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Ich lege Ihnen gern das Geständniß ab, daß mich die Majestät der heiligen Schriften in Erstaunen setzt und mir die Heiligkeit des Evangeliums zu Herzen spricht. »Zu Herzen spricht«. Variante: Ich lege Ihnen gern das Geständniß ab, daß die Heiligkeit des Evangeliums ein Beweisgrund ist, der mir zu Herzen spricht, und daß ich es sogar bedauern würde, eine unbestreitbare Widerlegung desselben zu finden. Sehen Sie sich die Bücher ... Sehen Sie sich die Bücher der Philosophen mit all ihrer hochtrabenden Sprache an; wie unbedeutend nehmen sie sich doch neben demselben aus. Ist es möglich, daß ein so erhabenes und doch zugleich so einfaches Buch von Menschen herrührt? Ist es möglich, daß derjenige, dessen Geschichte es erzählt, selbst nur ein Mensch ist? Ist das wol der Ton, den ein Enthusiast oder ein ehrgeiziger Sectirer anschlägt? Welche Sanftmuth! Welche Sittenreinheit! Welche rührende Anmuth in seinen Unterweisungen! Welche Erhabenheit in seinen Grundsätzen! Welche tiefe Weisheit in seinen Reden! Welche Geistesgegenwart! Welche Feinheit und welches Schlagende in seinen Antworten! Welche Herrschaft über seine Leidenschaften! Wo ist der Mann, wo der Weise, der ohne Schwäche und Ostentation so zu handeln, zu leiden und zu sterben versteht? Wenn Plato sein Ideal eines Gerechten malt, De republ. lib. I. der mit aller Schmach des Verbrechens überhäuft, aber doch jedes Lohnes der Tugend würdig durch das Leben geht, so zeichnet er Jesum Christum Zug für Zug. Die Aehnlichkeit ist so treffend, daß sie allen Kirchenvätern auffiel und daß man sich unmöglich darüber täuschen kann. Diese Aehnlichkeit ergibt sich aus den beiden ersten Büchern oder Gesprächen der Abhandlung Plato's, welche den Titel »Der Staat« führt. Die in Bezug auf den in Frage stehenden Gegenstand bemerkenswertheste Stelle enthält Aeußerungen, die er seinem Gegner in den Mund legt.
Was die Kirchenväter anlangt, von denen hier die Rede ist, so vergleiche man unter Anderen Just. (Apol. prima) und Clem. v. Alex. (Stromata. lib. IV). Anmerk. des Herrn Petitain.
Welche Vorurtheile müssen einen Menschen erfüllen, welche Verblendung ... Variante: Welche Verblendung oder welch böser Wille muß... muß sich seiner bemächtigt haben, wenn er es wagt, den Sohn des Sophroniskus mit Maria's Sohne zu vergleichen! Was für ein Abstand zwischen Beiden! Sokrates, der ohne Schmerzen, ohne Schmach starb, führte seine Rolle mühelos bis zum Ende durch; und hätte dieser leichte Tod seinem Leben nicht zur Ehre gereicht, so könnte man gerechten Zweifel hegen, ob Sokrates mit all seinem Geiste etwas Anderes als ein Sophist gewesen sei. Er erfand, wie man sagt, die Moral; Andere hatten sie jedoch schon vor ihm ausgeübt. Er sprach nur aus, was sie gethan hatten, und zog aus ihren Beispielen nur die Lehren. Aristides war gerecht gewesen, ehe Sokrates den Begriff der Gerechtigkeit definirt hatte; Leonidas war für sein Vaterland gestorben, ehe Sokrates die Vaterlandsliebe zur Pflicht gemacht hatte; Sparta war nüchtern, ehe Sokrates die Nüchternheit gepriesen hatte, und ehe er den Begriff der Tugend festgestellt, besaß Griechenland einen Ueberfluß an tugendhaften Menschen. Aber woher hatte Jesus unter den Seinigen diese erhabene und reine Moral genommen, zu der er allein sie durch Lehre und Vorbild anzuhalten suchte? Man vergegenwärtige sich den Vergleich in der Bergpredigt, den er selbst zwischen der Moral des Moses und der seinigen anstellt. Matth. 5, 21 ff. Aus dem Schooße des gewaltigsten Fanatismus heraus ließ sich die höchste Weisheit vernehmen, und die Einfachheit der heldenmütigsten Tugenden ehrte das verächtlichste aller Völker. Der Tod des Sokrates, welcher eintrat, während er ruhig mit seinen Freunden philosophirte, ist der süßeste, den man sich nur wünschen kann. Der Tod Jesu dagegen, der unter Martern, geschmäht, verspottet und von seinem ganzen Volke verflucht, seinen Geist aufgab, ist der entsetzlichste, den man fürchten kann. Sokrates segnet, während er den Giftbecher ergreift, den Gefangenwärter, welcher ihm denselben unter Thränen darreicht. Jesus betet unter den furchtbarsten Todesqualen für seine entmenschten Henker. Ja, wenn des Sokrates Leben und Tod eines Weisen würdig sind, so erkennen wir bei Christo das Leben und den Tod eines Gottes. Sollen wir nun etwa die evangelische Geschichte für eine willkürliche Erdichtung ausgeben? Mein Freund, so vermag man nicht zu dichten; und die Züge aus dem Leben des Sokrates, die Niemand bezweifelt, sind weniger beglaubigt als die Thaten Jesu Christi. Im Grunde genommen hieße dies auch nur die Augen vor den Schwierigkeiten verschließen, anstatt sie völlig aus dem Wege zu räumen. Daß mehrere Menschen »Daß mehrere Menschen«. Variante: Daß vier Menschen u.s.w. Diesen Worten ist noch folgende Anmerkung zugefügt: Ich will deren nicht mehr zählen, weil ihre vier Evangelien die einzigen Lebensbeschreibungen Jesu Christi sind, welche sich von der großen Zahl der überhaupt verfaßten erhalten haben. mit einander dies Buch in freier Dichtung und unter gegenseitiger Übereinstimmung verfaßt haben sollten, würde noch viel unbegreiflicher sein, als daß ein einziger Mensch den Stoff dazu geliefert hat. Nie wären jüdische Schriftsteller im Stande gewesen, diesen Ton anzuschlagen oder diese Moral aufzustellen, und das Evangelium enthält so große, so auffallende, so völlig unnachahmliche Kennzeichen der Wahrheit, daß der Verfasser einer solchen Dichtung in noch weit höherem Grade unsere Bewunderung verdienen würde, als der Held selbst. Trotz alledem ist dies Evangelium auch voll unglaublicher Dinge, voll solcher Dinge, die der Vernunft widerstreiten und die ein vernünftiger Mensch unmöglich zu begreifen und anzunehmen vermag. Was nun thun inmitten aller dieser Widersprüche? Stets bescheiden und bedachtsam sein, mein Sohn; schweigend in Ehren halten, was man weder verwerfen noch begreifen kann, und sich in Demuth vor dem großen Wesen beugen, welches allein die Wahrheit kennt.

Das ist der unfreiwillige Skepticismus, auf welchem ich stehen geblieben bin; indeß berührt mich dieser Skepticismus keineswegs peinlich, weil er sich nicht auf solche Punkte erstreckt, die auf das Handeln bestimmend einwirken, und weil ich über die Principien aller meiner Pflichten durchaus entschieden bin. Ich diene Gott in der Einfalt meines Herzens. Ich suche nur das zu erfahren, was mir in Bezug auf meinen Wandel von Wichtigkeit ist. Was nun aber jene Dogmen anlangt, die weder auf mein Handeln noch auf die Sittlichkeit Einfluß ausüben, und um deren willen sich so viele Menschen Sorgen machen, so fühle ich mich ihretwegen nicht im Geringsten beunruhigt. Ich erblicke in allen einzelnen Religionen eben so viele Heilsanstalten, welche in jedem Lande eine gleichförmige Art öffentlicher Gottesverehrung vorschreiben, und welche alle im Klima, in der Regierungsform, im Volksgeist oder in sonst einer localen Ursache wurzeln können, so daß der Vorzug, welchen eine vor den anderen hat, lediglich nach Zeit und Ort zu bemessen ist. Ich halte sie, falls man Gott in ihnen nur in angemessener Weise dient, alle für gut. Das Wesen des Gottesdienstes beruht auf dem Dienste des Herzens. Gott verwirft keine Huldigung, wenn sie aufrichtig ist, unter welcher Form sie ihm auch dargebracht wird. In der Religion, zu welcher ich mich bekenne, zum Dienste der Kirche berufen, erfülle ich die mir auferlegten Obliegenheiten mit größtmöglicher Pünktlichkeit, und mein Gewissen würde mir Vorwürfe machen, wenn ich mir wissentlich in irgend einem Punkte eine Pflichtvergessenheit zu Schulden kommen ließe. Es ist Ihnen bekannt, daß ich nach längerem Kirchenbann durch Vermittelung des Herrn von Mellarede endlich die Erlaubniß erhielt, meine amtlichen Functionen wieder aufzunehmen, um mein Leben fristen zu können. Früher las ich die Messe mit jener Gleichgültigkeit, in die man mit der Zeit auch bei den ernstesten Handlungen verfällt, sobald man sie zu oft verrichtet. Seit Annahme meiner jetzigen Grundsätze halte ich das Hochamt mit weit höherer Ehrfurcht ab; ich fühle mich durchdrungen von der Majestät des höchsten Wesens, von seiner Gegenwart und von der Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes, der nur in so geringem Grade zu begreifen vermag, was sich auf seinen Schöpfer bezieht. Indem ich mir dessen bewußt bin, daß ich ihm unter einer vorgeschriebenen Form die Gelübde des Volkes darbringe, halte ich alle Gebräuche auf das Strengste inne; ich lese mit Aufmerksamkeit, ich lasse es mir angelegen sein, nie auch nur das geringste Wort oder die geringste Ceremonie zu übersehen. Wenn ich mich dem Augenblicke der Consecration nähere, so sammle ich mich erst, um sie in der andächtigen Stimmung vornehmen zu können, welche die Kirche und die Heiligkeit des Sacramentes erheischen. Ich bemühe mich, meine Vernunft vor der höchsten Vernunft zum Schweigen zu bringen; ich sage mir: Wer bist du, daß du dich unterfangen könntest, die unendliche Macht zu ermessen? Mit Ehrfurcht spreche ich die Einsetzungsworte und lege ihrer Wirkung all den Glauben bei, der in meinem Herzen wohnt. So viel Unbegreifliches auch immer an diesem Geheimnisse sein mag, so hege ich gleichwol keine Besorgniß, am Tage des Gerichts dafür bestraft zu werden, daß ich es je in meinem Herzen entweiht habe.

Beehrt mit diesem heiligen Amte, wenn auch nur auf der untersten Rangstufe, werde ich nie etwas thun oder sagen, was mich unwürdig machen könnte, die erhabenen Pflichten desselben zu erfüllen. Ich werde den Menschen beständig die Tugend predigen, ich werde sie beständig ermahnen, Gutes zu thun, und ihnen, so weit es in meinen Kräften steht, mit einem guten Beispiele vorangehen. Es wird nicht an mir liegen, wenn ich ihnen nicht Liebe zur Religion einflöße, nicht an mir liegen, wenn ihr Glaube an die Dogmen, die wahrhaft nützlich sind und die jeder Mensch zu glauben verpflichtet ist, nicht befestigt wird: aber da sei Gott vor, daß ich ihnen je das grausame Gesetz der Intoleranz predige, daß ich sie je antreibe, ihren Nächsten zu verabscheuen und zu anderen Menschen zu sagen: »Ihr werdet verdammt werden«, zu sagen: »Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil!« Die Pflicht, sich zur Landesreligion zu bekennen und sie zu lieben, erstreckt sich nicht bis auf die Dogmen, welche mit einer gesunden Moral in Widerspruch stehen, also auch nicht auf das der Intoleranz. Dieses abscheuliche Dogma waffnet einen Menschen gegen den andern und macht sie alle zu Feinden des menschlichen Geschlechts. Die Unterscheidung zwischen bürgerlicher und kirchlicher Toleranz ist kindisch und eitel. Diese beiden Arten von Toleranz sind durchaus untrennbar, und beide werden stets gleichzeitig in Wirksamkeit sein. Selbst Engel würden mit den Menschen nicht in Frieden leben, wenn sie dieselben als Feinde Gottes betrachteten. Wäre ich mit einem höheren Range bekleidet, so könnte mir diese Zurückhaltung allerdings Verdrießlichkeiten bereiten, so aber bin ich zu unbedeutend, um viel befürchten zu müssen, und ich kann nicht leicht zu einer noch tieferen Stufe herabsinken, als ich einnehme. Was aber auch immer geschehen möge, so werde ich mich doch in meinen Reden nie gegen die göttliche Gerechtigkeit vergehen und nie wider den heiligen Geist lügen.

Ich habe lange sehnlich gewünscht, Pfarrer zu werden; ich wünsche es noch immer, hoffe aber nicht mehr darauf. Mein lieber Freund, ich kann mir nichts Schöneres als den Beruf eines Pfarrers denken. Ein guter Pfarrer ist ein Diener der Güte, wie eine gute Obrigkeit eine Dienerin der Gerechtigkeit ist. Ein Pfarrer hat nie etwas Böses zu thun; vermag er das Gute auch nicht immer selbst zu thun, so wird er doch keine Gelegenheit vorübergehen lassen, dazu aufzufordern, und versteht er sich Achtung zu verschaffen, so setzt er es auch oft durch. Ach, wie glücklich würde ich sein, wenn mir je die Verwesung einer armen Pfarrei bei guten Leuten in unserem Gebirge übertragen würde, denn ich glaube, es würde zum Glücke meiner Pfarrkinder ausfallen. Reichthum würde ich ihnen zwar nicht verleihen können, aber ihre Armuth würde ich mit ihnen theilen; ich würde dieselbe von der ihr anklebenden Schande und Verachtung frei machen, die noch unerträglicher sind als der Mangel selbst. Ich würde sie Eintracht und Gleichheit lieben lehren, die das Elend oft verscheuchen und es wenigstens immer erträglich machen. Wenn sie bemerken würden, daß ich in nichts besser daran wäre als sie und trotzdem zufrieden lebte, so würden sie sich in ihr Schicksal finden und in gleicher Zufriedenheit wie ich leben lernen. Bei meinen Belehrungen würde ich mich weniger an den Geist der Kirche als an den Geist des Evangeliums halten, dessen dogmatischer Gehalt einfach, dessen Moral erhaben ist und dessen Inhalt uns nur mit wenigen religiösen Gebräuchen, aber dafür mit desto mehr Werken der Liebe bekannt macht. Ehe ich sie lehrte, was man thun müsse, würde ich mich bemühen, es ihnen an meinem Beispiele zu zeigen, damit sie zur Einsicht gelangten, daß meine Werke mit meinen Worten in Einklang ständen. Lebten in meiner Nachbarschaft oder in meiner Parochie Protestanten, so würde ich bei allen Werken der christlichen Barmherzigkeit zwischen ihnen und meinen wirklichen Pfarrkindern keinen Unterschied machen. Ich würde sie Alle ohne Unterschied anhalten, sich unter einander zu lieben, sich als Brüder zu betrachten, alle Religionen zu achten und Jeder in der seinigen in Frieden zu leben. In Jemanden dringen, die Religion, in der er geboren ist, zu verlassen, heißt meinem Bedünken nach ihn auffordern, ein Unrecht zu begehen, und folglich selbst Unrecht thun. Bis wir indeß höherer Einsichten theilhaftig werden, wollen wir die öffentliche Ordnung bewahren, in allen Ländern die Gesetze achten, die Gottesverehrung, die sie uns vorschreiben, nicht stören und die Bürger nicht zum Ungehorsam verleiten; denn wir wissen keineswegs mit Sicherheit, ob es für sie ein Glück wäre, sich von ihren Ansichten loszusagen, um andere gegen sie einzutauschen; nur das wissen wir mit aller Sicherheit, daß es ein Unrecht ist, den Gesetzen nicht zu gehorchen.

Ich habe Ihnen hiermit, mein junger Freund, mein Glaubensbekenntnis mündlich so abgelegt, wie es Gott in meinem Herzen liest. Sie sind der Erste, den ich habe in mein Herz blicken lassen und werden vielleicht auch der Einzige bleiben. So lange es noch einen festen Glauben unter den Menschen gibt, darf man friedliche Seelen nicht beunruhigen, noch den Glauben der Einfältigen durch Schwierigkeiten erschüttern, die sie nicht aus dem Wege zu räumen vermögen, und die sie beunruhigen, ohne ihnen Aufklärung zu geben. Wenn aber erst einmal Alles schwankend geworden ist, muß man den Stamm auf Kosten der Zweige erhalten. Aufgeregte, unsichere, fast eingeschlummerte Gewissen, und solche, die sich in einem ähnlichen Zustande wie das Ihrige befinden, bedürfen der Stärkung und Erweckung; und um sie wieder auf den Grund der ewigen Wahrheit zu stellen, muß man die wankenden Pfeiler, an denen sie noch eine Stütze zu haben glauben, vollends einreißen.

Sie stehen jetzt in dem entscheidenden Alter, in welchem sich der Geist öffnet, um endlich Gewißheit zu erlangen, in welchem das Herz seine Form und seinen Charakter erhält, und man sich für das ganze Leben, sei es zum Guten oder zum Bösen, entscheidet. Später ist unser Wesen bereits härter geworden, und neue Eindrücke lassen keine Spuren mehr zurück. Junger Mann, lassen Sie Ihrer jetzt noch geschmeidigen Seele das Gepräge der Wahrheit aufdrücken! Wenn ich meiner selbst sicherer wäre, würde ich Ihnen gegenüber einen dogmatischen und keinen Widerspruch zulassenden Ton angeschlagen haben. Aber ich bin ein Mensch, bin unwissend und dem Irrthume unterworfen. Was konnte ich also thun? Ich habe Ihnen mein Herz rückhaltlos geöffnet; was ich für gewiß halte, habe ich Ihnen so dargestellt; meine Zweifel habe ich Ihnen als Zweifel, meine Ansichten als Ansichten zu erkennen gegeben. Ich habe Ihnen weder die Gründe meines Zweifelns noch meines Glaubens verhehlt. Jetzt tritt an Sie die Aufgabe zu urtheilen heran. Sie haben sich Zeit genommen; diese Vorsicht ist weise und flößt mir eine gute Meinung von Ihnen ein. Lassen Sie es Ihr Erstes sein, Ihr Gewissen in den Zustand zu versetzen, in dem es sich nach Aufklärung sehnt. Seien Sie aufrichtig gegen sich selbst. Eignen Sie sich von meinen Ansichten dasjenige an, wovon Sie sich überzeugt halten; das Uebrige aber verwerfen Sie. Bis jetzt sind Sie durch das Laster noch nicht in so hohem Grade verderbt, daß Sie Gefahr liefen, eine schlechte Wahl zu treffen. Ich würde Ihnen den Vorschlag machen, daß wir uns darüber mit einander beriethen, wenn man sich nicht beim Disputiren sofort erhitzte. Eitelkeit und Eigensinn mischen sich ein, und mit der Aufrichtigkeit ist es dann vorbei. Mein Freund, disputiren Sie niemals, denn durch bloßes Disputiren klärt man weder sich selbst noch Andere auf. Ich für meinen Theil habe erst nach jahrelangem Nachdenken meine Ueberzeugung gewonnen. An ihr halte ich nun fest; mein Gewissen ist ruhig, mein Herz zufrieden. Wenn ich eine neue Prüfung meiner Ansichten vornehmen wollte, so würde ich nicht mit einer reineren Liebe zur Wahrheit an dieselbe herantreten, und mein jetzt schon weniger thätiger Geist würde auch weniger im Stande sein, sie zu erkennen. Ich werde bleiben, wie ich bin, aus gerechter Furcht, es könnte die Neigung, mich Betrachtungen hinzugeben, allmählich in eine müßige Leidenschaft ausarten, mich in der Ausübung meiner Pflichten erkalten und in meine frühere Zweifelsucht zurücksinken lassen, ohne daß ich Kraft fände, dieselbe siegreich zu bekämpfen. Mehr als die Hälfte meines Lebens ist abgelaufen; ich habe nur noch gerade so viel Zeit, als ich gebrauche, um aus den Lehren der Vergangenheit Nutzen zu ziehen und meine Irrthümer durch meine Tugenden wieder gut zu machen. Irre ich, so geschieht es wider Willen. Derjenige, welcher im Innersten meines Herzens liest, weiß gar wohl, daß ich meine Blindheit nicht liebe. Außer Stande, mich durch eigene Einsichten aus ihr emporzuarbeiten, bleibt mir als einziges Mittel, Befreiung von ihr zu finden, ein fleckenloses Leben, und wenn Gott dem Abraham selbst aus Steinen Kinder zu erwecken vermag, so ist jeder Mensch zu der Hoffnung berechtigt, er werde erleuchtet werden, wenn er sich dessen würdig macht.

Wenn meine Betrachtungen Sie dazu bewegen, so zu denken wie ich, so daß Sie sich meine Ansichten aneignen und wir in unserm Glaubensbekenntnisse völlig übereinstimmen, dann gebe ich Ihnen folgenden Rath: Setzen Sie Ihr Leben nicht mehr den Versuchungen des Elends und der Verzweiflung aus. Führen Sie nicht länger ein schimpfliches Leben in Abhängigkeit von Anderen, stehen Sie davon ab, es durch armseliges Bettelbrod zu fristen. Kehren Sie in Ihr Vaterland zurück, nehmen Sie die Religion Ihrer Väter wieder an, befolgen Sie die Vorschriften derselben mit aller Aufrichtigkeit Ihres Herzens und sagen Sie sich nie wieder von ihr los. Sie ist sehr einfach und sehr heilig. Unter allen Religionen der Erde halte ich sie für diejenige, deren Moral die reinste ist, und welche die Vernunft am besten zu befriedigen vermag. Was die Reisekosten anlangt, so seien Sie deshalb unbesorgt; dieselben werden aufgebracht werden. Eben so wenig überlassen Sie sich einer falschen Scham, als ob Ihre Rückkehr demüthigend für Sie wäre; das Begehen eines Fehlers, nicht aber die Verbesserung desselben muß uns die Schamröthe auf die Wangen treiben. Sie stehen noch in dem Alter, in dem man für Alles Verzeihung erhält, in dem man jedoch nicht mehr ungestraft sündigen darf. Wenn Sie nur der Stimme Ihres Gewissens Gehör schenken wollen, so werden vor derselben tausend eitle Hindernisse verschwinden. Sie werden begreiflich finden, daß es bei der Ungewißheit, in welcher wir schweben, eine nicht zu entschuldigende Vermessenheit ist, sich zu einer anderen Religion zu bekennen, als zu der, in welcher man geboren ist, und daß es eine Falschheit ist, die, zu der man sich einmal bekennt, nicht mit aller Aufrichtigkeit auszuüben. Lebt man im Irrthum, so beraubt man sich dadurch eines nicht zu unterschätzenden Entschuldigungsgrundes vor dem Richterstuhle des höchsten Richters. Sollte er den Irrthum, in welchem man auferzogen ist, nicht eher verzeihen, als den, in welchen man nach eigener Wahl gefallen ist?

Mein Sohn, erhalten Sie Ihre Seele beständig in dem Zustande, daß sie das Dasein eines Gottes wünscht, und es wird dann nie ein Zweifel an seinem Dasein in Ihrer Seele aufsteigen. Seien Sie übrigens, für welche Confession Sie sich auch entscheiden mögen, eingedenk, daß die wahren Pflichten der Religion von den Einrichtungen der Menschen unabhängig sind, daß ein rechtschaffenes Herz der wahre Tempel Gottes ist, daß es in jedem Lande und in jeder Religion als die Summe des Gesetzes gilt, Gott über Alles und seinen Nächsten als sich selbst zu lieben, daß es keine Religion gibt, die von den Pflichten der Sittenlehre entbindet, daß diese das eigentliche Wesen der Religion ausmachen, daß der innere Gottesdienst die erste dieser Pflichten ist und daß es ohne den Glauben keine wahrhafte Tugend gibt.

Fliehen Sie diejenigen, die unter dem Vorwande, die Natur erklären zu wollen, trostlose Lehren in die Menschenherzen ausstreuen, und deren durchscheinender Skepticismus hundertmal absprechender und entschiedener ist, als der bestimmte Ton ihrer Gegner. Unter dem anmaßungsvollen Vorgeben, sie allein seien erleuchtet, wahr und aufrichtig, unterwerfen sie uns herrisch ihren absprechenden Entscheidungen, und geben sich das Ansehen, als ob sie uns in den unverständlichen Systemen, die sie in ihrer Phantasie aufgebaut haben, den wahren Grund der Dinge enthüllten. Da sie übrigens Alles, was die Menschen hoch und heilig halten, umstoßen, vernichten und mit Füßen treten, so rauben sie den Bekümmerten den letzten Trost in ihren Leiden, während sie den Mächtigen und Reichen den einzigen Zügel ihrer Leidenschaften abnehmen. Sie lassen beim Verbrechen die Gewissensbisse im Grunde des Herzens nicht aufkommen, nehmen der Tugend die Hoffnung und rühmen sich obendrein, Wohlthäter des Menschengeschlechts zu sein. Niemals ist ihrer Behauptung nach die Wahrheit den Menschen schädlich. Ich glaube es eben so fest wie sie, und gerade dies ist meiner Meinung ein sprechender Beweis dafür, daß das, was sie lehren, nicht Wahrheit ist.

Beide Parteien bekämpfen sich gegenseitig mit so vielen Sophismen, daß es fürwahr ein ungeheures und tollkühnes Unternehmen sein würde, sie alle verzeichnen zu wollen. Es ist schon viel, einige derselben, wie sie sich gerade darbieten, hervorzuheben. Eine bei den Scheinphilosophen am häufigsten wiederkehrende Spitzfindigkeit besteht darin, ein nur in der Einbildung bestehendes Volk guter Philosophen einem Volke schlechter Christen gegenüberzustellen, als ob sich ein Volk leichter zu wahren Philosophen als zu wahren Christen heranbilden ließe. Ich weiß nicht, welcher von Beiden, ein guter Philosoph oder ein guter Christ, unter den Individuen leichter zu finden ist, aber so viel ist mir sehr wohl bewußt, daß man sich, sobald es sich um Völker handelt, solche vorstellen muß, welche aus Mangel an Religion die Philosophie mißbrauchen werden, wie die Völker der Gegenwart aus Mangel an Philosophie die Religion mißbrauchen; und dies scheint mir den Stand der Frage wesentlich zu ändern.

Bayle hat in sehr scharfsinniger Weise den Beweis geliefert, daß der Fanatismus verderblicher ist als der Atheismus, und das ist ja unanfechtbar; dagegen hat er unterlassen, auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der nicht weniger wahr ist, daß nämlich der Fanatismus, obgleich blutgierig und grausam, nichts desto weniger eine große und starke Leidenschaft ist, welche das Herz des Menschen erhebt, ihm Todesverachtung einflößt, ihm eine wunderbare Thatkraft verleiht und nur einer besseren Leitung bedarf, um zur Quelle der erhabensten Tugenden zu werden; während Mangel an Religiosität, sowie überhaupt der sich nur auf seine Vernunft stützende und philosophische Geist an das Leben fesselt, verweichlicht, die Seele erniedrigt, alle Leidenschaften auf den kleinlichen Standpunkt des Sonderinteresses und auf die Gemeinheit des menschlichen Ichs zusammendrängt und so geräuschlos die wahren Fundamente der ganzen Gesellschaft untergräbt. Denn das den Sonderinteressen Gemeinsame ist so geringfügig, daß es dem, was sie trennt und in einen Gegensatz zu einander bringt, nie das Gleichgewicht zu halten vermag.

Wenn nun der Atheismus nicht zum Blutvergießen antreibt, so liegt die Ursache dazu weniger in seiner Friedensliebe als in seiner Gleichgiltigkeit gegen das Gute. Bleibt er nur in seinem Cabinete in ungestörter Ruhe, so kümmert es den sogenannten Weisen gar wenig, welches Schicksal das Ganze hat. Seine Grundsätze reizen nicht zum Morde an, aber sie treten der Fortpflanzung des Menschen hinderlich in den Weg, indem sie die Sitten zerstören, welche auf seine Vermehrung hinwirken, indem sie ihn gleichsam von seiner Gattung losreißen, indem sie alle seine Neigungen auf einen geheimen, der Volksmenge wie der Tugend in gleicher Weise nachtheiligen Egoismus zurückführen. Der philosophische Indifferentismus ähnelt der Ruhe eines unter dem Despotismus seufzenden Staates; es ist die Ruhe des Todes und sie ist zerstörender als der Krieg selbst.

Obgleich sonach der Fanatismus in seinen unmittelbaren Wirkungen unheilvoller als das ist, was man heutigen Tages den philosophischen Geist nennt, so ist er es doch ungleich weniger in seinen Folgen. Uebrigens ist es leicht genug, in Büchern mit schönen Grundsätzen Prunk zu treiben; es ist aber doch sehr die Frage, ob sie mit dem Systeme übereinstimmen, ob sie sich mit Notwendigkeit aus demselben ergeben, und das ist es gerade, worüber man bis jetzt noch nicht hat ins Klare kommen können. Man muß folglich erst feststellen, ob die Philosophie, wenn sie ihre Ziele zwanglos verfolgen kann und sich zur Herrschaft emporgeschwungen hat, auch die Ruhmsucht, den Eigennutz, den Ehrgeiz, kurz die kleinlichen Leidenschaften des Menschen beherrschen und jene milde Menschlichkeit ausüben würde, die sie uns mit der Feder so schön auszumalen versteht.

Durch ihre Grundsätze vermag die Philosophie kein Gutes hervorzubringen, was die Religion nicht noch besser hervorbringen kann, während die Religion noch gar viel Gutes stiftet, was die Philosophie nicht zu bewirken im Stande wäre.

In der Praxis verhält es sich anders; indeß auch hier bedarf es einer sorgfältigen Prüfung. Wahr ist es, daß kein Mensch seiner Religion, wenn er eine solche hat, in jedem Punkte folgt, und eben so wahr ist es, daß die meisten Menschen nur wenig Religion besitzen und derjenigen, zu welcher sie sich bekennen, gar nicht folgen. Allein Manche haben doch auch wieder Religion und befolgen ihre Vorschriften wenigstens theilweise, und es ist unzweifelhaft, daß religiöse Motive sie oftmals abhalten, Böses zu thun und sie zu Tugenden und löblichen Handlungen bewegen, deren Ausführung sie ohne diese Motive unterlassen hätten.

Angenommen, ein Mönch läugne ein ihm anvertrautes Gut ab. Was folgt hieraus anders, als daß der, welcher es ihm anvertraut hatte, ein Thor war? Hätte Pascal ein solches abgeläugnet, so würde dies nur den Beweis liefern, daß auch Pascal ein Heuchler gewesen wäre, weiter aber nichts. Allein ein Mönch! ... Sind denn etwa die Leute, welche aus der Religion ein Geschäft machen, auch immer diejenigen, welche wirklich Religion besitzen? Alle Verbrechen, welche in den Kreisen der Geistlichkeit eben so wie in anderen Classen der Bevölkerung begangen werden, beweisen durchaus nicht die Nutzlosigkeit der Religion, sondern nur, daß überhaupt sehr wenig Menschen Religion besitzen.

Unsere heutigen Regierungen verdanken ihre gesichertere Autorität so wie die größere Seltenheit revolutionärer Bewegungen unstreitig dem Christenthume. Es hat ihnen selbst einen weniger blutgierigen Geist eingehaucht. Dies läßt sich durch eine einfache Vergleichung mit den Regierungen des Alterthums thatsächlich nachweisen. Die bessere Religionserkenntniß hat den christlichen Sitten unter gleichzeitiger Beseitigung des Fanatismus eine größere Milde verliehen. Diese Veränderung kann keineswegs als das Werk der Wissenschaften gelten, denn nirgends hat da, wo sie geglänzt haben, die Menschlichkeit deshalb in höherem Ansehen gestanden. Die Grausamkeiten der Athener, der Aegypter, der römischen Kaiser, der Chinesen liefern davon den besten Beweis. Wie viele Werke der Barmherzigkeit hat dagegen das Evangelium hervorgerufen! Wie viele Wiedererstattungen, wie vielen Schadenersatz hat nicht bei den Katholiken die Beichte bewirkt! Wie viele Versöhnungen und Almosenvertheilungen führt bei uns nicht die Annäherung der Communionszeit herbei! Wie wesentlich trug bei den Hebräern nicht das Jubeljahr dazu bei, die Habsucht der unrechtmäßigen Besitzer zu mäßigen! Wie vielem Elende beugte es nicht vor! Eine vom Gesetze selbst angebahnte Brüderlichkeit vereinigte das ganze Volk; man erblickte keinen Bettler bei ihnen. Eben so wenig sieht man einen solchen bei den Türken, unter denen es zahllose fromme Stiftungen gibt. Nach den Grundsätzen ihrer Religion sind sie sogar gegen die Feinde ihres Glaubens gastfrei.

Die Muhamedaner behaupten nach Chardin, daß nach dem Gerichte, welches auf die allgemeine Auferstehung folgt, alle wieder mit einem Körper bekleidete Auferstandenen über eine Brücke, Pul-Serrho genannt, welche über das ewige Feuer geschlagen ist, gehen müssen. Diese Brücke kann man, wie sie sagen, die dritte und letzte Untersuchung oder das eigentliche jüngste Gericht nennen, weil sich auf ihr die Scheidung der Guten von den Bösen vollziehen werde ... u.s.w.

»Die Perser,« fährt Chardin fort, »können von dieser Brücke nicht genug erzählen, und sobald Jemandem eine Beleidigung zugefügt wird, für welche derselbe auf keine Weise und zu keiner Zeit Genugthuung erhalten kann, so tröstet er sich schließlich damit, daß er zu dem Beleidiger sagt: ›Nun, beim lebendigen Gotte, du wirst es am jüngsten Tage zwiefach büßen; du wirst die Brücke Pul-Serrho sicherlich nicht eher überschreiten, als bis du mir Genugthuung geleistet hast. Ich werde mich an den Saum deines Kleides hängen und mich dir vor die Füße werfen.‹ Ich habe viele vortreffliche Leute aus allen Berufsclassen kennen gelernt, die aus Besorgniß, es könnte ihnen bei dem Uebergange über diese Brücke ein solches Halt zugerufen werden, diejenigen, welche sich über sie beklagten, um Verzeihung baten. Mir selbst ist es wol hundertmal begegnet. Leute von Stande, die mich durch ihre Zudringlichkeit zu Schritten hingerissen hatten, die ich sonst unterlassen hätte, suchten mich nach einiger Zeit, wenn sie meinten, mein Unwille darüber hätte sich gelegt, wieder auf und sagten: ›Ich bitte dich, hatal becon antchisra, d.h. richte es so ein, daß diese Angelegenheit für mich zu einer erlaubten und gerechten werde.‹ Einige haben mir sogar Geschenke gemacht und Dienste erwiesen, damit ich ihnen verziehe und die ausdrückliche Erklärung hinzufügte, daß ich es von Herzen thäte. Die Ursache beruht in nichts Anderem, als in dem Glauben, daß man die Höllenbrücke nicht eher werde überschreiten können, als bis man denen, welchen man Unrecht zugefügt, auch den letzten Heller zurückgegeben habe.« Bd. 7, S. 50 in der Duodez-Ausg.

Läßt sich nicht recht wohl annehmen, daß die Vorstellung von dieser Brücke, die so viele Ungerechtigkeiten wieder gut macht, auch manchem Unrechte vorbeugt? Nähme man den Persern diese Vorstellung, indem man sie überzeugte, daß es weder eine Pul-Serrho noch irgend etwas Aehnliches gibt, wo die Unterdrückten an ihren Tyrannen nach dem Tode derselben gerächt werden, ist es dann nicht klar, daß dies Jene völlig beruhigen und sie von der Sorge befreien würde, diese Unglücklichen zu beschwichtigen? Es ist folglich falsch, daß diese Lehre nichts Schädliches enthielte; sie würde also auch nicht die Wahrheit sein.

Philosophie, deine moralischen Gesetze sind sehr schön; zeige mir indeß, wenn ich bitten darf, die Beglaubigung ihrer Ausführbarkeit. Höre einen Augenblick mit deinen Phantastereien auf und sage mir rund heraus, was du an die Stelle der Pul-Serrho setzest.

Guter Jüngling, seien Sie aufrichtig und wahr ohne Stolz. Lernen Sie die Kunst, auch einmal etwas nicht zu wissen; dann werden Sie weder sich noch Andere täuschen. Wenn Ihre Fähigkeiten bei weiterer Ausbildung Sie jemals in den Stand setzen, als öffentlicher Redner aufzutreten, so folgen Sie stets nur der Stimme Ihres Gewissens, ohne sich darum zu kümmern, ob man Ihnen Beifall zollt oder nicht. Der Mißbrauch des Wissens erzeugt den Unglauben. Jeder Gelehrte sieht mit Verachtung auf die Meinung der Volksmenge herab; Jeder will seine Meinung für sich allein haben. Die hochmüthige Philosophie führt zur Freigeisterei, wie blinde Frömmigkeit zum Fanatismus. Halten Sie sich von beiden Extremen gleich weit entfernt; entfernen Sie sich nie von dem Wege der Wahrheit oder von dem, was Ihnen in der Einfalt Ihres Herzens als Wahrheit erscheinen wird, weder aus Eitelkeit noch aus Schwäche. Bekennen Sie dreist auch vor den Philosophen Ihren Gott; predigen Sie den Unduldsamen rücksichtslos Humanität. Sie werden vielleicht allein für Ihre Meinung eintreten müssen, aber Sie werden in sich selbst ein Zeugniß tragen, das Ihnen das der Menschen ersetzen wird. Mögen dieselben Sie lieben oder hassen, mögen sie Ihre Schriften lesen oder verachten, das hat nichts auf sich. Sagen Sie, was wahr ist, thuen Sie, was gut ist. Darauf kommt es an, daß der Mensch hienieden seine Pflichten erfüllt; am besten arbeitet man für sich, wenn man sich selbst vergißt. Mein Sohn, das Sonderinteresse verleitet uns zu Täuschungen; nur die Hoffnung des Gerechten täuscht nimmer.


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