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Es vergingen drei Tage, ohne daß die Welt etwas Neues über den Bankdiebstahl erfuhr. Die Sache war aus und tot. Andere Ereignisse hatten längst wieder das hauptstädtische Interesse in Anspruch genommen, kein Mensch spracht mehr von dem Fall Geldern. Desto rühriger arbeitete Lippe; denn es lag ihm vor allen Dingen daran, die Helfershelfer Frank Harsleys zu ermitteln. Ein dunkles Gefühl sagte ihm, daß erst, wenn er darüber vollkommen unterrichtet sei, die Frage nach dem Aufenthalt Ritas und des Prinzen von Toscana ihrer Lösung entgegengehe.
So trat er eines Tages in Harsleys Zelle. Der Verbrecher hatte in einem Halbschlaf auf seinem Bett gelegen und die seltsam durch die Eisenstäbe seines Fensters spielende Oktobersonne an der Decke beobachtet.
Als er den Kommissar sah, sprang er auf, machte eine weltmännische Verbeugung und bot ihm einen Schemel zum Sitzen an.
»Was verschafft mir die Ehre, Kommissar?«
»Verstehen Sie so wenig von der Polizistenpsychologie oder haben Sie als Junge nie Schmetterlinge gesammelt?«
»Gewiß und mit Leidenschaft.«
»Na also, da werden Sie doch wissen, daß man einen mit großer Mühe gefangenen Falter sich nicht oft genug ansehen kann.«
»Also ich bin Ihr Falter? Na, meine kleine Deasy in London sagte auch immer, ich sei ein Schmetterling.«
»Nachtfalter,« antwortete Lippe und lachte gemütlich. »Aber, lieber Harsley, Scherz beiseite. Wir wollen uns einmal wie ehrliche Männer aussprechen.«
»Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, Kommissar, aber ich kann sie nicht teilen, wenigstens nicht in bezug auf meine Person.«
»Nun sehen Sie mal, Harsley, die Polizei ist doch nun einmal da und Sie haben ein so schönes Verständnis für ihre Tätigkeit gezeigt, daß ich hoffe, Sie werden mir mein schweres Amt nicht noch unnötig sauer machen.«
»Aber gewiß nicht, ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, fragen Sie nur, was wollen Sie wissen, ich gebe Ihnen Antwort.«
»Nun denn, mit wessen Hilfe sind Sie in das Bankgewölbe gekommen, wer gab Ihnen den Kellerschlüssel, wer half Ihnen die Marmorplatte durchschneiden?«
»Aber Sie wollen auch zu viel auf einmal wissen. Ich dachte, wir wollten uns wie ehrliche Menschen aussprechen und halten Sie das für ehrlich, wenn ich jetzt meine Kameraden ans Messer liefern würde? Nein, lieber Kommissar, das ist Geschäftsgeheimnis, ich würde mich ja nicht mehr auf der Straße zeigen können. Ich bin doch kein altes Weib? Meine Komplicen, wie ja wohl der technische Ausdruck lautet, werden Sie nicht erfahren.«
»Auch gut, nun will ich nur noch eins wissen. Bei der Witwe Koch wohnt ein junger Kommis …«
»Herr Woldemar Richter.«
»Ganz recht,« Herr Woldemar Richter. Sein Gehalt ist nicht sonderlich groß und seine Bedürfnisse und Passionen übersteigen weit seine Bezüge. Der junge Mann ist heimlich verlobt mit einem Fräulein Neudorf, deren Vater in Treptow eine große Putzfedernfabrik besitzt.«
»Aber was soll mich das alles interessieren, lieber Kommissar?«
»Das will ich Ihnen sagen. Die aus dem Bankgewölbe Gelderns entwendeten Industriepapiere fanden sich am Bahndamm, in der Nähe von Tempelhof, und Herr Woldemar Richter muß von seiner Wohnung in Schöneberg nach Treptow gerade diese Bahnlinie benutzen. Das ist doch sehr verdächtig.«
»Gewiß, ich kann es nicht leugnen.«
»Nun weiter: Dieser junge Mann hat keine Aussichten, Fräulein Neudorf mit Bewilligung ihrer Eltern heimzuführen. Die einzige Beschützerin dieser Liebe ist Fräulein Rita Geldern, die Tochter des Mannes, bei dem Sie einbrachen. Sie sind Pensionsfreundinnen und jede läßt ihr Leben für die andere.«
Ein schlaues Lächeln spielte um den feingeschnittenen Mund des englischen Verbrechers und es wollte dem Kommissar, der ihn scharf beobachtete, erscheinen, wie wenn Harsley von dem oben Erzählten mehr wüßte, als er sagen wollte. Der Polizeibeamte fragte daher ganz direkt.
»Sie wissen wohl um die Verhältnisse dieses jungen Kommis.«
»Aber natürlich, er war doch lange genug mein Zimmernachbar und das schöne Fräulein Neudorf hat oft in unserer Fliederlaube mit einer Freundin auf den geliebten Handlungsgehilfen gewartet.«
»Und wie sah die Freundin aus?« fragte jetzt Lippe ziemlich erregt.
»Ja, ich habe kein Auge für Frauen.« Und wieder spielte das seltsame Lächeln über das Gesicht des Einbrechers.
Lippe fragte nicht weiter. Der Gesichtsausdruck Harsleys hatte ihm genug gesagt. Es war ihm klar geworden, daß Rita Geldern im Hause der Tante verkehrt hatte und mit Woldemar Richter bekannt war. Das waren Anhaltspunkte von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Er wollte heute nicht weiter in die Geheimnisse des Einbrechers dringen, denn Harsley war zu klug und einmal aufmerksam gemacht, nach welcher Richtung sich die Ermittelungen des Kommissars bewegten, verschwieg er wohl mit böswilliger Absichtlichkeit die wichtigsten Dinge. Aus diesem Grunde verließ Lippe mit kurzem Abschied die Gefängniszelle.
Als er in seine Wohnung trat, fand er einen Rohrpostbrief des Kommerzienrats, der ihn schleunigst nach der Wilhelmstraße zitierte.
»Lieber Kommissar,« begann der Finanzier, »die Affäre wird immer verwickelter.«
»Nun, was ist denn wieder geschehen?«
»Ich habe heute einen Brief von meiner Tochter erhalten.«
»Ah, das ist allerdings eine Neuigkeit. Wo ist der Brief?«
»Der Brief, nun ja, der Brief ist nicht von großer Wichtigkeit, sondern wie er in meine Hände kam. Denken Sie sich, ich betrete heute früh mein Arbeitszimmer, als ich ganz zufällig ein Loch in der Scheibe des einen Fensters bemerkte. Das Loch wäre mir gar nicht aufgefallen, wenn nicht ein Brief darin gesteckt hätte.«
Lippe wandte unwillkürlich den Blick nach dem Fenster hin. In der Tat, das war eine seltsame Art, Briefe zu bestellen. Mit einem Glaserdiamant hatte der Bote die äußere und innere Scheibe durchschnitten und den Brief eingesteckt. Der Kommissar erkannte sofort, daß ein ungewöhnliches Werkzeug, ein Diamant mit ziemlich langer Handhabe, verwandt worden sei, weil der geheimnisvolle Briefsteller die Oeffnung in der Außenscheibe fast ebenso klein wie die der Innenscheibe gemacht hatte. Der Diamant mußte also durch die erste Oeffnung durchgesteckt worden sein, um die Innenscheibe zu erreichen.
»Nun, was sagen Sie?« fragte Geldern, nachdem er dem Polizisten Zeit gelassen hatte, die Sache ruhig zu untersuchen.
»Wer betritt vor Ihnen das Zimmer?«
»Nur mein Kassendiener Klose.«
»Und er hat nichts bemerkt?«
»Nein. Als er die Jalousien aufzog, waren die Fenster noch unverletzt, das war um acht Uhr, Um neun Uhr betrete ich schon mein Zimmer, da steckte der Brief bereits im Fenster. Klose erklärte sich die Sache nur so: Als er die Jalousien aufgezogen und das Zimmer in Ordnung gebracht hatte, ging er auf die Straße, um das Eintreffen der Kommis zu kontrollieren. Er bemerkte einen jungen Mann von der rotweißen Fensterreinigungskompagnie, der mit Lappen und Scheuereimer sich an meinem Fenster zu tun machte. Er glaubte, daß ich dem Manne Auftrag zur Reinigung der Fenster gegeben habe und ließ ihn gewähren.«
»Hat noch jemand diesen Mann bemerkt?«
»Jawohl, der Schutzmannsposten, der zwischen acht und neun Uhr hier vorüber patrouillierte.«
»Sehr geschickt! Sehr geschickt! Nun geben Sie mir mal den Brief.«
Der Kommerzienrat reichte dem Polizisten das Verlangte. Dieser betrachtete das Schreiben erst von allen Seilen. »Englisches Format,« murmelte er vor sich hin. Dann hielt er das corpus delicti gegen das Licht: »Unbekanntes Fabrikzeichen, gewöhnliche Tinte.«
Nun erst las er:
»Lieber Vater, wir sind vollkommen glücklich, ängstige Dich nicht um uns. Wir müssen noch einige Zeit verborgen bleiben, um erst eine günstige Stimmung im Hause Oesterreich abzuwarten. Johann will auf den Prinzentitel verzichten und den eines Grafen Laufenburg annehmen, jedenfalls wird er den Chef des Hauses bitten, mich zur Gräfin Laufenburg zu erheben. Es fehlt uns zurzeit nur an Geld. Ich bitte Dich, uns vorläufig etwa hunderttausend Mark vorzustrecken. Stelle uns einen Scheck aus, den wir bei jeder Deiner Filialen honoriert erhalten können. Wir bitten Dich, diesen Scheck als ganz unverfänglichen, gewöhnlichen Brief abzusenden unter der Adresse: Frau Gräfin Laufenburg, Wien, hauptpostlagernd. Gib ihn aber bitte selbst auf die Post, wenn Du zur Börse gehst, vertraue ihn niemand anders an, selbst Deinem Kassendiener nicht. Ich flehe Dich an, uns nicht nachzuspüren. Mit herzlichen Grüßen und Küssen Deine überglückliche Rita.«
»Was haben Sie beschlossen, Herr Kommerzienrat,« fragte Lippe, nachdem er den Brief aufmerksam gelesen hatte.
»Ich werde den Brief abschicken.«
»Das ist doch ganz gleichgültig, denn wir kommen durch den Brief auf die Spur der Entflohenen.«
»Vielleicht! Aber nehmen wir folgendes an: Weder Ihr Schwiegersohn noch Ihre Tochter holen den postlagernden Brief ab, sondern ein Vertrauter, den wir natürlich sofort festnehmen lassen. Wer kann den Mann zwingen, den Aufenthalt der Entflohenen zu verraten?«
»Da haben Sie recht. Was aber soll ich tun?«
»Genau, was Ihnen der Brief befiehlt. Sie müssen den Scheck absenden, denn ich vermute, daß der Vertraute den Brief sofort öffnen und das Geld bei der nächsten Filiale erheben wird. In Wien sind Sie ja wohl vertreten?«
Der Kommerzienrat nickte.
»Gut! Wir lassen dem Mann vollständig freie Hand, beobachten ihn auf Schritt und Tritt und einmal muß er doch mit dem Prinzen und Ihrer Tochter in Verbindung treten.«
»Ja, so ungefähr dachte auch ich mir den Gang der Sache.«
»Aber wenn der Prinz von Toscana von der Art ist, wie ich glaube, so steht uns noch eine Ueberraschung bevor. Indessen, mag es kommen, wie es will, einen Schritt vorwärts geht die Sache.«
»Und wollen Sie nicht nach dem Fensterreiniger recherchieren, denn es scheint mir doch, daß dieser mit meinem Schwiegersohn und meiner Tochter in Verbindung steht.«
»Das glaube ich noch lange nicht so unbedingt, ich suche den Helfershelfer in Ihrem eigenen Hause, der Fensterreiniger ist nur ein Mittel gewesen, den Verdacht von innen nach außen zu lenken – so scheint, es mir. Aber ich will zurzeit nichts sagen, der erste Eindruck ist oft falsch. Wir müssen jedenfalls zunächst in Wien recherchieren lassen.«
»Wollen Sie nicht selbst hinreisen?«
»Nein, ich halte meine Anwesenheit in Berlin für unumgänglich nötig. Ein Telegramm an die Wiener Polizei genügt vollkommen. Denn es ist durchaus keine große Tat, einen genau bezeichneten Menschen unauffällig zu verfolgen. Der Schlüssel zu der ganzen Affäre ist in Berlin zu suchen und zwar glaube ich, daß wir den Täter noch enger einkreisen können, wenn wir Ihr Haus scharf beobachten.«
»Ach, Sie täuschen sich. Wem sollte sich meine Tochter anvertrauen? Und es betritt niemand als Klose mein Arbeitszimmer.«
»Ist diese Tür offen,« fragte Lippe, indem er auf den Zugang zum Kontor deutete.
»Nein, die öffne ich jeden Morgen selbst. Klose kommt über den Korridor meiner Wohnung.«
»Dann hat Klose den Brief hingelegt und die Scheiben durchschnitten.«
»Ach, wo denken Sie hin, Klose ist treu wie Gold.«
»Einerlei, wenn niemand anders das Zimmer betritt als er …«
»Und der Fensterreiniger? den vergessen Sie ganz und gar.«
»Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich den lediglich für eine Attrappe halte. Glauben Sie, daß morgens zwischen acht und neun Uhr jemand von außen ein Fenster mit einem Diamant durchschneiden kann, ohne von den Vorübergehenden bemerkt zu werden? Ich glaube das nicht. Es mag noch so unwahrscheinlich klingen, Klose ist der Vertrauensmann Ihrer Tochter und ich will Ihnen auch sagen wieso. Kloses Sohn wurde vor neun Jahren aus dem Hause gejagt, weil er eine Liebelei mit Ihrem Fräulein Tochter angebandelt hatte, nicht wahr?«
»Jawohl!«
»Nun, Sie haben den damals achtzehnjährigen Primaner kaum gesehen, würden ihn also heute unter keinen Umständen wiedererkennen.«
»Das ist richtig.«
»Ahnen Sie nun den Zusammenhang?«
»Der junge Klose und der Prinz …?«
»… sind ein und dieselbe Person?«
»Warum diese Komödie, etwa um meine Tochter zu täuschen?«
»Ihre Tochter – nehmen Sie mir das harte Wort nicht übel – ist mit im Komplott. Sie spielt die Gattin des Prinzen ganz vortrefflich und zwar nur, um Sie zur Hergabe eines anständigen Heiratsgutes zu bewegen. Nachdem sie dieses erlangt, wird sie schon mit der Wahrheit hervortreten und Ihre Verzeihung und Ihren väterlichen Segen erbitten.«
»Warum halten sie sich aber verborgen?«
»Das ist der einzige Punkt, der mir noch nicht klar ist. Aber darüber kann vielleicht die Witwe Koch Auskunft geben, die Schwester Ihres Kassenboten, ich habe sie noch nicht verhört, um sie erst bei einer Dummheit zu ertappen, die sie zweifellos bei der Warnung des Pärchens begehen wird. Bis jetzt ist sie auffallend klug zu Werke gegangen, meine Späher haben nichts bemerkt. Wenn sie erst sicherer geworden ist, wird sie mehr aus sich heraustreten.«
»Und Sie glauben, daß die Witwe Koch den Aufenthalt meiner Tochter kennt?«
»Entweder sie oder Ihr Kassendiener Klose. Aber lassen Sie sich um Gotteswillen nichts merken, das könnte uns den Verlust der Partie bringen. Alle Beteiligten müssen vollkommen ahnungslos sein. Ich will jetzt weiter forschen, handeln Sie inzwischen genau nach der Vorschrift des Briefes und beobachten Sie Klose im stillen.«
Der Kommissar ging und Geldern setzte sich zur Arbeit. Er erledigte zunächst seine laufenden Geschäfte, dann schrieb er einen zärtlichen Brief an seine Tochter, dem er einen Scheck über hunderttausend Mark beifügte. Er steckte beide Schriftstücke in ein Kuvert, das er mit der Adresse der Gräfin Laufenburg versah und legte den Brief zur Seite auf den Schreibtisch, um ihn später mitzunehmen.
Als er seine Vormittagsarbeiten beendet hatte, gab er das Zeichen zum Eintritt etwaiger Geschäftsbesuche. Da kamen sie nach der Reihe herein. Der eine suchte um Finanzierung eines großen Sportunternehmens nach, der andere bat um Unterstützung für ein wissenschaftliches Institut, ein Dritter offerierte sich, volkswirtschaftliche Artikel zum Lobe des Bankhauses Geldern in die Zeitungen zu lanzieren und andere mehr. Der Kommerzienrat fertigte jeden mit gewandter Liebenswürdigkeit ab, ohne auch nur das geringste Zeichen zu geben, ob er der vorgetragenen Sache sympathisch oder nicht gegenüberstehe. Aber auf dem Papier, wo er sich die Adresse angemerkt, stand schon, ehe der Besuch das elegante Arbeitszimmer verlassen hatte, die Antwort in wenigen Schlagworten. Gelderns Geheimsekretär ließ genau drei Tage verstreichen, dann beantwortete er die Gesuche nach den Notizen seines Chefs.
Als der Kommerzienrat eben den letzten Petenten freundlich hinauskomplimentiert hatte, trat der Kassendiener mit einem Arbeiter ins Zimmer.
»Ach, Herr Kommerzienrat, Sie entschuldigen, der Mann von der Elektrizitätsgesellschaft will einmal nach dem Licht sehen, ich habe ihn bestellt, weil es unten im Gewölbe wieder gar nicht brennen will und da die Hauptleitung hier durchgeht …«
»Na ja, er soll nachsehen.«
Die beiden Männer mußten den Schreibtisch wegrücken, um an die Drähte zu gelangen.
Geldern wollte zur Börse gehen und griff nach seinem Paletot. Klose sprang hinzu und half seinem Chef. Dienstfertig nahm er auch den Hut vom Riegel, den Geldern aufsetzte. Noch einmal trat der Bankier zum Schreibtisch, um zu sehen, ob er nichts vergessen hatte, und er bemerkte den Brief. Aber da hatte der ungeschickte Klose beim Abrücken des Schreibtisches mit seinen fettigen Pfoten das Kuvert derartig beschmutzt, daß Geldern ein neues schreiben mußte. Aergerlich warf er das alte in den Papierkorb und schalt Klose ein Ferkel.
Der Kassendiener entschuldigte sich vielmals, es solle nicht wieder vorkommen; aber der Kommerzienrat war schon draußen und hatte den Brief seinem Geheimsekretär gegeben, um ihn zu frankieren.
»Nein, geben Sie nur her,« sagte Geldern, als der Beamte den Brief in den Postkorb werfen wollte; ich werde ihn selbst besorgen.«
Der Kommerzienrat ging auf der Börse ruhig seinen Geschäften nach; er war gerade dabei, ein Bergwerkspapier zu schwindelnder Höhe zu treiben, als Lippe ihm die Hand auf die Schulter legte.
»Nun, was gibt's?«
»Mein verehrter Herr Kommerzienrat, ich will doch lieber selbst nach Wien fahren, und ich hoffe, Ihnen in drei Tagen Ihre Tochter zuführen zu können.«
Geldern fuhr auf; er vergaß plötzlich alle Papiere und die ganze Börse. Er zog den Polizisten ins Restaurant und fragte in höchster Aufregung:
»Wie haben Sie sich so schnell entschlossen?«
»Es könnten uns doch Ueberraschungen erwarten,« meinte Lippe, »denen die Wiener Beamten nicht gewachsen sind. Und ich möchte Sie fragen, was Sie anwenden wollen, um Ihre Tochter wiederzubekommen.«
»Das fragen Sie noch? Mein halbes Vermögen.«
»Gut, so geben Sie mir zwei Blankoschecks, die ich nach Belieben verwenden kann, um …«
»… die Kosten zu bestreiten?«
»O nein, um Ihren Schwiegersohn zu veranlassen, aus seinem Inkognito herauszutreten. Ich brauche für mich ein paar hundert Mark, die Sie der Behörde zu vergüten hätten.«
»Das will ich nicht, sparen Sie kein Geld.« Der Kommerzienrat zog sein Scheckbuch heraus, dem er zwei Blätter entnahm. Nachdem er unterschrieben hatte, reichte er sie dem Polizeibeamten hin und sagte:
»Hier haben Sie die verlangten Blankoschecks, die Sie nach Belieben ausfüllen können, damit Sie unter keinen Umständen in Verlegenheit kommen.«
Lippe steckte die Papiere ein und verabschiedete sich von dem Finanzmanne. Dieser rief ihm noch nach:
»Viel Glück, und telegraphieren Sie mir so bald wie möglich.«