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Ich kenne ein junges Mädchen, welches eher schreiben als lesen lernte und mit der Nadel zu schreiben anfing, bevor sie die Feder zu führen vermochte. Von allen Schriftlichen wollte es zuerst nur das O nachmalen. Es schrieb beständig große und kleine O, schrieb sie von allen möglichen Größen, zwängte ein O in das andere hinein und schrieb dabei regelmäßig von rechts nach links. Unglücklicherweise sah es sich eines Tages, während es sich dieser nützlichen Beschäftigung hingab, im Spiegel; da machte die Kleine die Entdeckung, daß ihr die gekrümmte Haltung ein schlechtes Aussehen gab. Wie eine Minerva warf sie die Feder weg und wollte keine O mehr schreiben. Auch ihr Bruder fand kein Wohlgefallen am Schreiben. Ihn hielt jedoch weniger das ungeschickte Aussehen davon ab als der damit verbundene Zwang. Man brachte nun das Mädchen wieder auf folgende Weise zum Schreiben. Es war sehr eigen und wollte durchaus nicht leiden, daß sich auch die Schwestern seiner Wäsche bedienten. Bisher hatte man ihnen dieselbe gezeichnet, nun unterließ man es. So mußte die Kleine dies also von jetzt ab selbst lernen. Das Uebrige ergab sich nun von selbst.

Deshalb rechtfertige man stets die Dienstleistungen, die man von jungen Mädchen fordert, aber man beschäftige sie auch stets. Müßiggang und Eigensinn sind für sie die beiden schlimmsten Fehler, die man am allerschwersten auszurotten vermag, sobald man sie erst hat einwurzeln lassen. Mädchen müssen sorgsam und arbeitsam sein. Das ist indeß noch nicht Alles, sie müssen sich auch zeitig fügen lernen. Ein gewisser Zwang ist von ihrem Geschlechte unzertrennlich, und wenn sie sich demselben entziehen wollen, so werden sie es einst bitter bereuen. So sind sie z.B. ihr ganzes Leben einem beständigen und sehr strengen Zwange unterworfen, nämlich dem der Wohlanständigkeit. Sie müssen deshalb schon früh an diesen Zwang gewöhnt werden, damit sie sich leicht in denselben finden lernen: man muß sie bei Zeiten anhalten, ihre Launen zu beherrschen, um sie dem Willen Anderer unterwerfen zu können. Hätten sie Lust, fortwährend zu arbeiten, so müßte man sie zwingen, sich Erholung zu gönnen. Zerstreutheit, Leichtfertigkeit und Unbeständigkeit sind Fehler, die sich leicht daraus entwickeln, daß man seine Lieblingsneigungen eine verkehrte Richtung einschlagen und sich beständig von ihnen leiten läßt. Will man dieser Verirrung vorbeugen, so gewöhne man sie vor Allem daran, sich selbst zu beherrschen. Deshalb ist das Leben einer ehrbaren Frau bei den vielen verkehrten Einrichtungen unserer Zeit fast ein beständiger Kampf mit sich selbst. Doch ist es nur billig, daß dies Geschlecht auch seinen Antheil an den Leiden trage, die es uns bereitet hat.

Man verhindere, daß sich die Mädchen bei ihren Beschäftigungen langweilen und ihren Vergnügungen mit zu großer Leidenschaft hingeben, wie dies bei der gewöhnlichen Erziehung fast regelmäßig zu geschehen pflegt. Hier trägt, wie Fénélon sagt, der eine Theil alle Langeweile, der andere alles Vergnügen. Die genaue Beobachtung der obigen Regeln vorausgesetzt, wird der erste dieser beiden Uebelstände nur dann hervortreten, wenn die Personen, von denen das Kind umgeben ist, ihm mißfallen. Ein kleines Mädchen, das seine Mutter oder seine Erzieherin liebt, wird den ganzen Tag an ihrer Seite arbeiten, ohne Langeweile zu empfinden; schon das bloße Plaudern entschädigt es für allen Zwang. Wenn es Jene indeß nicht leiden kann, wird es Alles mit Unlust thun, wozu es unter deren Augen angehalten wird. Es ist sehr schwer, daß die Mädchen gut gerathen, denen die Mutter nicht über Alles geht. Freilich, um ihre wahren Gefühle richtig beurtheilen zu können, muß man sie genauer beobachten und sich nicht allein auf das verlassen, was sie sagen, denn sie sind Schmeichelkätzchen, listig und lieben schon frühzeitig die Verstellung. Auch darf man ihnen nicht vorschreiben, ihre Mutter zu lieben: die Liebe läßt sich nicht gebieten, und hier hilft kein Zwang. Anhänglichkeit, Sorgfalt und schon die süße Gewohnheit werden in der Tochter Liebe zur Mutter erwecken, falls sich dieselbe nicht durch irgend eine Handlung ihren Haß zuzieht. Selbst der verständige Zwang, in welchem die Tochter nothwendig gehalten werden muß, wird diese Zuneigung nicht schwächen, sondern nur erhöhen, denn Abhängigkeit ist ein den Frauen natürlicher Zustand, und schon die Mädchen fühlen, daß sie zum Gehorchen geboren sind.

Die Frauen haben also oder sollen wenigstens nur einen geringen Grad von Freiheit haben. Aus demselben Grunde geben sie sich aber den Freiheiten, welche man ihnen läßt, bis zum Uebermaße hin. Geneigt, Alles zu übertreiben, entwickeln die Mädchen bei ihren Spielen einen weit ungestümeren Eifer als selbst die Knaben. Das ist der zweite der angedeuteten Uebelstände. Dieses Ungestüm muß durchaus niedergehalten werden, denn in ihm wurzeln mehrere Fehler, die den Frauen eigenthümlich sind, wie z.B. der Eigensinn und die Eingenommenheit von sich selbst. So kann sich eine Frau heute für etwas begeistern, was sie morgen kaum beachtet. Eine solche Unbeständigkeit in ihren Neigungen ist eben so schädlich wie eine zu große Leidenschaftlichkeit in denselben, und beide entstehen aus derselben Quelle. Wir wollen ihnen durchaus nicht ihren Frohsinn, ihr Lachen, ihre Lebhaftigkeit und ihre ausgelassenen Spiele mißgönnen, nur muß man zu verhüten suchen, daß sie sich nicht an einer Sache übersättigen und dann voller Unbeständigkeit bald das Eine, bald das Andere ergreifen. Stets müssen sie fühlen, daß jedes Beginnen nur bis zu einer gewissen Grenze ausgedehnt werden darf; man gewöhne sie, sich mitten im Spiele ohne Murren unterbrechen zu lassen und etwas Anderes vorzunehmen. Schon die Gewöhnung thut hierin viel, da sie ja in dieser Beziehung nur eine Unterstützung der natürlichen Neigung ist.

Ist der Zwang zur Gewohnheit geworden, so entsteht daraus eine Fügsamkeit des Geistes, welche den Frauen ihr ganzes Leben hindurch von großem Nutzen ist. Beständig sind sie ja entweder einem Manne oder dem Urtheile der Männer unterworfen, und nie dürfen sie sich über diese Urtheile hinwegsetzen. Die vornehmste und wichtigste Eigenschaft einer Frau ist die Sanftmuth. Dazu bestimmt, einem Wesen zu gehorche», das in jeder Beziehung so unvollkommen ist und, wenn auch nicht immer geradezu Laster, so doch stets viele Fehler besitzt, muß die Frau schon früh, ohne sich zu beklagen, Ungerechtigkeit erdulden und die Härte eines Gatten ertragen lernen. Sie muß weniger seinetwegen als um ihrer selbst willen sanft sein. Verstimmung und Halsstarrigkeit der Frauen tragen nur dazu bei, ihre Leiden zu vergrößern und das Verhältniß zu dem Manne zu verschlimmern. Nicht mit diesen Waffen sollen sie über die Männerwelt zu siegen suchen. Der Himmel hat ihnen nicht deshalb jenes einschmeichelnde und bestrickende Wesen verliehen, um zänkisch zu werden, hat ihnen ihre Schwäche nicht gegeben, um sie als Mittel zur Erlangung der Herrschaft zu benutzen, hat sie mit ihrer sanften Stimme nicht zum Schmähen und Schelten und mit ihrem zarten Gesichtsausdruck nicht dazu ausgestattet, um ihn durch Ausbrüche des Zornes zu entstellen. Wenn sie sich ärgern, vergessen sie sich. Oft haben sie wol Recht, sich zu beschweren, sobald sie aber schmälen, ist das Unrecht stets auf ihrer Seite. Jedes muß den Ton seines Geschlechtes beibehalten. Zeigt der Mann zu viel Sanftmuth, so kann sich die Frau dadurch leicht zur Ungezogenheit verleiten lassen; sofern aber der Mann nicht völlig verkommen ist, wird ihn die Sanftmuth der Frau stets wieder auf den rechten Weg zurückbringen und früher oder später doch stets den Sieg davontragen.

Die Töchter sollen also immer gehorsam, die Mütter jedoch auch nicht immer unerbittlich sein. Um ein junges Mädchen an Folgsamkeit zu gewöhnen, braucht man es nicht unglücklich zu machen; um es zur Sittsamkeit anzuhalten, braucht man nicht jedes Gefühl in ihm zu ertödten. Ich würde es im Gegentheile einem jungen Mädchen nicht verargen, wenn es hin und wieder eine kleine List anwendete, zwar nicht, um der Strafe für seinen Ungehorsam zu entgehen, sondern um der Notwendigkeit, gehorchen zu müssen, auf eine feine Art aus dem Wege zu gehen. Die Abhängigkeit braucht nicht gerade lästig und beschwerlich zu werden, es ist schon hinreichend, wenn man sich ihrer bewußt ist. Da nun die List eine natürliche Anlage des weiblichen Geschlechts ist und nach meiner Ansicht alle Naturanlagen an und für sich gut und berechtigt sind, so glaube ich, daß man auch diese Anlage wie alle andern pflegen muß, nur soll man die Ausartung derselben verhüten. In Bezug auf die Richtigkeit dieser Bemerkung möchte ich mich auf das Urtheil eines jeden gewissenhaften Beobachters berufen. Von den Frauen müssen wir in diesem Punkte freilich absehen; sie haben vielleicht schon in Folge unserer zwangsvollen gesellschaftlichen Einrichtungen Gelegenheit und Anregung genug gehabt, ihren Geist zu schärfen. Wir wollen hier nur von den kleinen Mädchen reden, die gleichsam erst zu leben beginnen. Vergleicht man sie mit Knaben von gleichem Alter, so werden diese sicherlich gegen jene schwerfällig, unbeholfen und linkisch erscheinen. Ich will nur ein Beispiel anführen, um das verschiedene Benehmen beider Geschlechter in ihrer kindlichen Einfalt zu zeigen.

Man pflegt den Kindern zu verbieten, bei Tische etwas zu fordern. Ich halte dies allerdings nicht für richtig, denn man soll die Kinder nicht mit unnützen Vorschriften überladen. Es ist ja leicht, ihnen einen Bissen von diesem oder jenem Gerichte zu gewähren oder zu verweigern. Ein Kind wird ungestüm bitten, wenn es dadurch zum Ziele gelangt. Nie wird es jedoch zweimal dasselbe verlangen, wenn die erste Antwort regelmäßig unwiderruflich ist. Man martert dann wenigstens das arme Kind nicht mit seiner durch die Hoffnung gesteigerten Lüsternheit fast zu Tode. Bekannt ist nun die List eines kleinen Knaben, dem dies Gesetz ebenfalls auferlegt war, und der sich, als man ihn bei Tische vergessen hatte, ein Herz faßte und um ein wenig Salz bat. Man hätte ihn freilich deswegen doch schelten können, weil er direct zwar nur Salz, indirect aber damit gleichzeitig Fleisch gefordert hatte. Doch will ich dagegen nichts einwenden, denn in jenem Uebersehen lag etwas so Grausames, daß ich mir die Möglichkeit seiner Bestrafung selbst in dem Falle nicht denken kann, wenn er das Gebot geradezu übertreten und ohne Umschweife gesagt hätte, daß ihn hungere. Ich will hier nur die List mittheilen, welche ein kleines Mädchen von sechs Jahren in meiner Gegenwart in einem ungleich schwierigeren Falle anwendete; denn nicht allein war auch diesem auf das Strengste untersagt worden, weder mittelbar noch unmittelbar irgend etwas zu fordern, sondern sein Ungehorsam wäre hier auch in so fern unverzeihlich gewesen, als das Kind, mit Ausnahme eines einzigen Gerichtes, bereits von allen übrigen gegessen hatte. Von diesem hatte man ihm vorzulegen vergessen, aber gerade nach ihm trug es besonderes Verlangen.

Um nun auf diesen Act der Vergeßlichkeit aufmerksam zu machen, ohne gerade ungehorsam zu erscheinen, ließ es mit erhobenem Finger seine Blicke über alle Gerichte schweifen und sagte, indem es auf jedes einzelne hinwies, dabei ganz laut: »Hiervon habe ich gegessen, hiervon habe ich gegessen!« Als es aber an das Gericht gelangte, von dem man ihm vorzulegen vergessen hatte, überschlug es dasselbe mit so auffälligem Stillschweigen, daß es Jemand bemerkte und fragte: »Hast du denn von diesem Gerichte nicht auch gegessen?« »Ach nein,« versetzte leise das kleine Leckermäulchen mit niedergeschlagenen Augen. Ich brauche wol nichts weiter hinzuzufügen. Man vergleiche nur die List des Mädchens mit der des Knaben.

Alles, was ist, ist gut, und kein allgemeines Gesetz ist schlecht. Die dem Weibe verliehene eigenthümliche List ist nur ein völlig billiger Ersatz für seine geringere Stärke. Ohne sie würde die Frau nicht als Gefährtin des Mannes auftreten können, sondern zu seiner Sklavin herabsinken. Durch diese Ueberlegenheit des Talentes erhält sie ihre Ebenbürtigkeit aufrecht und beherrscht den Mann, trotzdem sie ihm gehorcht. Die Frau hat Alles gegen sich: unsere Fehler, ihre Schüchternheit und ihre Schwäche; die Waffen, welche sie für sich ins Feld führen kann, sind allein ihre List und ihre Schönheit. Ist es deshalb nicht billig, daß sie beide ausbildet? Allein die Schönheit ist nicht jeder Frau verliehen, auch leidet sie unter tausend Zufälligkeiten, verwelkt mit den Jahren, und selbst die Gewohnheit verringert ihren Reiz. Im Geist allein liegt die Hauptstärke des schönen Geschlechts, freilich nicht in jenem oberflächlichen Geiste, auf den die Welt so großen Werth legt und der zur Begründung eines wahren Lebensglücks doch völlig werthlos ist, sondern in der den Frauen eigentümlichen geistigen Befähigung, sich unsern Geist dienstbar zu machen und somit aus unseren eigenen Vorzügen Vortheil zu ziehen. Man glaubt kaum, wie nützlich diese Kunst uns selbst ist, in wie hohem Grade sie den Reiz des persönlichen Umgangs beider Geschlechter unter einander erhöht, wie ersprießlich sie ist, den Muthwillen der Kinder zurückzuhalten und rauhe Ehemänner zu besänftigen, und wie viel sie zum Gedeihen der Haushaltung beiträgt, welche sonst durch Zwietracht so leicht gestört werden würde. Ränkevolle und böse Weiber machen zwar, wie mir recht wohl bewußt ist, einen schlechten Gebrauch davon, aber womit triebe das Laster nicht Mißbrauch? Man darf die Mittel zur Glückseligkeit nicht zerstören, weil sich einige Böse derselben hin und wieder zu unserem Nachtheile bedienen.

Man kann durch Putz glänzen, gefallen kann man aber nur durch seine Person. Der Anzug ist nicht der Mensch selbst; oft entstellt er den, welcher zu große Sorgfalt auf ihn verwendet, und wer ihn recht bemerkbar machen will, findet oft selbst am wenigsten Beachtung. Die Erziehung der jungen Mädchen befindet sich in diesem Punkte auf einem schlimmen Abwege. Man verspricht ihnen Putz als Belohnung und impft ihnen auf diese Weise Gefallen an einem auffallenden Putze ein. »Wie schön sie ist!« ruft man wol aus, wenn sie recht aufgeputzt einhergehen. Man sollte den Mädchen im Gegentheile die Ueberzeugung beibringen, daß so viel Putz nur Fehler bedecken solle, und daß die Schönheit ihren Haupttriumph darin suche, nur durch sich selbst zu glänzen. Die Modesucht ist ein Zeichen schlechten Geschmacks. Da sich das Gesicht nicht mit der Mode ändert und die Figur stets dieselbe bleibt, so wird ihr das, was ihr einmal gut stand, auch immer gut stehen.

Ich würde ein junges Mädchen, das zu großen Werth auf seine Kleidung legt, auf folgende Weise von seinem Irrthume zu heilen suchen. Zunächst würde ich mich stellen, als ob ich wegen der so verdeckten Gestalt besorgt wäre und mich über das, was man darüber sagen könnte, beunruhigt fühlte. Dann würde ich sagen: »Alle diese Zierrathen putzen leider zu sehr! Glaubst du wol, daß deine Figur auch einfachere vertragen könnte? Besitzt sie genug Schönheit, um dieses oder jenes entbehren zu können?« Vielleicht wird dann die Kleine die Erste sein, welche uns ersucht, ihr irgend einen Schmuck abzunehmen, und uns dann selbst ein Urtheil darüber zu bilden. In diesem Falle müßte man, wenn es möglich wäre, mit dem Lobe nicht zurückhalten. Ich würde ihr stets am meisten Lob spenden, wenn sie am einfachsten gekleidet ginge. Sobald sie den Putz nur als eine Ergänzung der Anmuth ihrer Person und gleichsam als ein stillschweigendes Eingeständniß betrachtet, daß sie eines solchen Hilfsmittels bedürfe, um Gefallen zu erregen, so wird sie sicherlich nicht mehr stolz auf ihren Putz sein. Sie wird vielmehr demüthig werden, und wenn sie sich ja einmal mehr putzt als gewöhnlich und dann den Ausruf vernimmt: »Wie schön sie ist!« so wird sie vor Verdruß darüber erröthen.

Uebrigens finden sich allerdings Figuren, welche einen gewissen Putz nöthig haben, aber keine, welche einen überreichen Schmuck erfordern. Ein Putz, welcher im Stande ist, zu Grunde zu richten, beruht auf einer durch die Rangstufe genährten Eitelkeit, wird aber nicht durch die Eitelkeit der Person hervorgerufen. Er ist einzig und allein auf Vorurtheile zurückzuführen. Die wirkliche Gefallsucht hat wol hin und wieder eine Vorliebe für das Gesuchte, aber nie für das Prunkvolle. Juno kleidete sich weit prachtvoller als Venus. »Da du es nicht vermochtest, Helena in ihrer vollen Schönheit darzustellen, hast du sie mit Reichthümern ausgestattet,« sagte Apelles zu einem schlechten Maler, welcher die Helena auf seinem Gemälde mit Putz überladen hatte. Clemens v. Alex., Paedag. lib. II. cap. 12. Mir ist ebenfalls die Bemerkung nicht entgangen, daß die prächtigsten Kleider gewöhnlich häßliche Frauen vermuthen lassen; man kann sich keine weniger angebrachte Eitelkeit denken. Gebet einem jungen Mädchen, das Geschmack besitzt und nichts nach der Mode trägt, Bänder, Flor, Mousselin und Blumen, und es wird sich, ohne daß es der Zuthaten von Diamanten, Zierrathen und Spitzen Frauen, deren Haut weiß genug ist, um der Spitzen entbehren zu können, würden ihren Mitschwestern, wenn sie keine tragen wollten, großen Verdruß bereiten. Fast immer werden die Moden von den Häßlichen erfunden, denen sich die Schönen thörichterweise unterwerfen. bedarf, einen Anzug herstellen, der ihm hundertmal reizender steht, als der glänzendste Flitterstaat des ersten Modehändlers.

Da das Gute seinen Werth stets behält und man immer so gut wie möglich sein muß, so treffen auch die Frauen, welche sich auf den Anzug verstehen, stets eine gute Wahl und werden dem Ausgesuchten nicht so leicht untreu. Sie wechseln nicht alle Tage und sind deshalb weniger beschäftigt als diejenigen, deren unausgebildeter Geschmack niemals befriedigt ist. Ein wahrhaft sorgfältig gewählter Anzug braucht den Putztisch wenig zu Rathe zu ziehen. Der Putztisch junger Mädchen ist gewöhnlich nicht sehr reich ausgestattet. Arbeit und Unterricht nehmen sie den ganzen Tag über in Anspruch. Trotzdem sind sie gewöhnlich, wenn man von der Schminke absieht, mit eben so großer Sorgfalt, ja sogar nicht selten mit weit feinerem Geschmacke gekleidet als die Damen. Ueber die Uebertreibung der Toilettenkünste hegt man oft ganz irrthümliche Anschauungen; sie hat ihre Quelle weit häufiger in der Langenweile als in der Eitelkeit. Eine Frau, die sechs Stunden vor ihrem Spiegel zubringt, ist sich recht wohl bewußt, daß sie deshalb durchaus nicht besser gekleidet ist, als diejenige, welche auf ihren Anzug nur eine halbe Stunde verwendet. Aber man hat doch glücklich eben so viel von der tödtlich langweiligen Zeit überstanden, und es ist doch immer noch besser, sich die Zeit mit sich selbst zu vertreiben, als sich von allem Anderen langweilen zu lassen. Was in aller Welt sollte man nur mit seinem Leben von Mittag bis neun Uhr Abends angeben, wenn der Putztisch fehlte? Im Kreise seiner Kammerfrauen kann man sich belustigen, sie in Harnisch bringen, und das ist doch immer etwas. Man vermeidet ein vertrauliches Zusammensein mit seinem Gatten, dem nur in diesen Stunden der Zutritt gestattet ist, und das ist noch von ungleich höherem Werthe. Und nun erscheinen die Kaufleute, die Kunsthändler, die Anbeter, die Dichterseelen, nun dreht sich das Geplauder um Verse, um Lieder und Flugschriften. Ohne den Putztisch ließe sich das unmöglich so schön mit einander in Einklang bringen. Der einzige wirkliche Gewinn, der dabei abfällt, besteht darin, daß man seinen Körper ein wenig mehr zur Schau stellen kann, als wenn ihn das neidische Gewand verhüllt. Indeß ist dieser Gewinn vielleicht doch nicht so groß, als man sich einbildet, und die Frauen stellen sich vor ihrem Putztische nicht in ein so vortheilhaftes Licht, als sie sich selber vorschwatzen. Ertheilet den Weibern ohne Bedenken eine weibliche Erziehung. Traget Sorge, daß sie an den Geschäften ihres Geschlechtes Gefallen finden, sich durch Sittsamkeit auszeichnen, ihrem Haushalte gut vorstehen und sich häuslich zu beschäftigen wissen. Die übertriebene Toilette wird dann von selbst fortfallen und die Frauen werden gleichwol stets nach dem besten Geschmack gekleidet sein.

Das Erste, was die jungen Mädchen beim Heranwachsen bemerken, ist, daß alle diese erborgten Reize nicht ausreichend sind, wenn sie nicht eigene besitzen. Schönheit kann man sich nie selber geben, und ein einnehmendes Wesen vermag man sich nicht so bald anzueignen. Aber man kann sich wenigstens bemühen, sich ein gefälliges Aeußere zu geben, seiner Stimme einen angenehmen Klang zu verleihen, sich in seiner Haltung zusammenzunehmen, einen schwebenden Gang zu erhalten, sich an anmuthige Stellungen zu gewöhnen und sich überall in seinem vorteilhaftesten Lichte zu zeigen. Die Stimme nimmt an Fülle zu, wird fest und klangvoll; die Arme runden sich, der Gang wird sicher, und man macht die Entdeckung, daß es eine Kunst gibt, sich, wie man auch immer gekleidet sein möge, bemerkbar zu machen. Von dem Augenblicke an handelt es sich nicht mehr blos um Nadel und Kunstfertigkeit; neue Talente kommen zum Vorschein und lassen ihren Nutzen schon in die Augen fallen.

Ich weiß, daß strenge Lehrer die Anforderung stellen, man solle die jungen Mädchen weder im Singen, noch im Tanzen oder in anderen gefälligen Künsten unterrichten. Dies Verlangen kommt mir lächerlich vor. Wen soll man denn ihrer Ansicht nach darin unterweisen? Etwa die Knaben? Für wen ist es wol am passendsten, sich diese Geschicklichkeiten zu erwerben, für die Männer oder für die Frauen? »Für Niemanden!« werden sie mir erwidern. »Jeder Gesang eines weltlichen Liedes ist ein Verbrechen. Der Tanz ist eine Erfindung des Teufels. Ein junges Mädchen darf nur an der Arbeit und am Gebet seine Freude finden.« Das sind allerdings merkwürdige Unterhaltungen für ein Kind von zehn Jahren! In mir steigt wenigstens die Befürchtung auf, daß alle diese kleinen Heiligen, welche, dem Zwange nachgebend, ihre Kindheit unter Gebet verleben, ihre reifere Jugend dafür ganz anderen Dingen widmen und sich nach ihrer Verheirathung alle Mühe geben werden, die Zeit, welche sie als Mädchen verloren zu haben glauben, aufs Beste wieder einzubringen. Ich huldige der Ansicht, man müsse auf Beides Rücksicht nehmen, auf das, was mit dem Alter, so wie auf das, was mit dem Geschlechte in Einklang steht; daß ein junges Mädchen nicht das Leben seiner Großmutter führen darf; daß es lebendig, heiter und muthwillig sein, nach Herzenslust singen und tanzen, und alle unschuldige Vergnügungen seines Alters genießen soll. Nur zu früh wird die Zeit da sein, wo es ein gesetztes Wesen und eine ernstere Haltung annehmen muß.

Beruht denn aber dieser Wechsel auf einer wirklichen Nothwendigkeit? Ist er nicht vielleicht auch schon eine bloße Folge unserer Vorurtheile? Dadurch, daß man den sittsamen Frauen nur solche ernste und alle Freude verscheuchende Pflichten auferlegte, hat man aus der Ehe Alles verbannt, was sie den Männern in einem freundlichen Lichte erscheinen lassen konnte. Kann es deshalb befremden, wenn die erkältende Stille, die sie in ihrem Hause herrschen sehen, sie von dannen treibt, oder wenn sie sich wenig versucht fühlen, sich eine so unbefriedigende Häuslichkeit zu schaffen? Dadurch, daß das Christenthum alle Pflichten zu hoch spannt, macht es sie selbst unausführbar und nutzlos. Durch Verbot des Gesanges, Tanzes und aller weltlichen Lustbarkeiten hat es den Frauen einen unfreundlichen und zänkischen Charakter eingeimpft, der sie in ihren Häusern unerträglich macht. Es gibt keine Religion, in welcher die Ehe mit so strengen Pflichten verbunden wäre, und keine, in welcher eine so heilige Verbindung in solcher Verachtung stände. Man hat es sich so angelegen sein lassen, den Frauen alle Liebenswürdigkeit zu rauben, daß es endlich gelungen ist, die Ehemänner mit völliger Gleichgültigkeit gegen sie zu erfüllen. »Das sollen sie durchaus nicht,« höre ich versichern. Ich aber behaupte dem gegenüber, daß sie es absolut werden müssen, da am Ende die Christen doch auch nur Menschen sind. Ich für meinen Theil stelle die Forderung, daß eine junge Engländerin ihre fesselnden Gaben mit der gleichen Sorgfalt ausbilde, um ihrem künftigen Gatten zu gefallen, wie sie eine junge Albaneserin für den Harem zu Ispahan ausbildet. Die Ehemänner, wird man mir entgegenhalten, fragen nichts nach dergleichen Gaben und Eigenschaften. Gegen diese Wahrheit will ich mich nicht verschließen, wenn nämlich diese Talente leider nicht dazu angewendet werden, den Männern zu gefallen, sondern nur als Köder dienen, um junge Lüstlinge anzulocken, die nur darauf ausgehen, sie zu entehren. Allein meint ihr nicht auch, daß eine liebenswürdige und verständige Frau, welche sich dergleichen Talente zu erfreuen hätte und sie nur zur Unterhaltung ihres Mannes zur Geltung brächte, zum Glücke seines Lebens beitragen und ihn abhalten würde, seine Erholung auswärts zu suchen, wenn er nach anstrengender Kopfarbeit sein Zimmer verläßt? Sind euch denn keine Familien bekannt, in denen alle Glieder in so glücklichem Vereine neben einander leben und sich jedes bestrebt, seinen Antheil an der gemeinschaftlichen Unterhaltung zu tragen? Wer will wol auftreten und behaupten, daß in dem Vertrauen und in der mit demselben verbundenen Vertraulichkeit, in der Unschuld und in der Süßigkeit der Freuden, die sie uns gewähren, kein voller Ersatz für das geräuschvolle Treiben der öffentlichen Vergnügungen liegt?

Man hat die gefälligen Talente in zu hohem Grade in Künste verwandelt, hat sie zu sehr zum Gemeingute zu machen gesucht, sie in Grundsätze und Regeln gekleidet und dadurch den jungen Mädchen das, was für sie nur Unterhaltung und heiteres Spiel sein soll, äußerst langweilig gemacht. Ich kann mir keinen lächerlicheren Anblick vorstellen, als den eines Tanzmeisters oder Gesanglehrers, wenn er jungen Mädchen, die so schon Alles lächerlich finden, mit sauertöpfischer Miene entgegentritt und nun beim Unterrichte in seiner nichtigen Kunst einen so pedantischen und schulmeisterlichen Ton anschlägt, als handelte es sich um eine Katechismuslehre. Ist zum Beispiel die Gesangeskunst etwa von der geschriebenen Musik abhängig? Sollte man nicht im Stande sein, die Stimme biegsam und klangvoll zu machen, geschmackvoll einen Gesang vortragen, ja selbst begleiten zu lernen, ohne auch nur eine einzige Note zu kennen? Eignet sich die gleiche Sangesweise für jede Stimme und die nämliche Methode für jede Auffassung? Man wird mich nie zu der Ueberzeugung bringen, daß dieselben Stellungen, dieselben Schritte, dieselben Bewegungen, dieselben Geberden, dieselben Tänze sich bei einer kleinen lebhaften und anziehenden Brünette und einer schlanken schönen Blondine mit schmachtenden Augen gleich anmuthig ausnehmen. Gewahre ich einen Lehrer, der alle Beide trotzdem genau in derselben Weise unterrichtet, so werde ich deshalb sagen: Dieser Mensch betreibt sein Geschäft mechanisch und handwerksmäßig, von einer Kunst ist jedoch bei ihm nicht die Rede.

Man hat die Frage aufgestellt, ob die Erziehung der Mädchen von Lehrern oder Lehrerinnen geleitet werden müsse. Ich weiß es nicht. Mein Wunsch wäre, daß sie mit den Einen wie mit den Andern verschont blieben, daß sie zwanglos das lernten, wozu ihre Neigung sie hintriebe, und daß man in unseren Städten nicht unablässig so viele theatralisch aufgeputzte Ballettänzer umherhüpfen sähe. Ich halte mich überzeugt, daß den jungen Mädchen der Verkehr mit solchen Leuten eben so schädlich wie ihr Unterricht unnütz ist, und daß sich ihre Schülerinnen gerade zuerst durch die Ausdrucksweise, den Ton und das Benehmen derselben verleiten lassen, Geschmack an diesen Armseligkeiten zu finden, auf welche jene einen so hohen Werth legen, und welche sie nach dem Beispiele dieser ihrer Vorbilder nicht zögern werden, von nun an zu ihrer ausschließlichen Beschäftigung zu machen.

In den Künsten, welche nur das gesellige Vergnügen bezwecken, kann Alles bei den jungen Mädchen Lehrerstelle vertreten: Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Freundinnen, Gouvernanten, der Spiegel, vor Allem aber der eigene Geschmack. Man darf sich freilich nicht selbst anbieten, ihnen Unterricht zu ertheilen, man muß es ihnen überlassen, darum zu bitten. Man darf aus dem, was als eine Belohnung gelten soll, nicht eine regelmäßige Aufgabe machen. Bei diesem eigenthümlichen Unterrichte liegt der erste Erfolg schon darin, daß man auf Erfolg ausgeht. Wenn übrigens schlechterdings ein regelrechter Unterricht stattfinden soll, so will ich über das Geschlecht derer, denen er anzuvertrauen ist, durchaus keine bestimmte Entscheidung treffen. Ich weiß nicht, ob es die Nothwendigkeit dringend erfordert, daß gerade ein Tanzlehrer eine junge Schülerin an der zarten weißen Hand faßt, ihr befiehlt, den Rock zierlich aufzunehmen, die Augen aufzuschlagen und Gefühle in ihr erregt, daß ihr wallender Busen höher wogt. So viel aber weiß ich, daß ich um Alles in der Welt nicht jener Tanzlehrer sein möchte.

Durch Fleiß und Fähigkeiten bildet sich der Geschmack; durch den Geschmack öffnet sich der Geist nach und nach den Ideen des Schönen auf jedem Gebiete und zuletzt auch noch den sittlichen Begriffen, welche mit ihnen im Zusammenhange stehen. Hierin hat man vielleicht einen der Gründe zu erkennen, weshalb bei den Mädchen das Gefühl für Schicklichkeit und Sittsamkeit eher erwacht, als bei den Knaben; denn wollte man sich etwa dem Wahne hingeben, daß das frühzeitige Erwachen dieses Gefühles das Werk der Erzieherinnen wäre, so verriethe man dadurch doch eine gar zu geringe Kenntniß von dem Wesen ihres Unterrichtes und von dem Entwickelungsgange des menschlichen Geistes. Die Gabe zu reden behauptet in der Kunst zu gefallen den ersten Rang. Durch sie allein lassen sich zu den Reizen, an welche sich die Sinne schon gewöhnt haben, neue gesellen und sie noch erhöhen. Dem Geiste verdanken wir nicht allein die Belebung, sondern gewissermaßen auch die Erneuerung des Körpers. Durch die sich rastlos an einander reihende Kette von Gefühlen und Ideen bringt er Leben und Abwechselung in die Züge; und durch die Rede, zu welcher er die Gedanken eingibt, fesselt er unausgesetzt die Aufmerksamkeit und erhält lange Zeit das gleiche Interesse für den nämlichen Gegenstand wach. Aus all diesen Gründen eignen sich meiner Ansicht nach junge Mädchen so schnell das anmuthige Geplauder an, betonen ahnungsvoll ihre Worte, bevor sie selbst ihre ganze Tragweite verstehen, und hören Männer ihnen so gern zu, und zwar schon zu einer Zeit, in welcher die Mädchen noch nicht die Gründe verstehen. Die Männer warten auf den ersten Moment, wo jenen dieses Verständniß aufgeht, um so den ersten Moment benutzen zu können, wo ihr Gefühl erwacht.

Die Frauen haben eine gewandte Zunge; sie sprechen zeitiger, leichter und angenehmer als die Männer. Man macht ihnen auch den Vorwurf, mehr zu sprechen. Das soll indeß so sein, und ich möchte ihnen diesen Vorwurf gern als ein Lob anrechnen. Mund und Augen sind bei ihnen stets gleichzeitig in Thätigkeit, und zwar aus demselben Grunde. Während der Mann das sagt, was er weiß, spricht die Frau das, was gefällt. Ersterer bedarf zum Reden Kenntnisse, Letztere Geschmack. Bei dem Manne soll das Nützliche, bei der Frau das Angenehme den Lieblingsgegenstand bilden. Das einzige Gemeinsame in ihren Reden muß in der Wahrheit bestehen.

Deshalb darf man das Geplauder der Mädchen nicht wie das der Knaben durch die schroffe Frage »wozu nützt das?« in Schranken halten. Bei ihnen muß man eine andere stellen, deren Beantwortung freilich auch nicht leichter fällt, nämlich die Frage: »Welchen Eindruck wird das hervorbringen?« In dem zarten Alter, in welchen sie sich, da sie Gutes und Böses noch nicht zu unterscheiden vermögen, über Niemanden zum Richter aufwerfen dürfen, muß es ihnen als heiliges Gesetz gelten, denen, mit welchen sie reden, nur Angenehmes zu sagen. Der Umstand jedoch, daß diese Regel stets der Hauptregel, nie eine Unwahrheit zu sagen, untergeordnet bleibt, macht ihre Ausübung schwerer, als man denken sollte.

Ich erblicke zwar noch viele andere Schwierigkeiten, aber sie machen sich erst in einem vorgerückteren Alter geltend. In dem Alter, in welchem die jungen Mädchen jetzt noch stehen, werden sie immer wahr sein, wenn sie sich von Unhöflichkeit frei zu halten wissen; und da ihnen dieselbe von Natur widerwärtig ist, so lernen sie durch die Erziehung leicht sie vermeiden. Bei der Beobachtung des Verkehrs in der Welt habe ich im Allgemeinen die Wahrnehmung gemacht, daß die Höflichkeit der Männer mehr dienstfertiger, die der Frauen mehr einschmeichelnder Natur ist. Dieser Unterschied ist keine Folge der Erziehung, sondern liegt in der Natur begründet. Der Mann scheint mehr darauf auszugehen, euch zu dienen, die Frau, euch zu gefallen. Daraus ergibt sich, daß, wie der Charakter der Frauen auch im Uebrigen beschaffen sein möge, ihre Höflichkeit weniger auf Falschheit beruht als die unserige, da sie dabei nur ihrem ursprünglichen Instincte Folge leisten. Wenn sich jedoch ein Mann den Anschein gibt, als ob er meinem Interesse den Vorzug vor dem seinigen einräume, so weiß ich mit Bestimmtheit, daß er sich einer Lüge schuldig macht, möge er sie auch verhüllen, wie er wolle. Es wird den Frauen deshalb nicht sehr sauer, höflich zu sein, und folglich auch den Mädchen nicht, es zu werden. Die erste Lehrmeisterin ist die Natur, die Aufgabe der Kunst besteht nur darin, ihrer Methode zu folgen, und im Anschluß an unsere Sitten zu entscheiden, in welcher Form sie sich zeigen soll. Was nun freilich die Höflichkeit anlangt, die sie im gegenseitigen Verkehre unter einander beobachten, so verhält es sich damit völlig anders. Sie nehmen unter sich ein so gezwungenes Wesen und eine so kalte Höflichkeit an, daß sie sich keine große Mühe geben, zu verbergen, welchen Zwang sie sich anthun müssen, um sich auch nur mit der allergewöhnlichsten Höflichkeit entgegen zu treten. Ihre Lüge erhält einen Anstrich von Offenherzigkeit, da sie dieselbe gar nicht zu verdecken suchen. Trotzdem entstehen unter jungen Mädchen hin und wieder im vollen Ernste die aufrichtigsten Freundschaften. In ihrem Alter ersetzt noch der Frohsinn das gute Herz. Zufrieden mit sich selbst, sind sie mit aller Welt zufrieden. Auch kann es als eine ausgemachte Thatsache gelten, daß sie sich vor den Augen der Männer herzlicher küssen und anmuthiger liebkosen, als wenn sie unter sich allein sind, da es sie mit einem gewissen Stolzgefühl erfüllt, die Lüsternheit jener durch den Austausch von Liebkosungen, um welche sie sich beneidet wissen, ungestraft reizen zu können.

Darf man schon Knaben nicht gestatten, vorwitzige Fragen zu stellen, so hat man noch weit triftigere Gründe dazu, sie jungen Mädchen zu untersagen, deren befriedigte oder in falscher Weise getäuschte Neugier sehr wohl im Stande ist, eine ganz andere Folge nach sich zu ziehen, da ihr Scharfsinn die Geheimnisse ahnt, welche man ihnen verhehlt, und ihre listige Feinheit sie auch wirklich entdeckt. Ohne ihre Fragen zu dulden, wünschte ich indeß, daß man ihnen selbst allerlei Fragen vorlegte, daß man es ihnen am Stoff zum Plaudern nicht fehlen ließe, daß man sie dazu aufmunterte, um sie in einer gewandten Ausdrucksweise zu üben, sie schlagfertig zu machen, ihnen eine gewisse geistige Freiheit zu verleihen und ihre Zunge zu lösen, so lange es noch auf ungefährliche Weise geschehen kann. Solche Gespräche, die immer einen heiteren Charakter an sich tragen, aber nur mit aller Vorsicht herbeigeführt und geschickt geleitet werden müßten, würden diesem Alter eine angenehme Unterhaltung gewähren und könnten in den unschuldigen Herzen der jungen Mädchen die ersten und vielleicht nützlichsten Lehren der Moral, die ihnen überhaupt das Leben geben kann, Wurzel schlagen lassen. Dies würde stets der Fall sein, wenn man sie unter dem Genusse eines Vergnügens und der Befriedigung ihrer Eitelkeit auf die Eigenschaften aufmerksam machte, welchen die Männer in Wahrheit ihre Achtung schenken, und ihnen zeigte, worin die Ehre und das Glück einer sittsamen Frau besteht.

Man wird es begreiflich finden, daß, wenn schon die Knaben außer Stande sind, sich einen richtigen Begriff von der Religion zu bilden, sich dieser Begriff in noch weit höherem Maße der Fassungskraft der Mädchen entziehen muß. Aber gerade aus diesem Grunde wünschte ich mit ihnen schon früher von der Religion zu reden. Wollte man etwa warten, bis sie diese tiefen Fragen methodisch zu behandeln vermöchten, so liefe man Gefahr, nie dahin zu gelangen. Die Vernunft der Frauen ist eine praktische Vernunft, welche sie zwar die Mittel, welche zur Erreichung eines bekannten Zieles gehören, sehr geschickt finden läßt, nie aber das Ziel selbst. Die gesellschaftliche Stellung beider Geschlechter zu einander ist bewundernswerth. Aus diesem geselligen Verkehr entwickelt sich ein moralisches Wesen, dessen Auge die Frau, dessen Arm aber der Mann bildet. Beide stehen indeß in einem so abhängigen Verhältnisse zu einander, daß die Frau erst von dem Manne lernen muß, was sie sehen, und der Mann umgekehrt von der Frau, was er thun soll. Vermöchte die Frau eben so gut wie der Mann bis zu den Principien zurückzugehen, und wäre der Geist des Mannes eben so befähigt wie der der Frau, das Einzelne in sich aufzunehmen, so würden sie, da sie sich von einander völlig unabhängig fühlen müßten, in einem ewigen Zwiespalte leben, und ein geselliger Verkehr könnte zwischen ihnen überhaupt nicht bestehen. Aber in der Harmonie, welche nun zwischen ihnen herrscht, hat Jedes von ihnen das gemeinschaftliche Ziel im Auge; man weiß nicht, wer von ihnen am meisten dazu beiträgt; Jedes folgt dem Impulse des Anderen, Jedes gehorcht, und alle Beide sind Herren.

Schon deshalb, weil das Betragen der Frau der öffentlichen Meinung unterworfen ist, muß sich auch ihr Glaube der Autorität unterwerfen. Jede Tochter muß sich zu der Religion ihrer Mutter, jede Frau zu der ihres Mannes bekennen. Sollte sich diese Religion als eine falsche herausstellen, so wird die Folgsamkeit, mit welcher sich Mutter wie Tochter der Ordnung der Natur unterwerfen, vor Gott sicherlich die Sünde des Irrthums sühnen. Außer Stande, sich hierüber selber ein richtiges Urtheil zu bilden, müssen sie die Entscheidung der Väter und Ehemänner annehmen, als ginge sie von der Kirche selbst aus.

Da die Frauen unvermögend sind, ihre Glaubensregeln aus sich selbst zu schaffen, so ist es ihnen auch unmöglich, sie innerhalb der Grenzen des Gewissen und Vernünftigen zu halten. Tausenderlei fremdartigen Antrieben gehorchend, erreichen sie entweder das Wahre nicht, oder gehen weit über dasselbe hinaus. Sich immer in Extremen bewegend, sind sie entweder Freidenkerinnen oder Betschwestern, nie findet man, daß sich Klugheit und Frömmigkeit in ihnen paaren. Die Quelle dieses Uebels hat man nicht allein in dem überspannten Charakter ihres Geschlechts zu suchen, sondern eben so sehr in der schlecht geregelten Autorität des unsrigen. Die Lockerheit der Sitten muß unsere Autorität verächtlich, die von der Reue in uns gewirkte Angst sie tyrannisch machen. Darin liegt es, daß wir stets zu viel oder zu wenig thun.

Da sich die Religion der Frauen also auf die Autorität stützen muß, so handelt es sich nicht sowol darum, ihnen die Gründe für das, was man zu glauben hat, zu entwickeln, als vielmehr darum, ihnen den Inhalt des Glaubens klar und deutlich auseinanderzusetzen. Klarheit ist und bleibt die Hauptsache, denn der Glaube an dunkle Vorstellungen ist die erste Quelle des Fanatismus, während der Glaube, den man auf völlig Absurdes lenkt, zum Wahnsinn oder zum Unglauben treibt. Ich weiß nicht, ob unsere Katechismen mehr zur Gottlosigkeit oder zum Fanatismus beitragen, so viel weiß ich aber mit Gewißheit, daß sie nothwendigerweise zur einen oder zum andern führen müssen.

Wollt ihr junge Mädchen in der Religion unterrichten, so laßt es euch zur ersten Regel dienen, sie ihnen nie in einem trübseligen Lichte erscheinen zu lassen oder ihnen einen Zwang aufzuerlegen; eben so macht nie aus ihr eine Aufgabe oder eine Pflicht. Laßt sie aus diesem Grunde nie etwas auswendig lernen, was das religiöse Gebiet berührt, nicht einmal Gebete. Begnügt euch damit, euer Gebet regelmäßig in ihrer Gegenwart zu sprechen, ohne sie jedoch zur Theilnahme zu zwingen. Wählet kurze Gebete, wie Jesus selbst verlangt. Verrichtet sie mit der gebührenden Andacht und Ehrfurcht; bedenket, daß, wenn wir vom höchsten Wesen verlangen, es solle uns aufmerksam anhören, dasselbe mit ungleich höherem Rechte von uns verlangen kann, wir sollen dem, was wir ihm sagen, unsere volle Aufmerksamkeit zuwenden.

Es ist von geringerer Wichtigkeit, daß junge Mädchen ihre Religion früh kennen lernen, als daß sie dieselbe richtig und gründlich kennen lernen, und daß sie sie vor Allem lieben. Wird sie ihnen durch eure Schuld zur Last, malt ihr ihnen Gott stets als ein über sie zorniges Wesen aus, legt ihr ihnen in seinem Namen tausenderlei beschwerliche Verpflichtungen auf, in deren Erfüllung sie euch selbst lässig sehen: welch anderer Gedanke kann dann in ihrer Seele aufsteigen, als daß Katechismuslernen und Gebetsprechen nur Pflichten junger Mädchen seien, welch anderen Wunsch können sie dann hegen, als erst erwachsen zu sein, um sich wie ihr dieses Zwanges überhoben zu sehen? Geht ihnen mit gutem Beispiele voran! Ohne das eigene Beispiel vermag man bei Kindern nichts auszurichten.

Bei der Erklärung der Glaubensartikel bedient euch der Form des directen Unterrichtes, laßt euch auf Fragen und Antworten nicht ein. In ihren Antworten sollen sie ja stets nur das sagen, was sie denken, und nicht, was man ihnen eingegeben hat. Alle Antworten des Katechismus widersprechen der gesunden Vernunft, denn in ihnen ist es der Schüler, welcher den Lehrer unterrichtet. Ja, im Munde der Kinder sind es geradezu Lügen, da sie erklären, was ihnen durchaus unverständlich ist, und versichern, was sie zu glauben außer Stande sind. Man suche mir unter den intelligentesten Männern diejenigen aus, welche sich beim Hersagen ihres Katechismus keiner Lüge schuldig machen.

Die erste Frage in unserm Katechismus lautet: »Wer hat dich geschaffen und auf die Welt gesetzt?« Darauf antwortet nun das kleine Mädchen ohne zu stocken »Gott«, obgleich es völlig überzeugt ist, daß es seine Mutter gewesen. Das Einzige, was der Kleinen hierbei deutlich wird, ist, daß sie auf eine Frage, für welche ihr alles Verständniß abgeht, eine Antwort ertheilt, welche sie erst recht nicht versteht.


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