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Das Kanonenboot »Marder« war bereits drei Wochen unterwegs, ohne daß Johann mit seinem Schiffskommandanten irgendwie in Berührung gekommen war. Seine Hoheit hielt sich sehr zurück und war ungeheuer stolz. Aber als sie in einem kleinen hinterindischen Hafen vor Anker gegangen waren und der Prinz von einem Besuche an Land eine choleraähnliche Erkrankung mitbrachte, kamen sich die beiden Männer etwas näher.
Johann von Toscana war ein auffallend schöner Mann, der zwar die Familienzugehörigkeit zu den Habsburgern nicht zu leugnen vermochte, aber dennoch die stark hervortretenden Familienkennzeichen wesentlich verfeinert zeigte.
Er trug einen Spitzbart, wie ihn damals die österreichischen Offiziere zum Andenken an den unglücklichen Kronprinzen Rudolf mit Vorliebe kultivierten. Auch Johann hatte sein Gesicht um diese männliche Zierde bereichert und so der allgemeinen Mode seinen Tribut gezollt. Nachdem nun auch die Sonne Indiens das Gesicht des jungen Arztes ein wenig gebräunt hatte, fiel es sowohl der Mannschaft wie den Offizieren auf, eine wie außerordentliche Ähnlichkeit zwischen Klose und dem Prinzen bestand.
Jetzt, wo die beiden in der Kabine waren, der Fürst etwas matt im Schaukelstuhl, der Arzt neben ihm vorsichtig den Puls des Erkrankten prüfend, schien es, als ob sie Zwillinge wären. Der Schiffskommandant ergriff zuerst das Wort:
»Na, habe ich mir die indische Cholera geholt, lieber Doktor?«
»Aber nein, Hoheit, daran ist nicht im entferntesten zu denken. Ich habe mit Eifer und Fleiß nach Kommabazillen gesucht, aber keine von den berüchtigten Interpunktionszeichen gefunden.«
»Interpunktionszeichen?« Der Prinz lächelte matt. »Die Dinger machen wirklich manchmal ein dickes Punktum hinter das Leben; na, wenn ich einen ehrlichen Seemannstod sterben soll, so übernehmen Sie die Führung des Schiffes.«
»Wie meinen das Hoheit?«
»Als mein Doppelgänger. Ich werde Ihnen wohl nächstens den Befehl geben müssen, ihren Vollbart wieder zu rasieren.«
Der junge Arzt wollte eine lustige Antwort geben, hielt aber erschrocken inne, als er sah, daß der Prinz totenblaß wurde, und sich ein leichter bläulicher Schimmer um seine Lippen legte.
»Was fehlt Ihnen um Gottes willen, Hoheit?«
»Mir wird sehr übel.«
Der Fürst sank zurück und schloß in einem momentanen Ohnmachtsanfall die Augen. Johann klingelte sofort nach dem Adjutanten und dem Kammerdiener, mit deren Hilfe er den erkrankten Kommandanten zu Bett brachte. Die Sache war durchaus nicht unbedenklich, denn wenn Johann auch das Vorhandensein der berüchtigten Bazillen geleugnet, gefunden hatte er doch welche, und nachdem die tückische Krankheit nun voll zum Ausbruch gekommen war, wich er nicht mehr von dem Bett des Prinzen. Dieser bemerkte in seinen furchtbaren Fieberdelirien natürlich nichts von der aufopfernden Pflege, die ihm Johann zuteil werden ließ. Erst als es gelungen war, dem Fortschreiten der Krankheit entscheidend Halt zu gebieten, bemerkte der stolze Toscana, daß ihm der schlichte reichsdeutsche Arzt mit Verleugnung seiner selbst das Leben gerettet hatte, und von jetzt an brach Johann gegenüber jene gewinnende Liebenswürdigkeit durch, die bei den Habsburgern eine hervorragende Geschlechtseigentümlichkeit ist. Trotzdem im Laufe der nächsten Wochen Toscana vollkommen gesund war, litt er nicht, daß ihm Johann auf längere Zeit von der Seite ging. Sobald es nur der Dienst zuließ, waren die beiden Doppelgänger zusammen und Johann kopierte ganz unwillkürlich das Wesen des Prinzen. Bald hatte er sich dieselbe Art zu grüßen, zu gehen und den Säbel zu tragen angewöhnt. Ja noch mehr, in dem ständigen engen Verkehr mit lauter österreichischen Kameraden verschwand aus seiner Rede allmählich der harte norddeutsche Dialekt und machte mehr und mehr einem weichen, gemütlichen Wienerisch Platz. Die Offiziere nannten ihn nicht anders als den falschen Prinzen, einen Beinamen, der bald auch in die Mannschaftsmesse drang.
Als der Prinz vollständig hergestellt war und das Kommando wieder übernommen hatte, kam an einem goldschimmernden Morgen die Küste der Insel Formosa in Sicht. Das Kanonenboot nahm seinen Kurs durch die Straße von Formosa nach dem gelben Meer, wo sich an einem kleinen Hafen die Innsbrucker Kapuziner zu ihrer frommen Tätigkeit angesiedelt hatten. Je mehr sich der »Marder« der Küste näherte, desto lebhafter wurde das Meer. Chinesische Fahrzeuge aller Art bevölkerten die blaue, leise bewegte Flut. Manchmal auch kam ein Dampfer von einer großen Verkehrslinie in Sicht und wenige Tagreisen weiter begegnete das österreichische Kanonenboot einem deutschen Kreuzer, mit dem es brüderlichen Flaggengruß tauschte. Endlich nach langer Erwartung ging der »Marder« in der kleinen Bucht vor Anker und setzte durch einen Kanonenschuß die frommen Väter des Kapuzinerordens von seiner Ankunft in Kenntnis.
Aber kein Lebenszeichen folgte. Die Mission schien wie ausgestorben, und so kam es, daß der zweite Offizier mit dem Arzt und einigen wohlbewaffneten Matrosen an Land geschickt wurde. Zahllose Boote, von den gelbzopfigen Mongolen besetzt, umkreisten die Helden des Mittelmeers. Sie schrien und gestikulierten und kamen mit ihren Nußschalen so nahe, daß der Steuermann laut vernehmlich über den Hafen hinschimpfte; ihr wollt wohl a Watschen haben? Aber die Chinesen verstanden das Wienerisch nicht und fuhren fort, das Boot zu belästigen, bis der Offizier seinen Revolver zog und in die Luft Feuer gab. Von panischem Schrecken ergriffen, huschten die neugierigen Gelbgesichter in ihren schmalen Booten von dannen und gaben der Landungsmannschaft den Weg frei.
Als der Offizier mit Johann und drei bewaffneten Matrosen an Land gestiegen waren, bemerkten sie zwei Kapuziner, die ihnen langsam und mit allen Zeichen des Schreckens entgegen kamen.
»Kommen Sie uns nicht näher,« rief der Aelteste der Missionare, »wir haben die Cholera in der Station, selbst unser Arzt, den uns die Admiralität von Triest gesandt, liegt auf den Tod darnieder.«
Als Johann diese Worte vernommen hatte, beurlaubte er sich von seinem Offizier.
»Sie gestatten wohl, Herr Leutnant, daß ich nach den Kranken sehe.«
»Wenn Sie glauben, daß es ohne Gefahr für Sie geschehen kann.«
»Ich werde mich schon desinfizieren.«
»Haben Sie denn die Mittel dazu bei sich?«
»Die werden, denke ich, in der Station vorhanden sein, wenn ein Militärarzt zur Stelle ist.«
»Gehen Sie mit Gott,« sagte der Offizier, »ich erwarte Sie im Boote.«
Die beiden Kapuziner wichen erschreckt zurück, als sich der junge Arzt ihnen näherte.
»Wollen Sie sich den Tod holen?« fragten sie, »für uns gibt es keine Rettung mehr, überlassen Sie uns der Hand Gottes.«
»Das wollen wir erst einmal untersuchen,« antwortete Johann lustig, »zunächst führen Sie mich zu ihrem Arzt.«
Der ältere der beiden Mönche machte über den mutigen jungen Mann das Zeichen des Kreuzes und führte ihn nach einer kleinen Baracke von Bambusstäben, die er ihm als das Lazarett bezeichnete. Dort fand Johann seinen Kollegen, den Marinestabsarzt Dr. Ahrend bereits ohne Bewußtsein. Er bemerkte aber, daß nicht die Cholera, sondern Morphium die Schuld daran trug. Der Kranke hatte, offenbar um den Qualen des Todeskampfes zu entgehen, eine starke Dosis dieses Giftes eingenommen. Die andern Kranken, meist Kapuziner – es waren aber auch einige Mongolen dabei – entbehrten seit 24 Stunden jeder Hilfe. Johann griff kurz entschlossen zu und legte Hand an, was not tat. Inzwischen war auch der kranke Arzt aus seinem Morphiumrausche erwacht und fragte den nähertretenden Johann mit schwacher Stimme:
»Sie sind wohl der Kollege von dem Kanonenboot, das man uns zu Hilfe geschickt?«
»Jawohl. Aber sagen Sie mir lieber, wie Sie sich fühlen?«
»Mir ist nicht zu helfen.«
»Kann ich Ihnen irgendwelche Erleichterung verschaffen?«
»Nichts, nur eine Bitte habe ich. Nehmen Sie meinen letzten Willen mit nach Europa.«
Der Arzt griff nach einem Schlüssel, den er um den Hals trug: »Hier,« sagte er, »schließen Sie meine Schiffskiste auf. Darin werden Sie eine schwarze Ledermappe finden, sie enthält meine sämtlichen Papiere, von dem ersten Gymnasialzeugnisse an. Ich bitte Sie, diese kleine Mappe meiner Familie mitzunehmen, falls Sie aus dieser Pesthöhle gesund zurückkehren.«
Johann tat, wie der sterbende Arzt gewünscht.
»So, nun dank' ich Ihnen. Lassen sie mich ruhig allein, ich sehe dem Tod ohne Zagen ins Auge, mein letzter Morphiumvorrat erleichtert mir den Abgang. Widmen Sie sich ganz den übrigen Kranken, es ist möglich, daß Sie den einen oder andern retten können. Johann fühlte, wie ihm das Herz schwer wurde, aber Dr. Ahrend lächelte so mutig und winkte ihm mit der Hand, daß er gekräftigt durch das Beispiel des seelenstarken Kollegen die Baracke verließ.
Als er hinaustrat, um seine Schritte nach dem Missionshause zu lenken, bemerkte er, daß die beiden Kapuziner auf ihn gewartet hatten, und der ältere von ihnen fragte ganz niedergeschlagen, ob sie sich wohl alle zum Tode bereit halten müßten.
»Im Gegenteil,« antwortete Johann, »ich gedenke sie alle zu retten, soweit sie wenigstens die Krankheit noch nicht ergriffen.«
Der ältere Mönch aber schüttelte den Kopf und meinte:
»Hier ist jede menschliche Hilfe ausgeschlossen. Gott hat uns vor den Chinesen geschützt, nun aber sandte er die furchtbare Krankheit mit dem Winde, der von den Sümpfen des Hinterlandes zu uns herweht. Ehe der Herr nicht den furchtbaren Landwind von uns nimmt, ist an keine Genesung zu denken.«
»Nun, dann freuen Sie sich, würdige Väter, ich sehe dort am Horizont einen schmalen Wolkenstreifen, und der vergröbert sich zusehends. Dies ist ein sicheres Zeichen, daß von der hohen See ein Windzug die Küste trifft.«
Als Johann noch sprach, meldete ein Flaggenzeichen am Maste des »Marder« den Befehl des Kommandanten zur Rückkehr des Bootes. Der junge Arzt eilte daher an den Strand hinab, um dem Offizier mitzuteilen, daß er vorläufig im Stationshause Wohnung nehmen müsse, um die Krankheit wirksam bekämpfen zu können.
»Haben Sie sonst noch Wünsche?« fragte der Offizier.
»Ich möchte nur, daß man mir einen Lazarettgehilfen sende, der die Schiffsapotheke mit an Land bringt.«
Johannes Voraussicht hatte sich bestätigt. Noch am Tage der Landung des »Marder« war der Wind umgesprungen und die frische Seebrise brachte unter den Kranken eine merkliche Wendung zum Bessern hervor. Leider war es für Dr. Ahrend schon zu spät. Die Krankheit hatte ihn bereits zu stark erfaßt und ein christliches Begräbnis am Meeresstrand war die letzte Liebestat, die ihm erwiesen werden konnte.