Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.

Als Lippe nach Berlin zurückgekehrt war, wandte er sich mit aller Energie der Lösung der wenigen dunklen Punkte im Falle Geldern zu. Vor allem wollte er die unbekannten Hilfskräfte entdecken, die ihre Hände bei der Scheckaffäre im Spiel gehabt. Daß sie in Berlin seien, erschien zweifellos, denn der von Geldern ausgestellte Scheck war am Tage der Ausstellung im Hauptbankhause von einem jungen Mann präsentiert und anstandslos honoriert worden. Der langjährige Kassierer kannte die Handschrift seines Chefs so genau, daß ihm nicht der leiseste Zweifel an der Echtheit kam. Er wußte außerdem, daß der Kommerzienrat über Schecks, die er persönlich und für Rechnung von Damen ausgestellt, nicht befragt sein wollte. So kam es, daß Geldern erst durch Lippe erfuhr, welchen Weg sein Scheck gemacht hatte. Er war aufs höchste überrascht, ja bestürzt.

»Ja sagen Sie mir um Gottes willen, mein lieber Kommissar, was sind das für entsetzliche Dinge? Ich sehe nirgends einen Ausweg. Selbst Sie, unser tatkräftigster, gewiegtester Detektiv, stehen ratlos da? Meine Tochter, an der ich mehr hänge als an meinem eigenen Leben, ist seit Wochen verschwunden; machen wir doch der Sache ein Ende. Ich gebe meine Einwilligung zu jeder Heirat. Wenn der junge Klose, wie Sie nun ja einwandfrei festgestellt haben, wirklich Arzt ist, so will ich mein Kind nicht unglücklich machen, er soll mir als Schwiegersohn willkommen sein.«

»Ja, mein lieber Herr Kommerzienrat, auf welche Weise wollen wir ihm das hinterbringen? Wir kennen ja seinen Aufenthalt nicht. Sollen wir einen Aufruf in allen großen Blättern erlassen?«

»Nein, um Gotteswillen nein! Denken Sie doch an meinen Namen. Die Sache muß so geheim als möglich betrieben werden.«

»Ja, aber wenn man den Aufruf möglichst so abfaßte, daß ihn nur die Beteiligten verstehen.«

»Es gibt bereits Unbeteiligte genug, die den Zusammenhang ahnen. Ich kann schon gar nicht mehr genügend Märchen ersinnen, um die Freunde unseres Hauses über Ritas Ausbleiben zu täuschen. Wenn dann zufällig einer noch nach Dr. Ahrend fragt, den man doch jetzt gar nicht mehr zu sehen bekomme, erschrecke ich wie ein ertappter Verbrecher und weiß nicht, was ich antworten soll. Ich flehe Sie an, lieber Kommissar, spannen Sie Ihre Kräfte aufs höchste, schonen Sie nichts, ermitteln Sie mir den Aufenthalt meiner Tochter und bringen Sie ihr meinen Segen.«

»Nun muß ich Sie noch eins fragen: befanden sich in dem Geldspind, das in jener denkwürdigen Nacht erbrochen wurde, außer Industriepapieren noch irgendwelche Dokumente?«

»Gewiß, in dem Schranke liegt allerlei: Feuerpolicen, Mietverträge, Engagementsverträge, kurz, eine ganze Menge Dinge, die man zu den Personalakten des Bankhauses rechnen könnte.«

»So, und vermissen Sie nichts von diesen Papieren?«

»Ja, lieber Kommissarius, das kann ich Ihnen so aus dem Handgelenk nicht sagen. Da müßte ich erst sämtliche Sachen eingehend durchsehen.«

»Führen Sie denn kein Verzeichnis über dergleichen Aktenstücke?«

»Gewiß, über Policen, Hypothekenbriefe und ähnliches, aber Engagements- und sonstige Verträge werden nicht registriert. Sie sind in einer Mappe gesammelt …«

»Aber Sie können doch ohne weiteres feststellen, ob etwas fehlt …«

»Ohne weiteres nicht. In einem Geschäft von solcher Ausdehnung würde das mindestens eine Woche erfordern.«

»Gut, so will ich mich eine Woche gedulden, aber ich muß unbedingt wissen, ob Ihnen irgend ein Aktenstück abhanden gekommen ist oder – und jetzt kam dem Detektiv ein neuer Gedanke – ob an einem Aktenstück etwa Aenderungen vorgenommen worden sind.«

»Feststellen läßt sich das ja, aber es erfordert, wie gesagt, viel Zeit. Es wird natürlich gemacht, weil Sie's für nötig halten.«

»Gut, das also wäre erledigt, damit hätten wir uns weiter nicht zu befassen. Daß weder in London noch in Helgoland eine Trauung unserer Flüchtlinge stattgefunden hat, habe ich Ihnen wohl schon mitgeteilt?«

»Nein, das ist mir völlig neu. Ich muß gestehen, daß diese Nachricht mir große Sorge bereitet. Nicht getraut!? Das ist ja furchtbar, also nur seine Geliebte.«

»O nein, die jungen Leutchen wollten wohl erst absolut sicher sein; denn sie konnten ja nicht wissen, wie weit der Papa in seiner Verfolgung gehen würde. Sie halten sich deshalb irgendwo verborgen, bis der erste Eifer sich abgekühlt hat, und dann erst treten sie zum Altar.«

»Nun, vor meinen Nachstellungen sollen sie sicher sein. Ich will nichts weiter als die Rückkehr meiner Tochter. Ich will nichts weiter als mein Kind glücklich sehen, und ich gebe meinen Segen zur Ehe mit dem Arzte. Glauben Sie aber, daß mein Kassendiener von den Dingen Kenntnis hat?«

»Ich glaube noch mehr, ich glaube sogar, daß er die Flüchtlinge wesentlich unterstützt.«

»Nun, dann wollen wir ihm doch meinen Entschluß mitteilen. Ich will meine schriftliche Einwilligung deponieren, das wäre doch der einfachste Weg.«

»Gewiß, wenn der alte Klose eingeweiht ist.«

»Darüber müßten wir aber doch bald klar werden. Ich lasse ihn rufen.«

Wenige Augenblicke später trat der alte Kassendiener mit devoter Verbeugung in das Zimmer seines Chefs.

»Sagen Sie mal, Klose, wo befindet sich eigentlich jetzt Ihr Sohn?«

Der alte Mann gab nicht sogleich Antwort. Er lauerte mit den Augen den Polizeibeamten an, machte dann ein möglichst dummes, unbefangenes Gesicht und sagte:

»Mein Sohn, den Johann, meinen der Herr Kommerzienrat?«

»Ja, ja, Ihren Sohn, Sie haben doch nur einen.«

»Ja, ich habe nur einen. Gott, Sie haben ja auch nur eine Tochter, das ist weiter nicht schlimm. Ich hätte für mehr Kinder Nahrung.«

»Ja, ja, Klose, das glauben wir Ihnen alles. Geben Sie uns doch endlich Antwort, wo Ihr Sohn jetzt ist.«

»Wo er ist! Ach Gott, was einem so ein Kind für Sorge und Last macht, das können Sie sich gar nicht vorstellen, Herr Kommerzienrat. Wir haben nun weiter keinen, als den einen. Sein bißchen Erspartes hat man an ihn gehängt, hat ihn was hübsches lernen lassen, und was ist das Ende vom Liede … Lieber gar keine Kinder, Herr Kommerzienrat.«

Klose wischte sich die Augen und senkte betrübt den Kopf.

»Nun aber in des Henkers Namen, Klose, geben Sie mir Antwort, klipp und klar. Wo befindet sich jetzt Ihr Sohn?«

»Ja, das ist es ja eben, wer so viel Freude an seinen Kindern erlebt, wie Sie, Herr Kommerzienrat, der kann leicht Antwort geben. Aber unsereiner hat nur Sorge und Last, und ich habe doch bloß den einen. Ein hübscher Mensch, wirklich, er hätte es zu was bringen können.«

»Klose, Sie stellen meine Geduld auf eine harte Probe; wenn Sie nicht ein so alter, bewährter Diener wären, ich würde Sie wahrhaftig – na, ich will nichts sagen – also wo ist der Junge?«

»Sehen Sie, Herr Kommerzienrat, das hat man nun von seinen Kindern, Ungelegenheiten über Ungelegenheiten, sogar den Tadel seines geliebten Herrn, dem man seit einem Menschenalter mit Aufopferung, mit Treue und Redlichkeit gedient hat. Das ist das Schlimmste, was mir passieren mußte.«

Und jetzt schien den alten Fuchs wirklich die Rührung zu übermannen.

»Ich sage gar nichts mehr,« fuhr er fort, »es ist traurig, daß einem alten Manne, wie mir, so etwas passieren muß. Sie sollen mich auch gar nicht mehr sehen, Herr Kommerzienrat, ich will Sie von meinem Anblicke befreien. Schönen guten Morgen!«

Ehe sich Geldern und Lippe von ihrer Ueberraschung erholt hatten, war Klose draußen.

»Was sagen Sie nun zu dem Alten?« fragte Geldern und starrte den Polizisten mit offenem Munde an.

»Ein ganz geriebener Bursche, aus dem werden Sie nicht einen Ton herausbringen. Aber lassen Sie nur gut sein, ich habe jetzt gesehen, wie der Hase läuft, und wenn ich mir den Alten ernstlich vorknöpfe, dann wird er schon reden. Ich möchte nun noch eins von Ihnen erfahren, Herr Kommerzienrat, dann will ich Sie wieder ganz ihren Finanzaktionen überlassen. Schon als ich aus Wien zurückkehrte, stand in meinem Innern die Tatsache unleugbar fest, daß der junge Klose Ritas Entführer sei, aber es ist noch unaufgeklärt, auf welche Weise es ihm möglich wurde, in Ihr Haus eingeführt zu werden? Wollen Sie mir darüber Mitteilung machen?«

Der Kommerzienrat stand auf, öffnete ein kleines Eckschränkchen, das allerlei Papiere enthielt, die säuberlich in blaue Aktendeckel gesammelt waren. Er nahm einen davon heraus, blätterte wenige Augenblicke und zog dann ein Zeitungsblatt hervor, das er dem Kriminalisten mit dem Hinweis auf einen blauangestrichenen Lokalartikel reichte.

Lippe las: »Ein frecher Ueberfall wurde gestern auf Fräulein G., eine junge Dame aus der besten Berliner Gesellschaft auf der Wannseebahn zwischen Schlachtensee und Zehlendorf verübt. Die junge Dame, die infolge des bevorstehenden Frühlings dem Garten der väterlichen Villa in Wannsee einen Besuch gemacht hatte, fuhr allein in einem Kupee zweiter Klasse, als während der Fahrt zwischen den genannten Stationen ein verdächtiges Individuum den Wagenabteil bestieg. Der Kerl hatte offenbar das Einsteigen der Dame bemerkt und war auf dem Trittbrett des Zuges entlang gegangen, um ungesehen durch die Kupeetür Eingang zu finden. Er forderte unter Bedrohung mit einem Messer Geld, Uhr, Ringe und sonstigen Schmuck. Fräulein G. stieß einen furchtbaren Schrei aus und wollte nach der Notbremse greifen, woran sie aber von dem Strolch gehindert wurde. Glücklicherweise hatte ein Herr im Wagenabteil nebenan den Schrei gehört und war auf demselben Wege wie der Strolch in das Kupee eingedrungen; es gelang ihm leider nicht, das Individuum, das sofort nach der andern Seite entsprang, zu fassen. Zum Glück war Fräulein G. noch nichts geschehen, sie war mit dem Schrecken davongekommen. Leider hat sich der resolute Herr, durch dessen mannhaftes Einschreiten weiteres Unglück verhütet wurde, sogleich entfernt, und sowohl von ihm als von dem Strolch ist keine Spur aufzufinden. Vielleicht genügen diese Zeilen, um den Unbekannten zu veranlassen, sich zu erkennen zu geben. Der Vater der jungen Dame und diese selbst haben den lebhaften Wunsch, dem Retter ihren Dank abzustatten.«

»Dieses Fräulein G.,« begann der Kommerzienrat, »war Rita. Und trotzdem die Zeitungen den Namen nicht genannt, wußte man in der Gesellschaft sehr bald, daß es meine Tochter war, die das Mißgeschick gehabt hatte, und ihre Freundinnen neckten sie tüchtig mit dem unbekannten Ritter, den sie mit ihren strahlenden Augen nicht hatte fesseln können.

Bei einer Première im Lessingtheater, es wurde ein lang erwartetes, schon in der Provinz aufgeführtes Stück eines bekannten Berliner Dramatikers gegeben, war die ganze Finanzaristokratie zugegen. In der Pause promenierte man in dem eleganten Foyer und plauderte über alles mögliche, auch über das Stück. Plötzlich macht sich Rita von meinem Arm los und stürzt auf einen eleganten Herrn zu. Ich hörte nur noch ihr schnell hingeworfenes Wort: ›mein Retter‹ dann sehe ich, wie Rita dem fremden Mann die Hand reicht. Er verbeugt sich höflich mit einem zierlichen Lächeln und folgt der Angreiferin zu mir.«

»Papa, nun hab' ich endlich das Glück, dir meinen Retter vorzustellen,« sagte sie, »damit du ihm danken kannst; wie er heißt, weiß ich zwar nicht, aber das tut nichts zur Sache, er ist ein wackerer, ritterlicher Mann, ohne dessen energisches Eingreifen der Strolch mich vielleicht umgebracht hätte.«

»Mein Herr,« sagte ich, »ich spreche Ihnen den allerinnigsten Dank aus, Sie haben mir mein Kind gerettet, und ich habe nur einen Wunsch, lassen Sie sich recht bald bei mir sehen. Der Kommerzienrat Geldern kann jedem Menschen nützen, und Sie haben ein Anrecht auf mich.«

»Das gnädige Fräulein,« sagte er, »hat mich auf eine große Unart aufmerksam gemacht, erlauben Sie, daß ich mich entschuldige und mich sofort vorstelle, ich heiße Dr. Ahrend aus Wien. Ich verlies das Kupee so schnell, um womöglich den frechen Strolch noch zu ergreifen, was mir leider mißlang.«

»Aber warum haben Sie denn gar kein Lebenszeichen von sich gegeben, wir haben Sie doch mit allen Mitteln gesucht. Halten Sie es etwa für ritterlich, sich nach dem Turnier dem Dank der Dame zu entziehen.«

»Rita lächelte bei diesen Worten sehr freundlich, was mich wunderte, da sie sonst gegen fremde Herren meist zurückhaltend war.«

»Gewiß nicht,« antwortete er, »aber einmal bin ich kein Ritter und dann habe ich doch durchaus nichts getan, was irgendwie Anspruch aus Dank hätte.«

»Jedenfalls sollen Sie uns jetzt nicht mehr entwischen,« mischte ich mich ein, »haben Sie einen besonderen Grund, auf Ihren Sitz zurückzukehren, oder darf ich Sie einladen, in unserer Loge Platz zu nehmen.«

»Ich habe keinen Grund, nein zu sagen.«

»Soll das heißen, daß Sie nicht gerne mit uns kommen?«

»Bewahre, ich wollte damit nur die Tatsache feststellen, daß mich nichts an einen Platz fesselt, ich bin ganz frei und kann tun und lassen was ich will.«

»Na, was nun weiter geschah, das können Sie sich ja leicht denken. Ich lud den vermeintlichen Dr. Ahrend ein, nach dem Theater mit uns zu speisen. Absichtlich hatte ich jede Förmlichkeit vermieden, um Rita einen Gefallen zu tun, und ich konnte ihr wahrhaftig das Interesse für den jungen, hübschen Arzt nicht verargen. Er war ein reizender, liebenswürdiger Mensch von ungemein gefälligen Formen, und wie es schien, auch nicht ohne Vermögen. Und Sie wissen ja, wie so etwas geht. Der Doktor kam nicht nur zu unsern Festen, er fuhr auch mit uns spazieren, er ritt mit Rita in den Grunewald. Ja, sogar bis zu unserer Villa in Wannsee.«

»Wohnten Sie nicht den ganzen Sommer in Wannsee?«

»O nein, das wäre mir zu beschwerlich, weil ich doch täglich zur Börse muß. Wir fahren, wie es sich gerade tun läßt, auf zwei oder drei Tage hinaus, erfreuen uns in der schönen Waldluft und kehren dann gestärkt nach Berlin zurück.«

»Jetzt haben Sie wohl die Villa in Wannsee ganz geräumt?«

»Jawohl, es ist jetzt neblig draußen und kühl. Der Wald hat um diese Zeit nur Reiz für den Jäger; von der Jagd aber verstehe ich nichts.«

»Diese Villa in Wannsee,« murmelte Lippe vor sich hin, »das ist etwas, worüber wir noch keine Nachforschungen angestellt haben. Wohnt dort niemand?«

»Doch, im Souterrain der Gärtner mit seiner Frau.«

»Kinder haben die Leute nicht?«

»Aber was bezwecken Sie mit Ihren Fragen, lieber Kommissar, Sie glauben doch nicht, daß die beiden Gesuchten sich in der Villa verborgen halten?«

»Ein Kriminalist, verehrter Herr Kommerzienrat, glaubt nichts, er weiß nur, und sein Wissen beschränkt sich auf alles das, was er zuverlässig festgestellt hat. Ich messe der Villa in Wannsee gar keine besondere Bedeutung bei, aber ich halte es dennoch für wichtig, sie einmal nach Spuren Ihres Fräulein Tochter zu durchstöbern. Man findet oft in der Nähe Dinge, die man in weiter Ferne geglaubt hat.«

»Ihr Gedanke ist nicht schlecht, ich werde dem Gärtner telephonieren, daß Sie hinauskommen und daß er Ihnen in allen Stücken Freiheit lassen soll.«

»Um keinen Preis der Welt, Herr Kommerzienrat. Merken Sie sich ein für allemal: einen Polizisten darf man nie anmelden. Ich weiß durchaus nicht, in welcher Gestalt ich mich der Villa nähern werde. Der Gärtner darf keine Ahnung haben, daß der, mit dem er plaudert, ein Polizist ist.«

»Nun, wie Sie meinen, für alle Fälle will ich Ihnen eine Visitkarte geben, damit Sie überall durchkommen.«

»Ich danke Ihnen, und nun will ich mich einmal eingehender als früher mit dem Vater Klose beschäftigen.«

Die beiden Männer verabschiedeten sich. –

Als Lippe auf die Straße trat und wenige Schritte gegangen war, hielt ihn ein Mann an. Er zog höflich den Hut.

»Ach, Sie verzeihen, mein Herr, können Sie mir nicht sagen, wo die Schadowstraße ist?«

Lippe machte eine Bewegung, als ob er dem Frager Auskunft erteilte und ihn dann aufforderte, weiter mitzugehen. Der Fremde zog abermals den Hut und schloß sich dem rasch weiterschreitenden Polizisten an.

»Nun, was haben Sie bemerkt, Altringer?«

»Der Herr Kommissar hatten mir Befehl gegeben, das Bankhaus genau zu beobachten.«

»Ja.«

»An dem Tage, wo der Herr Kommissar nach Wien reisten …«

»Sie haben den Posten nicht verlassen, Altringer, als ich zur Börse ging?«

»Nein, um keinen Preis der Welt hätte ich das getan, Herr Kommissar.«

»Nun?«

»In jener Stunde muß sich etwas für uns sehr Wichtiges ereignet haben.«

»Wenn Sie scharf aufgemerkt, kann es Ihnen nicht entgangen sein.«

»Ich habe mich drüben in dem Grünkramkeller aufgehalten und keinen Blick von der Tür gewandt. Ich sah zuerst den Herrn Kommerzienrat das Haus verlassen, dann trat der Kassendiener und Hauswart Klose bei der Toreinfahrt auf die Straße und blieb stehen. Er hatte eine Zigarre im Mund und blickte die Vorübergehenden an, wie das ja die Portiers vornehmer Häuser öfters zu tun pflegen. Ich konnte nichts Besonderes an ihm bemerken, behielt ihn jedoch scharf im Auge. Eine Viertelstunde mochte inzwischen vergangen sein, als ein elegant gekleideter Herr vom Wilhelmsplatz herauf die Straße entlang kam. Der Herr blieb bei Klose stehen und schien ihn um Feuer zu bitten. Klose gab ihm aber nicht die brennende Zigarre, sondern zog ein Kästchen Streichhölzer aus der Tasche, von denen er eins anbrannte und dem fremden Herrn reichte. Das Streichholz erlosch, ob infolge eines Windzuges, der durch die Tür ging oder infolge einer Ungeschicklichkeit, konnte ich nicht bemerken. Darauf nötigte Klose den Herrn, in den Hausflur zu treten, wodurch beide meinen Augen entzogen waren.«

»Und Sie blieben in ihrem Grünkramladen ruhig sitzen?«

»I bewahre, wie können der Herr Kommissar so etwas denken? Wie der Blitz war ich an der Tür, konnte aber nur noch bemerken, daß der Fremde etwas in der Brusttasche verschwinden ließ. Was es gewesen, vermag ich nicht zu sagen. Vermutlich hatte er dem Kassendiener zum Dank für seine Bereitwilligkeit eine Zigarre geschenkt und das Etui wieder eingesteckt, beschwören aber will ich das nicht.«

»Nun haben Sie doch den fremden Herrn verfolgt?«

»Nein. Mein Auftrag ging nur dahin, das Haus zu beobachten.«

»Wann werden Sie einmal selbständig handeln lernen, Altringer? Wissen Sie, was Sie angerichtet haben? Sie hatten den Schlüssel der ganzen Affäre in der Hand und haben ihn weggeworfen. Werden Sie denn wenigstens den fremden Herrn wiedererkennen?«

»O gewiß, Herr Kriminalkommissar, ich habe ihn mit meinem Geheimapparate photographiert.«

»Na, das war wenigstens ein gescheiter Streich. Haben Sie das Bild schon entwickelt?«

»Gewiß, hier ist es.«

»Donnerwetter,« sagte Lippe und starrte auf die kleine Photographie. »Der Mann sollte mir bekannt sein. Aber wo habe ich ihn gesehen? Das muß ich sofort feststellen. Es ist gut, Altringer, gehen Sie nun wieder nach Schöneberg und beobachten Sie mir die Witwe Koch genau.«


 << zurück weiter >>