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XII.

Polizeirat von Steltmann war mit Lippes letzten Aktionen durchaus nicht zufrieden. Es dauerte ihm alles zu lange, und er fürchtete, daß Rita Geldern inzwischen wirklich ein Ungemach zugestoßen sei. Fast war er daran, die Sache selber in die Hand zu nehmen, noch aber wollte er dem jungen Kriminalisten Zeit lassen, über die von dem Wiener Detektiv angeregten Punkte sich Gewißheit zu verschaffen. Aber seit Lippes Rückkehr waren nun schon wieder zwei Tage verflossen, ohne daß er irgend etwas Neues gefunden hatte. Der Polizeirat schickte daher nach seinem Untergebenen, um sich über den Stand der Dinge genau zu informieren.

»Hören Sie, Lippe,« begann er die Besprechung, »Sie haben bis jetzt recht wenig Scharfsinn bewiesen.«

»Ich bedaure,« antwortete der also Gemaßregelte, »daß der Herr Polizeirat nicht anerkennen, wie unendlich weit die Affäre gefördert ist. Ich habe freilich nicht nach dem Berliner Schema gearbeitet und mir auch nicht zu jeder Kleinigkeit die Erlaubnis meiner Vorgesetzten erbeten. Das mag wohl die Mißstimmung in dem Herrn Polizeirat erzeugt haben?«

»Durchaus nicht, ich bitte Sie, lieber Freund; seien Sie nicht gleich beleidigt und fallen Sie nicht in den hochamtlichen Ton. Was ich Ihnen gesagt habe, sollte kein Tadel sein, sondern nur ein Sporn. Ich bin der letzte, der Ihre Verdienste verkennt. Aber es scheint mir, Sie sind ein bißchen zu zaghaft und gehen mir nicht recht energisch ins Zeug.«

»Mit der Energie, Herr Polizeirat, ist meiner Ansicht nach in dieser Sache gar nichts getan. Wir müssen die Beteiligten mit einem unzerreißbaren Netz von Tatsachen umstricken, sonst ist unsere ganze Arbeit umsonst. Unser Wiener Kollege Jauner hatte ganz recht, als er mir sagte, daß das wirkliche Motiv für das Fortbleiben der Kommerzienratstochter und ihres Bräutigams oder ihres Gatten noch nicht gefunden sei. Wir kennen ja noch nicht einmal die Helfershelfer der Flüchtlinge, wir ahnen nur, daß Klose und seine Geschwister die Fäden in den Händen halten. Auch ein junger Herr, dessen Photographie ich besitze, erscheint hinreichend verdächtig, im Komplott zu sein.«.

»Energie, Energie, mein Freund.«

»Wenn der Herr Polizeirat befehlen, gehe ich auch energisch vor und lasse Klose einfach verhaften und ein Zeugniszwangsverfahren gegen ihn eröffnen. Was ist aber damit gewonnen? Herr Kommerzienrat Geldern und seine schöne Tochter sind bis auf die Knochen blamiert. Die Angelegenheit spielt sich in voller Oeffentlichkeit ab und die Polizei hat das ihr mit so viel Hoffnungen entgegengebrachte Vertrauen des Bankiers schmählich getäuscht.«

»Da haben Sie eigentlich recht, daran dachte ich nicht, nein, daran dachte ich nicht. Wir wollen unter keinen Umständen dem Kommerzienrat Unannehmlichkeiten bereiten. Er rechnet auf die Verschwiegenheit der Polizei und er soll sich nicht verrechnen.«

Es trat eine kleine Pause ein. Die beiden Beamten saßen einander gegenüber und keiner mochte die Gedanken des andern stören. Endlich begann Herr von Steltmann:

»Sie sprachen vorhin von einem fremden Herrn, dessen Photographie Sie besäßen?«

»Ja, und es ist mir so dunkel, als ob mir das Original zu dieser Photographie schon irgendwo begegnet wäre.«

»Haben Sie das Bild bei sich?«

»Gewiß, hier ist es.«

Der Polizeirat betrachtete die Photographie aufmerksam.

»Das ist ja ein Kommis des Geldernschen Hauses.«

Und jetzt schoß ihm die Erinnerung durch den Kopf, daß er diesem Kommis an jenem Oktoberabend, wo er zuerst die Mitteilung von dem Verschwinden Ritas erhalten, auf dem Alexanderplatz begegnet war, und zwar hatte der bewußte Herr damals ein junge, hübsche Dame am Arm.

Herr von Steltmann wollte Lippe gerade davon Mitteilung machen, als an die Tür des Bureaus geklopft wurde.

»Herein …!« Der Schutzmann aus dem Vorzimmer trat ein und meldete: »Altringer läßt Herrn Kriminalkommissar Lippe gehorsamst bitten, ans Telephon zu kommen.«

»Es soll hierher umgeschaltet werden,« befahl der Polizeirat, und der Schutzmann verließ mit einem militärischen: »Zu Befehl, Herr Polizeirat,« das Bureau.

Gleich darauf klingelte der Apparat und die Beamten nahmen die Schallbecher ans Ohr. Lippe fragte:

»Sind Sie dort, Altringer?«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

»Nun, was haben Sie?«

»Ich habe den fremden Herrn, der sich von Klose am Tage Ihrer Abreise Feuer geben ließ.«

»Nun, und?«

»Er wohnt bei der Witwe Koch.«

»Es ist gut, bleiben Sie auf Ihrem Posten, bis ich Ihnen einen neuen Befehl zugehen lasse.«

»Sehen Sie, lieber Lippe, daß meine Erinnerung richtig war. Bei der Witwe Koch wohnte doch ein Angestellter Gelderns.«

»Jawohl, Woldemar Richter, der mit einer jungen Dame aus Treptow verlobt ist. Und diese junge Dame ist bekanntlich eine Jugend- und Busenfreundin Ritas. Die Maschen schließen sich. Herr Polizeirat, es scheint mir jetzt ziemlich sicher, daß dieser Woldemar Richter der dritte Mann, vielleicht gar der Fensterreiniger ist.«

»Sie mögen recht haben.«

»Gestatten Sie, daß ich mich jetzt verabschiede. Jetzt drängt die Arbeit.«

»Gehen Sie, mein junger Freund, und viel Glück.«


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