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XV.

Tief im Böhmerwald, im romantischen, bergumschlossenen Tale der Beraun, liegen die ausgedehnten Güter des Prinzen Johann von Toscana, deren Mittelpunkt das alte Schloß Horczowitz bildet. Es ist eine wilde, zerklüftete Berglandschaft, mit hohen, bewaldeten Kuppen, die mit kahlem Felsgeschiebe abwechseln. Neben sehr ergiebigem Bergbau, der in zahlreichen Werken auch Silber fördert, bestehen die Haupteinkünfte des wirklich fürstlichen Besitzes in den wunderbaren uralten Waldungen.

Ferdinand von Toscana, der Vater des jetzigen Besitzers, hatte in seinen dunklen und weiten Bergforsten ein wehrhaftes Geschlecht der amerikanischen Wapitihirsche angesiedelt und dadurch ein Jagdgebiet von eigenartigem Reiz geschaffen. Der ganze Besitz ist in drei Oberförstereien eingeteilt. Die Oberförsterei Horczowitz mit ihrem Sitz im Schloß, die Oberförsterei Beraun und die Oberförsterei Hochmoor, so genannt von einem Torfmoor, das in einer Höhe von sechshundert Metern gelegen ist. Auf Hochmoor hält sich der junge Fürst am liebsten auf, denn er kann von hier aus am leichtesten die schönsten Jagdgründe erreichen, und der Oberförster ist sein alter Freund. Auch in diesem Herbst hatte Johann kurze Zeit in Horczowitz zugebracht, war aber dann abgereist, ohne seinem Obergüterverwalter irgendwelche Nachricht zu geben. Ungefähr um die Zeit, wo Rita Geldern aus Berlin verschwand, war ein Brief des Prinzen Johann beim Oberförster von Hochmoor eingetroffen, der ungefähr folgenden Inhalt hatte:

 

»Mein lieber alter Freund!

In wenigen Tagen werden ein Herr und eine Dame auf Hochmoor eintreffen. Sie stellen Ihnen das kleine Jagdhaus auf Geiersberg zur Verfügung und besorgen Dienerschaft von Horczowitz. Es genügt ein Kammerdiener und eine Zofe zur persönlichen Bedienung. Der Lebensunterhalt soll von Hochmoor aus besorgt werden, ich wünsche aber nicht, daß sich irgendwelche weitere Dienerschaft im Jagdhause aufhält. Ueberhaupt bitte ich Sie, dafür Sorge zu tragen, daß die Herrschaften so wenig als möglich gestört werden. Knüpfen Sie auch an die auffallende Aehnlichkeit des Herrn mit mir keinerlei Kombinationen, und sagen Sie der Dienerschaft, daß der Herr einfach Herr Doktor genannt wird.

Ihr freundschaftlich verbundener

Toscana.«

 

Der alte Oberförster hatte den Kopf über die seltsamen Vorschriften seines jungen Herrn geschüttelt, aber er war gewohnt zu gehorchen, ohne lange zu grübeln. Wenn aber sein Herr verlangt hatte, daß an die Aehnlichkeit des Doktors mit dem Prinzen keine Vermutungen geknüpft werden sollten, so ging das über das Maß von Gehorsam hinaus, das dem alten Mann zur Verfügung stand. Die Aehnlichkeit war verblüffend, und der alte Waidmann mußte an sich halten, um seinen neuen Gast nicht mit dem Titel der Toscana anzureden. Er machte sich auch über die ganze Affäre seine eigenen Gedanken, zumal er wenige Tage später der jungen Dame ansichtig wurde und von ihrer wunderbaren Schönheit, wie geblendet, stehen blieb. Erst als sie schon vorüber war, besann er sich und zog den Hut. »Donnerwetter,« sagte er sich, »da hat sich aber mein Herr was Appartes ausgesucht.« Der alte Oberförster wollte sich nicht einreden lassen, der Doktor sei ein Fremdling auf Hochmoor, er glaubte ihn recht gut zu kennen, und nicht er allein, sondern auch die gesamte Dienerschaft munkelte untereinander, Seine Hoheit hätten sich zu einem kleinen Liebesabenteuer auf Hochmoor eingefunden, Seine Hoheit wollten bloß inkognito bleiben, um keine gesellschaftlichen Verpflichtungen gegen die Nachbarschaft zu haben.

Abgeschlossen von aller Welt lag in der Tat das Jagdhaus am Geiersberg, denn nach der einen Seite hin dehnte sich das Moor, dessen schmale Pfade nur den eingeweihten Forstbeamten des Prinzen bekannt waren. An der andern Seite stieg der Bergforst schroff hinan, und zu allem Ueberfluß versperrte ein breiter Wasserlauf der vom Moor kam, nach der dritten Seite hin den Zugang, so daß das Jagdhaus nur von der vierten Seite über felsiges Geröll und Geklipp zugänglich war. Für einen, der die Gegend nicht kannte, war es ausgeschlossen, die Eingangspforte, die durch den natürlichen Fels gehauen war, zu finden.

Nichtsdestoweniger hatte sich ein junger norddeutscher Geologe, Dr. Müller, dem einsamen Hause auffallend genähert. Er war seit einigen Tagen in Horczowitz eingetroffen, und zwar, wie er angab, in der Absicht, das Berauntal nach goldführenden Bächen zu untersuchen.

Eine alte Sage erzählte, daß hier vor vielen, vielen Jahren Männer aus dem Süden gekommen seien, die sich den schwarzen Moorschlamm aus einigen Bächen geschöpft und mit nach Hause genommen hätten. Drei Jahre nacheinander waren sie wieder gekommen, dann hatten sie zu den Bauern gesagt: »Nun kommen wir nicht mehr, denn wir haben Goldes genug.«

Dr. Müller vertrat die Ansicht, daß an allen diesen Sagen etwas Wahres sei, und er zählte unten im Dorfwirtshaus, daß er an verschiedenen Stellen Deutschlands, wo ähnliche Sagen erzählt werden, minimale Goldfunde gemacht habe.

Die Horczowitzer Bauern hörten ihm mit offenem Munde zu und meinten, daß er wohl nicht so unrecht habe.

»Aber ohne die Erlaubnis des Herrn von Horczowitz kann ich nichts tun, Seine Hoheit ist doch wohl anwesend?«

Ein eigentümliches Lächeln spielte über die Bauerngesichter, und ein alter, verschmitzter Graukopf antwortete:

»Seine Hoheit sind wohl da, aber sie sind auch nicht da.«

»Was soll denn das heißen?« fragte Dr. Müller sichtlich erstaunt.

»Nun ja,« antwortete der andere, »man sagt so allerlei, und man darf doch eigentlich nichts sagen.«

»Wenn Sie wollen, daß ich Sie verstehe, sprechen Sie sich deutlich aus, zum Rätselraten bin ich nicht hergekommen.«

»Ich habe nichts gesagt und will auch nichts gesagt haben. Gehen Sie nach dem Herrenhaus und fragen Sie nach Seiner Hoheit, vielleicht haben Sie Glück, aber ich glaube nicht, daß Sie vorgelassen werden; jedoch wird Ihnen der Obergüterverwalter die Erlaubnis erteilen, in den Bergwässern nach Gold zu fischen, aber Sie müssen sich beeilen, sonst könnten Sie sich sehr erkälten. Ich wundre mich überhaupt, daß Sie sich nicht eine gelindere Jahreszeit ausgesucht haben.«

»Das verstehen Sie wieder nicht, guter Mann. Wenn unten im Tal die Gewässer zufrieren, so laufen auch die Bäche in den Bergen spärlich, ja sie versiegen oft ganz, und ich kann bequem auf der gefrorenen Bachsole meine Nachforschungen anstellen.«

Diese Erklärung leuchtete den Bauern ein, und sie boten sich nacheinander an, dem Herrn behilflich zu sein, und er versprach auch, den einen oder den andern auf seinen Streifzügen mitzunehmen.

Am andern Tage ging Dr. Müller zu dem Obergüterverwalter von Horczowitz und bat ihn um die Erlaubnis, seinen geologischen Studien nachgehen zu dürfen.

»Jetzt im Winter?« fragte der Beamte ziemlich erstaunt.

»Gewiß, jetzt im Winter.«

»Gott, wenn es Ihnen Vergnügen macht, ich will Ihnen nicht im Wege stehen. Aber wenn sich Ihre phantastischen Hoffnungen erfüllen und Sie wirklich Goldspuren entdecken sollen, müßten wir doch Seiner Hoheit, dem Prinzen, Nachricht geben.«

»Ich möchte überhaupt nichts ohne Erlaubnis Seiner Hoheit tun, und vielleicht können Sie mir sagen, wo ich den Prinzen persönlich sprechen kann.«

»Ja, darüber bin ich zurzeit selbst nicht informiert. Wir haben wohl eine Ahnung, wo sich der gnädige Herr befindet, aber wir sind nicht in der Lage, irgend etwas Näheres darüber mitteilen zu können. Der Prinz wünscht, bevor er seine Kommandantur in Triest antritt, sich in aller Stille von den Strapazen der letzten Seereise zu erholen.«

»So so, da ist der gnädige Herr wohl nach Italien gereist?«

»Wie gesagt, wir wissen nichts Bestimmtes, und was wir uns aus Andeutungen zusammenreimen können, das kann Ihnen einerseits nichts nützen, und anderseits will der Prinz auch nicht, daß darüber gesprochen werde. Uebrigens genügt es vollständig, wenn ich Ihnen die Erlaubnis erteile. Sie können die Oberförstereien Horczowitz und Beraun aufs genaueste absuchen, nur das Gebiet der Oberförsterei Hochmoor müßte ich Ihnen zu betreten untersagen.«

»Warum das?«

»Einmal sind die Moorgegenden für Unbekannte entschieden lebensgefährlich, und zum andern ist Hochmoor unser reichster Wildbezirk, gewissermaßen ein Wildpark, dessen Zugang Seine Hoheit keinem Fremden gestattet.«

»Meine Arbeiten verlangen auch nur die Gewässer des Berauntales, sollte ein Quertal bis in das Hochmoorgebiet hinreichen, so werde ich noch einmal besonders bei Ihnen um Erlaubnis fragen.«

»Sparen Sie sich den Weg, ich müßte zu meinem Bedauern mit Nein antworten. Es ist der strikte Befehl des Prinzen, der jedem Fremden das Betreten des Hochmoorgebietes untersagt.«

»Nun, dann muß es eben dabei bleiben. Jedenfalls danke ich Ihnen, daß Sie mir so weit entgegengekommen sind, und ich werde mir erlauben, Sie baldigst von dem Resultat meiner Forschung in Kenntnis zu setzen.«

Dr. Müller machte sich, ungeachtet des ziemlich erheblichen Frostes, in den nächsten Tagen eifrig an sein Werk. In Begleitung eines Führers durchstreifte er das ganze Berauntal und erreichte, indem er dem Wasserlauf der Bäche entgegen stieg, die Grenze des Hochmoorgebietes. Er sah die weiten braunen Flächen, auf denen jetzt die einzelnen Tümpel zu Eis erstarrt waren, und sein Führer erklärte ihm, daß man bei weiteren drei Tagen Frost das gesamte Hochmoor durchwandern könne.

»Ja, der Prinz wünscht doch nicht, daß jemand die Gegend hier betritt?«

»Das hat Ihnen wohl der Obergüterverwalter gesagt,« antwortete verschmitzt lächelnd der Führer.

»Gewiß!«

»Nun, der Prinz ist sonst nicht so gewesen. Er ist ein leutseliger und freundlicher Herr, der seine Wälder von jedermann durchstreifen ließ, er hat sogar Holz- und Beerensuchen freigegeben. Freilich jetzt ist es im Hochmoor nicht ganz geheuer, im Jagdhaus Geiersberg geht's um.«

»Was Sie nicht sagen, Gespenster?«

»Ja, Gespenster, aber von Fleisch und Bein. Ein Liebespärchen hat sich dort eingenistet; niemand weiß, wer es ist. Dienerschaft stellt Horczowitz und die Küche besorgt Hochmoor. Man munkelt, der gnädige Herr habe befohlen, das Pärchen mit höchster Achtung zu behandeln. Gesehen hat sie noch niemand außer dem Oberförster, und der schweigt wie das Grab. Aber der Herr soll unserm gnädigen Herrn wie ein Tropfen Wasser dem andern gleichen.«

»Das ist ja eine hochinteressante Neuigkeit. Mensch, können Sie mir nicht den Weg zum Jagdhause zeigen?«

»Heute noch nicht und morgen auch noch nicht. Das Jagdhaus hat nur einen Zugang und den kann niemand ungesehen betreten; aber wenn wir noch drei Tage Frost behalten, können wir, wie gesagt, übers Moor bis an die Gebäulichkeiten herankommen. Ein paar Tage müssen Sie sich also schon gedulden.«

Und nun näherte sich der Bauer seinem Begleiter und flüsterte mit listigem Augenblinzeln: »Seine Hoheit hat sich wohl von Indien oder China einen Schatz mitgebracht, mit dem er sich im Jagdhause eingeschlossen.«

»Ach, was Sie sagen! Ich dachte, der Prinz hätte kein besonderes Interesse fürs weibliche Geschlecht?«

»So was kommt über Nacht, und ein paar blanke Augen ändern viel an einem Mann.«

Dr. Müller zog seine Uhr heraus: »Ei der tausend, schon Mittag, da wollen wir doch machen, daß wir nach Hause kommen. Mir fehlen einige Gerätschaften, und ich will heute noch nach Beraun fahren, um mir das Nötige zusammenzukaufen, aber ich werde heute abend zurück sein, und dann besprechen wir unsere Tour nach dem Jagdhause.«

Dr. Müller marschierte mit seinem Führer lustig bergab, und da man ihm im Dorfe keinen Wagen stellen konnte, setzte er sich auf des Schusters Rappen und marschierte in den frischen Wintertag, die schon hart gefrorene Straße nach Beraun. In knappen zwei Stunden erreichte er das altertümliche Städtchen und ging nach der Post, um eine chiffrierte Depesche an den Kommerzienrat Geldern in Berlin abzugeben. Dann ging er in ein Restaurant, trank behaglich sein Pilsner Bier und ließ sich vom Wirt einen Einspänner besorgen, der ihn nach Horczowitz zurückbrachte.

In der kleinen, rauchigen Bauernkneipe empfing ihn sein Führer mit einem freundlichen »guten Abend«. Dann fuhr er fort, indem er mit der Hand durch das Fenster zeigte, wo man im hellen Mondlicht alle Gegenstände bis ins kleinste sehen konnte.

»Der Mond scheint so hell, lieber Herr, es wird auf die Nacht sehr kalt werden.«

»Das ist ja gut,« antwortete Dr. Müller, »umso eher können wir unsern Besuch im Jagdhaus abstatten. Ich brenne darauf, die schöne Indianerin des Prinzen zu sehen, wenn sie nur nicht eine Berlinerin ist.«

Beide lachten.

»Na, haben Sie schon Gold gefunden?« fragte jetzt der Wirt, indem er den schäumenden Becher vor seinen fremden Gast hinstellte.

»Jawohl,« antwortete dieser und hob den Becher gegen das Licht, »es lebe das böhmische Gold wie ich's hier im Glase habe.«

»Na, um das zu finden brauchen Sie nicht in den vereisten Bächen herumzugraben. Solches Gold haben wir im Keller liegen.«

»Ja, ja,« antwortete Dr. Müller, »es ist ein reiches Land, wo so viel Gold durch die Kehle geführt wird.«


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