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Bei jungen Leuten ihres Alters ist es freilich etwas Anderes; ihnen gegenüber muß sie einen andern Ton anschlagen, um ihnen Achtung abzugewinnen, und sie weiß ihn zu treffen, ohne das bescheidene Wesen aufzugeben, welches ihr im Verkehre mit denselben ziemt. Benehmen auch sie sich bescheiden und zurückhaltend, so wird sie ihnen gegenüber gern die liebenswürdige Vertraulichkeit der Jugend bewahren. Ihre unschuldsvollen Unterhaltungen werden sich bei allem Muthwillen stets in den Schranken des Anstands halten. Wenn sie einen ernsten Charakter annehmen, so verlangt sie, daß sie auch nützlich seien. Arten sie jedoch in fades Geschwätz aus, so wird sie dieselben bald abbrechen; denn sie verachtet namentlich die seichten Redensarten der Galanterie, die sie als tiefe Beleidigungen ihres Geschlechts betrachtet. Sie ist sich dessen sehr wohl bewußt, daß sich der Mann, den sie sucht, solcher Redensarten nicht bedient, und nie wird sie leicht von einem Anderen dulden, was mit dem Charakter desjenigen, dessen Bild sich ihrem Herzen tief eingeprägt hat, nicht in Einklang steht. Die hohe Meinung, die sie von den Rechten ihres Geschlechts hat, die Seelenhoheit, welche ihr die Reinheit ihrer Gesinnungen verleiht, die Thatkraft der Tugend, welche sich in ihr regt und sie mit der Gewißheit erfüllt, daß sie Achtung verdient, bewirken, daß sie nur mit Unwillen die süßlichen Reden anhört, mit denen man sie zu unterhalten bemüht ist. Sie nimmt sie nicht etwa mit anscheinendem Zorne auf, sondern mit jenem ironischen Beifall, der die Redner verwirrt, oder mit einem kalten Tone, auf den man am allerwenigsten gefaßt ist. Sollte ein schöner Phöbus seine Artigkeiten an ihr verschwenden, sollte er geistreicher Weise ihren Geist, ihre Schönheit, ihre Anmuth, das unschätzbare Glück, ihr zu gefallen, herausstreichen, so ist sie ganz das Mädchen dazu, ihn zu unterbrechen und höflich zu ihm zu sagen: »Mein Herr, das sind Dinge, die mir besser bekannt sind als Ihnen. Wenn wir einander nichts Merkwürdigeres mitzutheilen haben, so glaube ich, daß wir hiermit unsere Unterhaltung schließen können.« Diese Worte mit einer tiefen Verneigung begleiten und sich sofort zwanzig Schritte entfernt befinden, ist für sie nur das Werk eines Augenblicks. Fraget nur eure galanten Herren, ob es eine so leichte Sache ist, längere Zeit mit seinem Geschwätze vor einem solchen Widerspruchsgeiste zu prunken.

Das heißt aber noch gar nicht, daß sie sich etwa aus fremdem Lobe nichts mache, wenn dasselbe nur aufrichtig gemeint ist, und sie annehmen kann, daß man wirklich so gut von ihr denkt, als man ihr sagt. Wer es durchblicken lassen will, daß ihre Vorzüge Eindruck auf ihn gemacht haben, muß erst selbst Vorzüge aufweisen können. Eine auf Achtung gegründete Huldigung vermag ihrem stolzen Herzen zu schmeicheln, aber jede nur artige Spöttelei wirkt abstoßend auf sie. Sophie ist nicht dazu geschaffen, sich zum Uebungsstoff für die kleinen Talente eines Tropfes herzugeben.

Bei einer so großen Reife des Urtheils und bei einer Entwickelung, wie man sie in jeder Hinsicht nur bei einem zwanzigjährigen Mädchen erwarten kann, wird sie schon in einem Alter von fünfzehn Jahren von ihren Eltern nicht mehr als Kind behandelt werden. Kaum bemerken sie aus den ersten Zeichen, daß sich bei ihr jene Unruhe der Jugend eingestellt hat, so werden sie sich beeilen, dieselbe, ehe sie noch weiter um sich zu greifen im Stande ist, aufzuheben. Sie werden liebevolle und verständige Gespräche mit ihr anknüpfen. Solche liebevolle und verständige Gespräche sind gerade für ihr Alter und ihren Charakter recht geeignet. Ist ihr Charakter so, wie ich ihn mir eben vorstelle, weshalb sollte dann nicht ihr Vater ungefähr folgendermaßen zu ihr sagen dürfen:

»Sophie, du bist jetzt ein erwachsenes Mädchen; man wird es aber nicht, um immer ein Mädchen zu bleiben. Wir wünschen, daß du glücklich wirst, wünschen es um unsertwillen, da unser Glück auf dem deinigen beruht. Das Glück eines rechtschaffenen Mädchens besteht darin, das Glück eines rechtschaffenen Mannes zu begründen. Wir müssen deshalb daran denken, dich zu vermählen; wir müssen frühzeitig daran denken, denn von der Ehe hängt das Lebensschicksal ab, und man hat nie zu viel Zeit, daran zu denken.«

»Nichts ist schwieriger als die Wahl eines guten Gatten, wenn es nicht etwa die einer guten Gattin ist. Du, Sophie, wirst ein solches seltenes Weib sein, du wirst den Ruhm unseres Lebens und das Glück unserer alten Tage ausmachen. Aber mit welchen Vorzügen du auch ausgestattet sein magst, so wird es auf Erden trotzdem nicht an Männern fehlen, die noch mehr Vorzüge als du besitzen. Es gibt keinen, der sich durch deinen Besitz nicht geehrt fühlen würde, es gibt aber viele, deren Hand dir noch zu größerer Ehre gereichen würde. Nun kommt es darauf an, aus dieser Zahl einen herauszufinden, der dir gefällt, ihn kennen zu lernen und dich wiederum mit ihm bekannt zu machen.«

»Das höchste eheliche Glück hängt von so vielen Rücksichten und Verhältnissen ab, daß es eine Thorheit wäre, sie alle vereint sehen zu wollen. Es ist nun zunächst nöthig, sich der wichtigsten zu vergewissern; finden sich dann noch die anderen dazu, so zieht man den größtmöglichen Nutzen aus ihnen, sind sie jedoch nicht vorhanden, nun, so setzt man sich darüber hinweg. Auf Erden gibt es einmal kein vollkommenes Glück. Allein das größte Unglück und zugleich dasjenige, dem man immer aus dem Wege gehen kann, ist, sich durch eigene Schuld unglücklich machen.«

»Es gibt Verhältnisse, die von der Natur bestimmt sind, dann solche, die auf menschlichen Einrichtungen beruhen, und endlich solche, die sich allein auf die allgemeine Meinung zurückführen lassen. Ueber die beiden letzteren Gattungen steht den Eltern, über die erste den Kindern die Entscheidung zu. Bei den Ehen, die nach dem Willen der Väter geschlossen werden, richtet man sein Augenmerk nur auf die von den menschlichen Einrichtungen und Meinungen ausgehenden Verhältnisse. Den Hauptgegenstand bei der Ehe bildet dann nicht die Person, sondern die Verhältnisse und das Vermögen derselben. Doch in beiden kann eine Veränderung eintreten; nur die Personen bleiben immer; überall tragen sie sich mit hin. Dem Vermögen zum Trotz beruht das Glück oder Unglück einer Ehe nur auf den persönlichen Eigenschaften.«

»Deine Mutter war von vornehmem Stande, ich war reich. Dies waren die einzigen Rücksichten, von welchen sich unsere Eltern bei unserer Vereinigung leiten ließen. Ich habe mein Vermögen verloren, sie hat ihren Namen aufgeben müssen. Was hilft es ihr heute, wo sie von ihrer Familie vergessen ist, als Edelfräulein geboren zu sein? Die Vereinigung unserer Herzen hat uns jedoch in unserem Unglück über Alles getröstet. Die Übereinstimmung unserer Neigungen hat uns diese Abgeschiedenheit wählen lassen. Hier leben wir in unserer Armuth glücklich; wir finden in einander für Alles Ersatz. Du, Sophie, bist unser gemeinsamer Schatz; wir preisen den Himmel, daß er uns in dir einen Schatz gegeben und uns alles Uebrige genommen hat. Sieh, mein Kind, wohin die Vorsehung uns geleitet: die Verhältnisse, welche die Veranlassung zum Abschluß unserer Ehe gaben, sind verschwunden; unser Glück ist nur durch die begründet worden, welche man gar nicht in Anschlag brachte.«

»Es ist die Aufgabe derer, welche in den Ehestand treten wollen, sich einen passenden Lebensgefährten zu wählen. Gegenseitige Neigung muß das erste Band sein, welches sie verknüpft. Ihrer Augen, ihrer Herzen müssen sie sich als ihrer ersten Führer bedienen; denn da, sobald sie sich vereinigt haben, ihre höchste Pflicht darin besteht, einander zu lieben, und da es nicht von unserer Willkür abhängt, uns zu lieben oder nicht zu lieben, so zieht diese Pflicht nothwendig die andere nach sich, daß man sich schon vor der Vereinigung liebt. Das ist ein unumstößliches Naturrecht. Diejenigen, welche es durch so viele bürgerliche Gesetze eingeschränkt haben, richteten ihr Augenmerk mehr auf eine scheinbare Ordnung als auf das Eheglück und die Sittlichkeit der Bürger. Du siehst, Sophie, daß wir dir keine schwer zu erfüllende Moral predigen. Sie zielt nur darauf ab, dich zur Herrin deiner selbst zu machen, und es uns zu ermöglichen, die Wahl deines Gatten allein in deine Hand zu legen.«

»Nachdem ich dir nun unsere Gründe auseinandergesetzt habe, weshalb wir dir volle Freiheit lassen wollen, ist es auch in der Ordnung, daß ich dich auf diejenigen aufmerksam mache, von denen du dich leiten lassen mußt, um von dieser Freiheit einen weisen Gebrauch zu machen. Du bist, liebe Tochter, gut und vernünftig, zeichnest dich durch Redlichkeit und Frömmigkeit aus, besitzest die Talente, welche sittsamen Frauen geziemen, und es fehlt dir nicht an Anmuth. Allein du bist arm. Obwol du die schätzenswerthesten Güter dein eigen nennen kannst, gehen dir doch gerade diejenigen ab, welche man am höchsten schätzt. Strebe deshalb nur nach dem Erreichbaren und richte die Ziele deines Ehrgeizes nicht etwa nach deinen oder unseren Urtheilen, sondern nach der Meinung der Menschen. Wenn es sich hierbei nur um eine Gleichheit der Vorzüge handelte, so wüßte ich nicht, wozu ich deinen Hoffnungen Schranken setzen sollte. Erhebe sie indeß nicht über deine Vermögensverhältnisse und vergiß nicht, daß dich diese auf die unterste Stufe verweisen. Sollte ein Mann, der deiner würdig ist, diese Ungleichheit nicht als ein Hinderniß betrachten, so mußt du alsdann thun, was er nicht thun wird. Dann mußt du, Sophie, dem Beispiele deiner Mutter folgen und nur in eine Familie hineinheirathen, welche sich dadurch geehrt fühlt. Du bist niemals Zeuge unseres Reichthums gewesen, da du erst während unserer Armuth geboren bist. Du versüßest sie uns und theilst sie ohne Kummer. Schenke meinen Worten Glauben, Sophie, hasche nicht nach Gütern, für deren Verlust wir den Himmel, der sie uns genommen hat, aufrichtig preisen; erst nachdem wir unsern Reichthum verloren hatten, ist das Glück bei uns eingekehrt.«

»Du bist zu liebenswürdig, um Niemandem zu gefallen, und deine Dürftigkeit ist nicht derart, daß sie einem Ehrenmanne Hindernisse in den Weg legen könnte. Du wirst gesucht werden und vielleicht von Leuten, die deiner nicht werth sind. Würden sie sich dir so zeigen, wie sie in Wirklichkeit sind, so würdest du sie nach ihrem Werthe schätzen; all ihr äußerer Prunk würde dich nicht lange täuschen. Obgleich du indeß ein richtiges Urtheil hast und dich auf wahres Verdienst verstehst, so fehlt es dir doch an Erfahrung und du weißt nicht, in wie hohem Grade sich die Menschen zu verstellen vermögen. Ein gewandter Schurke kann, um dich zu bezaubern, deine Neigungen studiren und in deiner Gegenwart Tugenden heucheln, die er durchaus nicht besitzt. Ehe du dich dessen versähest, würde er dich verderben, Sophie, und du würdest deinen Irrthum nur erkennen, um ihn zu beweinen. Der gefährlichste aller Fallstricke und der einzige, dem die Vernunft nicht zu entgehen vermag, ist der der Sinnlichkeit. Solltest du je das Unglück haben, eine Beute derselben zu werden, so würdest du dich nur von Illusionen und Täuschungen umringt sehen, dein Auge würde geblendet, dein Urtheil getrübt, dein Wille irre geleitet werden, ja sogar dein Irrthum würde dir theuer sein, und wenn du endlich im Stande wärest, ihn einzusehen, würdest du nicht mehr umkehren wollen. Meine Tochter, ich überlasse dich deiner Vernunft, aber nicht dem Triebe deines Herzens. So lange dein Blut noch nicht in Wallung gerathen ist, bleibe dein eigener Richter; sobald sich aber die Liebe in dir regt, laß deine Mutter die Sorge für dich übernehmen.«

»Ich schlage dir eine Übereinkunft vor, die dir unsere Achtung beweisen und die natürliche Ordnung unter uns wieder herstellen soll. Es ist bei uns üblich, daß die Eltern den Gatten für ihre Tochter wählen und Letztere nur zum Scheine fragen. Wir wollen unter uns das umgekehrte Verfahren beobachten; du sollst wählen und uns nachher fragen. Benutze also dein Recht, Sophie, benutze es ungehindert und verständig. Der Gatte, der dir gefallen soll, muß von dir und nicht von uns gewählt werden. Uns kommt jedoch das Urtheil zu, ob du dich nicht über die Verhältnisse täuschest, und ob du nicht unwissentlich etwas Anderes thust, als du beabsichtigst. Geburt, Vermögen, Rang, öffentliche Meinung sollen auf unser Urtheil keinen Einfluß ausüben. Nimm dir einen rechtschaffenen Mann, dessen Persönlichkeit dir gefällt und dessen Charakter mit dem deinigen übereinstimmt; wer er im Uebrigen auch sein mag, wir werden ihn als unseren Schwiegersohn anerkennen. Hat er gesunde Arme, reine Sitten und Liebe zu seiner Familie, so wird sein Vermögen stets ausreichend sein. Adelt er seinen Stand durch Tugend, so wird es demselben in unseren Augen nicht an Glanz fehlen. Und wenn die ganze Welt uns tadeln sollte, was kann uns daran gelegen sein? Wir jagen nicht nach dem öffentlichen Beifall, uns genügt dein Glück.«

Leser, ich weiß nicht, welche Wirkung eine solche Ansprache auf die nach eurer Weise erzogenen Mädchen ausüben würde. Was Sophie anlangt, so wird sie in Worten keine Erwiderung darauf finden können; Scham und Rührung würden es ihr nicht so leicht gestatten, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Allein ich bin vollkommen überzeugt, daß diese Worte ihr ganzes Leben lang in ihrem Herzen haften werden, und daß, wenn man sich auf einen menschlichen Vorsatz verlassen kann, es ihr Entschluß ist, sich der Achtung ihrer Eltern würdig zu machen.

Selbst den schlimmsten Fall angenommen, daß sie ein feuriges Temperament besitzt, welches ihr ein langes Harren peinlich macht, so behaupte ich trotzdem, daß ihr Urtheil, ihre Kenntnisse, ihr Geschmack, ihr Zartgefühl und namentlich die Gefühle, mit denen ihr Herz seit ihrer Kindheit genährt ist, ein Gegengewicht gegen das Ungestüm ihrer Sinnlichkeit bilden werden, welches ausreichende Kraft besitzt, sie zu besiegen oder ihr doch wenigstens lange Zeit zu widerstehen. Sie würde lieber als Märtyrerin ihres Zustandes sterben, als ihre Eltern durch ihre Vermählung mit einem Manne ohne Verdienst zu betrüben und sich dem Unglücke einer unpassenden Ehe auszusetzen. Sogar die ihr eingeräumte Freiheit verleiht ihr einen höheren Seelenadel und macht sie bei der Bestimmung ihres künftigen Gebieters wählerischer. Neben dem Feuer einer Italienerin und der Empfindsamkeit einer Engländerin besitzt sie, um Herz und Sinne zu bezähmen, den Stolz einer Spanierin, die selbst bei der Umschau nach einem Geliebten nicht leicht den findet, welchen sie ihrer für würdig hält.

Freilich vermag nicht Jeder zu fühlen, welche Spannkraft die Liebe zum Sittsamen der Seele zu geben im Stande ist, und welche Stärke man in sich finden kann, wenn man aufrichtig tugendhaft sein will. Es gibt Leute, welchen alles Große wie ein Traumbild vorkommt, und welche mit ihrem niedern und gemeinen Verstande nie einsehen können, was selbst eine bis zur Überspanntheit getriebene Tugend noch über die menschlichen Leidenschaften vermag. Solchen Leuten gegenüber darf man nur in Beispielen reden. Desto schlimmer für sie, wenn sie eigensinnigerweise auch diese in Abrede stellen wollen. Wenn ich ihnen sagte, daß Sophie keineswegs ein Wesen meiner Einbildung ist, daß nur ihr Name auf meiner Erfindung beruht, daß dagegen ihre Erziehung, ihre Sitten, ihr Charakter, ja selbst ihre Gestalt in vollem Ernste existirt haben, und daß ihr Gedächtniß noch heutigen Tages einer rechtschaffenen Familie Thränen kostet, so würden sie mir ohne Zweifel keinen Glauben schenken. Welche Gefahr kann ich aber schließlich dabei laufen, wenn ich offen und ehrlich die Geschichte eines Mädchens zu Ende erzähle, welches Sophien so ähnlich sah, daß seine Geschichte eben so gut die Sophiens sein könnte, ohne daß uns dies Wunder nehmen dürfte? Möge man sie für wahr halten oder nicht, das thut wenig zur Sache. Ich werde dann, wenn man einmal so will, Erdichtungen berichtet, aber dabei zugleich meine Methode erklärt haben und gerade auf mein Ziel losgegangen sein.

Das junge Mädchen besaß außer dem Temperamente, welches ich Sophien so eben beilegte, auch im Uebrigen alle die nämlichen Eigenschaften, welche es dieses Namens würdig erscheinen lassen konnten, weshalb ich ihm denselben auch geben werde. Nach der berichteten Unterredung schickten die Eltern in der richtigen Erwägung, daß sich in dem Dörfchen, in welchem sie ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten, keine passende Partie darbieten würde, Sophie nach der Stadt, um einen Winter bei einer Tante zuzubringen, welche man heimlich über den Zweck dieser Reise in Kenntniß setzte, denn die hochherzige Sophie trug im Grunde ihres Herzens den edlen Stolz, sich selbst zu bezwingen, und wie sehr sie sich auch nach einem Gatten sehnte, so würde sie doch lieber als Jungfrau gestorben sein, als daß sie sich entschlossen hätte, sich selbst nach einem umzusehen.

Um den Absichten ihrer Eltern zu entsprechen, stellte ihre Tante sie in bekannten Familien vor, führte sie in die Gesellschaft ein, nahm mit ihr an Festlichkeiten Theil, zeigte ihr die Welt oder zeigte vielmehr sie der Welt, denn Sophie kümmerte sich um all dieses geräuschvolle Treiben äußerst wenig. Jedoch konnte man wahrnehmen, daß sie junge Männer von gefälligem Aeußern, deren Benehmen zugleich Anstand und Sittsamkeit verrieth, nicht floh. Gerade in ihrem zurückhaltenden Wesen lag eine gewisse Kunst, dieselben an sich zu ziehen, die fast einen Anstrich von Coquetterie hatte. Nachdem sie sich jedoch zwei- oder dreimal mit ihnen unterhalten, bewies sie ihnen gegenüber eine Art Abneigung. Bald vertauschte sie dieses anspruchsvolle Wesen, welches die Huldigungen gleichsam herauszufordern scheint, mit einem demüthigeren Benehmen und mit einer mehr zurückweisenden Höflichkeit. Fortwährend auf sich selbst aufmerksam, gab sie ihnen keine Gelegenheit mehr, ihr auch nur den geringsten Dienst zu erweisen. Darin lag deutlich genug für sie ausgedrückt, daß sie nicht Lust hätte, ihre Geliebte zu sein.

Nie haben gefühlvolle Herzen an lärmenden Vergnügungen Gefallen gefunden, an diesem eitlen und unfruchtbaren Glücke solcher Menschen, denen es an Gefühl fehlt und welche sich einbilden, sein Leben betäuben heiße es genießen. Als Sophie nicht fand, was sie suchte, und daran verzweifelte, es auf diesem Wege zu finden, langweilte sie sich in der Stadt. Sie liebte ihre Eltern zärtlich, und da sie nichts für die Trennung von ihnen zu entschädigen vermochte, da nichts im Stande war, ihr Bild aus ihrer Erinnerung auszulöschen, so kehrte sie lange vor dem zu ihrer Rückkehr bestimmten Zeitpunkte zu ihnen zurück.

Kaum hatte sie ihre Obliegenheiten im väterlichen Hause wieder aufgenommen, als man bemerkte, daß sich, obwol sie noch immer dasselbe Benehmen beobachtete, ihre Laune geändert hatte. Bald zeigte sie sich zerstreut und ungeduldig, bald war sie traurig und träumerisch, ja, sie verbarg sich auch wol, um zu weinen. Man gab sich Anfangs dem Glauben hin, sie liebe und schäme sich dessen. Als man jedoch mit ihr darüber sprach, stellte sie es vollständig in Abrede. Sie betheuerte, Niemanden gesehen zu haben, der im Stande gewesen wäre, Eindruck auf ihr Herz zu machen, und Sophie war keiner Lüge fähig.

Inzwischen nahm ihre Mattigkeit unaufhörlich zu, so daß ihre Gesundheit darunter zu leiden begann. Ihre Mutter, über diese Veränderung beunruhigt, entschloß sich endlich, nach der Ursache zu forschen. Sie sprach mit ihr unter vier Augen und schlug ihr gegenüber jenen gewinnenden Ton an, behandelte sie mit jener unwiderstehlichen Zärtlichkeit, welche nur Mutterliebe einzugeben vermag. »Liebe Tochter, du, die du unter meinem Herzen geruht hast und mir unablässig am Herzen liegst, schütte das Geheimniß des deinigen in den Busen deiner Mutter aus. Was wären das für Geheimnisse, die eine Mutter nicht wissen dürfte? Wer wird deinen Kummer beweinen, wer wird ihn mit dir theilen, wer wird ihn dir tragen helfen, wenn nicht Vater und Mutter? Ach, mein Kind, willst du, daß mich dein Kummer in die Grube bringt, ohne daß ich ihn erfahre?«

Weit davon entfernt, ihrer Mutter ihren Kummer verhehlen zu wollen, kannte sie vielmehr keinen höheren Wunsch, als in ihr eine Trösterin und Vertraute zu finden. Indeß hielt die Scham sie vom Reden ab, und ihr Zartgefühl fand keine Worte, um einen ihrer so wenig würdigen Zustand, wie die Aufregung, welche ihre Sinne ihr zum Trotz beunruhigte, zu beschreiben. Kurz, ihre Scham selbst diente der Mutter als Anzeichen, und so gelang es derselben denn, ihr jenes demüthigende Geständniß zu entreißen. Statt sie durch ungerechte Vorwürfe zu tränken, tröstete sie Sophie, beklagte sie und weinte mit ihr. Sie war zu verständig, ihr ein Uebel, welches doch nur in Folge ihrer Tugend so schmerzlich auftrat, als Verbrechen anzurechnen. Weshalb aber unnöthigerweise ein Uebel tragen, für welches es ein so leichtes und erlaubtes Heilmittel gibt? Weshalb machte sie keinen Gebrauch von der Freiheit, welche man ihr eingeräumt hatte? Weshalb nahm sie keinen Bewerber als Gatten an? Weshalb wählte sie keinen? War es ihr denn nicht bekannt, daß ihr Schicksal nur von ihr allein abhing, und daß ihre Wahl, wie sie auch immer ausfallen mochte, genehmigt worden wäre, da sie nur eine passende treffen konnte? In der Stadt, nach welcher man sie geschickt, hatte sie nicht bleiben wollen. Mehrere Partien hatten sich ihr dargeboten, aber sie hatte sie alle ausgeschlagen. Worauf wartete sie also? Was wollte sie eigentlich? Welch unlösbarer Widerspruch!

Die Antwort war einfach. Hatte es sich nur um einen Nothhelfer für die Jugend gehandelt, so wäre die Wahl bald getroffen worden; aber es ist gar nicht so leicht, sich einen Herrn für das ganze Leben zu wählen, und da sich diese beiden Wahlen nun einmal nicht von einander trennen lassen, so muß man wol warten und oft seine Jugend verlieren, ehe man den Mann findet, an dessen Seite man seine Lebenstage zubringen will. In dieser Lage befand sich Sophie. Sie bedurfte eines Geliebten, aber dieser Geliebte sollte gleichzeitig ihr Gatte sein, und in Hinblick aus das Herz, welches das ihrige allein zu befriedigen vermochte, war der Eine fast eben so schwer zu finden als der Andere. Alle jene so blühenden Jünglinge hatten nur das für sie passende Alter, alle übrige Eigenschaften aber, welche sie hätten als eine passende Partie erscheinen lassen können, fehlten ihnen. Ihr oberflächlicher Geist, ihre Eitelkeit, ihre Ausdrucksweise, ihre lockeren Sitten, ihre leichtfertigen Nachäffereien flößten ihr Widerwillen gegen dieselben ein. Sie suchte einen Mann und fand nur Affen; sie suchte ein Herz und fand keins.

»Wie unglücklich bin ich!« sagte sie zu ihrer Mutter; »es ist für mich ein Bedürfniß, zu lieben, und ich sehe nichts, was mir gefällt. Mein Herz stößt mich von Allen zurück, zu welchen mich meine Sinne hinziehen. Ich sehe nicht Einen, der nicht mein sinnliches Verlangen erregt, und nicht Einen, der es nicht bald wieder unterdrückt. Eine Neigung, die sich nicht auf Achtung gründet, kann keinen Bestand haben. Ach, unter ihnen befindet sich nicht der Mann, den deine Sophie braucht! Sein reizendes Bild schwebt mir schon lange vor der Seele. Nur ihn kann ich lieben, nur ihn kann ich glücklich machen, nur mit ihm allein kann ich glücklich werden. Lieber will ich mich im unaufhörlichen Kampfe verzehren, lieber will ich unglücklich und unvermählt sterben, als voller Verzweiflung an der Seite eines Mannes, welchen ich nicht zu lieben vermöchte und nur unglücklich machen würde. Besser ist es, nicht mehr zu leben, als nur zu leben, um zu leiden.«

Ueber diese eigentümlichen Anschauungen betroffen, fand sie ihre Mutter zu sonderbar, um nicht dahinter ein Geheimniß zu vermuthen. Sophie war weder geziert noch lächerlich. Wie ließ sich nun dieses überspannte Zartgefühl bei ihr erklären, bei ihr, die man von Kindheit an zu nichts so sehr angehalten hatte als dazu, sich in die Leute zu schicken, mit welchen sie zu leben hatte, und aus der Noth eine Tugend zu machen? Dies Musterbild eines liebenswürdigen Mannes, von welchem sie so bezaubert war, und welches in allen ihren Unterhaltungen immer wieder auftauchte, brachte ihre Mutter auf die Vermuthung, daß diese Laune irgend einen anderen ihr unbekannten Grund haben mußte, und daß Sophiens Bekenntniß nicht vollständig gewesen war. Die Aermste, ihrem geheimen Kummer fast unterliegend, trachtete nur danach, ihr Herz auszuschütten. Als die Mutter in sie dringt, zaudert sie zwar Anfangs, aber endlich ergibt sie sich, geht, ohne ein Wort zu sagen, hinaus und kehrt einen Augenblick später mit einem Buche in der Hand zurück. »Beklage deine unglückliche Tochter; ihr Schmerz ist unheilbar, ihre Thränen können nicht versiegen. Du verlangst die Ursache zu erfahren. Nun wohl, da ist sie!« Mit diesen Worten wirft sie ein Buch auf den Tisch. Die Mutter nimmt es und schlägt es auf: es waren Telemachs Abenteuer. Anfangs vermochte sie dieses Räthsel nicht zu lösen. Aus einigen Fragen und sehr dunkel gehaltenen Antworten merkt sie endlich zu ihrem leicht begreiflichen Erstaunen, daß ihre Tochter die Nebenbuhlerin der Eucharis ist. Sophie liebte Telemach und liebte ihn noch dazu mit unheilbarer Leidenschaft. Als ihr Vater und ihre Mutter ihre wunderliche Neigung erfuhren, lachten sie darüber und glaubten sie wieder zur Vernunft bringen zu können. Sie irrten sich jedoch. Das Recht stand nicht ganz auf ihrer Seite; Sophie hatte ebenfalls Recht und verstand das ihrige zur Geltung zu bringen. Wie oft vermochten ihr die Eltern nichts zu erwidern, wenn sie sich auf deren eigene Gründe berief und ihnen bewies, daß sie selber die Schuld an all diesem Unheil trügen, weil sie sie nicht für einen Mann ihres Jahrhunderts erzogen hätten; wenn sie ihnen den Nachweis führte, daß sie nothwendig die Denkweise ihres Gatten annehmen oder ihn zu der ihrigen würde bekehren müssen, daß ihr die Eltern Ersteres durch die Art ihrer Erziehung unmöglich gemacht hätten, Letzteres aber genau das wäre, wonach sie strebte. »Gebt mir,« sagte sie, »einen Mann, welcher von meinen Grundsätzen durchdrungen ist, oder den ich für dieselben erwärmen kann, und ich werde ihn heirathen. Weshalb wollt ihr mir aber bis dahin böse sein? Bedauert mich. Obgleich ich unglücklich bin, so bin ich deswegen doch noch keine Närrin. Hängt das Herz vom Willen ab? Hast du, lieber Vater, dies nicht selbst geläugnet? Ist es meine Schuld, wenn ich etwas liebe, was nicht vorhanden ist? Ich bin keine Phantastin; ich will keinen Fürsten, suche keinen Telemach. Ich weiß, daß er nur ein Gebild der Dichtung ist. Allein ich suche Jemand, der ihm gleicht. Und weshalb sollte es einen solchen Mann nicht geben, da ich doch im Dasein bin, ich, die ich es deutlich fühle, daß mein Herz dem seinigen so ähnlich ist? Nein, laßt uns die Menschheit nicht in so hohem Grade entehren, laßt uns nicht dem Wahne huldigen, daß ein liebenswürdiger und tugendhafter Mann nur der Traumwelt angehöre! Er existirt, er lebt, er sucht mich vielleicht, sucht eine Seele, die er lieben kann. Aber wer ist er? Wo ist er? Ich weiß es nicht. In dem Kreise derer, welche ich gesehen habe, ist er nicht zu finden; ohne Zweifel wird er auch unter denen nicht sein, die mir noch vor Augen kommen werden. O, meine Mutter, weshalb hast du mich mit solcher Liebe zur Tugend erfüllt? Wenn ich nur sie zu lieben vermag, dann ist mein Unrecht geringer als das eurige.«

Soll ich etwa diese traurige Erzählung bis zur Katastrophe fortführen? Soll ich die langen Zwistigkeiten mittheilen, welche ihr vorausgingen? Soll ich schildern, wie die Mutter die Geduld verliert und sich ihre frühere freundliche Begegnung der Tochter in Strenge verkehrt? Soll ich beschreiben, wie der Vater allmählich in Zorn geräth, seine früheren Versprechen vergißt und die tugendhafteste aller Töchter wie eine Ueberspannte behandelt? Soll ich euch endlich eine Schilderung der Unglücklichen selbst entwerfen, die sich um der Verfolgung willen, welcher sie sich ihres Traumbildes wegen ausgesetzt sieht, nur um so inniger der Liebe zu demselben überläßt, während sie langsamen Schrittes dem Tode entgegengeht und in dem Augenblicke in das Grab sinkt, in welchem man sie vor den Altar zu schleppen beabsichtigt? Nein, ich will dieses traurige Bild nicht weiter ausmalen. Ich brauche nicht so weit zu gehen, um an einem, meinem Dafürhalten nach, hinreichend schlagenden Beispiele nachzuweisen, daß trotz der Vorurtheile, welche ein Ausfluß der Sitten unseres Jahrhunderts sind, die Frauen von der Begeisterung für das Sittliche und Schöne nicht weniger ergriffen werden als die Männer, und daß es nichts gibt, was man unter der Leitung der Natur von ihnen nicht eben so gut erlangen könne als von uns Männern.

Man wird mich hier vielleicht unterbrechen, um mir die Frage vorzulegen, ob es denn die Natur ist, welche uns befiehlt, so viele Mühe anzuwenden, um ein übermäßiges sinnliches Verlangen zu unterdrücken. Ich sage hieraus: Nein, behaupte aber zugleich, daß es eben so wenig die Natur ist, welche uns ein so übermäßiges Verlangen einpflanzt. Alles, was nicht in ihr wurzelt, läuft ihr zuwider; ich habe dies tausendmal erfahren.

Laßt uns nun zu unseres Emils Sophie zurückkehren. Beschäftigen wir uns von Neuem mit diesem liebenswürdigen Mädchen, um zu sehen, daß sie eine weniger lebhafte Einbildungskraft besitzt, und daß ein glücklicheres Loos ihrer wartet. Ich beabsichtigte eine gewöhnliche Frau zu schildern, aber indem ich ihrer Seele einen größeren Adel verlieh, habe ich ihre Vernunft verwirrt. Ich selbst habe einen Irrthum begangen. Laßt uns wieder einlenken. Sophie hat nur ein gutes Gemüth in einer gewöhnlichen Seele. Alles, was sie vor anderen Frauen voraus hat, ist das Ergebniß ihrer Erziehung.


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