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Polizeirat von Steltmann war entzückt über den Erfolg der Einbruchskampagne, er machte seinem Untergebenen die größten Komplimente.
»Wo haben Sie das nur alles gelernt? Hier im Polizeipräsidium gewiß nicht?«
»Nein, Herr Polizeirat, ich bin Autodidakt. Es ist gewissermaßen ein wissenschaftlicher und künstlerischer Kriminalismus, zu dem man veranlagt sein muß.«
»Ach, gehen Sie, von Wissenschaft oder Kunst ist beim Diebsfänger nicht die Rede, wir haben es ganz einzig und allein mit einer gewissen Geschicklichkeit zu tun.«
»Der Ansicht bin ich durchaus nicht. Zur Kriminalistik gehören nicht nur mehrere Wissenschaften, es gehört auch eine Kunst, oder wenn Sie wollen, zwei Künste dazu. Die Schauspielkunst und die Dichtkunst.«
»Nun kommt wieder der Kriminalphantast. Sie meinen, es sei heute noch nötig, in allerlei Verkleidungen den Spitzbuben nachzuspüren?«
»Warum nicht? Nehmen wir den konkreten Fall, den Fall Harsley, ich durfte doch unter keinen Umständen der Witwe Koch verraten, wer ich sei, sonst wäre sie derart erschrocken, daß ich nicht ein klares Wort aus ihr herausbekommen hätte. So kam ich als schlichter Chambregarnist und siehe da, ich fing einen der schlimmsten Gauner.«
»Dabei sehe ich immer noch keine Wissenschaft und keine Kunst.«
»Keine Wissenschaft?! Nun, vor allen Dingen Verbrecher-Ethnographie. Der Einbruch trug kein deutsches Gepräge, es war ein fremder Stil, in der ganzen Ausführung etwas Englisch-amerikanisches. Ich ging also zu dem Kollegen Grün, um mich zu informieren, welche ausländischen Jungen bei uns Gastrollen zu geben in der Lage waren. Natürlich fiel ich auf Frank Harsley, zumal auf ihn alle meine Entdeckungen paßten. Ich hatte ja schon, wie der Herr Polizeirat wissen, an Ort und Stelle das Signalement fertig.«
»Wollen Sie mir sagen, auf welche Weise Sie dazu gelangten?«
»Gerne. Ich stellte zunächst aus den Fußspuren, die mit der Lupe auf dem feinen Staub der Fußbodenfliesen leicht zu entdecken waren, fest, daß nur ein Fremder das Geldgewölbe betreten. Die Größe seines Fußes, die Weite seines Schrittes ließen einen ziemlich sicheren Schluß auf seine Körpergröße zu. Die Probe auf meine Berechnung gab der erste Ansatz der Knallgasstichflamme am Geldspind. Der Mensch pflegt so etwas gewöhnlich in der Höhe seiner Augen zu beginnen. Versuchen Sie einmal, Ihren Namen an die Wand zu schreiben und Sie werden sofort die Wahrheit meiner Behauptung herausfinden.«
»Ja, ja, Sie haben Recht, aber das ist eine alte Sache und schon so oft angewandt worden, daß die Spitzbuben jetzt absichtlich gegen diese Regel verstoßen.«
»Zugegeben, aber bei der Schrittweite ist eine Täuschung selten möglich. Weil der Gauner, sobald er den Raum, in dem er das Verbrechen begehen will, betreten hat, fast immer einen Augenblick stehen bleibt. Er lauscht dann scharf nach allen Seiten und ist so in Anspruch genommen von seinem Vorhaben, daß er kaum an das Maß seiner Schritte denkt. Und wenn, er wird sie eher verlängern als verkürzen, denn es ist ein Naturgesetz, daß ein Mensch, der hastig auf ein bestimmtes Ziel zuschreitet, seinen Schritt größer nimmt.«
»Sehr gut beobachtet.«
»Nun, Herr Polizeirat, wenn beide Maße übereinstimmen, ich meine Schrittweite und Augenhöhe, so darf man zuverlässig die gefundene Größe als richtig annehmen.«
»Aber woher kamen Ihnen die anderen Details?«
»Einige fand ich am Geldspind abgezeichnet, einige kombinierte ich mir. Der Spitzbube hatte, nachdem er mit dem Gas die Geldschrankwand durchbrochen, sich fest mit seiner linken Seite angestemmt. Da durch das Feuer der Lack erweicht war, so erhielt ich einen Abdruck des Backenknochens und des Vollbartes, Reste von Bartwichse aus den Schnurrbartenden ließen auf einen blonden Mann schließen. Ein Abdruck des Gewebes seines Rockes konnte nur schwarzes Kammgarn sein, da dies eine eigentümliche Behandlung der Fäden voraussetzt. Die Rockform hatte ich mir gedacht, da Gauner sich gewöhnlich nach der neuesten Mode tragen. Aus allen diesen zuverlässigen Indizien war das Signalement leicht zusammengestellt. Blonde, hagere Leute sind meist blauäugig und blaß, das war leicht anzunehmen.«
»Ja, ja, lieber Kollege, ich muß gestehen, Ihre Methode hat etwas für sich. Aber sagen Sie mir, in welcher Beziehung steht Frank Harsley zu dem Prinzen?«
»Offen gestanden, weist ich das noch gar nicht, aber ich hoffe, es bald zu erfahren. Denken Sie sich, daß die verrücktesten Kombinationen manchmal einschlagen. Mein erster Gedanke, daß der fortgejagte Sohn des Kassendieners Klose zu dem Bankdiebstahl in irgend einer Beziehung stände, trieb mich auf die Spur der Tante Koch, der biederen Kutscherswitwe. Als ich den Namen des Verschollenen nannte, geriet die Frau in eine gewisse Bewegung. Ich tat freilich, als ob ich nichts merkte, um so sicherer bin ich, daß sie mir bei der nächsten Gelegenheit die Wahrheit gesteht.«
»Und was meinen Sie, wird sie gestehen?«
»Daß der junge Herr Klose und der falsche Toscana ein und dieselbe Person sind.«
»Hören Sie, Lippe, das ist eine verdammt gewagte Kombination.«
»Durchaus nicht!«
»Aber bedenken Sie doch, Geldern würde ohne weiteres den Sohn seines langjährigen Kassendieners und Hausmeisters wiedererkannt haben.«
»Warum denn? Geldern gesteht ja zu, daß er sich des jungen Menschen nur dunkel erinnert. Rita ist heute 24 Jahre alt, da Johann Klose fortgejagt wurde war sie 15. Das sind 9 Jahre. In einer solchen Zeit kann sich ein Mensch sehr verändern.«
»Und der eigene Vater soll seinen Sohn nicht erkennen? Nein, mein lieber Lippe, da ist Ihnen Ihre Phantasie durchgegangen. Die Sache mit Harsley haben Sie sehr schön gemacht, aber bei dem Prinzen haben Sie noch nicht den Pfad gefunden, der zum Licht führt. Dagegen will ich Ihnen eine Mitteilung machen, die den Fall noch viel verwickelter erscheinen läßt. Alle meine Bemühungen, den Prinzen von Toscana aufzufinden, sind bis jetzt vergeblich gewesen. Er hat an den großen Manövern in Ungarn nicht teilgenommen und ist, nachdem er sich persönlich Urlaub erbeten, nach seinen Gütern in Böhmen abgereist. Dort blieb er nur ein paar Tage, begab sich dann incognito als Graf Horczoritz nach Berlin – so sagt sein Obergüterverwalter, – hier ist er aber nicht eingetroffen. Dagegen ist Dr. Ahrend nach den Mitteilungen Gelderns in jener Zeit von seiner Wiener Reise zurückgekehrt. Was sagen Sie nun?«
»Das sieht allerdings aus, als ob wir es mit einem echten Prinzen zu tun hätten. Und doch sage ich, es steckt eine Hochstapelei dahinter, denn ein Prinz von Toscana braucht die Hochzeit mit der Tochter unseres größten Bankiers nicht so ängstlich geheim zu halten. Er wird ganz öffentlich handeln.«
»Der Widerspruch der Familie! Es gäbe doch ernste Auseinandersetzungen, vielleicht ist er kein Freund von derartigen Kontroversen, er geht der Sache lieber aus dem Weg und tritt seiner Familie erst mit der unabänderlichen Tatsache entgegen.«
»Vielleicht?! Aber warum verschwindet er bei Nacht und Nebel mit seiner Braut, ohne den Brautvater mit nach England zu nehmen, warum gibt er jetzt seit zwölf Tagen keine Nachricht? Das tut kein echter Toscana. Nein, verehrter Herr Rat, ich bleibe dabei, es steckt eine Hochstapelei dahinter.«
»Möglich!«
»Sicher! Ich will mich einmal mit Frank Harsley unterhalten und die Tante Koch verhören. Ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, daß der englische Einbrecher, Johann Klose und der Prinz von Toscana in irgend einem Zusammenhang stehen.«
»So glaubte ich anfänglich auch, wenigstens in bezug auf Harsley und den Prinzen, jetzt aber – ich gestehe offen – habe ich meine Zweifel. Die Echtheit des Prinzen erscheint mir nicht mehr so unwahrscheinlich als gestern, da Geldern mir den Fall vortrug.«
»Und ich bleibe bei meiner Ansicht. Hoffentlich habe ich, ehe drei Tage vergehen, den falschen Prinzen und seine Geliebte, die dann jedenfalls schon seine Frau geworden sein wird, legitim oder illegitim.«
»Warum Rita Geldern keine Nachricht gibt?« grübelte der Polizeirat weiter.
»Weil sie nicht kann oder nicht will. Sie schilderten mir die junge Dame als sehr extravagant.«
Lippe besann sich eine kleine Weile, dann fuhr er plötzlich auf und sagte mit fast prophetischem Tone:
»Rita Geldern ist mit im Komplott.«
»Ich sehe die Vorteile nicht, die ihr daraus erwachsen sollten, und schließlich ist doch ein Bankdiebstahl keine Extravaganz mehr, das ist doch ein Verbrechen. Nein, lieber Kollege, Sie sind noch lange nicht auf dem rechten Wege. Meiner Ansicht nach verlieren Sie viel Zeit dadurch, daß Sie zwei Ereignisse, die zufällig zeitlich zusammenfallen, in ursächliche Verbindung bringen wollen.«
»Ich glaube nicht an solche Zufälligkeiten, und ich bin überzeugt, daß es mir gelingt, innerhalb weniger Tage die Verbindung zwischen Frank Harsley und dem falschen Prinzen festzustellen.«
»Wenn wir es mit keinem echten Prinzen zu tun haben.«
»Der echte hätte schon Nachricht von seinem Aufenthalt gegeben.«
»Na, wir werden ja sehen.«