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Was vermagst du, Apostel der Wahrheit, mir deshalb zu sagen, worüber ich nicht Richter bliebe? »Gott selbst hat gesprochen, vernimm seine Offenbarung!« Das ist etwas Anderes. Gott hat also geredet! Das ist freilich ein großes Wort. Und zu wem hat er denn geredet? »Zu den Menschen.« Wie kommt es aber, daß ich davon nichts vernommen habe? »Er hat anderen Menschen den Auftrag ertheilt, dir sein Wort zu verkündigen.« Ich verstehe: es sind Menschen, die mir mittheilen wollen, was Gott gesagt hat. Lieber hätte ich Gott doch selbst gehört; es wäre ihm dies nicht schwerer gewesen und ich hätte keine Täuschung zu fürchten brauchen. »Vor Täuschung sichert er dich, indem er die Sendung seiner Boten beglaubigt.« Und wodurch thut er dies? »Durch Wunder.« Und wo sind diese Wunder zu finden? »In Büchern.« Und wer hat diese Bücher geschrieben? »Menschen.« Wer aber hat diese Wunder gesehen? »Menschen, die sie bezeugen.« Wie, immer nur menschliche Zeugnisse! Immer nur Menschen, die mir berichten, was andere Menschen ihnen berichtet haben! Wie viele Menschen stehen zwischen Gott und mir! Laßt uns trotzdem sehen, prüfen, vergleichen, berichtigen. O, würde ich wol Gott, wenn es ihm gefallen hätte, mich mit all dieser anstrengenden Arbeit zu verschonen, weniger aufrichtig gedient haben?

Erwägen Sie, junger Freund, auf welche mühselige Untersuchung ich mich hiermit eingelassen habe, eine wie vielseitige Gelehrsamkeit dazu gehört, bis in das graueste Alterthum zurückzugehen, ferner die Weissagungen, die Offenbarungen, die Thatsachen, all die Denkmäler des Glaubens zu untersuchen, abzuwägen und gegen einander zu halten, und endlich Zeit, Ort, Urheber und begleitende Umstände zu bestimmen! Ein wie richtiges kritisches Urtheil ist mir nöthig, um Verbürgtes von Unverbürgtem zu unterscheiden, um die Einwürfe mit den Entgegnungen, die Übersetzungen mit den Originalen zu vergleichen; um mir über die Unparteilichkeit, die gesunde Vernunft und die Einsicht der Zeugen ein festes Urtheil zu bilden; um mich zu überzeugen, ob dieselben nichts unterdrückt, nichts hinzugefügt, nichts an eine unrichtige Stelle gesetzt, geändert oder gefälscht haben; um die noch bleibenden Widersprüche zu lösen; um zu beurtheilen, welches Gewicht das Schweigen der Gegner bei den gegen sie vorgebrachten Thatsachen verdient, ob ihnen die angeführten Gründe bekannt geworden sind, ob sie es der Mühe werth erachtet haben, dieselben einer Antwort zu würdigen; ob die Bücher eine so allgemeine Verbreitung gefunden hatten, daß sich annehmen läßt, die bis auf unsere Zeit erhaltenen seien auch zu ihnen gelangt; ob wir ehrlich genug gewesen sind, der Verbreitung der ihrigen unter uns kein Hinderniß entgegen zu stellen und ihre erheblichsten Bedenken so zu lassen, wie sie dieselben ausgesprochen haben.

Sobald nun die unbestreitbare Glaubwürdigkeit aller dieser schriftlichen Zeugnisse anerkannt ist, so muß ferner noch der Beweis für die Mission ihrer Urheber geliefert werden. Man muß die Gesetze der Schicksale, muß die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten genau kennen, um zu beurtheilen, welche Weissagungen nicht ohne Wunder in Erfüllung gehen können, muß den Geist der Ursprachen erfaßt haben, um zu unterscheiden, was in diesen Sprachen wirkliche Weissagung oder nur rethorische Figur ist; muß wissen, welche Thatsachen mit der Ordnung der Natur in Einklang stehen und welche gegen dieselbe verstoßen, um zu erklären, bis zu welchem Punkte ein geschickter Mensch die Augen der Einfältigen zu blenden und sogar Aufgeklärte in Erstaunen zu setzen vermag. Man muß untersuchen, welcher Art ein Wunder sein und welche Glaubwürdigkeit es haben muß, wenn es nicht allein Glauben verdienen, sondern sogar jeder Zweifel daran als strafwürdig erscheinen soll. Man muß die Beweise für die wahren und die falschen Wunder mit einander vergleichen und sichere Regeln für ihre Unterscheidung aufstellen, muß endlich den Nachweis führen, weshalb Gott zur Bekräftigung seines Wortes Mittel gewählt hat, welche selbst in so hohem Grade der Bekräftigung bedürfen, als ob er die Leichtgläubigkeit der Menschen verspotten wolle und die wahren Mittel, sie zu überzeugen, absichtlich vermiede.

Angenommen, es gefiele der göttlichen Majestät, sich so weit herabzulassen, einen Menschen zum Organe seines heiligen Willens zu machen. Ist es aber wol vernünftig, ist es gerecht, zu verlangen, daß die ganze Menschheit der Stimme dieses Dieners gehorche, ohne daß er derselben in dieser Eigenschaft unzweideutig bekannt gemacht ist? Liegt Billigkeit darin, ihn zu seiner Beglaubigung nur mit einigen besonderen Wundern auszurüsten, die vor wenigen unbekannten Leuten verrichtet wurden, während alle übrige Menschen nur durch Hörensagen davon Kenntniß erhalten? Wenn man in allen Ländern alle Wunder für wahr hielte, welche das Volk und die Schwachköpfe nach ihrer Behauptung gesehen haben, so würde jede Sekte die rechte sein; es würde mehr Wunder als Naturereignisse geben, und das größte aller Wunder würde darin bestehen, daß da, wo die Fanatiker Verfolgung erleiden, gar keine Wunder vorkämen. Gerade die unwandelbare Ordnung der Natur läßt am besten die weise Hand erkennen, welche sie regiert. Kämen viele Ausnahmen vor, so würde ich nicht mehr wissen, was ich davon denken sollte; und ich für mein Theil habe einen zu festen Glauben an Gott, um an die große Menge voll Wundern, die seiner so wenig würdig sind, glauben zu können.

Angenommen, es erschiene ein Mensch und spräche zu uns: »Sterbliche, ich verkündige euch den Willen des Allerhöchsten; erkennet in meinen Worten den Auftrag dessen, der mich gesandt hat, ich befehle der Sonne, ihre Bahn zu ändern, den Sternen, sich anders zu gruppiren, den Bergen, sich zu ebenen, den Fluten, sich zu erheben, der Erde, eine andere Stellung unter den Planeten einzunehmen«, wer würde in diesen Wundern nicht sofort den Herrn der Natur erkennen? Betrügern leistet sie keinen Gehorsam; deren Wunder finden an den Gassenecken, in Wüsten und Zimmern statt, und hier, einer kleinen Zahl von Zuschauern gegenüber, die von vorn herein geneigt sind, Alles zu glauben, fällt es ihnen nicht schwer, ihre Betrügereien auszuüben. Wer möchte sich wol unterfangen, mir zu sagen, wie viel Augenzeugen nöthig sind, um ein Wunder glaubwürdig zu machen? Wenn die Wunder, welche ihr zum Beweise eurer Lehre verrichtet habt, erst selbst wieder der Beweise bedürfen, wozu nützen sie dann? Dann hättet ihr sie eben so gut unterlassen können.

Schließlich bleibt uns noch die wichtigste Untersuchung hinsichtlich der in Frage stehenden Lehre übrig; denn da diejenigen, welche behaupten, Gott thue hienieden Wunder, gleichermaßen versichern, daß der Teufel dieselben bisweilen nachahme, so sind wir selbst bei den bestbeglaubigten Wundern noch um nichts weiter gekommen, und da sich Pharaos Zauberer sogar in Moses Gegenwart herausnahmen, die nämlichen Zeichen zu thun, welche er aus Gottes ausdrücklichen Befehl that, warum hätten sie dann nicht in seiner Abwesenheit mit demselben Rechte die gleiche Autorität beanspruchen können? Folglich muß, nachdem die Lehre erst durch das Wunder bewiesen worden ist, das Wunder wieder durch die Lehre bewiesen werden, Das ist aus tausend Stellen der heiligen Schrift, und unter anderen aus 5. Buch Mosis XIII. ersichtlich, wo es heißt, wenn ein Prophet, der fremde Götter verkündige, seine Rede durch Wunder bestätige, so solle man ihm selbst für den Fall, daß seine Weissagungen in Erfüllung gingen, nicht nur nicht gehorchen, sondern ihn sogar mit dem Tode bestrafen. Wenn nun die Heiden die Apostel, welche ihnen einen fremden Gott verkündigten, tödteten, trotzdem sie ihre Sendung durch Weissagungen und Wunderthaten erhärteten, so begreife ich nicht, welchen gegründeten Vorwurf man ihnen zu machen vermöchte, den sie uns nicht augenblicklich zurückgeben könnten. Was hat man nun wol in einem solchen Falle zu thun? Nur eins: zum Ueberlegen zurückzukehren und von den Wundern ganz abzusehen. Am besten wäre es freilich gewesen, man hätte niemals seine Zuflucht zu ihnen genommen. Das lehrt der einfachste gesunde Menschenverstand, den man nur durch die allerspitzfindigsten Distinctionen verdunkeln kann. Spitzfindigkeiten im Christenthume? So hat Jesus Christus also wol Unrecht gehabt, den Einfältigen das Himmelreich zu verheißen, wol Unrecht gehabt, die schönste seiner Reden mit der Seligpreisung der geistlich Armen zu beginnen, wenn so viel Geist dazu gehört, seine Lehre zu verstehen und an ihn glauben zu lernen? Sobald ihr mir den Beweis geliefert haben werdet, daß ich mich unterwerfen muß, werde ich mich natürlich fügen; um mir jedoch diesen Beweis zu liefern, lasset euch zu meiner Fassungskraft herab; leget bei eurer Beweisführung den Maßstab eines geistlich Armen zu Grunde, oder ich erkenne euch nicht mehr für die wahren Jünger eures Meisters, und eure Verkündigung ist nicht seine Lehre. aus Besorgniß, daß sonst am Ende Teufelswerk für Gotteswerk angesehen werde. Was denken Sie aber von einem solchen Zirkelschluß?

Da diese Lehre von Gott stammt, so muß sie auch die heilige Eigenart der Gottheit an sich tragen. Nicht allein muß sie die verworrenen Begrifft läutern, welche sich in Folge unseres Nachdenkens über sie in unserem Geiste festgesetzt haben, sondern sie muß uns auch einen Cultus, eine Moral und Grundsätze darbieten, welche mit den Eigenschaften, durch welche wir allein ihr Wesen zu begreifen vermögen, in Einklang stehen. Wenn sie uns also nur ungereimte und der Vernunft widersprechende Dinge lehrte, wenn sie uns nur mit Gefühlen der Abneigung gegen unsere Nebenmenschen und der Angst vor uns selbst erfüllte, wenn sie uns Gott nur als einen zornigen, eifersüchtigen, Rache schnaubenden, parteiischen, von Menschenhaß beseelten Gott ausmalte, als einen Gott des Krieges und der Schlachten, der stets darauf ausgeht, zu zerstören und mit seinen Blitzen zu zerschmettern, stets von Qualen und Aengsten redet und sich sogar rühmt, die Unschuldigen zu bestrafen, so würde sich mein Herz wahrlich nicht zu diesem schrecklichen Gotte hingezogen fühlen, und ich würde Bedenken tragen, die Naturreligion mit einer solchen zu vertauschen, denn Sie werden begreifen, daß man hier nothwendigerweise zu einer Wahl schreiten müßte. Euer Gott, würde ich den Anhängern dieser Lehre erklären, ist nicht der unsrige. Der Gott, welcher sich von Anfang an ein einziges Volk auserwählt und das ganze übrige Menschengeschlecht von sich stößt, ist nicht der gemeinsame Vater der Menschen; der Gott, welcher die größte Zahl seiner Geschöpfe zur ewigen Qual bestimmt, ist nicht der gnädige und gütige Gott, den mich meine Vernunft erkennen läßt.

Bezüglich der Dogmen sagt mir meine Vernunft, daß sie klar, lichtvoll und von unbestreitbarer Wahrheit sein müssen. Wenn die natürliche Religion unzulänglich ist, so ist sie es in Folge des Dunkels, in welchem sie die erhabenen Wahrheiten läßt, mit denen sie uns bekannt macht. Die Aufgabe der Offenbarung besteht darin, uns diese Wahrheiten auf eine dem Verständnisse des menschlichen Geistes angemessene Weise zu lehren, sie für seine Fassungskraft geeignet und so begreiflich zu machen, daß er sie glauben kann. Durch das Verständniß wird der Glaube sicherer und befestigt sich. Die klarste aller Religionen ist unfehlbar die beste; diejenige dagegen, welche den Cultus, den sie mir predigt, mit Geheimnissen und Widersprüchen belastet, bewegt mich gerade dadurch, Mißtrauen in sie zu setzen. Der Gott, den ich anbete, ist nicht ein Gott der Finsterniß; er hat mir den Verstand nicht gegeben, um mir den Gebrauch desselben zu untersagen. Von mir verlangen, meine Vernunft gefangen zu geben, heißt ihren Schöpfer beleidigen. Der Diener der Wahrheit wirft sich nicht zum Herrn meiner Vernunft auf, sondern erleuchtet sie vielmehr.

Wir haben von aller menschlicher Autorität abstrahirt, und ich könnte auch nicht begreifen, wie ein Mensch ohne sie einen anderen, dem er eine vernunftwidrige Lehre predigt, überzeugen könnte. Wir wollen zwei solche Menschen einmal einander gegenüberstellen und hören, was sie sich wol in der scharfen Sprache, die beiden Parteien eigenthümlich zu sein pflegt, werden sagen können.

Der Inspirirte. Die Vernunft lehrt dich, daß das Ganze größer ist als ein Theil desselben; ich aber erkläre dir im Namen Gottes, daß der Theil größer ist als das Ganze.

Der Vernünftler. Und wer bist du, daß du dir herausnimmst, mir zu sagen, Gott widerspreche sich? Und in wen soll ich mehr Vertrauen setzen, in ihn, der mich vermittelst meiner Vernunft die ewigen Wahrheiten lehrt, oder in dich, der mir in seinem Namen etwas Widersinniges verkündigt?

Der Inspirirte. In mich, denn der mir ertheilte Auftrag ist zuverlässiger. Ich werde dir unwiderleglich beweisen, daß er mich sendet.

Der Vernünftler. Wie? Du willst mir beweisen, daß Gott dich gesandt habe, um wider ihn selbst zu zeugen? Und welcher Art werden deine Beweise sein, um mir die Ueberzeugung abzugewinnen, es lasse sich mit größerer Sicherheit erwarten, daß Gott durch deinen Mund als durch den Verstand, den er selbst mir verliehen hat, zu mir rede?

Der Inspirirte. Der Verstand, den er dir selbst verliehen hat! O du elendes, nichtiges Menschenkind! Als ob du der erste Gottlose wärest, der sich durch seine, von der Sünde verderbte Vernunft irre leiten ließe!

Der Vernünftler. Mann Gottes, du würdest eben so wenig der erste Betrüger sein, der in seiner Anmaßung einen Beweis seiner Sendung fände.

Der Inspirirte. Wie! Die Philosophen ergehen sich auch in Beleidigungen.

Der Vernünftler. Mitunter, wenn ihnen die Heiligen darin ein Beispiel geben.

Der Inspirirte. O, ich habe das Recht, eine solche Sprache zu führen; ich spreche im Namen Gottes.

Der Vernünftler. Du thätest gut, erst deine Vollmacht aufzuweisen, bevor du von deinen Privilegien Gebrauch machst.

Der Inspirirte. Meine Berechtigung steht vollkommen fest; Erde und Himmel werden für mich zeugen. Folge nur aufmerksam meinen Schlüssen; ich bitte dich.

Der Vernünftler. Deinen Schlüssen! Schlüsse ziehen ist dir völlig fremd. Mich lehren, daß meine Vernunft mich täusche, heißt das nicht gleichzeitig auch Alles zurückweisen, was mir dieselbe zu deinen Gunsten gesagt haben würde? Wer die Vernunft verwerfen will, muß zu überzeugen verstehen, ohne sich ihrer zu bedienen. Denn angenommen, du hättest mich durch deine Gründe in der That überzeugt, wie könnte ich mir Gewißheit verschaffen, ob nicht etwa nur meine durch die Sünde verderbte Vernunft die Schuld daran trägt, daß ich auf das, was du mir sagtest, eingehe? Außerdem, welchen Beweis, welche überführenden Gründe würdest du anwenden können, die überzeugender wären als das Axiom, dessen Irrthümlichkeit sie nachweisen sollen? Daß ein richtiger Vernunftschluß eine Lüge sei, ist gerade eben so glaublich, als daß der Theil größer sei als das Ganze.

DerInspirirte. Welch ein Unterschied! Gegen meine Beweise läßt sich nichts Stichhaltiges einwenden; sie sind übernatürlicher Art.

Der Vernünftler. Übernatürlich? Was bedeutet dies Wort? Ich verstehe es nicht.

Der Inspirirte. Aenderungen des Naturlaufs, Weissagungen, Wunder und Zeichen jeglicher Art.

Der Vernünftler. Zeichen! Wunder! Noch nie habe ich von alledem etwas gesehen.

Der Inspirirte. Andere haben sie dafür statt deiner gesehen. Wolken von Zeugen .... das Zeugniß ganzer Völker.

Der Vernünftler. Ist das Zeugniß ganzer Völker übernatürlicher Art?

Der Inspirirte. Nein, sobald es jedoch einstimmig ist, dann ist es unanfechtbar.

Der Vernünftler. Es gibt nichts Unanfechtbareres als die Grundsätze der Vernunft, und Menschenzeugniß vermag keine Ungereimtheit zu beglaubigen. Noch einmal: laß mich selbst übernatürliche Beweise sehen, denn das Zeugniß des Menschengeschlechtes kann ich nicht als einen solchen anerkennen.

Der Inspirirte. O du verhärtetes Herz! Die Gnade spricht noch nicht zu dir.

Der Vernünftler. Die Schuld liegt nicht an mir; denn deiner Lehre zufolge muß man die Gnade schon empfangen haben, um sie erbitten zu können. Rede du deshalb an ihrer Statt zuerst zu mir.

Der Inspirirte. Ach, das ist es ja, was ich thue, aber du willst auf mich nicht hören. Allein was denkst du über Weissagungen?

Der Vernünftler. Ich sage erstens, daß ich eben so wenig Weissagungen gehört, als Wunder gesehen habe, und ferner sage ich dir, daß ich keiner Weissagung eine Autorität beizulegen vermag.

Der Inspirirte. Diener des Teufels! Und weshalb willst du die Weissagungen nicht als Autorität gelten lassen?

Der Vernünftler. Weil dreierlei dazu nöthig wäre, das gleichzeitig unmöglich eintreten kann, nämlich: daß ich Zeuge der Weissagung gewesen wäre und eben so als Zeuge der Erfüllung derselben beiwohnte, und daß mir der Beweis geliefert würde, diese Erfüllung habe nicht das Ergebniß des Zufalls sein können; denn wäre die Weissagung auch bestimmter, klarer und lichtvoller als ein mathematischer Grundsatz, so würde streng genommen die etwa eintretende Erfüllung noch nichts für den beweisen, von dem die Weissagung ausgegangen ist, weil die Klarheit einer aufs Gerathewohl gemachten Vorhersagung ihre Erfüllung nicht unmöglich macht.

Siehe also, worauf deine angeblichen übernatürlichen Beweise, deine Wunder und deine Weissagungen hinauslaufen, lediglich darauf, dies Alles auf fremdes Zeugniß hin glauben zu müssen und die Autorität Gottes, der durch meine Vernunft zu mir redet, der Autorität der Menschen zu unterwerfen. Wenn die ewigen Wahrheiten, welche mein Geist begreift, irgend wie erschüttert werden könnten, so würde für mich keine Art von Gewißheit mehr existiren, und statt mich der sicheren Ueberzeugung hinzugeben, daß du im Namen Gottes zu mir redest, würde ich nicht einmal mehr die volle Gewißheit haben, ob es überhaupt ein göttliches Wesen gibt.

Da häufen sich also viele Schwierigkeiten auf, mein Sohn, und doch ist damit noch nicht Alles abgemacht. Unter der großen Menge von verschiedenen Religionen, die sich gegenseitig verfolgen und gegen einander abschließen, kann doch nur eine einzige die richtige sein, wenn es überhaupt eine solche gibt. Um diese herauszuerkennen, genügt es nicht, eine von ihnen zu prüfen, sondern man muß sie alle einer sorgfältigen Untersuchung unterziehen, und nach keiner Richtung hin darf man sich ein absprechendes Urtheil über die Gegenpartei erlauben, ehe man sie angehört hat. Plutarch berichtet, die Stoiker hätten unter anderen sonderbaren Paradoxien auch behauptet, es wäre bei einem contradictorischen Rechtsverfahren unnütz, beide Parteien zu vernehmen; denn, meinten sie, entweder hat die erste ihre Aussage bewiesen, oder sie hat sie nicht bewiesen. Wenn sie dieselbe bewiesen hat, so ist damit Alles gesagt, und die Gegenpartei muß verurtheilt werden. Hat sie dagegen nicht den Beweis geliefert, so hat sie Unrecht und muß zurückgewiesen werden. Es kommt mir so vor, als ob die Methode aller derjenigen, welche eine Offenbarung annehmen, die alle Uebrige ausschließt, der stoischen ausfallend ähnlich ist. Sobald einmal Jeder behauptet, er allein habe Recht, so muß man, um unter so vielen Parteien zu wählen, alle anhören, oder man ist ungerecht. Man muß die Einwürfe mit den Beweisen vergleichen, muß wissen, was Jeder den Anderen gegenüber für Einwendungen zu machen hat und was er ihnen antwortet. Je erwiesener uns eine Ansicht erscheint, desto gründlicher müssen wir zu erforschen suchen, worauf sich die große Anzahl der Gegner bei ihrer Verwerfung derselben stützt. Man müßte in der That sehr einfältig sein, wenn man sich dem Wahne hingeben wollte, es genügte, die Lehrer seiner eigenen Partei zu hören, um sich über die Gründe der Gegenpartei zu unterrichten. Wo sind die Theologen, die ihre Ehre in der ungeschminktesten Aufrichtigkeit suchen? Wo sind diejenigen, die nicht erst die Gründe ihrer Gegner abzuschwächen suchen, um sie desto leichter widerlegen zu können? Jeder glänzt in seiner Partei; aber wie einfältig würde sich Mancher, der sich in der Mitte seiner Anhänger mit seinen Beweisgründen bläht, mit den nämlichen Beweisen unter den Mitgliedern einer anderen Partei ausnehmen. Wollen Sie sich indeß aus Büchern unterrichten, welche Gelehrsamkeit müssen Sie sich dann erwerben! Wie viele Sprachen erlernen! Wie viele Bibliotheken durchblättern! Wie viel Zeit auf die Lectüre verwenden! Wer soll uns ferner bei der Auswahl leiten? Schwerlich wird man in einem Lande die besten Bücher der Gegenpartei vorfinden, geschweige denn die aller Parteien, und träfe man sie auch an, so würden sie doch bald Widerlegung gefunden haben. Der Abwesende hat stets Unrecht, und schlechte, aber mit Sicherheit vorgetragene Gründe vernichten leicht die Wirkung guter, die in verächtlichem Tone mitgetheilt werden. Uebrigens geben gerade die Bücher nur zu häufig Veranlassung zu irrthümlichen Anschauungen, und nichts spiegelt die Meinung ihrer Verfasser weniger treu ab. Wenn Sie sich etwa nach dem Buche von Bossuet Das erwähnte Buch Bossuets ist die »Darlegung der katholischen Glaubenslehre«; es erlebte mehr als zwanzig Auflagen und wurde in alle europäische Sprachen übersetzt. Die beste Ausgabe ist die des Abbé Lequeux mit Anmerkungen und der lateinischen Übersetzung des Abbé Fleury (1761). Anmerk. des Herrn Petitain ein Urtheil über die katholische Religion haben bilden wollen, so werden Sie sich, nachdem Sie unter uns gelebt, davon überzeugt haben, daß Sie dadurch nicht zum Zwecke geführt wurden. Sie haben wahrgenommen, daß die Lehre, mit welcher man auf die Einwände der Protestanten antwortet, von derjenigen, in welcher man das Volk unterrichtet, abweicht, und daß Bossuet's Werk keineswegs mit den von der Kanzel erschallenden Lehren Übereinstimmt. Um sich ein richtiges Urtheil über eine Religion zu bilden, muß man sie nicht aus den Büchern ihrer Bekenner studiren, sondern sie aus dem Verkehre mit denselben lernen. Dadurch erhält man einen sehr verschiedenen Eindruck. Jeder hat seine Traditionen, seine Ansichten, seine Gebräuche und Vorurtheile, in denen sich der eigentliche Charakter seines Glaubens ausspricht, und die es uns erst in ihrer Gesammtheit ermöglichen, diesen Glauben zu beurtheilen.

Wie viele große Völker drucken übrigens gar keine Bücher und lesen auch die unserigen nicht! Wie können sie im Stande sein, über unsere Ansichten zu urtheilen, und umgekehrt wieder wir über die ihrigen? Wir machen uns über sie lustig, sie aber schauen mit Verachtung auf uns herab, »Herab«. Variante: sie kennen unsere Gründe und wir die ihrigen nicht, und ... und wenn unsere Reisenden sie lächerlich machen, so fehlt es ihnen, um uns Gleiches mit Gleichem zu vergelten, nur an Reisenden unter uns. In welchem Lande gäbe es nicht vernünftige, aufrichtige, rechtschaffene, wahrheitsliebende Leute, die nur nach der Wahrheit suchen, um sich zu ihr zu bekennen? Jeder erblickt sie indeß in seinem Cultus und findet den Cultus der übrigen Nationen albern. Folglich können diese fremden Culte entweder nicht so wunderlich sein, als sie uns vorkommen, oder das Vernünftige, das wir in dem unserigen finden, kann noch nicht als Beweis gelten.

Wir haben in Europa drei Hauptreligionen. Die eine erkennt nur eine einzige Offenbarung an, die andere zwei, die dritte drei. Jede verabscheut, ja verflucht die beiden anderen und zeiht sie der Blindheit, der Verhärtung, der Halsstarrigkeit, der Lüge. Welcher unparteiische Mann wird sich auf das Wagniß einlassen, zwischen ihnen eine Entscheidung zu treffen, wenn er nicht vorher ihre Beweise genau erwogen, ihre Gründe sorgfältig angehört hat? Diejenige, welche nur eine Offenbarung gelten läßt, ist die älteste und scheint die sicherste zu sein; die, welche drei annimmt, ist die neueste und hat den Schein der größten Consequenz für sich; die endlich, welche nur zwei anerkennt und die dritte verwirft, kann füglich die beste sein, hat aber sicherlich alle Vorurtheile gegen sich; ihre Inconsequenz springt in die Augen.

Bei allen drei Offenbarungen sind die heiligen Urkunden in Sprachen geschrieben, die den Völkern, welche an sie glauben, unbekannt sind. Die Juden verstehen das Hebräische nicht mehr, die Christen verstehen weder Hebräisch noch Griechisch, die Türken und Perser verstehen kein Arabisch, und selbst die heutigen Araber reden die Sprache Muhameds nicht mehr. Ist es nicht eine höchst eigentümliche Art und Weise, die Menschen zu unterrichten, wenn man sich dabei stets einer Sprache bedient, die sie gar nicht verstehen? »Man übersetzt ja aber diese Schriften,« wird man mir einwenden. Schöne Antwort! Wer will die Bürgschaft dafür übernehmen, daß sie auch treu übersetzt sind, ja, daß eine treue Übersetzung überhaupt nur möglich ist? Und weshalb bedarf Gott, wenn er doch schon einmal so viel thut, daß er zu den Menschen redet, noch eines Dolmetschers?

Ich werde nie ein Verständniß dafür haben, daß das, was jeder Mensch zu wissen verpflichtet ist, in Büchern eingeschlossen sein soll, und daß derjenige, welcher weder über diese Bücher, noch über Leute, die sie verstehen, zu verfügen hat, um dieser unfreiwilligen Unwissenheit willen bestraft werden soll. Immer nur Bücher! Was für eine Sucht! Weil Europa voller Bücher ist, so betrachten die Europäer sie als unbedingt nothwendig, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß man auf drei Viertheilen des Erdbodens noch nie dergleichen gesehen hat. Sind nicht alle Bücher von Menschen geschrieben worden? In wie fern sollte der Mensch nun ihrer erst bedürfen, um seine Pflichten kennen zu lernen? Und durch welche Mittel lernte er sie vor Abfassung jener Bücher kennen? Entweder schöpft er die Kenntniß seiner Pflichten aus sich selbst, oder ist von der Kenntniß derselben entbunden.

Unsere Katholiken betonen vor Allem die Autorität der Kirche. Was gewinnen sie indeß damit, wenn sie zur Feststellung dieser Autorität eines eben so großen Aufwandes von Beweisen bedürfen, als die anderen Confessionen zur unmittelbaren Begründung ihrer Lehre nöthig haben? Die Kirche entscheidet, daß der Kirche das Entscheidungsrecht zusteht. Ist das nicht eine außerordentlich fein erwiesene Autorität? Bleiben Sie dabei nicht stehen, sondern kehren Sie zu unseren Erörterungen zurück.

Kennen Sie viele Christen, welche sich die Mühe gegeben haben, das, was das Judenthum gegen sie vorbringt, einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen? Wenn Einigen davon etwas bekannt geworden ist, so haben sie es in den Büchern der Christen gelesen. Eine herrliche Art und Weise, sich über die Gründe ihrer Gegner zu unterrichten! Allein was läßt sich da anfangen? Wollte irgend Jemand das Wagestück unternehmen, unter uns Schriften zu veröffentlichen, in denen das Judenthum offene Begünstigung fände, »Begünstigung fände«. Variante: in denen man behauptete und sich zu beweisen bemühte, daß Jesus Christus nicht der Messias sei. so würden wir Verfasser, Herausgeber und Buchdrucker zur Strafe ziehen. Dieses polizeiliche Verfahren ist bequem und sicher, um stets Recht zu haben. Es muß in der That ein Vergnügen sein, Leute zu widerlegen, die nicht zu sprechen wagen. Von tausend bekannten Thatsachen hier nur eine, die keines Commentars weiter bedarf. Als im sechszehnten Jahrhunderte die katholischen Theologen alle Bücher der Juden ohne Unterschied zum Feuer verurtheilt hatten, zog sich der berühmte und gelehrte Reuchlin, den man in dieser Angelegenheit zu Rathe gezogen hatte, lediglich um seiner Ansicht willen, man könnte diejenigen dieser Bücher erhalten, welche frei von Angriffen gegen das Christenthum wären und nur solche Stoffe behandelten, die die Religion nicht berührten, heftige Verfolgungen zu, die ihn beinahe zu Grunde gerichtet hätten.

Denjenigen unter uns, welchen Gelegenheit gegeben ist, mit Juden Umgang zu pflegen, ist damit nicht viel mehr geholfen. Die Unglücklichen trafen nur zu sehr das Gefühl in sich, daß sie in vollständiger Abhängigkeit von uns leben. Die Tyrannei, welche man gegen sie ausübt, macht sie furchtsam; sie wissen, wie schnell die christliche Liebe zu Mitteln der Ungerechtigkeit und Grausamkeit ihre Zuflucht nimmt. Was können sie sich wol zu sagen unterfangen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von uns der Gotteslästerung geziehen zu werden? Die Habgier stachelt unsern Eifer an, und sie sind viel zu reich, um nicht Unrecht zu bekommen. Die Gelehrtesten und Aufgeklärtesten zeigen auch stets die größte Vorsicht. Es wird vielleicht gelingen, irgend einen Elenden zu bekehren, der sich dafür bezahlen läßt, seine Glaubensgenossen zu verleumden; man wird vielleicht mit einigen feilen Trödlern ein Gespräch anknüpfen können, die aus Schmeichelei den Nachgiebigen spielen werden; man wird über ihre Unwissenheit oder ihre Gemeinheit einen Triumph feiern, während ihre gelehrten Glaubensgenossen im Stillen diese Thorheit belächeln werden. Läßt sich aber deshalb annehmen, daß sie an Orten, wo sie sich in Sicherheit fühlten, ihren Gegnern eben so leichtes Spiel einräumen würden? In der Sorbonne ist es so klar wie der Tag, daß sich die messianischen Weissagungen auf Jesum Christum beziehen. Bei den Rabbinern in Amsterdam gilt es für ganz eben so klar, daß sie nicht den geringsten Bezug auf ihn haben. Ich werde mir nie eine vollständige Kenntniß der Gründe der Juden zutrauen, so lange sie nicht einen freien Staat, nicht Schulen und Universitäten haben, in denen sie ohne Gefahr reden und disputiren können. Dann erst sind wir zu erfahren im Stande, was sie zu sagen haben.

In Constantinopel sprechen sich die Türken über ihre Gründe aus, während wir die unserigen nicht vorzubringen wagen. Dort müssen wir uns demüthigen. Haben nun die Türken Unrecht, wenn sie von uns verlangen, wir sollen Muhamed, an den wir nicht glauben, dieselbe Ehrfurcht erweisen, die wir von den Juden Christo gegenüber begehren, an den sie eben so wenig glauben? Oder ist das Recht auf unserer Seite? Nach welchem Grundsatze der Gerechtigkeit müssen wir diese Frage entscheiden?

Zwei Drittheile der Menschheit gehören weder zu den Juden, noch zu den Muhamedanern, noch zu den Christen, und wie viele Millionen Menschen haben von Moses, Jesus Christus oder Muhamed nie etwas gehört! Allerdings stellt man dies in Abrede; man stellt die Behauptung auf, daß unsere Missionäre überall hinkämen. Das ist bald gesagt! Haben sie aber wirklich schon das bisher noch ganz unbekannte Innere Afrikas durchwandert, in welches bis jetzt noch nie ein Europäer gedrungen ist? Gelangen sie bis in die innere Tartarei, und begleiten sie zu Pferde die umherschweifenden Horden, denen sich nie ein Fremder zu nahen wagt, und die kaum den Groß-Lama kennen, geschweige denn, daß sie je etwas vom Papste gehört hätten? Durchziehen sie die unermeßlichen Binnenländer Amerikas, wo ganze Stämme noch nicht einmal wissen, daß Völker aus einem fremden Welttheile den Fuß in den ihrigen gesetzt haben? Betreten sie Japan, aus welchem ihre Ränke sie für immer verbannt haben, und wo ihre Vorgänger den folgenden Geschlechtern nur als schlaue Ränkeschmiede bekannt sind, die sich mit scheinheiligem Eifer eingenistet hatten, um sich unvermerkt der Herrschaft zu bemächtigen? Können sie sich die Harems der asiatischen Fürsten erschließen, um Tausenden von armen Sklaven das Evangelium zu verkündigen? Was haben die Frauen in jenem Welttheile begangen, daß kein Missionär im Stande ist, ihnen den Glauben zu predigen? Werden sie deshalb Alle in die Hölle hinabgestoßen werden, weil sie hier hinter Schloß und Riegel gehalten worden sind?

Und wenn es selbst wahr wäre, daß das Evangelium auf der ganzen Erde verkündigt würde, was würde man damit gewinnen? Den Tag vor der Ankunft des ersten Missionärs in einem Lande ist sicherlich irgend Jemand gestorben, der seine Predigt nicht mehr zu hören vermochte. Was in aller Welt sollen wir nun mit diesem Einen anfangen? Ja, fände sich auf der ganzen Erde nur ein einziger Mensch, welchem man nie Jesum Christum gepredigt hätte, so würde doch der Einwurf hinsichtlich dieses Einen nicht weniger zutreffend sein, als wenn es sich um ein Viertel der ganzen Menschheit handelte.

Was haben die Diener des Evangeliums, wenn sie unter fremden Völkern ihr Lehramt begannen, denselben gesagt, das man vernünftigerweise auf ihr bloßes Wort hin annehmen könnte und das nicht erst die genaueste Untersuchung verlangte? Ihr verkündet mir einen Gott, der vor zweitausend Jahren am andern Ende der Welt in irgend einer kleinen Stadt geboren und gestorben ist, und behauptet, daß Alle, die nicht an dieses Geheimniß glauben, verdammt werden würden. Das klingt doch allzu wunderlich, um auf die bloße Autorität eines mir unbekannten Menschen hin Glauben zu verdienen. Weshalb hat euer Gott die Ereignisse, zu deren Kenntniß er mich verpflichten will, auf einem so weit entlegenen Schauplatze eintreten lassen? Kann es als Verbrechen angerechnet werden, das nicht zu wissen, was bei den Antipoden vor sich geht? Kann ich errathen, daß es auf der anderen Halbkugel ein hebräisches Volk und eine Stadt Jerusalem gegeben hat? Mit demselben Fug und Recht könnte man mir die Verpflichtung auferlegen, zu wissen, was sich auf dem Monde zuträgt. Ihr kommt, wie ihr vorgebt, mich darüber zu belehren; allein weshalb seid ihr nicht gekommen, meinem Vater schon diese Kunde zu bringen? Oder weshalb verdammt ihr diesen rechtschaffenen Greis um deswillen, daß er nichts davon erfahren hat? Soll er eurer Trägheit zu Liebe ewig bestraft werden, er, der so gut, so wohlthätig war und nur die Wahrheit suchte? Seid aufrichtig und setzt euch einmal an meine Stelle! Saget selbst, ob man von mir wol verlangen kann, auf euer alleiniges Zeugniß hin alle die unglaublichen Dinge, die ihr mir berichtet, zu glauben, und ob eine so große Reihe von Ungerechtigkeiten mit dem gerechten Gotte, den ihr mir verkündet, vereinbar ist? Laßt mich doch erst, wenn ich bitten darf, jenes weit entlegene Land »Jenes weit entlegene Land«. Variante: »Das wunderbare Land, wo die Jungfrauen gebären, die Götter geboren werden, essen, leiden und sterben.« Diese wie die zuletzt angegebene Variante findet sich in der That in Rousseau's eigenhändigem Manuscripte, ist aber von dem Verfasser selbst ausgestrichen und durch obige Fassung ersetzt, die in alle Ausgaben bis zum Jahre 1801 aufgenommen worden ist. Anmerk. des Herrn Petitai n. besuchen, wo sich so viele in meinem Vaterlande unerhörte Wunderdinge ereignen. Ich möchte doch in Erfahrung bringen, weshalb die Einwohner jenes Jerusalems Gott wie einen Missethäter behandelt haben. Sie haben ihn, wendet ihr mir ein, eben nicht als Gott erkannt. Was soll denn ich nun aber thun, ich, der ich, außer von euch, niemals etwas von ihm vernommen habe? Ihr füget freilich hinzu, sie seien dafür bestraft, zerstreut, unterdrückt, unterjocht worden; keiner von ihnen nahe sich mehr dieser Stadt. Unläugbar haben sie das Alles wohl verdient; was sagen indeß die heutigen Bewohner zu dem Gottesmorde ihrer Vorfahren? Auch sie läugnen seine Gottheit, sie erkennen Gott eben so wenig als Gott an. Wäre es dann nicht eben so gut gewesen, die Nachkommen der ersten Bewohner dort zu lassen?

Wie, in der nämlichen Stadt, in welcher Gott gestorben ist, haben ihn weder die alten noch die gegenwärtigen Einwohner anerkannt, und trotzdem verlangt ihr, daß ich, der ich zweitausend Jahre später und zweitausend Meilen davon entfernt geboren bin, ihn anerkennen soll? Könnt ihr denn nicht begreifen, daß ich, ehe ich der Schrift, welche ihr die heilige nennt, und deren Inhalt mir unverständlich ist, Glauben zu schenken vermag, erst noch von Anderen als euch erfahren muß, wann und von wem sie verfaßt, wie sie erhalten und zu euch gelangt ist, und durch was für Gründe sich die Bewohner dieses Landes selbst zur Verwerfung derselben haben bestimmen lassen, obwol sie Alles, was ihr mich lehrt, eben so gut wissen als ihr? Euer eigenes Gefühl wird euch sagen, daß ich nothwendigerweise nach Europa, nach Asien, nach Palästina gehen müßte, um Alles selbst zu prüfen; ich müßte ein offenbarer Narr sein, wollte ich euch vorher Gehör schenken.

Diese Erklärung erscheint mir nicht nur sehr vernünftig, sondern ich behaupte auch geradezu, daß jeder vernünftige Mensch in ähnlichem Falle eben so sprechen und den Missionär, der sich vor Bestätigung seiner Beweisquellen zu lehren und zu taufen beeilte, kurz abweisen müßte. Nun behaupte ich aber, daß es keine Offenbarung gibt, gegen welche sich nicht diese oder ähnliche Einwürfe Zu den Worten »ähnliche Einwürfe« macht Herr Petitain die Anmerkung, daß sich dieselben weder in Rousseau's eigenhändigem Manuscripte, noch in irgend einer, vor der in Genf erschienenen Ausgabe finden. von eben so viel oder noch von größerer Kraft als gegen das Christentum erheben ließen. Daraus folgt, daß man, wenn es nur eine wahre Religion gäbe, und jeder Mensch sich bei Strafe der Verdammniß zu ihr bekennen müßte, sich genöthigt sähe, sein ganzes Leben nur damit hinzubringen, sie alle zu studiren, sich in alle zu vertiefen, sie unter einander zu vergleichen und die Länder zu durchreisen, in denen sie ausgeübt werden. Niemand ist von dieser ersten Menschenpflicht entbunden, Niemand hat die Berechtigung, sich auf fremdes Urtheil zu verlassen. Der Handwerker, der nur vom Ertrage seiner Arbeit lebt, der Landmann, der nicht lesen kann, das zarte und schüchterne junge Mädchen, der Sieche, der sich nur mit Mühe von seinem Bette zu erheben vermag, sie Alle ohne Ausnahme müßten studiren, nachdenken, disputiren, reisen, die Welt durchpilgern. Es würde kein fest ansässiges Volk mehr geben. Die ganze Erde würde mit Pilgern bedeckt sein, die unter großen Kosten und langwierigen Mühseligkeiten die Welt durchirrten, um selbst die verschiedenen Religionen, zu denen man sich bekennt, zu untersuchen, zu vergleichen und zu prüfen. Dann gute Nacht, ihr Handwerke, Künste, menschliche Wissenschaften und alle bürgerliche Beschäftigungen! Dann könnte es kein anderes Studium mehr als das der Religion geben. Mit genauer Noth würde derjenige, welcher sich der festesten Gesundheit zu erfreuen gehabt, seine Zeit am besten ausgekauft, von seiner Vernunft den besten Gebrauch gemacht und am längsten gelebt hätte, in seinem Greisenalter wissen, woran er sich zu halten hätte; und es würde schon sehr viel sein, wenn er noch vor seinem Tode lernte, in welcher Religion er hätte leben sollen.

Wollen Sie diese Methode mildern und der menschlichen Autorität auch nur den geringsten Spielraum lassen, so räumen Sie ihr damit augenblicklich Alles ein. Wenn der Sohn eines Christen wohl daran thut, sich ohne vorhergehende tiefe und unparteiische Prüfung zu der Religion seines Vaters zu halten, weshalb sollte dann der Sohn eines Türken dadurch ein Unrecht begehen, daß er sich ebenfalls zu der Religion seines Vaters »Der Religion seines Vaters«. Variante: ... seines Vaters. Wie viele Menschen sind in Rom sehr gute Katholiken, die aus demselben Grunde, wenn sie in Mekka geboren wären, sehr gute Muselmänner sein würden, und wiederum, wie viele brave Leute sind in Asien sehr gute Türken, welche in unserer Mitte sehr gute Christen sein würden. bekennt? Ich fordere alle Intoleranten auf, mir darauf irgend eine Antwort zu ertheilen, die im Stande ist, einen vernünftigen Menschen zu befriedigen.

Durch diese Gründe in die Enge getrieben, wollen Einige Gott lieber ungerecht erscheinen und ihn die Unschuldigen um der Sünden ihrer Väter willen bestrafen lassen, als daß sie ihr barbarisches Dogma aufgeben. Andere suchen sich dadurch aus der Verlegenheit zu ziehen, daß sie zuvorkommenderweise einen Engel senden, um Jeden zu unterrichten, der trotz seiner unüberwindbaren Unwissenheit doch einen sittlich guten Lebenswandel geführt hätte. Eine herrliche Erfindung, dieser Engel! Nicht zufrieden damit, uns ihren Maschinerien zu unterwerfen, versetzen sie sogar Gott in die Nothwendigkeit, dergleichen in Anwendung zu bringen.

Erkennen Sie daran, mein Sohn, bis zu welcher Ungereimtheit Stolz und Intoleranz führen, wenn Jeder auf seinem Kopfe bestehen will und der ganzen übrigen Menschheit gegenüber allein Recht zu haben glaubt. Ich nehme den Gott des Friedens, welchen ich anbete und Ihnen verkündige, zum Zeugen, daß alle meine Forschungen aufrichtig gewesen sind; als ich mich jedoch davon überzeugte, daß sie erfolglos waren und stets bleiben würden, und daß ich mich gleichsam auf ein uferloses Meer hinausgewagt hatte, so bin ich wieder umgekehrt und habe meinen Glauben auf meine ursprünglichen Ideen beschränkt. Ich habe mich niemals dem Glauben hingeben können, daß mir Gott wirklich unter Androhung der Höllenstrafe beföhle, so gelehrt zu sein. Aus dem Grunde habe ich denn alle Bücher zugeschlagen; ein einziges liegt offen vor Aller Augen dar: das der Natur. Aus diesem großen und erhabenen Buche lerne ich dem Schöpfer dienen und ihn anbeten. Niemand ist zu entschuldigen, welcher in demselben nicht liest, weil es zu allen Menschen in einer jedem geistigen Wesen verständlichen Sprache redet. Und wäre ich auf einer wüsten Insel geboren, hätte ich außer mir nie einen Menschen gesehen, hätte ich nie erfahren, was sich vor Zeiten in einem Winkel der Erde ereignet hat, so würde ich doch, wenn ich nur meine Vernunft übte und sie sorgfältig ausbildete, wenn ich nur die mir von Gott verliehenen unmittelbaren Fähigkeiten richtig gebrauchte, von mir selbst ihn erkennen und lieben lernen, ja würde seine Werke lieben, das Gute, was er will, wollen, um sein Wohlgefallen zu erringen, alle meine Pflichten auf Erden erfüllen lernen. Und was könnte mich wol alles menschliche Wissen mehr lehren?

Was die Offenbarung betrifft, so würde ich vielleicht, wenn ich ein schärferer Denker und besser geschult wäre, ihre Wahrheit und ihren Nutzen für diejenigen begreifen, welche das Glück haben, sie zu erkennen; allein wenn mir auch zu ihren Gunsten Beweise, die ich nicht zu bestreiten vermag, nicht entgehen, so verhehle ich mir doch auch nicht, daß sich Einwürfe gegen sie geltend machen, die ich nicht zu widerlegen vermag. Es gibt so viele triftige Gründe für und wider, daß ich, da ich nicht weiß, nach welcher Seite hin ich mich entscheiden soll, sie weder anerkenne noch verwerfe. Nur die Verpflichtung zu ihrer Anerkennung verwerfe ich entschieden, weil diese vermeintliche Verpflichtung mit der Gerechtigkeit Gottes unvereinbar ist, da er, weit davon entfernt, die Hindernisse des Heils dadurch zu beseitigen, sie vielmehr vervielfältigt und für den größten Theil der Menschheit unübersteiglich gemacht hätte. Dies ausgenommen verharre ich hinsichtlich dieses Punktes in einem ehrfurchtsvollen Zweifel. Ich bin nicht so vermessen, mich für unfehlbar zu halten. Andere Menschen sind im Stande gewesen, über das, was mir unentschieden und zweifelhaft scheint, zu entscheiden; ich denke für mich und nicht für sie. Wie ich sie nicht tadele, will ich ihnen auch nicht nachahmen. Vielleicht ist ihr Urtheil richtiger als das meinige; aber ich trage nicht die Schuld, wenn es das meinige nicht ist.


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