Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.

Ueber den Geiersberg war der Abend gezogen. Die Sonne ging drüben im Berauntale tiefrot unter. Ihre Strahlen streiften noch das gefrorene Moor und fielen, vom glänzenden Eis zurückgeworfen, wie der Schein einer roten Riesenlaterne in die Fenster des Jagdhauses hinein.

Lippe hatte sich von seinem Einbruch, dem ersten in seiner Polizeipraxis, den er selbst ausgeführt, vollständig erholt. Er saß am Fenster und blickte in das unvergleichliche Farbenspiel des Winterabends hinaus. Seine Gedanken eilten um Wochen zurück, und er folgte ihnen geduldig, wenn sie ihn auch anklagten. Wie war doch alles so einfach gewesen, und wie hatte er sich getäuscht, ja, Herr von Steltmann war im Recht, er las zu viel Detektivromane und verwirrte sich sein klares Urteil. Verbrechen und Situationen, wie sie dort geschildert werden, gibt es in der Wirklichkeit gar nicht. Die Schriftsteller begehen immer geheimnisvolle Taten, und der Detektiv ist stets der einzig Schlaue. Was war denn nun in der Affäre Geldern sein Fehler gewesen? Er hatte ein Verbrechen gewittert, wo keins war, er hatte den Prinzen von Toscana für einen Schwindler gehalten, weil er einfach inkognito aufgetreten war. Unverzeihlich! Unverzeihlich? Wirklich? Nein – die Verhältnisse lagen hier so eigentümlich und die unselige Verquickung mit der romantischen Geschichte Kloses … Herr Gott, daß ihm gerade jetzt der Name einfallen mußte. Konnte denn der Bewohner des Jagdhauses nicht Klose sein, der Doktor Klose! …

Mitten in seine Gedanken klang die Stimme des Hausherrn, der leise eingetreten war, um ihn zum Diner zu holen.

»Kommen Sie, mein lieber Kommissarius, Sie werden wohl Hunger haben und uns die Ehre geben, mit uns zu speisen.«

»Ich nehme mit Dank an, Hoheit.«

»Nun lassen Sie den Titel,« antwortete der Hausherr freundlich, »er gebührt mir nicht, nennen Sie mich Herr Doktor.«

»Aber wozu das Inkognito mir gegenüber?«

»Sie zwingen mir ja ein Inkognito auf …«

»So sind Sie nicht …« Lippe stockte unwillkürlich. Der Gedanke von vorhin schoß ihm, blitzartig die Situation erleuchtend, durch den Kopf.

»Nein,« fuhr der blonde Herr fort, »ich bin nicht der Prinz von Toscana, ich bin der Marinestabsarzt Dr. Johann Klose.«

»Ah, das ist allerdings eine Ueberraschung.«

»Mein Herr, Sie sind ein Ehrenmann und Offizier, Sie werden meine unglückliche Gattin nicht in den Selbstmord treiben.«

»Um Gottes willen, Herr Doktor!«

»Sie sagten mir, Sie seien in privatem Auftrage unserer Spur gefolgt.«

»Jawohl!«

»Dann haben Sie auch keine Pflicht, uns, oder vielmehr meine Frau, anzuzeigen.«

»Eine Pflicht nicht, jedoch …«

»… wenn Sie es tun, wird meine Frau ins Moor gehen, und mich wird der Wahnsinn packen. So viel Unheil können Sie nicht wollen. Ich habe mit meiner Frau gesprochen, wir haben beschlossen, Ihnen ein unumwundenes Geständnis abzulegen; können Sie dann Ihr Pflichtgefühl gegenüber der Menschlichkeit nicht zum Schweigen bringen, so werden wir zusammen in den Tod gehen.«

»Sie sind grausam, Herr Doktor, aber was Ihre Frau auch begangen haben mag, es wird aus einem edlen Motiv geschehen sein.«

»Aus dem edelsten, aus Liebe zu einem unbemittelten Manne.«

»Dann werden wir wohl Gnade für Recht ergehen lassen können.«

»Das hoffe ich.«

»Ich persönlich kann Sie versichern, daß ich von privaten Mitteilungen amtlich nur in dringenden Fällen Gebrauch mache.«

»Das haben wir erwartet, und nun kommen Sie, ich will Sie meiner Frau vorstellen.«

Rita empfing die beiden Herren in dem kleinen Speisesaal des Jagdhauses. Es war ein hoher, düsterer Raum, den die mächtige Lampe, von Hirschgeweihen getragen, nur spärlich erhellte. Ein weicher, tiefroter Teppich bedeckte den Boden, zu dessen Farbe die dunklen, massigen Eichenmöbel vortrefflich standen. Das Chorgestühl einer alten slavischen Kirche war zu einem Büfett umgearbeitet, und ebensolche geschnitzte Bänke liefen an den Wänden herum. Ein riesiger Ofen von alten Delfter Kacheln strahlte eine behagliche Wärme aus.

Die junge Frau empfing den Polizeibeamten mit einem gewinnenden Lächeln, das aber nicht ganz ihre Herzensangst verbergen konnte.

»Sie sind durch einen seltsamen Zufall in unser Haus gekommen.«

»Es ist Ihr Haus, gnädige Frau?«

»Jawohl … zwar formell noch nicht, aber wir werden es dem Freunde meines Mannes, dem Prinzen von Toscana abkaufen.«

»Warum nur hielten Sie sich verborgen?«

»Nach Tisch, Herr Lippe,« beschwichtigte Dr. Klose. »Sie sollen alles erfahren, wir wollen uns auf Gnade oder Ungnade ergeben. Aber jetzt lassen wir uns das Diner nicht verderben mit traurigen Erinnerungen.«

»Es sind auch viel süße dabei,« warf Rita ein, ihren Gatten mit einem heißen Liebesblick überstrahlend.

Hier war ein Herzensbund von reichster Harmonie geschlossen. Das hatte Lippe sofort bemerkt. Diese beiden Menschen liebten sich so sehr, daß sie den Tod sicher einer Trennung vorgezogen hätten. Was waren es aber auch für Menschen. Rita war eine eigenartige, nicht regelmäßige, aber faszinierende Schönheit und Johann, oder wie ihn seine schöne Frau kosend nannte »Oha«, ein Mann – ein ganzer Mann, dem jene fürstliche Vornehmheit eignete, die aus einem männlichen Selbstbewußtsein und einer ausgezeichneten Erziehung fließen. Es war begreiflich, daß ganz Horczowitz ihn für den Prinzen hielt.

»Oha, gib doch dem Herrn Kommissar unsern Trauschein,« begann Rita, als nach dem Essen der alte Xaver abgeräumt hatte.

»Ja, du hast recht, damit leiten wir am besten unsere Geständnisse ein.«

Johann stand auf und holte vom Büfett eine schwarze Ledermappe, die er öffnete. Er nahm eine gestempelte Urkunde heraus und reichte sie Lippe hin. Diesem wurde daraus manches klar. Rita und Johann waren im Beisein zweier Zeugen, des Prinzen Johann von Toscana und des Kaufmanns Woldemar Richter im Jagdhause am Geiersberg von einem protestantischen Geistlichen getraut worden.

Lippe sah nach dem Datum; es stimmte mit dem seiner Wiener Reise überein. So hatte sich Richter also in jenen Tagen freigemacht und war nach Horczowitz gereist, ohne daß Lippe etwas davon erfahren hatte. Natürlich, denn in jener Zeit hatte sein Verdacht gegen Richter noch nicht bestanden.

»Nun, Herr Doktor,« begann der Detektiv, nachdem er die Urkunde zurückgegeben hatte, »waren Sie denn nicht zur Zeit Ihrer Trauung in Triest, um die österreichische Staatsangehörigkeit zu erwerben?«

»Gewiß, aber der Gang der Verhandlungen wurde durch das persönliche Eingreifen meines fürstlichen Freundes ungemein beschleunigt, so daß mein Gesuch, als es den Unterbehörden bekannt wurde, bereits genehmigt war. Der österreichische Geistliche hätte mich sonst ja nicht trauen können.

Der Prinz trat überall in persönlicher Bürgschaft für mich ein, da er mich in dem falschen Glauben, ich hätte ihn mit Einsetzung meines eigenen Lebens das seine gerettet, unverdient freundschaftlich behandelt.«

»Er hat von allem gewußt?«

»Von allem! Er nahm Rita trotz ihrer schweren Schuld hier auf, bis ich nach der Entführung meine Angelegenheiten geordnet hatte. Wo sollte meine Braut, ohne sich zu kompromittieren, bleiben? Sie bewohnte Geiersberg lange Zeit mit ihrer Kammerfrau und dem alten Xaver ganz allein. Wir trennten uns sofort nach der Ankunft hier und sahen uns erst zur Hochzeit wieder. Der Prinz hatte durch einen Brief dem Oberförster von Hochmoor Anweisungen gegeben …«

»Wissen Sie, daß man Sie in Horczowitz allgemein für den Prinzen hält?«

»Aber der Prinz hatte nichts getan, um diesen Irrtum herbeizuführen.«

»Das glaube ich, jedoch …«

»Der Prinz ist überhaupt nur der Beschützer unserer Liebe gewesen, eine schlechte, oder auch nur zweideutige Handlung ist für ihn so unmöglich, wie für das Holz dieses Tisches, Blumen zu treiben. Wir allein sind die Schuldigen.«

»Und in welcher Beziehung stehen Sie zu Ihrem zweiten Trauzeugen, dem Herrn Woldemar Richter?«

»Er ist in einer ganz ähnlichen Lage gewesen, wie wir, seine Braut und meine Frau sind Jugendfreundinnen, so machten uns die Verhältnisse zu Vertrauten. Außerdem wohnte er bei meiner Tante, wo Rita und ich meist unser Rendezvous hatten.«

»Und wie steht Richter zu dem Gauner Harsley?«

Rita wurde in kurzen Zwischenräumen bald blaß, bald rot. Lippe bemerkte es, und nun wußte er, daß die Unterhaltung sich dem Hauptpunkte näherte.

»Harsley hatte die Bekanntschaft Richters gesucht, um die Gelegenheit zu einem Einbruch bei Geldern auszubaldowern. Der junge Kommis war aber absolut nicht zu haben, ja er drohte sogar, den Verbrecher anzuzeigen. Da trat Harsley ihm entgegen mit dem Bemerken, er würde die geheimen Zusammenkünfte Richters mit Clara Neudorf ihrem Vater mitteilen. Damals hatte ein solcher Verrat für uns beide große Gefahr, denn Harsley ist ein schlauer Bursche und kannte auch unser Verhältnis. Richter hat nachher seinem Schwiegervater in spe alles entdeckt und dadurch den eigentlichen Konflikt herbeigeführt, indem die Weigerung der Hand Claras den jungen Kaufmann auf abschüssige Bahnen trieb.«

»Ein schlauer Herr, aber mir noch nicht schlau genug!«

»So?«

»Ja, in einer einfachen Verkleidung näherte ich mich ihm und seiner Clara, da vertraute er mir an, daß er die Geheimnisse seines Chefs benützt habe, um von dem unbeugsamen Vater die Tochter zu erhalten. Er glaubte, wenn er die Namen verschwieg, alles nötige getan zu haben, um seinen Mitteilungen den Wert zu nehmen.«

»Sie sind ja gut eingeweiht, ich kann also ganz kurz sein. Wir mußten Harsley unter allen Umständen vom Reden abhalten. Aber wie? Vielleicht durch Schweigegeld! Das hatte wieder die Gefahr, daß der Gauner zum Erpresser wurde, bevor wir unsern Plan zur Ausführung gebracht hatten.«

»Ihren Plan?«

»Ja, Rita und ich wollten uns in London heimlich trauen lassen.«

»Im Beisein des Herrn Kommerzienrates?«

»Nein … der hielt mich ja für den Prinzen von Toscana, und ich mußte mich doch als Dr. Johannes Klose trauen lassen.«

»So war also die Flucht schon vorher beschlossene Sache?«

»Jawohl, aber wir wollten sofort nach der Trauung zurückkehren.«

»Und warum unterblieb das?«

»Weil wir Harsleys Schweigen auf eine andere Weise, als durch direkte Geldspenden erkaufen mußten.«

»Sie verschafften ihm Gelegenheit zum Einbruch,« riet Lippe in einer plötzlichen Erleuchtung.

»Ganz recht, und das kam so:

Herr Richter kam eines Tages zu uns und sagte, er müsse den Entwurf eines Vertrages haben, den mein Schwiegervater mit der Türkei, mit Rumänien oder, ich weiß nicht welch einem Staate dahinten, abzuschließen im Begriffe stehe. Er forderte von Rita die Schlüssel zu Haus und Keller, damit Harsley bequem einbrechen könnte, um sowohl Geld als den Entwurf zu rauben. Damit war der Gauner stumm gemacht, denn erstens bekam er eine große Summe Geldes und zweitens durfte er um seiner selbst willen nicht reden.«

»Aber das bare Geld war doch schon wieder in Aktien umgesetzt.«

»Ja, davon hatte Richter keine Ahnung. Daran lag ihm auch nichts. Er brauchte nur die Geheimnisse des Vertrages zu kennen, die Herr Geldern eigenhändig auf einen kleinen Zettel fixiert hatte. Dieser kleine Zettel konnte verschwinden, ohne daß eine Entdeckung zu fürchten war, denn der Vertrag war bereits vom Geheimsekretär und dem Syndikus des Bankhauses in duplo ausgefertigt.«

»Darum hat auch Geldern kein Schriftstück vermißt.«

»Wie sagten Sie? Hatten Sie davon Kenntnis?«

»Gewiß, ich weiß sogar schon, daß Richter als Fensterreiniger das Eintreffen des Briefes der Gräfin Lauffenburg kaschierte, weiß, daß Klose das Kuvert absichtlich beschmutzte, um eine eigenhändige Adresse zu erhalten und daß Richter die Adresse durchpauste und auf ein neues Kuvert übertrug, ich weiß auch, daß der saubere Herr den Brief von der Post zurückholte, und ich denke mir, daß er Ihnen auch persönlich das Geld überbrachte.«

»Nein, das Geld hat er behalten, es ist das Schweigegeld für Harsley und seine Helfer beim Einbruch. Wir mußten uns nun doch zum Geldgeben entschließen, denn da der Gauner keinen Nutzen von dem Einbruch hatte, sondern nur Schaden, so war es leicht möglich, daß er uns verriet.«

»Kennt Richter Harsleys Komplicen?«

»Nein – Richter hat nur insofern mit der Sache zu tun, als er von Harsley den Plan empfing und seinem Schwiegervater damit einige Hunderttausende zufließen ließ, wodurch er sich die Einwilligung der Verbindung mit Clara erkaufte.«

»Das wäre doch eigentlich nicht mehr nötig gewesen, denn er hatte ja durch die Verwertung der Geldernschen Geschäftsgeheimnisse …«

»Herrn Neudorf vom Ruin gerettet, aber er wollte auch ein Vermögen erwerben, und das konnte er nur, wenn er Kenntnis von dem besprochenen Vertrag hatte.«

»Dann ist also er der Hauptschuldige?«

»Doch nicht, ich sagte Ihnen ja, daß meine Frau die Hauptschuldige ist, denn sie lieferte den Einbrechern die Schlüssel zu Haus und Keller, sie schläferte die Wachsamkeit meines Vaters ein, der an nichts anderes mehr dachte, als an seinen Sohn, der Schwiegersohn des reichen Geldern werden sollte, kurz, der Einbruch wäre ohne Rita nicht möglich gewesen.«

»Deshalb hielten Sie sich auch bis jetzt verborgen?«

»Jawohl, denn wir konnten ja nicht wissen, ob nicht Harsley im Zorn, daß ihm jeder Gewinn entgangen, plaudern würde. Wir hatten ihm zwar durch einen Kassiber mitteilen lassen, er bekomme nach seiner Entlassung Geld genug, aber trauen kann man einem solchen Burschen doch nie. Darum wollten wir hier in diesem Hochmoorschloß warten, bis alles vorüber!«

»Aber Sie sind ja in die österreichische Armee eingetreten und haben sich in Triest öffentlich gezeigt.«

»Mir konnte man ja auch nichts anhaben.«

»Aber man konnte durch Sie auf die Spur Ihrer Frau kommen.«

»Hätte Harsley geplaudert, so konnten wir in aller Ruhe verschwinden.«

»Warum haben Sie Herrn Geldern nicht ins Vertrauen gezogen?«

»Wir wollten keinen Mitschuldigen haben, außerdem, wer konnte wissen, wie er unsere Heirat aufgenommen hätte. Vielleicht wäre er darüber so verstimmt worden, daß er uns in Papirischer Strenge dem Gericht ausgeliefert hätte. Nein, mein Herr, das durften wir unter keinen Umständen wagen. Denken Sie doch, daß unser ganzes Glück auf dem Spiel stand.«

»Hätten Sie Ihre Frau nicht ebenso geliebt, auch wenn sie wegen Mithilfe zum Einbruch verurteilt worden wäre?«

»Das ist doch keine Frage, aber hätte Rita eine so schwere Strafe ohne Schaden an Leib und Seele verbüßen können? Gewiß nicht. Es ist besser so. Und wenn Ihr Gewissen Ihnen verbietet, unser Geheimnis zu verwahren …«

»Ich sehe nur einen Ausweg, ich muß aus dem Polizeidienst ausscheiden.«

»Das wird Ihnen wohl sehr schwer.«

»Sehr schwer, aber ehe ich das Glück zweier Menschen vernichten … Was liegt an mir … ich finde schon wieder eine Stellung.«

»Jawohl, und dafür werde ich sorgen, mein fürstlicher Freund wird mir dazu helfen.«

»Nun weiß ich alles, nicht wahr?«

»Alles!«

»Wie wunderbar einfach sich doch die scheinbar unentwirrbaren Verschlingungen gelöst haben.«

* * *

Auf dem hartgefrorenen Bergwege, der zum Jagdhause führte, klang jetzt das Rollen eines Wagens. Die drei Menschen sahen einander fragend an. Rita brach zuerst das minutenlange Schweigen.

»Sollte das Papa sein?«

Ein nervöses Zittern ging durch ihren Körper.

»Aengstigen Sie sich nicht, meine gnädige Frau,« beruhigte Lippe, »ich werde erst mit dem Herrn Kommerzienrat sprechen. Er wird übrigens in der Freude, Sie wiedergefunden zu haben, alles, was Sie bis jetzt getan, billigen, wenigstens wird er Ihnen keine Vorwürfe machen, dafür glaube ich mich verbürgen zu können.«

»So haben Sie die Güte, Papa vorzubereiten. Was haben Sie ihm denn geschrieben, daß er ohne weiteres hierher kommt.«

»Gerade das habe ich geschrieben. Freilich glaubte ich, er könne vor morgen früh nicht eintreffen, aber was ist mit Geld nicht alles zu machen. Der Herr Kommerzienrat hat offenbar in der Freude, seine Tochter wiederzufinden, Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und ist statt am frühen Morgen noch am späten Abend in Beraun angelangt.«

Der alte Xaver trat ein und unterbrach die Rede des Berliner Polizisten:

»Ein Herr wünscht Herrn Dr. Müller dringend zu sprechen.«

»Führen Sie ihn herein, Xaver,« befahl Johann und faßte Rita unter dem Arm, sie ins Nebenzimmer führend.

Wenige Atemzüge später trat Geldern ins Zimmer.

»Mein lieber Kommissar, wie danke ich Ihnen, ach, ich kann es Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin. Also, sie ist gesund?«

»Noch mehr, Herr Kommerzienrat, sie ist glücklich im Besitze ihres seit Jahren geliebten Johann, ihres Jugendgespielen.«

»Also nicht der Prinz?«

»Nein, Dr. Klose, der Sohn Ihres Kassenboten.«

Einen Augenblick lang legte sich eine böse Falte zwischen die Augenbrauen des Kommerzienrates. Aber Lippe drohte ihm lächelnd mit dem Finger.

»Was haben Sie versprochen? …«

»Ja, ich sage ja auch keinen Ton mehr, nur schnell führen Sie mich zu meinem Kinde …«

Leise hatten sich die Portieren des anstoßenden Gemaches geteilt, und mit einem Jubelruf: »Vater, lieber Vater,« flog Rita an den Hals des alten Herrn. In einem Strom von Tränen lösten sich beider Empfindungen auf.

Als sie endlich ihre lange Umarmung öffneten, bemerkten sie den schönen, hochgestaltigen Mann, der leise hinzugetreten war, und Rita warf sich leidenschaftlich an die Brust des Gatten.

»Ich liebe ihn unaussprechlich, Vater!«

In den Augen des Kommerzienrates schimmerte es noch feucht. Die große Freude hatte sein hartes Napoleonsgesicht merkwürdig verschönt, so daß man lebhaft an Ritas pikante Züge erinnert wurde. Jetzt hob er beide Hände empor, und mit einem fast priesterlichen Ausdruck in der Stimme sagte er:

»Ich segne Euch, meine Kinder!«

* * *

Kriminalkommissarius Lippe kehrte sofort nach Berlin zurück und reichte schweren Herzens seinen Abschied ein. Es war ihm zwar von Geldern eine glänzende Stelle angetragen worden, aber er hatte abgelehnt, weil er nicht im entferntesten den Verdacht auf sich laden wollte, als hätte er sich sein Schweigen abkaufen lassen. In seinem Kopf war der Gedanke lebendig geworden, ein Privatdetektivbureau zu gründen, um auf diese Weise in dem geliebten Beruf weiter arbeiten zu können.

Herr von Steltmann aber klärte den jungen Kollegen darüber auf, daß er dann ganz aus der Bahn geworfen würde.

»Lieber Freund, Ihnen schwebt wieder der Detektiv-Roman vor, in dem Privatpolizisten die unglaublichsten Proben von Scharfsinn ablegen. Bei uns in Deutschland sind die Privatdetektivbureaus durchaus nicht kriminalistisch tätig, sie sind vielmehr in gewissem Sinne nur Auskunftsbureaus. Bleiben Sie bei uns!«

»Ich kann nicht, Herr Polizeirat.«

Der gewiegte Beamte sah den jungen Mann mit seinen klaren Augen lange und durchdringend an. Nach einer Weile fuhr er in leisen Worten fort: »Nun, nun …? Sie haben ein Verbrechen entdeckt, das Sie nicht zur Anzeige bringen können …«

»… Ohne das Leben zweier, ja dreier Menschen, die sich lieb gewonnen, zu vergiften.«

»Das ist ein schwerer Konflikt, mein Freund, aber wir werden einen Ausweg finden. Vertrauen Sie sich mir rückhaltlos an.«

»Ich darf nicht.«

»So veranlassen Sie Geldern, mir alles zu sagen. Vielleicht können wir Gnade erwirken.«

»Nein, nein, es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Abschied zu nehmen und als Privatmann den geliebten Beruf weiter auszuüben.«

»Ich will nicht weiter in Sie dringen. Vorläufig beurlaube ich Sie, dann werden wir sehen, wie sich die Sache entwickelt hat. Beharren Sie dann noch auf Ihrem Entschluß … Gut …«

»Es wird mir kein anderer Ausweg bleiben.«

»Wenigstens soll Ihnen auch in Ihrer privaten Wirksamkeit meine Hilfe nicht fehlen.«

»Ich danke, Herr Polizeirat.«

* * *


 << zurück