem, dem er wie le Tellier sein ganzes Leben lang sehr zugetan, Befehl, Desmaretz davonzujagen und ihn öffentlich zu beschimpfen. Für eine Kreatur von Louvois war das ein Fest. Er ließ Desmaretz rufen und benutzte den Augenblick einer öffentlichen Audienz: dort, inmitten aller der Finanzleute, die noch vor acht Tagen vor ihm krochen und zitterten, und vor allen Leuten, die sich eingefunden hatten, um mit dem Generalkontrolleur zu sprechen, rief er Desmaretz heran und sagte zu ihm ganz laut, damit niemand der Anwesenden ein Wort verliere: »Herr Desmaretz, ich bin betrübt, über den Auftrag, den ich vom König erhalten habe, und der Euch angeht; der König hat mir befohlen, Ihnen zu sagen, daß Sie ein Spitzbube sind, und daß Colbert ihm davon Mitteilung gemacht hat; in Anbetracht dieses Umstandes will er Sie begnadigen, doch haben Sie sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden in Ihr Schloß zu Maillebois zurückzuziehen und es nicht mehr zu verlassen, noch außerhalb zu übernachten, ferner haben Sie die Finanzintendanz niederzulegen, über die der König bereits anderweitig verfügt hat.«

Außer sich, wollte Desmaretz den Mund öffnen, aber le Peletier schloß ihm denselben sofort durch ein: »Gehen Sie, Herr Desmaretz, ich habe Ihnen nichts weiter mitzuteilen!« und kehrte ihm den Rücken. Der Brief des sterbenden Colbert an den König schloß seiner ganzen Familie den Mund, so daß Desmaretz, jeder Art von Protektion beraubt, nichts weiter tun konnte, als seine Demission unterzeichnen und sich nach Maillebois begeben. Er weilte dort die ersten vier oder fünf Jahre, ohne die Möglichkeit zu haben, auswärts zu schlafen, und hatte die Mißachtung der Nachbarschaft und das üble Benehmen eines kleinen Adels zu erdulden, der sich mit Vergnügen an dem Ohnmächtigen für die drückende Gewalt rächte, die er in den Tagen seines Glückes ausgeübt hatte.

Desmaretz

Mein Vater war mit Colbert, Herrn von Seignelay und ihrer ganzen Familie befreundet; er kannte Desmaretz, der im Vergleich zu ihm ein junger Mann war, nur wenig. La Ferté, wo mein Vater häufig den Spätherbst verbrachte, lag vier Meilen von Maillebois entfernt. Desmaretz' Lage erweckte sein Mitleid. Mochte er unschuldig sein oder nicht – denn es war durchaus keine Klarheit geschaffen worden –: er fand, daß sein Sturz tief genug war, und er nicht noch am Orte seiner Verbannung von den Schmeißfliegen gefressen zu werden brauchte. Er besuchte ihn also, schloß Freundschaft mit ihm und erklärte öffentlich, er sehe diejenigen nicht gerne bei sich, die Desmaretz zu kränken suchten. Damals lebte noch ein Rest von adliger Gesinnung; mein Vater, der zeitlebens gefällig und wohltätig war, erfreute sich in der ganzen Gegend hoher Achtung: diese Erklärung wandelte mit einem Schlage Desmaretz' Lage in der Provinz; er verdankte ihm seine ganze Ruhe und die Achtung, die auf die Geringschätzung und den bösen Willen folgten, die er hatte ertragen müssen. Über die Lotterien vgl. de Boislisle, Bd. VII. der Saint-Simon-Memoiren, S. 139, Anm. 3.
Eine von 20 000 Pistolen: von 20 000 wurde sie auf 46 000 Pistolen erhöht, so großen Eifer zeigten die Höflinge und andere, ihr Gold herbeizubringen. Die 46 000 Pistolen waren für die Armen bestimmt.

Nachdem Desmaretz die Erlaubnis erhalten hatte, sein Haus zu verlassen, doch ohne anderwärts zu übernachten, kam er nach la Ferté zum Mittagessen, sobald mein Vater dort war. Weder er noch Frau von Desmaretz ließen eine Gelegenheit vorübergehen, meinem Vater und meiner Mutter ihre Anhänglichkeit und Erkenntlichkeit zu beweisen. Er bekam endlich die Erlaubnis, kurze, dann längere und wiederholte Ausflüge nach Paris zu machen, und schließlich wurde ihm gestattet, dort zu bleiben, doch mußte er sich vom Hofe fernhalten. Nach dem Tode meines Vaters setzte er die Freundschaft mit mir fort und ich mit ihm.

Dies war Desmaretz' Lage, als Chamillart mit großer Mühe die Erlaubnis erhielt, sich seiner Erfahrungen zu bedienen und ihn an der Untersuchung gegen die Finanzleute mitarbeiten zu lassen, die, wie man herausgerechnet, seit 1689 82 Millionen gewonnen hatten.

 

Es ward vorgeschlagen, die allgemeine Gewinnsucht durch Lotterien anzulocken; es wurden ihrer eine ganze Menge und von verschiedener Art veranstaltet. Um ihnen mehr Ansehen und Zulauf zu verschaffen, veranstaltete die Herzogin von Burgund eine von 20 000 Pistolen. Sie und ihre Damen und mehrere andere vom Hofe verfertigten die Lose; Herren und Damen, vom Dauphin bis zum Grafen von Toulouse, versiegelten sie, und die verschiedenen Formen, die man ihnen gab, bildeten eine Quelle der Unterhaltung für den König und alle Beteiligten. Man beobachtete dabei die peinlichsten Vorsichtsmaßregeln, um jeden Mißbrauch hintanzuhalten. Die Ziehung fand unter denselben Vorsichtsmaßregeln vor allen Mitgliedern des königlichen Hauses und anderen hervorragenden Persönlichkeiten statt, die dabei zugelassen worden waren. Das große Los fiel auf einen Gardisten des Königs von der Kompagnie de Lorge; es betrug 4000 Louisdor.

 

Im Mai (1700) ernannte der König den Erzbischof von Paris, Noailles, zum Kardinal. Dieser hatte sich nicht im geringsten darum bemüht, aber sein Bruder und Frau von Maintenon taten alles für ihn. Man erfuhr es erst durch Briefe aus Rom. Er brauchte keine zwei Monate nach seiner Nominierung auf den Purpur zu warten. Der Papst hatte beschlossen, die Promotion zu vollziehen, sobald drei Hüte vakant seien: der Kardinal Maidalchini starb als der dritte, und alsbald, d. h. am 28. Juni, traf ein Kurier des Prinzen von Monaco ein, der die Nachricht überbrachte, daß der Papst für Frankreich den Kardinal von Noailles, für den Kaiser den Kardinal von Lamberg, Bischof von Passau, und für Spanien den Kardinal Borgia promoviert habe. Der Kurier des Papstes beeilte sich nicht, so daß der König erst am 1. Juli, nach seiner Rückkehr von Marly, in seinen Gemächern zu Versailles den neuen Kardinal seiner harrend fand, der ihm seine Kappe überreichte. Der König setzte sie ihm auf und verband damit eine sehr liebenswürdige Ansprache.

Diese Promotion war für den Kardinal von Bouillon ein brennender Schmerz; es kränkte ihn, einen Noailles gleich ihm mit dem Purpur geschmückt zu sehen und einen von denen, die sich im Streite mit dem Erzbischof von Cambray befunden und ihn besiegt hatten. Er hatte soeben einen Peitschenschlag erhalten, der ihn persönlicher traf, für ihn aber vielleicht weniger empfindlich war. Der Abt von Vaubrun war nach Serrant in Anjou, zu seinem Großvater mütterlicherseits verbannt worden. Er war der Bruder der Herzogin von Estrées und der einzige Sohn des als Generalleutnant auf jenem schönen und denkwürdigen Rückzuge, den Herr von Lorge nach Turennes Tode vor den Kaiserlichen vollzog, gefallenen Vaubrun. Er war Geistlicher geworden, um sich zu verbergen: er war vollkommen zwerghaft, er hatte die Häßlichkeit und den großen Kopf der Zwerge und das eine seiner kurzen krummen Beine war mindestens um einen Fuß kürzer als das andere. Dabei hatte er aber viel Geist und war sehr belesen, doch war es ein gefährlicher Geist, den er besaß, ganz auf Stänkerei und Intrige gerichtet; er galt als bösartig, wenig zuverlässig im Verkehr und bereit, sich mit allem zu befassen, um bei irgend etwas eine Rolle zu spielen. Sein Äußeres hinderte ihn nicht, sich Freiheiten gegen die Damen herauszunehmen und sich auf ihre Gunst Hoffnung zu machen, auch nicht, sich auf jede Weise überall einzudrängen, wo er Zutritt finden konnte. Der Dunkelheit, in der er schmachtete, überdrüssig, erlangte er durch die Vermittlung der Herren von Estrées die Genehmigung, die Charge eines Vorlesers des Königs zu übernehmen, die der Baron von Breteuil ihm verkaufte, als er nach Bonneuils Tode das Amt eines Gesandteneinführers kaufte. Und dieses häßliche und gefährliche Geschöpf machte sich bei Hofe bekannt und versuchte, sich dort anzuhängen. Er machte den Bouillons kriecherisch den Hof und wurde bei ihnen zugelassen. Der Kardinal von Bouillon erkannte ihn bald als das, was er war; er brauchte solche Bauern für seine Schachzüge: man fand heraus, daß er während der ganzen Dauer seiner römischen Machenschaften sein Spion, sein Agent und sein Korrespondent gewesen war, und er wurde mit einem Fußtritt davongejagt. Caprarola, bei Viterbo, festungsartiges Schloß, das Vignola zwischen 1534 und 1549 für den Kardinal Alessandro Farnese, den Neffen Pauls III., erbaute. Es ist eines der großartigsten Bauwerke Italiens.

Trotz so vieler Rückschläge beharrte der Kardinal von Bouillon auf seinem Entschluß, das Dekanat nicht zu verlieren. Er hielt den König vom Abgang eines regelmäßigen Kuriers zum andern durch Gehorsamsversicherungen so lange hin, wie das Breve auf sich warten ließ, und als er nicht verheimlichen konnte, daß es ihm verweigert worden war, tat er, als trete er die Heimreise an und ging bis Caprarola, wo er haltmachte, sich krank stellte und einen Kurier an den Pater de la Chaise sandte, um ihn zu bitten, daß er dem König einen Brief übergebe, in dem er um die Erlaubnis nachsuchte, in Rom zu bleiben. Er wollte bis zum Tode des Kardinals Cibò niemanden sehen, führte dem Könige die angebliche Wichtigkeit, daß das Dekanat den Franzosen nicht entgehe, vor Augen und fügte hinzu, er werde seine Befehle in Caprarola erwarten (einem großartigen Schlosse des Herzogs von Parma, acht Meilen von Rom) und inzwischen der Wiederherstellung seiner stark erschütterten Gesundheit leben.

Den Entschluß, sich an den Pater de la Chaise zu wenden, hatte er gefaßt, weil Herr von Torcy ihm schließlich mitgeteilt hatte, daß der König ihm verboten habe, irgendeinen seiner Briefe zu öffnen oder ihm zu übermitteln. Die Jesuiten waren ihm allezeit vollkommen ergeben, und er hoffte von dem angesehenen und durch seine Eigenschaft als Beichtvater rührenden Mittelsmann den besten Erfolg, fand aber diese Tür ebenso verschlossen wie die Torcys, denn der Pater de la Chaise teilte ihm mit, daß er das gleiche Verbot erhalten habe. Der Kardinal hatte gleichzeitig die Demission seiner Straßburger Domherrnstelle angeboten: da man ihrer nicht bedurfte, wurde sie nicht angenommen, ihm dagegen durch einen neuen Kurier ein abermaliger Befehl, zu gehorchen und auf der Stelle abzureisen, übermittelt.

Alle diese verschiedenen Vorwände, die Kuriere des Kardinals, die er anwies, sich nicht zu beeilen, und jene des Königs, die er so lange zurückhielt, wie er irgend konnte, beanspruchten so viel Zeit, daß es ihm in der Tat gelang, den ersehnten Moment zu erleben. Der Kardinal Cibò starb zu Rom am 21. Juli; der Kardinal von Bouillon, der nur acht Meilen davon entfernt, in Caprarola war, begab sich, von seinem Todeskampfe benachrichtigt, am Vorabend nach Rom und sandte einen Kurier ab, durch den er dem König meldete, er habe seinen letzten Befehl abzureisen erhalten, der bevorstehende Tod des Kardinals Cibò habe ihn jedoch bewogen, nach Rom zurückzukehren, um sich um das Dekanat zu bewerben und vierundzwanzig Stunden danach abzureisen, überzeugt, der König werde einen so kurzen Aufschub in Anbetracht der Wichtigkeit, das Dekanat einem Franzosen zu sichern, nicht übelnehmen.

Das hieß sich über den König und seine Befehle lustig machen und gegen seinen Willen Dekan sein. Der König bezeigte seinen Zorn darüber auch an demselben Tage, an dem er diese Nachricht empfing, als er mit dem Herzog von Orléans und dem Herzog von Bouillon sprach, doch bewies er sich dem letzteren gegenüber durchaus gütig.

Indessen verhinderte den Papst sein schlechter Gesundheitszustand, das Konsistorium abzuhalten und folglich den Kardinal von Bouillon, sich um das Bistum Ostia zu bewerben, so daß endlich der König, der nicht länger eine so fortgesetzte Verhöhnung seiner Befehle dulden konnte, dem Fürsten von Monaco, seinem Gesandten, den Auftrag sandte, ihm in seinem Namen zu befehlen, Der Erzbischof von Reims: Charles-Maurice le Tellier; vgl. Register zu Bd. I.
Saint-Germain: auch die voraufgegangenen vier Versammlungen des Klerus hatten im Schlosse von Saint-Germain stattgefunden.
Über den Champagner vgl. A. de Boislisle, S. 164 (Bd. VII), Anm. 3.
die Großalmoseniercharge niederzulegen, das damit verbundene blaue Ordensband des Heiliggeistordens abzulegen, das Wappen Frankreichs von seinem Palast entfernen zu lassen und allen Franzosen den Verkehr mit ihm zu verbieten. Der Fürst von Monaco, der den Kardinal von Bouillon haßte, vor allem weil er seine Absichten auf den Titel Hoheit durchkreuzt hatte, führte diesen Auftrag sehr gerne aus, nachdem er ihn mit den Kardinälen d'Estrées, Janson und Coislin besprochen hatte.

Der Kardinal antwortete, er empfange die Befehle des Königs mit Respekt, äußerte sich aber nicht weiter. Obgleich er doch darauf gefaßt sein mußte, daß die Bombe endlich platzen würde, schien er darüber niedergedrückt; aber wie er sich nicht hatte entschließen können, in bezug auf die Abreise zu gehorchen und das Dekanat preiszugeben, vermochte er es auch nicht in bezug auf die Niederlegung seiner Charge: er glaubte sich als Dekan des heiligen Kollegiums so groß, daß er es nicht für über seine Kraft hielt, mit dem König einen offenen Kampf zu beginnen, den er bisher nur heimlich und unter der Maske von Kunstgriffen und Lügen geführt hatte. Ich muß diese Materie hier jedoch abermals unterbrechen, da sie die Behandlung der anderen zu weit hinausschieben würde.

 

Der Erzbischof von Reims präsidierte der Versammlung des Klerus, die alle fünf Jahre abgehalten wird. Diese Versammlung wurde in Saint-Germain abgehalten, obwohl der König von England das Schloß bewohnte. Der Erzbischof von Reims hielt dort eine große Tafel und hatte einen Champagner, den man sehr rühmte. Der König von England, der kaum etwas anderes als Champagner trank, hörte davon und ließ den Erzbischof Die Dispute über die chinesischen Gebräuche: im 39. Kapitel seines Siècle de Louis XIV. hat Voltaire den Gegenstand dieses Streites über die chinesischen Zeremonien zusammengefaßt. – Die Jesuiten hatten sich seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in China festgesetzt, aber erst 1692 von dem Kaiser Kang-Hi die Ermächtigung erhalten, öffentlich ihre Konfession zu lehren.um einige Flaschen davon bitten, und dieser schickte ihm sechs Stück. Einige Zeit darauf ließ ihn der König von England, der den Wein sehr gut gefunden und ihm dafür gedankt hatte, bitten, ihm noch einmal davon zu schicken. Da ließ ihm der Erzbischof, der mit seinem Wein noch geiziger war als mit seinem Geld, ganz einfach sagen, sein Wein sei nicht verrückt und laufe nicht in den Straßen herum, und schickte ihm keinen. So sehr man auch an die Flegeleien des Erzbischofs gewöhnt war, diese erschien doch so außerordentlich, daß man viel davon sprach; eine andere Folge hatte sie jedoch nicht.

Die Dispute über die chinesischen Gebräuche, über die Zeremonien zu Ehren des Confucius und der Ahnen usw., welche die Jesuiten ihren Neophyten gestatteten, die Auslandsmissionen den ihrigen jedoch verboten, begannen Staub aufzuwirbeln. Die Jesuiten erklärten sie als rein bürgerlich, die andern aber als abergläubisch und götzendienerisch. Dieser Prozeß zwischen ihnen hat so schreckliche Folgen gehabt, daß man über die Frage sowohl wie über die Tatsachen sehr eingehende Abhandlungen geschrieben und darüber ganze historische Darstellungen geliefert hat. Ich will mich hier daher damit begnügen zu sagen, daß die Bücher, welche die Jesuitenpatres Tellier und le Comte über diese Materie publiziert hatten, von den Auslandsmissionen vor die Sorbonne gezogen wurden, die sie nach einer langen und eingehenden Prüfung mit allem Nachdruck verdammte. Die Folge war, daß der König, beunruhigt darüber, daß das Gewissen der Herzogin von Burgund den Händen des Paters le Comte anvertraut war, den sie, ebenso wie der Hof, sehr schätzte, ihn ihr nahm, und die Jesuiten ihn zur Rettung ihrer Ehre nach Rom schickten und bekanntmachten, er werde von dort, nachdem er sich gerechtfertigt, nach China zurückkehren.

Der Erzbischof von Reims

Die Wahrheit war, daß er nach Rom ging, daß er sich dort aber nicht rechtfertigte und auch nicht zur Mission zurückkehrte. Man ließ die Herzogin von Burgund mehrere Jesuiten ausprobieren, und sie hätte am liebsten bei keinem von ihnen gebeichtet. Sie hatte in Turin, dem einzigen katholischen Hofe, den sie nicht beherrschen, und der vor ihnen auf der Hut ist und sie niederhält, einen Beichtvater, der Barnabit und ein sehr frommer und unterrichteter Mann war. Sie hätte gerne die Möglichkeit gehabt, aus demselben Orden eine Wahl zu treffen, aber der König wollte einen Jesuiten, und nachdem sie es mit mehreren versucht hatte, blieb sie beim Pater de la Rue, der so bekannt ist durch seine Predigten und auch sonst.

Diese Affäre kränkte die Jesuiten aufs tiefste, um so mehr als es ihnen damit auch in Rom nicht nach Wunsch ging, und sie erfüllte den Pater Tellier mit einer Wut, die in der Folge sehr unheilvoll wurde. Die Jesuiten, die mit ihrer Moral, die in Europa eine andere war wie in Asien, auf diese Weise hineingefallen waren, hielten sich in Erwartung besserer Verhältnisse auf weltlichem Gebiete schadlos und wußten es durch den König bei der Versammlung dahin zu bringen, daß sie für immer von den Taxen und Abgaben des Klerus befreit wurden. Sie machten die Armut ihrer Profeßhäuser und die Bedürfnisse ihrer Kollegien geltend, von ihren Einnahmequellen sprachen sie aber nicht. Der König gab den Wunsch zu erkennen, daß von allem, was der Klerus ihm zahlt, von ihnen nichts eingezogen werde, und die Versammlung, die sie anderweitig schlecht behandelt hatte, wollte nicht, indem sie darauf bestand, Feindschaft gegen sie zeigen.

Die Jesuiten legten Verwahrung gegen die Zensur der Sorbonne ein, woraufhin diese eine sehr scharfe Antwort veröffentlichte. Die Geister blieben infolgedessen auf beiden Seiten sehr verbittert.

 

Der Pater Valois, ein berühmter Jesuit, aber besserer Mensch als diese es gewöhnlich sind, starb nach langem Kranksein an der Schwindsucht. Er war der Beichtvater der königlichen Prinzen: der Pater de la Chaise übte eine Zeitlang seine Funktion aus, und der Pater Martineau füllte nachher diese Stelle aus. Der Pater Valois war einer von denen, die für den Erzbischof von Cambray eingetreten waren. Er war ein milder, geistreicher und verdienter Mann, dem man nachtrauerte und mit Recht.

 

Le Nostre starb beinahe um die gleiche Zeit (15. September 1700), nachdem er achtundachtzig Jahre in vollkommener Gesundheit des Körpers und des Geistes und im Besitze seiner ganzen Fähigkeiten und seines guten Geschmackes gelebt hatte. Er war berühmt dafür, daß er als der erste die verschiedenen Zeichnungen jener schönen Gärten entworfen hatte, die Frankreich zieren und den Ruf der italienischen, die im Vergleich mit ihnen in der Tat nichts sind, so sehr ausgelöscht haben, daß die berühmtesten Meister auf diesem Gebiete aus Italien kommen, um hier zu lernen und zu bewundern. Le Nostre war von einer Rechtschaffenheit, von einer Sorgfalt und von einer Geradheit, die ihm die Hochschätzung und Liebe aller eintrug. Niemals verließ er die Grenzen seines Standes und vergaß, was er war, und stets war er vollkommen uneigennützig. Er arbeitete für die Privatleute wie für den König und mit derselben Le Nostre: er war 1678-79 in Rom, wo er die Gärten der Villa Ludovisi, der Villa Albani, des Quirinals und des Vatikans anordnete. Ludwig XIV., der ihn wie auch Mansart den fremden Herrschern zu leihen liebte, erlaubte ihm für den Kurfürsten von Brandenburg die Entwürfe für Oranienburg und Charlottenburg und für den König von England jene für Greenwich, Saint-James und Kensington zu zeichnen.
Bei der Kolonnade: diese Kolonnade, die für die Kollationen des Hofes bestimmt war, wurde erst Mitte 1684 begonnen und gegen 1688 vollendet, und zwar durch den Bildhauer Lapierre nach den Zeichnungen Mansarts.
Mein armer Vater: Jean le Nostre, Gärtner der Tuilerien und Gartenzeichner vor seinem Sohne.
Aufmerksamkeit, trachtete nur der Natur nachzuhelfen und das wahre Schöne mit den geringstmöglichen Kosten zu erreichen. Er war von einer Natürlichkeit und Wahrheit, die entzückten. Der Papst bat den König ihn ihm für einige Monate zu leihen; als er in das Zimmer des Papstes trat, lief er, anstatt niederzuknien, auf ihn zu: »Ah, guten Tag, mein verehrungswürdiger Vater«, rief er, indem er ihm um den Hals fiel, ihn umarmte und auf beide Backen küßte, »ei! wie freundlich Sie aussehen und wie froh ich bin, Sie zu sehen und bei so guter Gesundheit!«

Der Papst, es war Clemens X., Altieri, lachte aus vollem Herzen; er war entzückt über diese bizarre Begrüßung und erwies ihm tausend Freundlichkeiten.

Als er wieder zurück war, führte ihn der König in seine Versailler Gärten und zeigte ihm dort, was er während seiner Abwesenheit gemacht hatte. Bei der Kolonnade sagte er kein Wort; der König drang in ihn, seine Meinung darüber zu äußern: »Nun gut, Sire, was soll ich Ihnen sagen? Aus einem Maurer haben Sie einen Gärtner gemacht (es war Mansart); er hat Ihnen eine Platte von seinem Handwerk serviert.« Der König schwieg, und alles lächelte; und es war richtig, daß dieses Stück Architektur, das nichts weniger als ein Springbrunnen war und es doch sein wollte, in einem Garten sehr am unrechten Platze war.

Einen Monat vor seinem Tode führte ihn der König, der ihn gerne sah und sprechen hörte, in seine Gärten und ließ ihn wegen seines hohen Alters in einen Rollstuhl setzen, den Diener neben dem seinigen herschoben, und le Nostre rief dabei aus: »Ach, mein armer Vater, wenn du noch lebtest und einen armen Gärtner wie mich, deinen Sohn, im Rollstuhl an der Seite des größten Königs der Welt spazieren fahren sehen könntest, so würde meine Freude vollkommen sein.«

Er war Intendant der Bauten und wohnte in den Tuilerien, deren Garten – seine Schöpfung – seiner Sorge anvertraut war, wie auch der Palast selbst. Alles, was er geschaffen hat, steht hoch über allem, was man seitdem gemacht, so sehr man auch getrachtet hat, ihn nachzuahmen und aufs genaueste nach seinen Entwürfen zu arbeiten. Von den Blumenparterres sagte er, sie seien nur für die Ammen, die, da sie ihre Kinder nicht verlassen könnten, die Augen darauf herumspazieren ließen und sie vom zweiten Stockwerk aus bewunderten. Nichtsdestoweniger leistete er darin Hervorragendes, wie in allen Teilen der Gärten; aber er legte gar keinen Wert darauf, und er hatte recht; denn man geht dort niemals spazieren.


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