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Fünftes Buch.

Wir sind jetzt beim letzten Acte der Jugend angelangt, noch aber stehen wir vor der Lösung des Knotens.

Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Emil ist Mensch; wir haben ihm eine Gefährtin verheißen und müssen sie ihm nun auch geben. Diese Gefährtin ist Sophie. Wo wird sie weilen? Wo werden wir sie auffinden? Ehe wir sie finden können, müssen wir sie kennen. Laßt uns deshalb zunächst erfahren, was sie ist, dann werden wir uns ein sichereres Urtheil über ihren Aufenthaltsort bilden können. Und wenn wir sie nun auch endlich aufgefunden haben, so wird damit noch nicht Alles gethan sein. Da unser Junker, sagt Locke, im Begriffe steht, sich zu vermählen, so ist es Zeit, ihn von dem Umgange mit seiner Geliebten nicht zurückzuhalten. Und damit schließt er sein Werk. Ich meinerseits, der ich nicht die Ehre habe, einen Junker zu erziehen, werde mich wol hüten, hierin Locke's Beispiele zu folgen.

Sophie oder das Weib

Sophie soll ein Weib sein, wie Emil Mann ist. Sie soll nämlich Alles besitzen, was zur Beschaffenheit ihrer Gattung und ihres Geschlechtes gehört, damit sie in physischer wie moralischer Beziehung die ihr angewiesene Stellung ausfüllen kann. Es wird deshalb nothwendig sein, zunächst das Uebereinstimmende und die Verschiedenheiten ihres und unseres Geschlechtes näher zu untersuchen.

In Allem, was nicht das Geschlecht berührt, gleicht das Weib dem Manne. Es ist mit denselben Organen, denselben Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgestattet. Der Körper ist auf dieselbe Weise gebaut, die Glieder sind dieselben, auch deren Gebrauch ist derselbe. Die Figur ist ähnlich, kurz: unter welchen Beziehungen man Beide auch betrachten möge, sie unterscheiden sich nur durch ein Mehr oder Weniger.

In Allem dagegen, was sich auf das Geschlecht bezieht, finden wir bei Mann und Weib neben den Aehnlichkeiten auch überall Verschiedenheiten. Ihre Vergleichung ist jedoch schwierig, weil sich schwer bestimmen läßt, was in der Beschaffenheit eines Jeden das Geschlecht angeht und was nicht. Durch die vergleichende Anatomie und selbst durch eine bloße oberflächliche Besichtigung stößt man auf allgemeine Unterschiede, die vom Geschlechte nicht abzuhängen scheinen, trotzdem aber findet eine solche Abhängigkeit statt, und zwar in Folge von Verbindungen, die wir wahrzunehmen außer Stande sind. Wir wissen eben nicht, wie weit sich diese Verbindungen erstrecken können. Das Einzige, was wir bestimmt wissen, ist, daß sich alles Gemeinsame auf die Gattung, alles Verschiedene auf das Geschlecht bezieht. Unter diesem doppelten Gesichtspunkte betrachtet, stoßen uns zwischen ihnen so viele Aehnlichkeiten und so viele Gegensätze auf, daß es zu den größten Wundern der Natur gerechnet werden muß, wie sie zwei so ähnliche und doch zu gleicher Zeit so verschiedene Wesen hat bilden können.

Diese Übereinstimmungen und Unterschiede müssen nothwendig auch auf das Sittliche von Einfluß sein. Die Folgerung ist klar und stimmt mit der Erfahrung überein. Sie zeigt zugleich, wie thöricht es ist, sich über den Vorzug des einen Geschlechtes vor dem andern oder über ihre Gleichheit zu streiten. Wird doch ein jedes von beiden dadurch vollkommener, daß es seiner besonderen Bestimmung gemäß die Endzwecke der Natur zu erreichen strebt, als daß es dem anderen zu gleichen strebt. In dem, was sie Gemeinsames haben, gleichen sie sich; in dem aber, worin sie sich unterscheiden, kann auch keine Vergleichung stattfinden. Ein vollkommenes Weib und ein vollkommener Mann sollen sich eben so wenig in Bezug auf ihre geistigen Gaben als im Gesichte ähneln; und bei der Vollkommenheit kann ja von einem Mehr oder Weniger nicht die Rede sein.

In der Vereinigung beider Geschlechter ist jedes für den gemeinsamen Zweck gleich thätig, aber freilich nicht in derselben Weise. Aus dieser Verschiedenheit ergibt sich der erste bestimmbare Unterschied beider Geschlechter in moralischer Beziehung. Das eine soll thätig und stark sein, das andere empfangend und schwach; bei dem einen muß nothwendig Wille und Kraft herrschen, bei dem andern zarte Nachgiebigkeit.

Wenn man diesen Grundsatz anerkennt, so muß man auch weiter daraus folgern, daß das Weib besonders dazu geschaffen ist, dem Manne zu gefallen. Daß nun auch der Mann seinerseits dem Weibe gefallen müsse, ist jedoch nicht so unmittelbar nothwendig. Sein Verdienst beruht auf seiner Macht, er gefällt allein durch seine Kraft. Freilich gibt sich hierin noch nicht das Gesetz der Liebe zu erkennen, wol aber das Gesetz der Natur, das älter ist als die Liebe selbst.


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