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VII.

Johann war in dem kleinen Gymnasium gar nicht so schlecht aufgenommen. Der frühe Liebestraum hatte auf ihn anders eingewirkt als sonst auf junge Leute seines Alters; denn während diese oft durch die Gedanken an die Geliebten von der Arbeit abgehalten oder, wenn sie sich einmal mühsam dazu aufgerafft haben, zerstreut werden, so stand ihm Rita stets als leuchtendes Ideal vor, in dessen Besitz er nur durch ernsthafte Arbeit gelangen konnte.

Papa Geldern hatte dafür gesorgt, daß das Lehrerkollegium dem verliebten Primaner die nötige Aufmerksamkeit zuwendete; aber je genauer man auf seine Schritte und auf seine Tätigkeit achtete, desto mehr konnte man sich überzeugen, daß er nicht nur ein trefflicher Schüler, sondern auch ein trefflicher Charakter war. Der Kommerzienrat hatte den Direktor besonders darum gebeten, Johanns Korrespondenz eingehend zu kontrollieren. Der gleiche Befehl war mit Bezug auf Rita der Londoner Pensionsvorsteherin zugegangen. Wenn die jungen Leute nichts voneinander hörten, so meinte der Kommerzienrat, werde die Jugendeselei bald ein Ende haben. Und dann war es ein leichtes, Rita für einen standesgemäßen Freier zu interessieren. Aber wie es häufig im Leben geht, waren alle Rechnungen falsch. Johann bestand mit Glanz die Reifeprüfung, und da er den Wunsch ausgesprochen hatte, Arzt zu werden, so beschloß die Familie, ihn wieder nach Berlin kommen zu lassen. Die Familie war in diesem Falle Vater und Mutter und Tante Koch. Geldern hatte zwar seinem Kassendiener und Faktotum gegenüber den Wunsch ausgesprochen, der Junge solle zur Post gehen, aber da er nach Verlauf der eineinhalb Jahre, die Johann in dem kleinen schlesischen Gymnasium zugebracht hatte, die ganze Affäre vergessen zu haben schien, so zögerte Papa Klose nicht, dem Wunsch seines Sohnes nachzukommen, zumal Tante Koch kategorisch erklärte, der Junge könne bei ihr in Schöneberg wohnen und der Herr Kommerzienrat brauche gar nicht zu wissen, daß er noch auf der Welt sei. So kam Johann wieder nach Berlin und begann mit einem wahren Feuereifer das Studium der Medizin.

Ungefähr um dieselbe Zeit kehrte auch Rita, die nunmehr Achtzehnjährige, in das Elternhaus zurück. Sie hatte sich sehr zu ihrem Vorteil entwickelt. Die blauen Augen waren um einen Schatten tiefer geworden und die früher blühenden runden Wangen hatten in der Londoner Luft jenen bleichen Schmelz angenommen, den wir bei den Frauen ganz besonders bewundern. Um den schönen Mund wetterleuchtete es fortwährend von Spottlust und Kaprice. Papa Geldern war entzückt von seiner Tochter und gestand allen seinen Freunden, wenn sie ihn nach seinen Liebesabenteuern fragten:

»Ich bin sterblich in meine Tochter verliebt, und der kleine Tyrann duldet keine andern Götter neben sich.«

In der Tat hatte Rita sowohl mit großer Energie als auch mit verblüffendem Verständnis die Repräsentation des Hauses Geldern in die Hand genommen. In wenigen Wochen räumte sie unter der Dienerschaft auf und entzückte ihren Vater durch einen Streit mit dem französischen Koch. Die exzentrische, extravagante Rita hatte eine kleine Unregelmäßigkeit in der Rechnung des Koches entdeckt. Sie zwang daher Papa Geldern mit in die Küche zu gehen, um durch seine Anwesenheit ihren Worten den gehörigen Nachdruck zu verleihen.

»Aber Kind,« sagte der Finanzmann, »wozu der Lärm? Deine selige Mutter hat sich weder um Küche noch um Keller gekümmert und es ist auch gegangen. Meine Erbin soll sich von derartigen niedrigen Beschäftigungen ganz fern halten.«

»Im Gegenteil, Papa, ich hätte wahrhaftig lieber manchmal eine schöne Segelpartie gemacht, anstatt mich in der Pensionsküche mit den allergewöhnlichsten Dingen, wie Kartoffeln schälen, Eier klären und Kohl abwällen, zu beschäftigen. Nun ich aber einmal Verständnis dafür habe, macht es mir auch Freude, und die Domestiken sollen erfahren, daß das gnädige Fräulein in allen Dingen Bescheid weiß.«

Papa Geldern, der in dieser kräftigen Initiative etwas von seinem eigenen Blut spürte, gab lächelnd dem Wunsch der Tochter nach und folgte ihr in die Küche. Dort entwickelte sich ein verhältnismäßig kurzer französischer Dialog zwischen Rita und dem Koch, der damit endete, daß der aufgeregte Küchenregent sofort demissionierte. Geldern wollte das Abschiedsgesuch nicht gleich bewilligen, aber Rita sagte ihm:

»Papa, der Lümmel geht auf der Stelle.«

»Mein Kind, da bekommen wir ja nichts zu essen.«

»Das laß meine Sorge sein, wozu hab' ich denn kochen gelernt?«

»Der Kommerzienrat hatte sich schon daran gewöhnt, der liebenswürdigen, aber auch eigenwilligen Tochter unbedingt zu gehorchen, und mit einer galanten Verbeugung antwortete er auch heute:

»Wie du befiehlst.«

Er sah dann noch, wie sich Rita von einem der Mädchen eine große Kittelschürze umlegen ließ, kurz entschlossen an den Herd trat und die brodelnden, siedenden, bratenden Töpfe inspizierte. Er drehte sich noch einmal um, ehe er die Küche verließ, und sagte:

»Kind, du weißt, wir haben heute den Fürsten von Rotenbach zu Tisch, der ist ein gewaltiger Feinschmecker, wirst du dich nicht blamieren?«

Rita aber winkte mit dem Kochlöffel, was so viel heißen sollte als: sei ganz außer Sorge, wir werden's schon machen.

Kurz vor dem Diner, der Fürst war schon im Salon, erschien Rita in einer gewählten Toilette strahlend von Schönheit und Jugend. Sie trat auf den Fürsten zu, reichte ihm die schmale, zarte Hand und sagte:

»Hoheit müssen meine Verspätung entschuldigen, aber ich habe den Koch zum Teufel gejagt und unser bescheidenes Mittagsmahl selber zubereiten müssen.«

»Charmant, Gnädigste, wirklich charmant, wie Sie sich ausdrücken. Na, da wird es ja köstlich schmecken. Lieber Geldern, ich danke Ihnen, daß Sie mir das Glück zu Teil werden lassen, der erste Gast der Gnädigen zu sein.«

»Machen Sie sich keine zu große Hoffnungen, mein Fürst, wer weiß, was uns die kleine Hexe zusammengebraut hat.«

Aber er freute sich doch im stillen über seinen verzogenen Liebling, der sich ganz anders benahm, als die steifen, unnahbaren Kommerzienratstöchter ihrer Bekanntschaft.

Es war heute bei Geldern nur ein kleiner Kreis, zehn Personen, aber es hatte sich schnell herumgesprochen, daß die Dame des Hauses selbst gekocht habe, und so wurde das in der Tat vorzügliche Diner weit über das gewöhnliche Maß hinaus bewundert. Der Fürst hatte dazu den Anfang gemacht, indem er sich mit einem verbindlichen Lächeln an seine schöne Nachbarin wandte:

»Sie wissen ja, mein gnädiger Sonnenstrahl,« begann der alte Herr, »es ist höchst unpassend, der Herrin des Hauses Lobsprüche über den köstlichen Tisch zu machen, heute aber muß ich unartig sein und Ihnen versichern, daß ich geradezu enthusiasmiert bin … Mein lieber Geldern, Sie haben in Ihren sämtlichen Kassenschränken nicht Gold genug, um diese Perle von Tochter würdig fassen zu lassen, nur eine alle Fürstenkrone kann ihr das richtige Relief geben.«

Geldern fühlte sich sehr geschmeichelt. Ja, ja, das war Blut von seinem Blut, und der alte Rotenbach hatte recht, wer Rita einmal heiraten wollte, mußte ihr eine Fürstenkrone zu Füßen legen können.

Wie anders dachte doch Rita in diesen Dingen, denn am folgenden Nachmittage saß die Perle des Geldernschen Hauses bei Tante Koch hinter dem sauber gedeckten Kaffeetisch und aß in rührendem Liebesspiel mit einem simplen Medizinstudenten von einem Stück Napfkuchen. Tante Koch strahlte in Glückseligkeit.

»Nein, Kinder,« sagte sie, »wer sich so gern hat, der muß sich auch kriegen.«

»Nun, glauben Sie, Tante,« meinte Rita, »daß wir etwas anderes hoffen? Mein Hänschen studiert hübsch aus, und wenn er Doktor ist, dann werde ich seine Doktorin und die ehrlichen Kuppler können sich ihre Fürstenkronen mit andern Perlen schmücken lassen.«

Sie lachte hell auf und zeigte ihre blitzenden Zähnchen. Johann drückte ihr herzlich die Hand und sagte dann:

»Dafür muß ich dich abknutschen, wenn auch die Tante dabei ist.« Die Tante aber wischte sich in stillem Glück die Augen mit der Schürze und sagte im Hinausgehen zu sich selber: »So 'ne braven Kinder und was ihnen alles noch bevorstehen wird.« Die braven Kinder aber fürchteten sich durchaus nicht vor den kommenden Ereignissen, denn sie hatten feste Willenskraft und waren beide bereit, ihrer Liebe jedes Opfer zu bringen. Trotzdem wurde im Laufe der nächsten Jahre Berlin bald zu klein für die beiden Liebenden, denn Johann fühlte, wie unendlich schwer es ihm wurde, Rita von der gesamten jungen Männerwelt der obern Zehntausend gefeiert zu sehen, und wenn die Berliner Korbmacherinnung auch nicht so viel von ihren berüchtigten Artikeln fabrizieren konnte, wie die stolze Bankierstochter an ihre Bewerber austeilte, so fürchtete Johann dennoch, daß er sich aus Eifersucht gelegentlich einmal verraten würde.

Deshalb beschloß er, nachdem er sein Staatsexamen hinter sich hatte, dem glühenden Wunsch seiner Jugend nach fremden Ländern Folge zu geben. Zwar war er sich noch nicht klar, auf welche Weise er dies bewerkstelligen sollte, denn er hatte nur in dunkler Erinnerung einen Fall, daß ein junger deutscher Arzt, der in dem gleichen Gymnasium wie er vorgebildet worden war, sich als Schiffsarzt von einer der großen Gesellschaften hatte engagieren lassen. Johann wollte es ihm nachtun und erkundigte sich bei der Verwaltung des Norddeutschen Lloyd, ob er eine ähnliche Stelle erhalten könnte. Die Antwort fiel zwar bejahend aus, aber ein derartiges Engagement hatte den Nachteil, daß der junge Arzt stets dieselbe Linie in Hin- und Rückfahrt passieren mußte. Seiner Sehnsucht nach fremden Ländern konnte nur auf einem Kriegsschiff Gerechtigkeit werden. Er wandte sich daher zunächst an die deutsche Marine, wurde aber, da er militäruntauglich, rundweg abgewiesen. Es blieb ihm nun nichts anderes übrig, als bei einer befreundeten Großmacht Dienste zu nehmen. In Betracht konnte nur Oesterreich oder Italien kommen. Aber die Tatsache, daß die rot-weiß-rote Flagge nur im Mittelmeer weht, wiesen ihn nach Italien, das doch wenigstens mit seinen Kriegsschiffen bis nach Afrika hin unter Dampf ging. Aber seine Kenntnisse der italienischen Sprache waren sehr gering, und schon beschloß er, auf seinen Herzenswunsch zu verzichten, als ihm ein Zeitungsblatt in die Hand fiel, das die Mitteilung enthielt; Oesterreich werbe Freiwillige zu einer Reise nach Ostasien.

Eine Missionsstation der Innsbrucker Kapuziner war von den Chinesen angegriffen worden und mehrere von den frommen Vätern hatten den Tod gefunden. Freiwillig erbot sich der Kapitän zur See, Prinz Johann von Toscana, mit dem Kanonenboot »Marder« den Missionaren zu Hilfe zu kommen. Johann Klose fuhr sofort nach Triest, stellte sich dem Prinzen persönlich vor und bat um Erlaubnis, die Reise als Arzt mitmachen zu dürfen.

Der Prinz, ein sehr vornehmer und stolzer Herr, der trotz seiner Jugend – er war im selben Alter wie Johann – als ein gewaltiger Seeheld galt, fand Gefallen an dem offenen, ehrlichen Wesen des jungen deutschen Arztes und versprach ihm, sein Gesuch zu unterstützen.

Es dauerte auch nicht lange, so erhielt Johann eine Aufforderung, sich bei der Admiralität in Triest zu melden, wo ihm eröffnet wurde, daß er die Reise als Unterarzt antreten könne. Sobald er sich die nötige militärische Qualität angeeignet habe, sei der Kommandant des »Marder« angewiesen, ihn zum Sanitätsoffizier zu befördern.

Johann war glücklich und betrat schon andern Tages die Planke des Schiffes, das ihm nun für eine lange Zeit als Heimat dienen sollte.


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