Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich wünschte, daß ein mit dem Entwicklungsgange des kindlichen Geistes vertrauter Mann es übernähme, einen für Kinder geeigneten Katechismus zu schreiben. Es würde vielleicht das nützlichste Buch sein, das je aus der Feder eines Schriftstellers hervorgegangen ist, und dies würde meines Erachtens nicht eben die geringste Ehre sein, die es seinem Verfasser brächte. Mit Sicherheit läßt sich aber voraussagen, daß dieses Buch, wenn es gut wäre, unseren Katechismen nicht in vielen Punkten gleichen würde.

Ein solcher Katechismus könnte nur dann Anspruch auf Brauchbarkeit machen, wenn das Kind auf die einzelnen Fragen selbstständige, nicht auswendig gelernte Antworten geben müßte, und wohl verstanden, wenn ihm hin und wieder selbst Gelegenheit gegeben würde, seinerseits einige Fragen zu stellen. Um meine Meinung verständlich zu machen, bedürfte es einer Art Musterkatechese. Obgleich ich mir sehr wohl bewußt bin, was mir fehlt, um einer solchen Arbeit gewachsen zu sein, so will ich doch wenigstens den Versuch machen, eine annähernde Idee davon zu geben.

Ich stelle mir also vor, daß der Verfasser, um zur ersten Frage unseres Katechismus zu kommen, ungefähr folgendermaßen beginnen müßte:

Erzieherin. Erinnerst du dich noch der Zeit, als deine Mutter ein Mädchen war?

Die Kleine. Nein, meine Liebe.

Erzieherin. Wie kommt das, da du doch sonst ein so gutes Gedächtniß hast?

Die Kleine. Ich lebte ja damals noch gar nicht.

Erzieherin. Du hast also nicht immer gelebt?

Die Kleine. Nein.

Erzieherin. Wirst du immer leben?

Die Kleine. Ja.

Erzieherin. Bist du jung oder alt?

Die Kleine. Ich bin jung.

Erzieherin. Ist deine Großmutter jung oder alt?

Die Kleine. Sie ist alt.

Erzieherin. Ist sie jung gewesen?

Die Kleine. Ja.

Erzieherin. Weshalb ist sie es jetzt nicht mehr?

Die Kleine. Weil sie gealtert hat.

Erzieherin. Wirst du ebenfalls altern?

Die Kleine. Ich weiß nicht. Wenn die Kleine überall da, wo ich schreibe: »Ich weiß nicht,« eine andere Antwort geben sollte, so ist derselben nicht zu trauen, und man muß sie dieselbe sorgfältig erklären lassen.

Erzieherin. Wo sind deine vorjährigen Kleider?

Die Kleine. Man hat sie zertrennt.

Erzieherin. Und weshalb hat man sie zertrennt?

Die Kleine. Weil sie mir zu klein geworden waren.

Erzieherin. Und weshalb waren sie dir zu klein geworden?

Die Kleine. Weil ich gewachsen bin.

Erzieherin. Wirst du noch größer werden?

Die Kleine. O gewiß!

Erzieherin. Und was werden die großen Mädchen?

Die Kleine. Sie werden Frauen.

Erzieherin. Und was werden die Frauen?

Die Kleine. Sie werden Mütter. Erzieherin. Und die Mütter, was werden sie?

Die Kleine. Sie werden alt.

Erzieherin. Wirst du denn auch alt werden?

Die Kleine. Wenn ich Mutter werde.

Erzieherin. Und was werden die alten Leute?

Die Kleine. Ich weiß nicht.

Erzieherin. Was ist aus deinem Großpapa geworden?

Die Kleine. Er ist gestorben. Die Kleine wird dies sagen, weil sie es hat erzählen hören. Allein man muß sich davon überzeugen, ob sie auch eine richtige Vorstellung vom Tode hat, denn diese Vorstellung ist weder so einfach, noch der kindlichen Fassungskraft so leicht erklärlich, als man anzunehmen pflegt. An dem kleinen Gedichte »Abel« kann man ein Beispiel von der Art und Weise sehen, wie man den Kindern diese Vorstellung beibringen muß. Dieses reizende Gedicht athmet eine köstliche Einfalt, der man sich bei der Unterhaltung mit Kindern nicht genug befleißigen kann.

Erzieherin. Und weshalb ist er gestorben?

Die Kleine. Weil er alt war.

Erzieherin. Was wird also aus den alten Leuten?

Die Kleine. Sie sterben.

Erzieherin. Wenn du nun also alt wirst, was ...

Die Kleine (sie unterbrechend). O, meine Liebe, ich will nicht sterben.

Erzieherin. Liebes Kind, Niemand will sterben und doch muß Jeder sterben.

Die Kleine. Wie? Wird denn meine Mama auch sterben?

Erzieherin. Wie alle Menschen. Die Frauen altern eben so gut wie die Männer, und das Alter führt zum Tode.

Die Kleine. Was muß man thun, um erst recht spät alt zu werden?

Erzieherin. In seiner Jugend vernünftig leben.

Die Kleine. Dann werde ich beständig vernünftig leben.

Erzieherin. Um so besser für dich. Glaubst du dann aber wirklich ewig leben zu können?

Die Kleine. Wenn ich recht, recht alt werde...

Erzieherin. Nun, dann?

Die Kleine. Ach, wenn man so alt ist, muß man, wie Sie sagen, sterben.

Erzieherin. So wirst du also auch einmal sterben?

Die Kleine. Leider! Ja.

Erzieherin. Wer lebte aber vor dir?

Die Kleine. Mein Vater und meine Mutter.

Erzieherin. Und wer lebte wieder vor ihnen?

Die Kleine. Ihr Vater und ihre Mutter.

Erzieherin. Wer wird nach dir leben?

Die Kleine. Meine Kinder.

Erzieherin. Und wer wird wieder nach diesen leben?

Die Kleine. Ihre Kinder.

u. s. w. u. s. w.

Wenn man diesen Weg innehält, so findet man durch überzeugende Schlüsse, wie bei allen Dingen, so auch bei dem menschlichen Geschlechte einen Anfang und ein Ende, d. h. einen Vater und eine Mutter, welche weder Vater noch Mutter gehabt haben, und Kinder, welche keine Kinder haben werden. Der Begriff der Ewigkeit kann unter Zustimmung der Vernunft nicht auf das Menschengeschlecht angewendet werden. Jede zur Wirklichkeit gewordene numerische Aufeinanderfolge ist mit dieser Idee unvereinbar. Erst nach einer langen Reihe ähnlicher Fragen ist die erste Frage des Katechismus hinreichend vorbereitet; nun erst kann man sie stellen und das Kind sie verstehen. Welch ein ungeheurer Sprung ist nun aber von da ab bis zur zweiten Frage, welche gleichsam eine Definition des göttlichen Wesens gibt! Wann wird diese Kluft ausgefüllt werden? Gott Ist ein Geist! Was ist denn nun ein Geist? Soll ich den kindlichen Geist sich etwa in das dunkle Gebiet der Metaphysik hinauswagen lassen, aus dem sich selbst die Männer nur mit äußerster Mühe wieder herauszufinden vermögen? Es ist nicht die Aufgabe eines kleinen Mädchens, diese Fragen zu lösen, ihr kommt es höchstens zu, sie zu stellen. In diesem Falle würde ich der Kleinen ganz einfach erwidern: »Du fragst mich, was Gott ist. Das ist nicht leicht zu erklären. Man kann ihn nicht hören, nicht sehen und nicht fühlen; nur an seinen Werken kann man ihn erkennen. Um dir eine richtige Vorstellung von dem machen zu können, was er ist, mußt du zuvor lernen, was er gethan hat.«

Können unsere Glaubenssätze auch alle auf die gleiche Wahrheit Anspruch machen, so sind sie deshalb noch nicht von gleicher Wichtigkeit. Für die Ehre Gottes ist es höchst gleichgültig, ob wir sie an allen Dingen zu erkennen fähig sind. Dagegen ist es für die menschliche Gesellschaft so wie für jedes ihrer Glieder wichtig, daß jeder Mensch die Pflichten, deren Beobachtung ihm das Gesetz Gottes gegen seinen Nächsten und sich selbst auferlegt, kenne und erfülle. Das ist es, was wir einander unaufhörlich vorhalten müssen; das ist es vor Allem auch, worüber Väter und Mütter ihre Kinder zu belehren verpflichtet sind. Ob eine Jungfrau die Mutter ihres Schöpfers ist, ob sie Gott oder nur einen Menschen geboren hat, mit welchem Gott sich erst vereinigt, ob Vater und Sohn gleichen oder nur ähnlichen Wesens sind, ob der heilige Geist von einem dieser Beiden, die einander gleich sind, oder von Beiden gemeinschaftlich ausgeht: das sind Fragen, die dem Anscheine nach allerdings wesentlich sind, deren Entscheidung aber meiner Ansicht nach für das menschliche Geschlecht nicht wichtiger ist, als zu wissen, an welchem Datum man Ostern feiern muß, ob man den Rosenkranz beten, fasten, sich des Fleisches enthalten, im Gotteshause sich der lateinischen oder der Muttersprache bedienen, ob man Heilige verehren, die Messe lesen oder hören soll, und ob man als Geistlicher heirathen darf. Möge ein Jeder darüber denken, wie ihm beliebt; ich begreife nicht, wie dies Andere interessiren kann; ich für meinen Theil habe nicht das geringste Interesse daran. Was aber für mich wie für alle meine Mitmenschen von höchster Wichtigkeit sein muß, ist, daß Jedermann wisse, es gibt einen Lenker der menschlichen Geschicke, dessen Kinder wir allesammt sind, welcher uns Allen befiehlt, gerecht zu sein, uns unter einander zu lieben, wohlthätig und barmherzig zu sein, unseren Verpflichtungen gegen Jedermann, selbst gegen unsere und seine Feinde, nachzukommen; daß das scheinbare Glück dieses Lebens nichtig ist; daß es nach diesem irdischen Leben ein anderes gibt, in welchem das höchste Wesen die Guten belohnen und die Bösen bestrafen wird. Es hängt viel davon ab, daß die Jugend in diesen und ähnlichen Dogmen unterrichtet und alle Bürger von ihrer Wahrheit überzeugt werden. Wer sie bekämpft, verdient unzweifelhaft Strafe; er ist unstreitig ein Störer der Ordnung und ein Feind der Gesellschaft. Wer über sie hinausgeht und uns seinen eigenen Anschauungen unterwerfen will, gelangt, wenn auch auf entgegengesetztem Wege, schließlich doch zu dem nämlichen Resultate. Um eine Ordnung, wie sie ihm zusagt, einzuführen, stört er die Ordnung. In seinem vermessenen Stolze wirft er sich zum Dolmetscher der Gottheit auf, verlangt im eigenen Namen die Huldigungen und Ehrfurchtsbezeigungen der Menschen und macht sich, so weit es ihm in seiner Stellung möglich ist, selbst zum Gotte. Man müßte ihn als Gotteslästerer bestrafen, wenn man ihn nicht schon um seiner Unduldsamkeit willen strafen wollte.

Uebergehet deshalb alle solche geheimnißvollen Glaubenssätze, die für uns nur Worte ohne klare Begriffe sind, alle diese seltsamen Lehren, deren nichtiges Studium bei denen, welche sich ihnen überlassen, die Tugend ersetzt und eher dazu dient, sie zu Narren zu machen als zu guten Menschen. Haltet eure Kinder immer innerhalb des engen Kreises derjenigen Glaubenssätze, welche es mit der Moral zu thun haben. Bringt ihnen die feste Ueberzeugung bei, daß uns kein anderes Wissen Nutzen bringt als das, was uns lehrt, rechtschaffen zu handeln. Hütet euch davor, aus euren Töchtern Theologen und Philosophen zu machen. Wählet zu ihrem Unterrichte aus dem Gebiete der himmlischen Dinge nur diejenigen, welche der menschlichen Weisheit von Nutzen sind. Gewöhnt sie daran, sich beständig unter den Augen Gottes zu wissen, in ihm den Zeugen ihrer Handlungen, ihrer Gedanken, ihrer Tugend und ihrer Vergnügungen zu sehen; das Gute ohne Aufsehen, nur weil er es liebt, zu thun; Leiden ohne Murren zu tragen, weil er uns dafür entschädigen wird; kurz, alle Tage ihres Lebens das zu sein, was sie an dem Tage, wo sie vor seinem Richterstuhle erscheinen müssen, wünschen werden, gewesen zu sein. Das ist die wahre Religion, das ist die einzige, in deren Schooße weder Mißbräuche, noch Gottlosigkeit, noch Fanatismus aufwachsen können. Möge man erhabnere predigen, so viel man wolle, ich werde mich trotzdem zu keiner anderen bekennen.

Uebrigens möchte ich noch besonders darauf aufmerksam machen, daß bis zu dem Alter, in welchem die Vernunft an Klarheit gewonnen hat und das erwachende Gefühl dem Gewissen Sprache verleiht, den jungen Leuten das als gut oder böse gelten muß, was ihre Umgebung dafür anerkennt. Was man ihnen befiehlt, ist gut, was man ihnen verbietet, ist schlecht. Mehr brauchen sie darüber gar nicht zu erfahren. Hieraus ist zugleich ersichtlich, wie für die Mädchen die richtige Wahl der Personen, welche sie umgeben und eine gewisse Autorität über sie ausüben sollen, noch von ungleich größerer Wichtigkeit ist als für die Knaben. Endlich erscheint der Augenblick, wo sie sich selber über die Dinge ein Urtheil zu bilden beginnen, und nun ist es an der Zeit, in dem Plane ihrer Erziehung einen Wechsel eintreten zu lassen.

Vielleicht habe ich darüber bis jetzt schon zu viel gesagt. Wohin würden wir die Frauen wol bringen, wenn wir ihnen nur die allgemeinen Vorurtheile als Gesetz vorhielten! Bis zu dem Grade wollen wir aber das Geschlecht, welches uns regiert und uns zur Ehre gereicht, so bald wir es nicht selbst erniedrigt haben, doch nicht herabsetzen. Es besteht für das ganze menschliche Geschlecht ein Gesetz, welches eher dagewesen ist als eine allgemeine Meinung. Auf die unwandelbare Leitung dieses Gesetzes müssen sich alle übrige beziehen. Es wirft sich sogar zum Richter des Vorurtheils auf, und nur in so weit die Achtung der Menschen mit demselben im Einklange ist, darf diese Achtung uns als Autorität gelten.

Dieses Gesetz ist das innere Gefühl. Ich will das bereits früher darüber Gesagte hier nicht noch einmal wiederholen. Ich beschränke mich auf die Bemerkung, daß, wenn bei der weiblichen Erziehung diese beiden Gesetze mit einander nicht Hand in Hand gehen, dieselbe stets mangelhaft ausfallen wird. Das Gefühl ohne die Meinung kann den Frauen nicht jene Zartheit der Seele geben, welche den guten Sitten die Ehre der Welt einbringt, während wiederum die Meinung ohne das Gefühl die Frauen falsch und unsittlich machen wird und den Schein an die Stelle der Tugend setzt.

Es ist deshalb von wesentlicher Bedeutung für sie, ein Seelenvermögen auszubilden, welches als Schiedsrichter zwischen diesen beiden Führern dient, das Gewissen vor Täuschungen bewahrt und die Irrthümer des Vorurtheils berichtigt. Dieses Seelenvermögen ist die Vernunft. Allein welche Fragen erheben sich bei diesem Worte! Sind die Frauen richtiger Vernunftschlüsse fähig? Ist es wichtig, daß sie die Urtheilskraft ausbilden? Können sie dieselbe mit Erfolg ausbilden? Ist diese Ausbildung für die besonderen Aufgaben, welche ihnen gestellt sind, von Nutzen? Läßt sie sich überhaupt mit der Einfalt, welche ihnen ziemt, vereinbaren.

Je nach dem verschiedenen Standpunkte, von welchem aus man diese Fragen betrachtet und zu lösen sucht, gelangt man zu einem ganz entgegengesetzten Resultate. Die Einen beschränken sich darauf, die Frauen im engen Kreise ihrer Häuslichkeit in Gemeinschaft ihrer Mägde nähen und spinnen zu lassen, und verwandeln sie dadurch selbst nur zur ersten Magd ihres Gebieters. Nicht zufrieden damit, ihnen ihre eigenen Rechte zu sichern, wollen die Anderen dagegen, daß sie uns noch obendrein unsere Rechte streitig machen sollen. Denn wenn man sie in den ihrem Geschlechte eigenthümlichen Eigenschaften über uns stellt und in allem Uebrigen uns ebenbürtig macht, was heißt das wol anders, als daß man den Vorrang, welchen die Natur dem Manne verleiht, auf das Weib überträgt?

Zu der Vernunft, welche den Mann zur Erkenntniß seiner Pflichten leitet, gehören nicht viele Stücke. Die Vernunft jedoch, welche die Frau zur Erkenntniß der ihrigen führt, ist noch viel einfacher. Der Gehorsam und die Treue, welche sie ihrem Gatten, die Zärtlichkeit und die Pflege, welche sie ihren Kindern schuldet, sind so natürliche und so augenscheinliche Folgen ihrer Stellung, daß sie dem inneren Gefühle, welches sie leitet, ohne unaufrichtig zu sein, ihre Zustimmung unmöglich versagen noch ihre Pflicht verkennen kann, so lange ihre Neigung unverdorben ist.

Ich möchte es nicht unterschiedslos tadeln, daß eine Frau lediglich auf die Arbeiten ihres Geschlechts beschränkt würde und daß man sie in allem Uebrigen in tiefster Unwissenheit ließe, aber dann müßten sich freilich die öffentlichen Sitten durch große Einfachheit und Reinheit auszeichnen, oder man müßte in größter Zurückgezogenheit leben. Innerhalb großer Städte oder im Umgange mit verdorbenen Männern würde eine solche Frau nur zu leicht zu verführen sein. Häufig genug würde ihre Tugend nur eine Sache des Zufalls sein. In diesem philosophischen Jahrhunderte hat sie indeß eine Tugend nöthig, welche die Probe zu bestehen weiß. Sie muß im Voraus wissen, was man ihr wol sagen kann, und was sie davon zu denken hat.

Da sie sich außerdem vor dem Urtheile der Männer zu beugen hat, so muß sie sich deren Achtung verdienen, vor Allem sich aber die ihres Gatten bewahren. Sie muß nicht allein dafür Sorge tragen, daß ihm ihre Person gefalle, sondern daß er auch ihr Betragen billige. Sie muß die Wahl, die er getroffen hat, vor der Öffentlichkeit rechtfertigen und ihm die Ehre, welche man ihr, als seiner Gattin, erweist, zur Ehre gereichen lassen. Wie soll ihr dies Alles jedoch gelingen, wenn sie unsere Einrichtungen nicht kennt, von unseren Sitten und Schicklichkeitsregeln nichts weiß, wenn sie weder mit der Quelle der menschlichen Urtheile, noch mit den Leidenschaften, welche sie bestimmen, bekannt ist? Gerade deshalb, weil sie zugleich von ihrem eigenen Gewissen und von fremder Meinung abhängig ist, muß sie lernen beide, die ihr in gleicher Weise als Richtschnur dienen, mit einander vergleichen, sie vereinigen und dem ersteren nur in dem Falle den Vorzug einräumen, wenn sie mit einander in Widerspruch getreten sind. Sie wird dadurch zur Richterin ihrer Richter und fällt die Entscheidung, wann sie sich ihnen zu fügen und wann sie ihre Urtheile abzulehnen hat. Vor Verwerfung oder Anerkennung ihrer Vorurtheile wägt sie dieselben. Sie lernt bis zu ihrer Quelle zurückgehen, ihnen vorbeugen und ihnen eine ihr günstige Wendung geben. Sie trägt Sorge, sich niemals dem Tadel auszusetzen, wenn ihre Pflicht ihr erlaubt, ihm aus dem Wege zu gehen. Von alledem kann ohne Ausbildung ihres Geistes und ihrer Vernunft füglich nichts geschehen.

Ich komme stets wieder auf mein Princip zurück und es gibt mir regelmäßig die Lösung aller Schwierigkeiten an die Hand. Ich studire das, was ist, forsche nach der Ursache und finde schließlich immer, daß Alles, was ist, auch gut ist. Ich trete in ein gastfreies Haus, dessen Herr und Herrin mit einander die Wirthe machen. Alle Beide haben eine gleich gute Erziehung genossen, alle Beide zeichnen sich durch gleiche Höflichkeit aus, alle Beide besitzen in gleich hohem Grade Geschmack und Geist, alle Beide beseelt der gleiche Wunsch, ihre Gäste freundlich aufzunehmen und zufrieden scheiden zu sehen. Der Mann läßt nichts außer Acht, um sich in jedem Punkte als aufmerksamer Wirth zu beweisen. Er geht, kommt, macht die Runde und ist unaufhörlich bemüht. Er möchte ganz Aufmerksamkeit sein. Die Frau verläßt ihren Platz nicht. Ein kleiner Kreis versammelt sich um sie und scheint ihr den Ueberblick über die übrige Gesellschaft zu entziehen. Trotzdem ereignet sich nichts, was sie nicht wahrnimmt, Niemand entfernt sich, mit dem sie nicht gesprochen hat. Sie hat nichts vergessen, was für Jeden von Interesse sein könnte. Sie hat Jedem nur etwas Angenehmes gesagt, und ohne gegen die gesellschaftliche Ordnung zu verstoßen, hat sie den Geringsten in der Gesellschaft eben so wenig vergessen als den Ersten. Es ist aufgetragen und man nimmt bei Tische Platz. Der Mann setzt die Gäste nach seiner Kenntniß so, wie sie zu einander passen. Selbst wenn der Frau diese Kenntniß abgehen sollte, wird sie sich doch niemals irren; sie hat schon aus den Blicken und dem Benehmen der Einzelnen Alles herausgelesen, was sie mit einander übereinstimmend haben, und Jeder hat einen Platz erhalten, der seinem eigenen Wunsche entspricht. Ich hebe es gar nicht erst hervor, daß bei der Aufwartung Niemand übersehen wird. Da der Herr ja selbst die Runde macht, ist es ihm unmöglich gewesen, Jemanden zu übersehen. Allein die Frau erräth schon, wonach Jeder besonderes Verlangen trägt, und bietet es ihm an. Obwol sie mit ihrem Nachbar spricht, überschaut sie unaufhörlich die ganze Tafel. Sie unterscheidet sofort, wer nicht ißt, weil sein Hunger befriedigt ist, und wer sich nicht selber vorzulegen oder etwas zu verlangen wagt, weil er unbeholfen oder schüchtern ist. Bei Aufhebung der Tafel ist Jeder überzeugt, daß sie nur an ihn gedacht habe. Alle hegen den Gedanken, sie könne keine Zeit gehabt haben, auch nur einen einzigen Bissen zu sich zu nehmen; allein in Wahrheit hat sie mehr als irgend ein Anderer gegessen. Nach Aufbruch der Gäste unterhalten sich die Wirthe noch von den einzelnen Vorfällen des Tages. Der Mann erzählt, was man ihm mitgetheilt hat, was diejenigen, mit denen er sich unterhalten, gesagt und gethan haben. Wenn die Frau auch gerade hierüber nicht immer die genaueste Kunde hat, so ist ihr dafür nicht entgangen, was man am andern Ende des Saales ganz leise geflüstert hat. Sie hat errathen, was Dieser oder Jener gedacht hat, worauf diese oder jene Aeußerungen, diese oder jene Geberden hinzielen. Kaum eine ausdrucksvolle Bewegung ist gemacht worden, die sie nicht sofort so zu deuten wüßte, daß sie die Wahrheit fast immer trifft.

Dieselbe Geistesgewandtheit, durch welche sich eine Weltdame in der Kunst, ein Haus zu machen, auszeichnet, macht es einer Buhlerin möglich, sich in der Kunst, gleichzeitig mehrere Anbeter zu unterhalten, hervorzuthun. Die List, zu der die Coquetterie ihre Zuflucht nehmen muß, verlangt sogar eine noch feinere Unterscheidungskunst als das Benehmen der Höflichkeit, denn hat sich eine höfliche Frau nur gegen Jedermann artig betragen, so hat sie damit allen Anforderungen stets Genüge geleistet, während die Buhlerin durch diese ungeschickte Einförmigkeit bald ihre Herrschaft einbüßen würde. Gerade dadurch, daß sie sich all ihren Liebhabern gefällig erweisen wollte, würde sie dieselben sämmtlich zurückstoßen. In den gesellschaftlichen Kreisen erregt das Betragen, welches man Allen gegenüber beobachtet, allerdings eines Jeden Gefallen; erfährt man nur eine freundliche Aufnahme, so nimmt man es mit etwaigen Bevorzugungen nicht so genau. In der Liebe gilt jedoch eine Gunst, welche keine ausschließliche ist, für eine Beleidigung. Einem Manne, der etwas auf sich hält, wird es hundertmal lieber sein, wenn er für sich allein eine unwürdige Behandlung zu erdulden hat, als wenn ihm dieselben Liebkosungen wie allen Uebrigen zu Theil werden. Das Schlimmste, was ihm widerfahren kann, ist, sich nicht ausgezeichnet zu sehen. Für eine Frau, welche sich mehrere Liebhaber erhalten will, kommt es also darauf an, Jedem von ihnen die Ueberzeugung zu verschaffen, daß sie ihn allein bevorzuge und ihm diese Ueberzeugung noch dazu unter den Augen aller Uebrigen beizubringen, während sie diese wiederum in seiner Gegenwart mit derselben Ueberzeugung erfüllen muß.

Wollt ihr den Anblick einer Persönlichkeit haben, die vor Verlegenheit nicht weiß, was sie beginnen soll, so stellt einen Mann zwischen zwei Frauen, mit deren jeder er ein geheimes Verhältniß angeknüpft hat, und beobachtet nun, welche traurige Figur er spielen wird. Stellt dagegen eine Frau in der nämlichen Lage zwischen zwei Männer, etwas, was sich gewiß nicht seltner ereignen könnte, und ihr werdet in Verwunderung über die Geschicklichkeit gerathen, mit der sie Beide hinter das Licht führt und zu Wege bringt, daß Jeder den Andern zum Gegenstande seines Spottes macht. Wie hätten sie sich nun wol auch nur einen Augenblick täuschen lassen, wenn diese Frau ihnen ein gleiches Vertrauen bewiesen hätte und ihnen mit der nämlichen Vertraulichkeit entgegengetreten wäre? O, wie viel besser weiß sie es doch anzustellen! Weit davon entfernt, das gleiche Benehmen gegen sie zu beobachten, trägt sie vielmehr recht auffällig ein ungleiches Betragen gegen sie zur Schau. Sie fängt ihre Sache so geschickt an, daß derjenige, welchem sie zu gefallen sucht, meint, ihr Benehmen sei ein Ausfluß ihrer Zärtlichkeit, während derjenige, welchen sie zurückstoßend behandelt, darin ein Zeichen gekränkter Liebe erblickt. Mit seinem ihm zugefallenen Theile zufrieden, glaubt deshalb Jeder, daß sie sich ausschließlich mit ihm beschäftige, während sie sich in Wahrheit nur mit sich selbst beschäftigt.

Bei dem allgemeinen Wunsche zu gefallen gibt die Coquetterie noch andere ähnliche Mittel an die Hand. Launen könnten nur abstoßend wirken, wenn man sich ihrer nicht geschickt zu bedienen verstände. Aber gerade dadurch, daß die Coquetterie sie mit Kunst anwendet, weiß sie ihre Sklaven am stärksten zu fesseln.

Usa ogn' arte la donna, onde sia colto
Nella sua rete alcun novello amante;
Nè con tutti, nè sempre un stesso volto
Serba; mà cangia a tempo atto a sembiante
.

Tasso, Befr. Jerus. 4. Ges. Str. 87; nach der Übersetzung von Gries lautet die Stelle:
Sie (Armida) lockt, anwendend jede Kunst der Frauen,
Stets neue Buhler in ihr Netz herbei.
Und läßt Geberd' und Blick oft wechselnd schauen.
Bleibt Allen nicht, noch allezeit einerlei.
]

Worauf anders beruht diese ganze Kunst, als auf feinen und unaufhörlichen Beobachtungen, welche der Frau in jedem Augenblicke alle Regungen in den Herzen der Männer erkennen lassen, und sie befähigen, bei jeder geheimen Bewegung, die sie bemerkt, alle Kraft zur Zurückhaltung oder Beschleunigung derselben aufzubieten. Läßt sich diese Kunst nun erlernen? Nein, sie ist den Frauen angeboren. Alle besitzen sie, und nie vermögen die Männer sie sich in demselben Maße anzueignen. Sie gehört zu den charakteristischen Eigentümlichkeiten des schönen Geschlechts. Geistesgegenwart, Scharfblick, feine Beobachtungsgabe machen das Wissen des Weibes aus; in der Geschicklichkeit, diese Gaben zur Geltung zu bringen, bekundet sich ihr Talent.

So ist es, und wir haben eingesehen, weshalb es so sein muß. Man will uns einreden, daß die Frauen falsch seien. Nein, sie werden es erst. Gewandtheit und nicht Falschheit ist die ihnen eigenthümliche Gabe. In den wahren Neigungen ihres Geschlechts sind sie selbst dann, wenn sie lügen, nicht falsch. Weshalb befragt ihr ihren Mund, wenn doch dieser nicht die Antwort geben soll? Befragt ihre Augen, ihre Gesichtsfarbe, ihre Athemzüge, ihr schüchternes Wesen, ihren schwachen Widerstand. Das ist die Sprache, die ihnen die Natur verliehen hat, um euch die Antwort zu ertheilen. Der Mund sagt stets nein, und muß es sagen; aber der Ton, in dem sie dies Wörtchen sprechen, ist nicht immer der nämliche, und dieser Ton versteht sich nicht aufs Lügen. Theilt nicht die Frau die Bedürfnisse des Mannes, ohne doch dasselbe Recht zu besitzen, sie zu äußern? Ihr Loos würde zu grausam sein, wenn ihr nicht einmal bei ihren berechtigten Wünschen eine Sprache zu Gebote stände, die es an Verständlichkeit mit der, welche sie nicht zu führen wagt, aufzunehmen vermag. Muß sie ihre Schamhaftigkeit denn unglücklich machen? Bedarf sie nicht einer Kunst, ihre Neigungen mitzutheilen, ohne sie geradezu selbst zu enthüllen? Welche Gewandtheit muß sie nicht entfalten, um es dahin zu bringen, daß man ihr raube, was sie zuzugestehen auf das Sehnlichste wünscht! Von wie großer Wichtigkeit ist es nicht für sie, sich mit der Kunst vertraut zu machen, das Herz des Mannes zu rühren, ohne den Schein zu erwecken, daß sie an ihn denke! Wie reizend ist nicht die Erzählung von dem Apfel der Galathea und ihrer ungeschickten Flucht! Was sollte sie wol noch hinzufügen? Soll sie dem Hirten, der ihr bis unter die Weiden nachfolgt, auch noch sagen, daß sie nur in der Absicht die Flucht ergriffen habe, ihn nachzulocken? Das würde eigentlich eine Lüge in sich schließen, denn alsdann würde sie ferner nichts Anlockendes mehr für ihn haben. Je größere Zurückhaltung eine Frau beobachtet, desto mehr Kunst muß sie aufbieten, selbst ihrem Manne gegenüber. Ja, ich behaupte, daß man dadurch, daß man die Coquetterie in ihren Schranken hält, derselben den Charakter des Sittsamen und Wahren verleiht, daß man ein Gesetz der Ehrbarkeit aus ihr macht.

»Die Tugend bildet eine untheilbare Einheit,« behauptete mit vollem Rechte einer meiner Gegner; man kann sie nicht zerlegen, um einen Theil anzunehmen und einen anderen zu verwerfen. Wenn man liebt, so liebt man mit seinem ganzen ungetheilten Wesen. Gefühlen, welche man nicht hegen darf, verschließt man sein Herz, wenn man vermag, seinen Mund aber immer. Das sittlich Wahre ist nicht das, was ist, sondern das, was gut ist. Das Böse sollte gar nicht vorhanden sein und darf nicht eingestanden werden, vorzüglich wenn es durch dieses Eingeständniß eine Wirkung erhält, welche es sonst nicht gehabt hätte. Hätte sich die Versuchung zu stehlen in mir geregt und hätte ich nun durch Mittheilung meiner Absicht einen Anderen in die Versuchung geführt, mein Mitschuldiger zu werden, würde dann nicht die Entdeckung meiner Versuchung eben so viel sein, als wenn ich ihr unterlegen wäre? Weshalb behauptet ihr, daß die Schamhaftigkeit die Frauen falsch mache? Können etwa diejenigen, welche sie am meisten verloren haben, mehr Anspruch auf Wahrheit machen als die anderen? Weit gefehlt! Sie sind tausendmal falscher. Man sinkt bis zu diesem Grade der Verdorbenheit nur durch Laster herab, welche man sämmtlich behält, und die nur vermittelst der Intrigue und der Lüge herrschen. Es ist mir sehr wohl bekannt, daß die Frauen, welche in Bezug aus einen gewissen Punkt offen gefehlt haben, gerade wegen dieser Offenheit eine gewisse Geltung beanspruchen und schwören, daß, jenes abgerechnet, sie in allen anderen Beziehungen höchst achtungswerth daständen. Aber ich weiß eben so gut, daß sich nur Thoren davon haben überzeugen lassen. Haben sie sich einmal des stärksten Zügels ihres Geschlechts entledigt, was bleibt dann noch übrig, um sie zurückzuhalten? Und auf welche Ehre werden sie dann noch Werth legen, wenn sie selbst auf diejenige verzichtet haben, welche der schönste Schmuck ihres Geschlechtes ist? Wenn sie einmal ihren Leidenschaften die Zügel haben schießen lassen, so haben sie länger kein Interesse, ihnen Widerstand zu leisten. Nec femina, amissa pudicitia, alia abnuerit (Tac. ann. IV, 3). Hat wol je ein Schriftsteller das menschliche Herz bei beiden Geschlechtern besser gekannt als der, welcher diesen Ausspruch gethan hat? Im Gegentheile sind diejenigen, welche noch Schamgefühl besitzen, welche ihre Fehler nicht mit Stolz zur Schau tragen, welche ihre Wünsche selbst denen, die sie ihnen einflößten, zu verhehlen wissen und sich ihre Geständnisse nur mit Mühe entreißen lassen, auch sonst in allen ihren Verbindungen die wahrsten, die aufrichtigsten und beständigsten, und diejenigen, auf deren Treue man sich im Allgemeinen mit größter Sicherheit verlassen kann.

Als einzige Ausnahme zu diesen Bemerkungen hat man meines Wissens Fräulein von Lenclos anführen können; dafür hat Fräulein von Lenclos aber auch für ein Wunder gegolten. Bei ihrer Geringschätzung der Tugenden ihres eigenen Geschlechtes soll sie, wie man sich erzählt, die unseres Geschlechtes beobachtet haben. Man rühmt ihren Freimuth, ihre Redlichkeit, ihre Sicherheit in den Umgangsformen, ihre Treue in der Freundschaft, kurz, um ihr Ruhmesbild mit einem einzigen Pinselstriche zu vollenden, man sagt, sie hätte sich förmlich in einen Mann verwandelt. Meinetwegen! Allein trotz seines hochtönenden Rufes hätte ich diesen Mann weder zu meinem Freunde noch zu meiner Geliebten haben mögen.

Alles, was ich so eben erwähnt habe, liegt unserem Thema nicht so fern, als es vielleicht den Anschein hat. Mir ist klar, worauf die Grundsätze der neueren Philosophie, welche die Schamhaftigkeit und vermeintliche Falschheit des weiblichen Geschlechts zu einem Gegenstande des Gespöttes machen, abzielen. Mir ist aber auch eben so klar, daß die sicherste Wirkung dieser Philosophie die sein wird, den Frauen unseres Jahrhunderts auch noch das Wenige von Ehrbarkeit und Sittsamkeit zu rauben, welches ihnen noch geblieben ist.

Nach diesen Betrachtungen lassen sich, wie ich glaube, schon im Allgemeinen Bestimmungen treffen, welche Art von Bildung für den Geist der Frauen am passendsten ist, und auf welche Gegenstände man ihr Nachdenken von Jugend auf lenken muß.

Ich habe bereits darauf aufmerksam gemacht, daß sich die Pflichten ihres Geschlechtes leichter erkennen als erfüllen lassen. Das Erste, was die Frauen lernen müssen, ist, ihre Pflichten dadurch, daß sie sich die Vortheile vorhalten, welche ihnen dieselben bringen, lieb zu gewinnen. Hierin liegt das einzige Mittel für sie, sich dieselben leicht zu machen. Jeder Stand und jedes Lebensalter hat seine Pflichten. Man erkennt die seinigen sehr bald, wofern man sie nur liebt. Ehret euern Frauenstand, dann werdet ihr, welche Stellung euch der Himmel auch sonst angewiesen haben möge, stets treue Eheweiber sein. Das Wesentlichste ist, daß wir das sind, wozu uns die Natur gemacht hat. Man ist leider nur immer zu sehr das, wozu die Menschen uns stempeln wollen.

Die Erforschung der abstracten und spekulativen Wahrheiten, der Principien, der Axiome in den Wissenschaften, kurz alles dessen, was auf die Verallgemeinerung der Ideen ausgeht, gehört nicht in das Gebiet der Frauen. Ihre Studien müssen sich alle auf das Praktische erstrecken. Ihnen kommt es zu, die Grundsätze, welche der Mann aufgefunden hat, zur Anwendung zu bringen, kommt es zu, die Beobachtungen anzustellen, welche den Mann zur Aufstellung der Grundsätze führen. Alle Betrachtungen der Frauen in Bezug auf solche Dinge, die nicht unmittelbar mit ihren Pflichten im Zusammenhange stehen, sollen auf das Studium der Männer oder auf solche angenehme Kenntnisse gerichtet sein, welche es nur mit dem Geschmacke zu thun haben. Die Werke des Genies übersteigen ihre Fassungskraft, und außerdem fehlt es ihnen an der genügenden Genauigkeit und Aufmerksamkeit, um die exacten Wissenschaften mit Erfolg betreiben zu können. Die Naturwissenschaften eignen sich für dasjenige der beiden Geschlechter, welches die meiste Thätigkeit entfaltet, am meisten auf den Aufenthalt im Freien angewiesen ist und deshalb auch die meisten Gegenstände zu sehen bekommt. Demjenigen Geschlecht, welches im Besitze der größten Kraft ist und sie am meisten ausübt, kommt es auch zu, über die Verhältnisse der sinnlich wahrnehmbaren Wesen und über die Naturgesetze zu urtheilen. Das Weib, welches sich seiner Schwäche bewußt ist und von der Außenwelt wenig sieht, schätzt und beurtheilt nur die bewegenden Kräfte, welche es anzuwenden vermag, um für seine Schwäche Ersatz zu finden, und diese bewegenden Kräfte sind die Leidenschaften des Mannes. Das Triebwerk, dessen es sich hierbei bedient, ist stärker als das unserige; alle seine Hebel arbeiten unablässig daran, das menschliche Herz in Schwanken zu versetzen. Zu Allem, was sein Geschlecht nicht selbst zu verrichten im Stande ist, was ihm aber nothwendig oder angenehm ist, bedarf es der Kunst, um uns den Impuls zur Ausführung zu geben. Es muß zu dem Zwecke den Mann bis in die Tiefe seiner Seele studiren, nicht durch Abstraction die Seele des Mannes im Allgemeinen, sondern die Seele der Männer, welche es umgeben, die Seele der Männer, welchen es, sei es durch das Gesetz oder durch die Meinung, unterworfen ist. Es muß aus ihren Reden, Handlungen, Blicken und Geberden ihre Gefühle errathen lernen. Durch seine eigenen Reden, Handlungen, Blicke und Geberden muß es sie mit den Gefühlen zu erfüllen verstehen, welche ihm angenehm sind, ohne daß es auch nur den Anschein hat, als dächte es daran. Die Männer werden besser als das Weib über das menschliche Herz Philosophiren, dieses aber wird dafür besser als sie im Menschenherzen zu lesen verstehen. Die Aufgabe der Frauen ist es – wenn ich mich so ausdrücken darf – die Experimental-Moral zu erfinden, unsere Aufgabe ist es dagegen, die auf diesem Wege gewonnene Moral in ein System zu bringen. Die Frau hat mehr Geist, der Mann mehr Genie; die Frau beobachtet, der Mann zieht Schlüsse. Aus Beider Zusammenwirken entsteht die klarste Einsicht und das vollkommenste Wissen, welche der menschliche Geist aus sich selber zu schöpfen vermag, mit einem Worte die sicherste Kenntniß seiner selbst und Anderer, soweit sich dieselbe menschliche Fähigkeit anzueignen vermag. Da sehen wir an einem Beispiele, wie die Kunst zur Vervollkommnung des uns von der Natur gegebenen Werkzeugs unaufhörlich beizutragen im Stande ist.

Die Welt ist das Buch der Frauen. Wenn sie es schlecht zu lesen verstehen, so liegt die Schuld an ihnen, oder an irgend einer Leidenschaft, die sie verblendet. Weit davon entfernt, eine Weltdame zu sein, lebt die wahre Hausfrau indeß nicht weniger abgeschlossen in ihrer Häuslichkeit, als die Nonne in ihrem Kloster. Man sollte deshalb bei den jungen Mädchen, welche man zu verheirathen beabsichtigt, dasselbe Verfahren in Anwendung bringen, welches man bei denjenigen beobachtet oder doch beobachten sollte, welche man für das Kloster bestimmt; man sollte ihnen die Vergnügungen, deren sie sich später enthalten sollen, zeigen, ehe man sie denselben zu entsagen zwingt, damit das falsche Bild, welches sie sich von den ihnen unbekannten Unterhaltungen entwerfen, nicht ihre Herzen dereinst irre zu führen und das Glück ihrer Zurückgezogenheit zu stören vermöge. In Frankreich leben die Frauen in ihrer Jugend in den Klöstern, nach ihrer Verheirathung lassen sie sich aber überall in der Oeffentlichkeit sehen. Bei den Alten fand das umgekehrte Verhältniß statt. Die Mädchen nahmen, wie bereits gesagt, an vielen Spielen und öffentlichen Festen Theil, die Frauen lebten dagegen zurückgezogen. Dieses Herkommen war ein vernünftigeres und besseres Mittel zur Aufrechterhaltung der Sitten. Eine gewisse Coquetterie ist heiratsfähigen Mädchen erlaubt; Vergnügungen sind für sie bis jetzt noch die Hauptsache. Die Frauen werden von anderen Sorgen in Anspruch genommen, denn sie haben keinen Mann mehr zu suchen. Aber mit dieser Reform würden sie ihre Rechnung nicht finden, und unglückseligerweise geben sie den Ton an. Ihr Mütter, macht euch wenigstens zu Gefährtinnen eurer Töchter! Gebt ihnen einen gesunden Sinn und ein reines Herz, und dann haltet ihnen nichts verborgen, was ein keusches Auge erblicken darf. Bälle, Gastereien, Spiele, selbst das Theater, kurz Alles, was bei unzulänglicher Kenntniß auf die unerfahrene Jugend einen so bestrickenden Reiz ausüben kann, darf unschuldigen Augen ohne Gefahr vorgeführt werden. Je vollständiger sie dergleichen rauschende Vergnügungen kennen lernen, desto eher werden ihnen dieselben langweilig erscheinen.

Ich vernehme im Geiste schon das Geschrei, welches gegen mich erhoben werden wird. »Welch Mädchen vermöchte wol solchen gefährlichen Beispielen zu widerstehen? Kaum haben sie etwas von der Welt kennen gelernt, so schwindelt ihnen Allen der Kopf. Nicht ein einziges möchte ihr entsagen!« Das ist wol möglich. Habt ihr ihnen indeß auch, bevor ihr ihnen dieses trügerische Bild vorhieltet, eine gründliche Vorbereitung gegeben, damit sie es ohne Aufregung anzusehen vermochten? Habt ihr sie auf die Gegenstände, welche ihnen auf demselben entgegentreten, gehörig aufmerksam gemacht? Habt ihr sie ihnen in ihrer vollen Wirklichkeit dargestellt? Habt ihr sie gegen die Täuschungen der Eitelkeit hinreichend gewaffnet? Habt ihr ihren jungen Herzen den Geschmack an den wahren Freuden eingeimpft, welche man in dem Geräusche dieser Welt nie zu fühlen vermag? Welche Vorsichtsmaßregeln habt ihr getroffen, welche Schritte gethan, um sie vor dem falschen Geschmacke zu bewahren, der sie doch nur irre leiten kann? Aber statt in ihrem Geiste die Herrschaft der allgemeinen Vorurtheile zu brechen, habt ihr denselben nur Nahrung gegeben. Schon im Voraus habt ihr ihnen an all den frivolen Belustigungen, die sich ihnen darbieten werden, Gefallen eingeflößt. Noch während sie sich denselben schon überlassen, erhöht ihr ihr Wohlgefallen an denselben. Junge Mädchen, die in die Welt eintreten, haben nur ihre Mütter zu Führerinnen, die oft noch weit seltsamere Anschauungen hegen als die Töchter und ihnen die Dinge unter keinem anderen Gesichtspunkte zu zeigen vermögen, als unter dem sie diese selbst erblicken. Das Beispiel, welches ihnen dieselben geben und das auf sie eine größere Gewalt als die Vernunft selbst ausübt, rechtfertigt sie in ihren eigenen Augen, denn die Autorität der Mutter dient der Tochter als unwiderlegliche Entschuldigung. Wenn trotzdem auch ich den Wunsch hege, daß die Mutter ihre Tochter in die Welt einführe, so geschieht dies selbstverständlich in der Voraussetzung, daß sie ihr diese so zeigt, wie sie in Wirklichkeit beschaffen ist.

Das Uebel hebt sogar noch früher an. Die Klöster sind die eigentlichen Schulen der Coquetterie, nicht etwa jener unschuldigen Gefallsucht, deren ich bereits Erwähnung gethan, sondern derjenigen Coquetterie, in welcher alle Verkehrtheiten der Frauen ihre Wurzel haben und die die Schuld an den Verschrobenheiten unserer heutigen eleganten Damenwelt trägt. Scheiden die jungen Mädchen aus dem Kloster, um aus ihm unmittelbar in das geräuschvolle Gesellschaftsleben einzutreten, so fühlen sie sich von Anfang an ganz an ihrem Platze. Sie sind für ein Leben in der Welt erzogen worden. Darf es uns also Wunder nehmen, wenn sie sich in ihr wohl fühlen? Ich will das, was ich sogleich sagen werde, zwar nicht mit apodiktischer Gewißheit behaupten, wenn ich auch nicht die Befürchtung hege, ein eingesogenes Vorurtheil für eine Beobachtung zu halten, allein es macht den Eindruck auf mich, als ob es in den protestantischen Ländern im Allgemeinen eine größere Anhänglichkeit an die Familie, würdigere Gattinnen und zärtlichere Mütter gebe als in den katholischen; und wenn es sich so verhält, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß diesen Unterschied zum Theil die klösterliche Erziehung zu verantworten hat.

Um den stillen Frieden eines häuslichen Lebens lieb zu gewinnen, muß man es kennen, muß man die Süßigkeit desselben von Kindheit an empfunden haben. Nur im väterlichen Hause lernt man an seinem eigenen Gefallen finden; nur einer Frau, welche von ihrer eigenen Mutter erzogen ist, wird es eine Freude sein, die Erziehung ihrer Kinder selbst zu leiten. Leider gibt es in den großen Städten keine häusliche Erziehung mehr. Die Gesellschaft besteht hier aus so verschiedenen Elementen und ist so gemischt, daß man sich nicht einmal ein verstecktes Plätzchen für sich selbst zu sichern vermag und im eigenen Hause wie in der Öffentlichkeit lebt. Da man sich gezwungen sieht, mit aller Welt zu leben, so hat man keine Familie mehr; kaum kennt man noch die Glieder derselben. Man sieht sie nur als Fremde, und die Einfalt der häuslichen Sitten erlischt mit der süßen Vertraulichkeit, die ihren Hauptreiz bildet. So saugt man schon mit der Muttermilch den Geschmack an den Vergnügungen des Jahrhunderts und an den Grundsätzen ein, welche in ihm zur Herrschaft gelangt sind.


 << zurück weiter >>