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Ich sah ein, daß der erste Grund zu dieser erstaunlichen Meinungsverschiedenheit in der Unzulänglichkeit des menschlichen Geistes, und der zweite in dem Hochmuthe liegt. Uns fehlt der Maßstab für diese unermeßliche Maschine, wir vermögen ihre Verhältnisse nicht zu berechnen und kennen weder ihre Grundgesetze noch ihren Endzweck. Ja, wir kennen uns nicht einmal selbst, kennen weder unsere Natur noch das in uns wirkende Princip. Kaum wissen wir, ob der Mensch ein einfaches oder zusammengesetztes Wesen ist; undurchdringliche Geheimnisse umringen uns von allen Seiten. Aber sie verbergen sich in Regionen, wohin unsere sinnlichen Wahrnehmungen nicht mehr dringen. Wir bilden uns ein, die Einsicht zu besitzen, um sie ergründen zu können, und haben doch nur Phantasie. Jeder bahnt sich durch diese eingebildete Welt einen Weg, der ihm der allein richtige zu sein scheint; aber Keiner vermag zu wissen, ob der seinige wirklich zum Ziele führt. Trotzdem wollen wir Alles erforschen, Alles erkennen. Das Einzige, was wir gar nicht begreifen können, ist, das, was wir nicht zu wissen im Stande sind, deshalb auch gar nicht, wissen zu wollen. Lieber entscheiden wir uns aufs Gerathewohl und glauben was nicht ist, als daß wir uns zu dem Zugeständniß bequemen, daß Keiner von uns das, was ist, zu erkennen vermöge. Obgleich wir nur der geringfügige Theil eines großen Ganzen sind, dessen Grenzen sich unseren Sinnen entziehen, und das sein Urheber unseren närrischen Zänkereien ruhig überläßt, so sind wir doch eitel genug, uns die Entscheidung darüber anmaßen zu wollen, was dieses Ganze an sich ist und was wir unsererseits in Bezug auf dasselbe sind.

Wären die Philosophen im Stande, die Wahrheit zu entdecken, wer unter ihnen würde sich dann noch für dieselbe interessiren? Jeder weiß vollkommen, daß sein System nicht besser begründet ist als die anderen; aber er hält es trotzdem aufrecht, weil es eben von ihm herrührt. Nicht Einen gibt es unter ihnen, der, wenn er sich wirklich bis zur Erkenntniß des Wahren und Falschen emporgeschwungen hat, nicht die Lüge, die er gefunden hat, der Wahrheit vorziehen sollte, welche von einem Andern entdeckt ist. Wo ist der Philosoph, der um seines Ruhmes willen nicht gern das menschliche Geschlecht täuschen würde? Wo ist derjenige, der, wenn er es sich auch selbst nicht einzugestehen wagt, einem anderen Ziele nachjagt, als dem sich auszuzeichnen? Gelingt es ihm nur, sich über den großen Haufen zu erheben, den Glanz seiner Nebenbuhler in Schatten zu stellen, was verlangt er dann noch mehr? Die Hauptsache ist, anders zu denken als Andere. Unter den Gläubigen spielt er die Rolle des Atheisten, unter den Atheisten würde er dagegen ein Gläubiger sein.

Die erste Frucht, die ich aus diesen Erwägungen zog, bestand darin, daß ich meine Forschungen auf das, was für mich von unmittelbarem Interesse war, beschränken lernte, daß ich in Bezug auf alles Uebrige nicht aus meiner tiefen Unwissenheit herauszutreten suchte und mich nur über Dinge, deren Kenntniß für mich von unbestrittener Wichtigkeit war, bis zum Zweifel beunruhigte.

Ferner wurde es mir klar, daß mich die Philosophen nicht nur nicht von meinen vergeblichen Zweifeln befreien, sondern im Gegentheile nur noch dazu beitragen würden, die, welche mich quälten, zu vermehren, während sie mir auch keinen einzigen lösen konnten. Deshalb sah ich mich nach einem andern Führer um und sagte zu mir: Ich will mir bei dem inneren Lichte Raths erholen; es wird mich weniger auf Irrthümer leiten als jene, oder mein Irrthum wird wenigstens mein eigener sein, und ich werde weniger tief sinken, wenn ich meinen eigenen Irrthümern folge, als wenn ich mich den Lügen jener überlasse.

Während ich mir nun die verschiedenen Meinungen, die mich seit meiner Geburt abwechselnd mit fortgerissen hatten, ins Gedächtniß zurückrief, sah ich ein, daß sie, ungeachtet keine einzige von ihnen eine so unbestrittene Wahrheit enthielt, um unmittelbar zur Ueberzeugung zu verhelfen, doch verschiedene Stufen von Wahrscheinlichkeit hatten, und daß ich ihnen in sehr verschiedenem Maße meine Zustimmung gab oder versagte. Als ich nun im Anschluß an diese erste Beobachtung alle diese verschiedenen Ideen unter einander verglich, wobei ich den Vorurtheilen Schweigen gebot, machte ich die Wahrnehmung, daß die erste und allgemeinste auch die einfachste und vernünftigste war, und daß man ihr sicherlich beistimmen würde, wenn sie die zuletzt vorgetragene wäre. Stellt euch alle eure alten wie neueren Philosophen vor, wie sie ihre wunderlichen Systeme von vorn herein mit Kräften, Wahrscheinlichkeiten, Verhängniß, Notwendigkeit, Weltseele, belebter Materie, Materialismus aller Art verschwenderisch ausgestattet haben, und nach ihnen allen den berühmten Clarke, wie er die Welt erleuchtet und wie er schließlich das Wesen aller Wesen und den Urquell aller Dinge verkündigt. Mit welch allgemeiner Bewunderung, mit welch einmüthigem Beifall würde nicht dieses neue System begrüßt worden sein, das so groß, so tröstend, so erhaben, so geeignet ist, die Seele zu erheben und der Tugend eine sichere Basis zu geben, und gleichzeitig wieder so treffend, so klar, so einfach ist und das meines Erachtens dem menschlichen Geiste weniger Unbegreifliches zumuthet, als man in jedem anderen Systeme Widersinniges findet! Ich sagte mir: Unauflösbare Räthsel kommen in allen vor, weil eben der menschliche Geist zu beschränkt ist, um sie zu lösen; sie können deshalb gegen keines vorzugsweise als Beweis dienen. Aber welch ein Unterschied zwischen den directen Beweisen! Verdient nicht dasjenige allein den Vorzug, welches Alles erklärt, zumal wenn es nicht mehr Schwierigkeiten darbietet als die übrigen?

Da ich nun statt aller Philosophie Liebe zur Wahrheit und statt aller Methoden eine leichte und einfache Regel besitze, die mich der nichtigen Spitzfindigkeit der Beweise überhebt, so nehme ich nach dieser Regel noch einmal eine Prüfung der Kenntnisse vor, die für mich in Betracht kommen, entschlossen, alle diejenigen als erwiesen gelten zu lassen, denen ich in der Aufrichtigkeit meines Herzens meine Zustimmung nicht versagen kann, für wahr alle diejenigen zu halten, die mir mit diesen ersten in einem nothwendigen Zusammenhange zu stehen scheinen und alle übrige unentschieden zu lassen, ohne sie zu verwerfen oder sie anzunehmen, und ohne mich in Betreff ihrer Aufklärung abzuquälen, wenn sie nicht ein praktisches Resultat versprechen.

Allein wer bin ich? Was berechtigt mich dazu, über die Dinge zu urtheilen? Und was bestimmt meine Urtheile? Beruhen sie lediglich auf den augenblicklichen Eindrücken, die ich empfange, so gebe ich mir mit diesen Forschungen vergebliche Mühe. Sie finden entweder gar nicht statt, oder geschehen von selbst, ohne daß ich erst darauf auszugehen brauche, ihnen ihre Richtung vorzuschreiben. Es ist deshalb nöthig, daß ich meine Blicke zuerst auf mich selbst lenke, um das Werkzeug, dessen ich mich bedienen will, kennen zu lernen und mir darüber Gewißheit zu verschaffen, bis zu welchem Punkte ich mich bei seiner Anwendung auf dasselbe werde verlassen können.

Ich bin und besitze Sinne, vermittelst welcher ich Eindrücke erhalte. Das ist die erste Wahrheit, gegen die ich mich nicht verschließen kann und die ich mir gefallen lassen muß. Habe ich ein eigenes Gefühl meiner Existenz, oder werde ich mir derselben nur durch meine Sinneswahrnehmungen bewußt? Das ist mein erster Zweifel, dessen Lösung mir für jetzt unmöglich ist. Denn wie kann ich, da ich fortwährend, entweder unmittelbar oder durch das Gedächtniß Eindrücke erleide, wol wissen, ob diese Empfindung meiner selbst etwas mit diesen nämlichen Eindrücken nicht Zusammenfallendes ist, und ob sie von ihnen unabhängig zu sein vermag?

Meine Empfindungen gehen in mir vor, da sie in mir eine Empfindung meines Dasein hervorrufen; ihre Ursache ist mir jedoch unbekannt, denn sie afficiren mich ohne mein Zuthun, und es hängt von mir weder ab sie hervorzurufen, noch sie von mir fern zu halten. Ich sehe also deutlich ein, daß meine Empfindung, die in mir ist, und ihre Ursache oder ihr Object, das außer mir liegt, nicht ein und dasselbe ist.

Folglich existire nicht nur ich, sondern es existiren auch noch andere Wesen, nämlich die Objecte meiner Empfindungen, und wären diese Objecte auch nur Vorstellungen, so bleibt es deshalb doch immer wahr, daß diese Vorstellungen nicht ich sind.

Alles nun, was ich außer mir wahrnehme und was auf meine Sinne wirkt, nenne ich Materie, alle Theile der Materie dagegen, die ich in Einzelwesen vereinigt sehe, nenne ich Körper. Deshalb sind alle Zänkereien der Idealisten und Materialisten für mich bedeutungslos; ihre Unterscheidungen in Bezug auf Schein und Wirklichkeit der Körper sind reine Einbildungen.

Jetzt bin ich also vom Dasein des Weltalls schon ganz eben so fest überzeugt, wie von meinem eigenen. Hierauf denke ich über die Objecte meiner Empfindungen nach, und da ich mich mit der Fähigkeit ausgestattet finde, Vergleichungen unter ihnen anzustellen, so fühle ich mich mit einer activen Kraft begabt, deren Besitz mir vorher unbekannt war.

Wahrnehmen heißt empfinden; vergleichen heißt urtheilen. Urtheilen und empfinden sind nicht identische Begriffe. Bei der Empfindung stellen sich mir die Gegenstände gesondert und einzeln dar, kurz so, wie sie wirklich in der Natur sind; bei der Vergleichung bewege und versetze ich sie gleichsam, lege ich sie auf einander, um über ihre Verschiedenheit oder Aehnlichkeit und überhaupt über alle ihre Verhältnisse meine Ansicht äußern zu können. Meiner Meinung nach zeigt sich das Unterscheidungsvermögen eines thätigen oder intelligenten Wesens darin, daß es im Stande ist, mit dem Worte »ist« einen Sinn zu verbinden. Bei einem rein sensitiven Wesen suche ich vergeblich diese geistige Kraft, welche erst vergleicht, ehe sie ihr Urtheil fällt; ich vermag nicht sie in der Natur desselben zu entdecken. Ein solch passives Wesen wird jeden Gegenstand einzeln empfinden, es wird sogar den Totaleindruck eines Objects empfinden, das aus zwei Gegenständen zusammengesetzt ist, da es jedoch nicht die Fähigkeit besitzt, die einzelnen Bestandteile zusammenzustellen, so wird es sie nie vergleichen, sie nie beurtheilen.

Zwei Gegenstände gleichzeitig sehen, heißt nicht auch sofort ihre gegenseitigen Beziehungen erkennen und sich ein Urtheil über ihre Verschiedenheiten bilden; verschiedene Gegenstände, einen hinter dem andern wahrnehmen, heißt noch nicht sie zählen. Ich vermag in demselben Augenblicke die Vorstellung von einem großen und von einem kleinen Stocke zu haben, ohne sie dabei zu vergleichen, ohne zu urtheilen, daß der eine kleiner als der andere ist, wie ich auf einmal meine ganze Hand sehen kann, ohne dabei die Finger zählen zu müssen. Die Berichte des Herrn de la Condamine machen uns mit einem Volke bekannt, das nur bis drei zählen konnte. Trotzdem hatten die Menschen, aus welchen dieses Volk bestand, da ihnen ja die Hände nicht fehlten, oft ihre Finger erblicken müssen, ohne deshalb die Kunst zu lernen, bis fünf zu zählen. Die vergleichenden Begriffe »größer«, »kleiner«, eben so wie die Zahlbegriffe »eins«, »zwei« u. s. w. gehören doch sicherlich nicht zu den Sinneswahrnehmungen, obgleich mein Geist sie nur gelegentlich meiner Sinneswahrnehmungen wachruft.

Man sagt uns, daß ein empfindungsfähiges Wesen die Empfindungen durch die Unterschiede, welche sie unter einander haben, von einander unterscheide. Das erheischt wenigstens eine Erklärung. Sind die Empfindungen verschieden, so unterscheidet sie freilich das empfindungsfähige Wesen nach ihren Unterschieden, sind sie jedoch ähnlich, so unterscheidet es sie dadurch, daß es sie getrennt von einander wahrnimmt. Wie würde es wol sonst bei einer gleichzeitigen Empfindung zwei gleiche Gegenstände von einander zu unterscheiden vermögen? Es würde sie nothwendig unter einander verwechseln und eines für das andere halten, namentlich in einem Systeme, welches die Behauptung aufstellt, daß die die Ausdehnung vertretende Empfindung der Ausdehnung ermangele.

Sobald die beiden zu vergleichenden Empfindungen wahrgenommen sind, so ist ihr Eindruck vollzogen; jeder Gegenstand ist für sich allein und beide sind gemeinschaftlich empfunden worden; aber damit ist ihr gegenseitiges Verhältnis noch nicht empfunden. Wenn das Urtheil über dies Verhältniß nur eine Empfindung wäre und dieselbe lediglich von dem Gegenstande in mir hervorgerufen würde, so würden mich auch meine Urtheile niemals täuschen können, da es ja niemals falsch ist, daß ich das empfinde, was ich empfinde.

Weshalb täusche ich mich denn nun über das Verhältniß dieser beiden Stöcke, vorzüglich wenn sie nicht parallel sind? Weshalb behaupte ich z. B., daß die Länge des kleinen Stockes ein Drittel von der des großen ausmache, während sie doch in der That nur den vierten Theil der Länge desselben erreicht? Weshalb entspricht das Bild in mir, nämlich die Empfindung, nicht seinem Modell, dem Gegenstande selbst? Deshalb, weil ich bei meinem Urtheile activ bin, weil die Operation, welche ich beim Vergleichen vornehme, mangelhaft ist, und weil mein Verstand, welcher die gegenseitigen Verhältnisse beurtheilt, seine Irrthümer der Wahrheit der Empfindungen beimischt, welche nur die Gegenstände an sich zeigen.

Füget hierzu noch eine Bemerkung, die euch, wie ich euch versichern kann, habt ihr sie erst wohl durchdacht, nicht wenig befremden wird, nämlich folgende: Würden wir beim Gebrauch unserer Sinne rein passiv bleiben, so würde zwischen ihnen gar keine Communication stattfinden. Es würde uns unmöglich sein, zu erkennen, ob der Körper, welchen wir berühren, und der Gegenstand, welchen wir erblicken, identisch sind. Entweder vermöchten wir nie etwas außer uns wahrzunehmen, oder es gäbe für uns fünf empfindungsfähige Substanzen, von deren Identität wir kein Mittel uns zu überzeugen hätten.

Gebe man nun dieser Kraft meines Geistes, welche meine Sinneseindrücke neben einander hält und vergleicht, diesen oder jenen Namen; nenne man sie Aufmerksamkeit, Nachdenken, Reflexion, oder wie man will, immer ist doch so viel wahr, daß sie ihre Stätte in mir und nicht in den Dingen hat, daß ich allein es bin, der diese Operation vornimmt, wiewol ich sie nur bei Gelegenheit des Eindrucks anzustellen vermag, den die Gegenstände auf mich ausüben. Hängt es auch nicht von mir ab, zu empfinden oder nicht zu empfinden, so steht es doch in meiner Gewalt, das, was ich empfinde, mehr oder weniger einer Untersuchung zu unterwerfen.

Ich bin also nicht lediglich ein sinnliches und passives, sondern auch ein thätiges und intelligentes Wesen, und was auch die Philosophie dazu sagen möge, werde ich doch so dreist sein, auf die Ehre, zu denken, Anspruch zu machen. Bis jetzt weiß ich nur, daß die Wahrheit in den Dingen und nicht in meinem Geiste liegt, der ein Urtheil über dieselben abgibt, und daß ich, je weniger ich mich bei den Urtheilen, die ich zu fällen habe, von meinem Eigenen beeinflussen lasse, desto sicherer bin, der Wahrheit nahe zu kommen. Meine Regel, mich mehr der Empfindung als der Vernunft zu überlassen, wird also von der Vernunft selbst bekräftigt.

Nachdem ich mich nun erst gleichsam meiner selbst versichert habe, beginne ich außer mir selbst Umschau zu halten, und mit einer Art Schauder sehe ich mich in das unermeßliche Weltall hinausgeschleudert und in demselben wie verloren, sehe mich in dem unerschöpflichen Strome der Wesen wie ertränkt, ohne zu wissen, was sie an sich sind, noch in welcher Beziehung sie zu einander oder zu mir stehen. Ich studire und beobachte sie, und der erste Gegenstand, der sich mir zu einer Vergleichung mit ihnen darbietet, bin ich selbst.

Alles, was ich mit den Sinnen wahrnehme, ist Materie, und ich leite alle wesentliche Eigenthümlichkeiten der Materie von jenen sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften her, durch welche sie sich mir bemerkbar macht, und welche untrennbar zu derselben gehören. Bald erblicke ich sie in Bewegung, bald in Ruhe, Diese Ruhe ist, wenn man will, allerdings nur relativ; da wir aber bei der Bewegung ein Mehr oder Weniger beobachten, so können wir uns von einem ihrer beiden äußersten Endpunkte, nämlich der Ruhe, eine völlig klare Idee machen, und zwar begreifen wir dieselbe so vollkommen, daß wir sogar geneigt sind, die Ruhe, welche nur relativ ist, für absolut zu halten. Es ist deshalb durchaus nicht wahr, daß Bewegung eine wesentliche Eigenschaft der Materie sei, wenn sie sich im Zustande der Ruhe denken läßt. woraus ich schließe, daß weder Bewegung noch Ruhe als wesentliche Eigenschaften derselben zu betrachten sind, daß Bewegung, da sie sich als Thätigkeit äußert, nothwendig die Wirkung einer Ursache sein muß, deren Entfernung eben Ruhe ist. Sobald also auf die Materie keine Einwirkung ausgeübt wird, bewegt sie sich auch nicht, und gerade aus diesem Gründe, weil sie sich sowol gegen Ruhe als auch gegen Bewegung gleichgiltig verhält, muß man in der Ruhe ihren natürlichen Zustand erblicken.

Ich bemerke bei den Körpern zwei Arten von Bewegung, nämlich eine mitgetheilte und eine selbsttätige oder freiwillige. Bei der ersteren geht die bewegende Ursache nicht von dem bewegten Körper aus, bei der zweiten liegt sie in ihm selbst. Ich werde daraus indeß noch keineswegs schließen, daß z. B. die Bewegung einer Uhr eine freiwillige sei: denn wenn nicht etwas außerhalb der Feder Liegendes auf dieselbe einwirkte, so würde sie jenen unruhigen Trieb, sich wieder auszudehnen, nicht verrathen und also auch nicht an der Kette ziehen. Aus dem nämlichen Grunde werde ich den Flüssigkeiten, ja selbst dem Feuer, welches ihren flüssigen Zustand hervorbringt, eben so wenig eine ihnen innewohnende eigene Selbstthätigkeit zugestehen. Die Chemiker glauben, daß das Phlogiston oder der Feuerstoff sich in den Mischungen, von denen es einen Theil bildet, so lange zerstreut, unbeweglich und latent befinde, bis davon völlig unabhängige Ursachen es freimachen, vereinigen, in Bewegung setzen und in Feuer verwandeln.

Ihr werdet mich fragen, ob die Bewegungen der Thiere freiwillig sind; ich muß euch gestehen, daß ich es nicht weiß, daß aber die Analogie allerdings dafür spricht. Weiter werdet ihr mich fragen, woher ich denn wisse, daß es überhaupt freiwillige Bewegungen gebe. Darauf kann ich nur erwidern, daß ich es weiß, weil es mir mein Gefühl sagt. Ich will meinen Arm bewegen, und ich bewege ihn, ohne daß diese Bewegung von einer andern unmittelbaren Ursache als von meinem Willen ausgeht. Umsonst würde man den Versuch machen, dies Gefühl in mir durch Vernunftgründe zu ertödten; es ist stärker als die überzeugendsten Gründe. Es würde eben so leicht sein, mich davon zu überführen, daß ich gar nicht existire.

Gäbe es gar keine Freiwilligkeit, weder in den Handlungen der Menschen noch in irgend etwas, was auf Erden geschieht, so würde sich dadurch die Verlegenheit, die erste Ursache aller Bewegung aufzufinden, nur noch steigern. Was mich betrifft, so fühle ich mich wenigstens so vollkommen davon überzeugt, daß Ruhe der natürliche Zustand der Materie ist und daß sie durch sich selbst keine Fähigkeit, thätig zu sein, besitzt, daß ich beim Anblick eines sich in Bewegung befindenden Körpers sofort den Schluß ziehe, der Körper müsse entweder belebt, oder die Bewegung ihm mitgetheilt sein. Mein Geist sträubt sich gegen die Idee einer nicht organisirten, sich durch sich selbst bewegenden oder irgend eine Thätigkeit hervorrufenden Materie.

Dieses sichtbare Weltall ist nun Materie, zerstreute und todte Materie, Ich habe mich aufrichtig bemüht, mir ein lebendiges Molecül vorzustellen, ohne daß es mir doch gelungen wäre. Die Idee einer empfindenden und doch der Sinne entbehrenden Materie scheint mir unfaßlich und sich selbst widersprechend. Um diese Idee anzunehmen oder zu verwerfen, wäre es doch zuerst nöthig, daß man sie wenigstens verstände, und ich muß offen bekennen, daß ich nicht so glücklich bin. der es in ihrer Totalität an Einheit, Organisation und gemeinsamer Empfindung der Theile eines belebten Körpers fehlt, da es gewiß ist, daß wir, die wir doch auch Theile sind, uns keineswegs im Ganzen fühlen. Dieses nämliche Weltall ist nun in Bewegung, und in seinen regelmäßigen, gleichförmigen, unwandelbaren Gesetzen unterworfenen Bewegungen zeigt sich nichts von jener Freiheit, die sich in den freiwilligen Bewegungen der Menschen und Thiere zu erkennen gibt. Die Welt ist folglich nicht ein großes Thier, das sich von selbst bewegt; ihren Bewegungen liegt mithin irgend eine außer ihr zu suchende Ursache zu Grunde, die ich nicht wahrnehme. Trotzdem macht mir meine innere Ueberzeugung diese Ursache so begreiflich, daß ich nicht sehen kann, wie die Sonne ihre Bahn am Himmel beschreibt, ohne mir eine treibende Kraft vorzustellen, daß es mir bei der Umdrehung der Erde vorkommt, als fühlte ich eine Hand, die sie umdrehte.

Was für einen Vortheil würde es mir bringen, wenn ich mich genöthigt sähe, allgemeine Gesetze anzunehmen, deren Hauptbeziehungen zu der Materie ich nicht kenne? Diese Gesetze haben, da sie keine wirkliche Wesen, keine Substanzen sind, folglich einen andern Grund, der mir unbekannt ist. Erfahrung und Beobachtung haben uns mit den Gesetzen der Bewegung bekannt gemacht. Diese Gesetze zeigen uns die Wirkungen, ohne uns die Ursachen zu erklären; sie genügen nicht, uns das Weltsystem und den Lauf des Weltalls klar zu machen. Cartesius bildete Himmel und Erde aus Würfeln; er war indeß nicht im Stande, diesen Würfeln den ersten Anstoß zu gehen noch seine Centrifugalkraft anders als vermittelst einer Rotationsbewegung in Gang zu bringen. Newton fand das Gesetz der Anziehungskraft; aber die Anziehungskraft allein würde die Welt bald in eine unbewegliche Masse verwandeln; um die himmlischen Körper sich in Curven bewegen zu lassen, mußte er jenem Gesetze deshalb noch eine abstoßende Kraft hinzufügen. Möge uns Cartesius jedoch nur erklären, auf welchem physischen Gesetze seine Wirbelbewegung beruht; möge Newton uns die Hand zeigen, welche die Planeten auf die Tangenten ihrer Bahnen schleuderte.

Die ersten Ursachen der Bewegung sind nicht in der Materie selbst vorhanden; dieselbe erhält die Bewegung und theilt sie mit, aber sie ist nicht der Urquell derselben. Je mehr ich Wirkung und Gegenwirkung der auf einander wirkenden Naturkräfte beobachte, desto mehr überzeuge ich mich, daß man regelmäßig von Wirkung zu Wirkung bis zu einem Willen als erster Ursache zurückgehen muß; denn eine fortlaufende Kette von Ursachen bis ins Unendliche voraussetzen, heißt im Grunde genommen gar keine voraussetzen. Mit einem Worte, jede Bewegung, welche nicht von einer andern hervorgebracht wird, kann nur von einem Acte freien Willens ausgehen. Bei den leblosen Körpern zeigt sich Thätigkeit nur durch die ihnen mitgeteilte Bewegung, wie es denn überhaupt ohne Willen keine eigentliche Thätigkeit gibt. Das ist mein erster Grundsatz. Ich glaube also, daß ein Wille das Weltall bewegt und die Natur beseelt. Dies ist mein erstes Dogma oder mein erster Glaubensartikel.

Wie bringt nun ein Wille eine physische und körperliche Bewegung hervor? Darüber ist mir nichts bekannt, aber ich erfahre es an mir selbst, daß er sie erzeugt. Ich will handeln, und ich handle; ich will meinen Körper bewegen, und mein Körper bewegt sich; daß aber ein lebloser und in Ruhe befindlicher Körper von selbst in Bewegung gerathe oder die Bewegung hervorrufe, das ist unbegreiflich und beispiellos. Der Wille ist mir nur seinen Aeußerungen, nicht seiner Natur nach bekannt. Ich kenne diesen Willen als Quelle der Bewegung; dagegen die Materie als Ursache der Bewegung begreifen, heißt augenscheinlich eine Wirkung ohne Ursache, heißt absolut nichts begreifen.

So wenig ich zu begreifen vermag, wie mein Wille meinen Körper bewegt, eben so wenig kann ich mir erklären, wie meine Sinneseindrücke meine Seele bewegen. Ich kann nicht einmal einen Grund dafür finden, weshalb man das eine dieser Geheimnisse für erklärlicher gehalten hat als das andere. Ich meinerseits muß gestehen, daß mir, ob ich mich nun passiv verhalte oder in Thätigkeit befinde, die Möglichkeit der Verbindung beider Substanzen durchaus unbegreiflich erscheint. Es ist äußerst befremdend, daß man gerade von dieser Unbegreiflichkeit selbst ausgeht, um die beiden Substanzen zu verschmelzen, als ob Operationen so verschiedenartiger Naturen sich besser an einem, als an zwei Subjecten erklären ließen.

Das Dogma, welches ich so eben entwickelt habe, ist, wie ich gern zugebe, dunkel, hat aber am Ende doch immer einen Sinn und behauptet nichts, was der Vernunft und der Erfahrung widerspricht. Läßt sich vom Materialismus dasselbe sagen? Ist es nicht klar, daß die Bewegung, wenn sie in der That eine wesentliche Eigenschaft der Materie ausmachte, von derselben untrennbar sein würde, daß sie stets in gleicher Stärke auftreten, in jedem Theile der Materie die nämliche sein müßte, daß sie sich nicht anderen Körpern mittheilen, sich weder vermehren noch vermindern könnte, und daß es sogar unmöglich sein würde, sich die Materie in Ruhe zu denken? Wenn man mir einreden will, die Bewegung bilde zwar keine wesentliche Eigenschaft der Materie, sei ihr indeß nothwendig, so geht man darauf aus, mich mit Redensarten abzuspeisen, deren Widerlegung leichter sein würde, wenn sie nur ein wenig mehr Sinn hätten. Denn entweder findet die Bewegung der Materie in letzterer selbst ihre Ursache, und dann ist sie ihr wesentlich, oder sie wird durch eine außer derselben liegende Ursache bewirkt, und alsdann ist sie ihr nur in so fern nothwendig, als die bewegende Ursache auf sie wirkt, und damit erhebt sich die erste Schwierigkeit von Neuem.

Die allgemeinen und abstracten Ideen sind die Quelle der größten menschlichen Irrthümer; noch nie haben wir der dunklen Sprache der Metaphysik die Entdeckung auch nur einer einzigen Wahrheit zu verdanken gehabt, dagegen hat sie die Philosophie mit Absurditäten erfüllt, deren man sich schämt, sobald man sie ihrer schwülstigen Worte entkleidet. Sage mir, mein Freund, ob man deinen Geist in der That mit einer wirklichen Idee befruchtet, wenn man dir von einer blinden Kraft erzählt, welche sich über die ganze Natur verbreitet? Man bildet sich ein mit den vagen Worten »allgemeine Kraft«, »notwendige Bewegung« etwas zu sagen, und sagt doch durchaus nichts. Die Idee der Bewegung ist mit der Idee der Versetzung von einem Orte an den andern identisch. Es gibt keine Bewegung ohne irgend eine Richtung; denn ein individuelles Wesen kann sich nicht nach allen Richtungen gleichzeitig bewegen. Nach welcher Richtung muß sich nun die Materie notwendigerweise bewegen? Hat die ganze Materie in ihrer Gesammtheit eine gleichmäßige Bewegung, oder hat jedes Atom seine eigene? Nach der ersten Vorstellung müßte das ganze Weltall eine feste und untheilhare Masse bilden, nach der zweiten könnte man es sich nur als ein zerstreutes und so zusammenhangloses Fluidum denken, daß sich niemals zwei Atome vereinigen könnten. Nach welcher Richtung hin wird diese der ganzen Materie gemeinsame Bewegung vor sich gehen? In gerader Linie oder kreisförmig, nach oben oder nach unten, nach rechts oder nach links? Wenn dagegen jedes Molecül der Materie seine besondere Richtung hat, wo wird man die Ursachen aller dieser Richtungen und aller dieser Unterschiede zu suchen haben? Drehte sich jedes Atom oder Molecül der Materie nur um seinen eigenen Mittelpunkt, so würde keines seinen Platz verlassen, und eine gemeinsame Bewegung fände demnach nicht statt, und selbst dann müßte diese kreisförmige Bewegung doch immer eine bestimmte Richtung verfolgen. Der Materie eine Bewegung durch Abstraction zuschreiben, heißt Phrasen ohne Sinn sprechen, und ihr eine bestimmte Richtung beilegen, heißt auch eine bestimmende Ursache annehmen. Bei jeder Vervielfältigung der besonderen Kräfte habe ich immer wieder neue Ursachen zu erklären, ohne daß ich doch je ein gemeinschaftliches, sie alle leitendes Agens entdecke. Während ich weit davon entfernt bin, mir irgend eine Ordnung in diesem zufälligen Zusammentreffen der Urelemente vorstellen zu können, vermag ich sie mir auch nicht einmal im gegenseitigen Kampfe zu denken, und so ist mir das Chaos des Weltalls noch unbegreiflicher als seine Harmonie. Ich finde es ganz begreiflich, daß Plan und Einrichtung der Welt dem Menschengeiste unverständlich sein kann, sobald sich aber ein Mensch unterfängt, sie uns zu erklären, muß er sich auch einer allgemein verständlichen Sprache bedienen.

Weist die bewegte Materie einen Willen nach, so deutet die nach bestimmten Gesetzen bewegte Materie auf einen Verstand hin. Dies ist mein zweiter Glaubensartikel. Handeln, vergleichen, wählen sind Operationen eines thätigen und denkenden Wesens. Jene zeigen sich überall, folglich existirt dieses Wesen. Woran nimmst du seine Existenz wahr? werdet ihr mich fragen. Nicht nur an den rollenden Himmelskörpern, an dem Gestirn, das uns das Tageslicht sendet; nicht nur an mir selbst, sondern auch an dem weidenden Schafe, dem fliegenden Vogel, dem fallenden Steine, dem welken Blatte, dem Spiele der Winde.

Ich fälle über die Ordnung der Welt ein Urtheil, obgleich mir ihr Endzweck unbekannt ist, weil es zur Beurtheilung dieser Ordnung für mich hinreicht, die einzelnen Theile unter einander zu vergleichen, ihr Zusammenwirken und ihre Beziehungen zu studiren und sich von ihrer Harmonie zu überzeugen. Ich weiß nicht, weshalb das Weltall da ist, aber ich werde nicht müde, die Veränderungen zu beobachten, welche in ihm vorgehen, werde nicht müde, mich an dem Anblick der innigen Beziehungen zu erfreuen, welche die Wesen dieser Welt antreibt, sich gegenseitig Hilfe zu leisten. Ich komme mir wie ein Mensch vor, der zum ersten Male eine geöffnete Uhr sieht und nicht aufhören kann, das Werk zu bewundern, obgleich ihm der Gebrauch des Kunstwerks unbekannt ist und er das Zifferblatt noch nicht gesehen hat. Ich weiß freilich nicht, wird er sagen, welchen Nutzen es bringt; allein ich sehe, daß alle Theile vollkommen zu einander passen; ich vermag dem Künstler für die vollendete Ausführung aller einzelnen Theile meine Bewunderung nicht zu versagen und halte mich völlig überzeugt, daß der gleichmäßige Gang aller dieser Räder nur einem gemeinschaftlichen Zwecke dient, welchen zu erkennen mir unmöglich ist.

Laßt uns die besonderen Zwecke, die Mittel, die geregelten Verhältnisse jeder Art vergleichen und dann der Stimme des inneren Gefühls Gehör geben. Welcher gesunde Geist wird nicht gern auf ihr Zeugniß achten? Welchem unbefangenen Blicke verkündigt nicht die augenscheinliche Ordnung des Weltalls eine höchste geistige Kraft? Und welcher Aufwand von Sophismen ist nicht nöthig, um die Harmonie der Wesen und das meisterhafte Zusammenwirken jedes einzelnen Theiles zur Erhaltung der übrigen zu verkennen! Rede man mir von Combinationen und Wechselfällen so viel man will vor, welchen Nutzen könnt ihr euch davon versprechen, mich zum Schweigen zu bringen, wenn ihr mich nicht zu überzeugen im Stande seid? Und wie wollt ihr das unwillkürliche Gefühl in mir zurückdrängen, welches euch wider meinen Willen Lügen straft? Wenn die organischen Körper wirklich auf tausenderlei Weise durch bloßen Zufall eine Verbindung mit einander eingegangen sind, wenn sich Anfangs Magen ohne Mund, Füße ohne Kopf, Hände ohne Arme, kurz allerlei unvollkommenen Gliedmaßen gebildet haben, die, unvermögend sich zu erhalten, wieder zu Grunde gegangen sind, weshalb begegnet denn keiner dieser mißglückten Versuche jetzt mehr unseren Blicken? Weshalb hat sich endlich die Natur Gesetze auferlegt, welchen sie von Anfang an nicht unterworfen war? Es darf mich zwar nicht überraschen, daß etwas an sich Mögliches geschieht, wenn die Schwierigkeit der Ausführung durch die Menge der Versuche aufgewogen ist; das unterschreibe ich gern. Wenn man mir jedoch vorreden wollte, daß zufällig zusammengeworfene Buchdruckerlettern die Aeneide in der Vollendung, in welcher sie vorliegt, gebildet hätten, so würde ich sicherlich auch nicht einen einzigen Schritt thun, um erst zu untersuchen, ob ich es mit einer Lüge zu thun hätte. Man darf mir nicht entgegen halten, daß ich die Menge der Versuche vergesse. Wie viel solcher Versuche müßte ich wol annehmen, um an die Wahrscheinlichkeit der Combination glauben zu können! Ich meinestheils, der ich nur einen einzigen anerkenne, kann dreist das Unendliche gegen Eins wetten, daß sie nicht das Ergebniß eines Zufalls ist. Haltet damit den Umstand zusammen, daß Combinationen und Zufälligkeiten stets nur solche Erzeugnisse hervorzubringen vermögen, welche die Natur der vereinigten Elemente theilen, daß Organisation und Leben niemals aus einer zufälligen Verbindung von Atomen hervorgehen kann und daß ein Chemiker in seinem Schmelztiegel durch keine Mischung empfindende und denkende Wesen erzeugen wird. Sollte man es wol für möglich halten, wenn man nicht Beweise dafür hätte, daß sich die menschliche Narrheit je so weit verirren könnte? Amatus Lusitanus betheuerte, einen Homunculus von der Länge eines Zolls, der in einem Glase eingesperrt war, gesehen zu haben. Nach seiner Angabe hätte ihn Julius Camillus wie ein zweiter Prometheus mit Hilfe der alchymistischen Kunst hervorgebracht. Paracelsus lehrt in der Abhandlung » de natura rerum« das Verfahren, solche kleine Menschen auf künstlichem Wege zu erzeugen und stellt die Behauptung auf, daß die Pygmäen, die Faunen, die Satyren und die Nymphen Erzeugnisse der Chemie wären. Ich sehe in der That nicht ein, was nunmehr noch zu thun übrig bleibt, falls man die Möglichkeit solcher chemischen Producte feststellen will, als die Behauptung hinzufügen, daß die organische Materie der Hitze des Feuers widersteht und daß sich ihre Molecüle auch in einem Flammofen erhalten ließen.

Mit Erstaunen und fast mit Verdruß habe ich Nieuwentit gelesen. Wie hat sich dieser Mann an die Abfassung eines Buches über die Wunder der Natur, welche von der Weisheit des Schöpfers Zeugniß ablegen, heranwagen können? Und wetteiferte sein Werk an Größe mit der Welt, so wäre er doch nicht im Stande, seinen Gegenstand zu erschöpfen. Sobald man sich hierbei auf Einzelheiten einlassen will, entzieht sich der Beobachtung das größte Wunder, die Harmonie und der Einklang des Ganzen. Die Erzeugung der lebendigen und organischen Wesen bildet schon allein einen Abgrund für den menschlichen Geist. Die unübersteigliche Schranke, welche die Natur zwischen den verschiedenen Arten errichtet hat, damit sie sich nicht vermischen, beweist uns ihre Absichten mit völliger Klarheit. Sie hat sich nicht darauf beschränkt, die Ordnung festzustellen, sondern auch bestimmte Maßregeln getroffen, um diese Ordnung vor jeder Störung zu bewahren.

Es gibt in dem ganzen Weltall kein Wesen, welches man nicht in gewisser Beziehung als den gemeinsamen Mittelpunkt aller übrigen betrachten könnte, um welchen sie alle dergestalt geordnet sind, daß sie sich sämmtlich gegenseitig wie Zweck und Mittel verhalten. In der Unendlichkeit dieser Beziehungen, von denen sich auch keine einzige in der Menge verliert oder Veranlassung zu Verwechslungen gibt, verwirrt und verliert sich der Geist. Welch eine Thorheit, anzunehmen, daß man all diese Harmonie von dem blinden Mechanismus der zufällig bewegten Materie herzuleiten vermöge! Vergeblich werden diejenigen, welche die Absicht des Planes läugnen, der sich in den Verhältnissen aller Theile dieses großen Ganzen offenbart, ihr sinnloses Geschwätz durch Abstractionen, Coordinationen, allgemeine Grundsätze, sinnbildliche Ausdrücke zu verhüllen suchen; was sie auch immer aufstellen mögen, so wird es mir doch stets unmöglich sein, mir ein System so fest geordneter Wesen ohne eine geistige Kraft zu denken, von welcher die Ordnung ausgeht. Es hängt nicht von mir ab, zu glauben, daß die passive und todte Materie im Stande gewesen sei, lebende und fühlende Wesen hervorzubringen, daß ein blinder Zufall intelligente Wesen habe erzeugen können, daß das, was nicht denkt, vermocht habe Schöpfer denkender Wesen zu sein.

Ich glaube demnach, daß die Welt von einem mächtigen und weisen Willen regiert wird; ich sehe es, oder empfinde es vielmehr, und dieses Wissen ist für mich von Wichtigkeit. Ist nun aber eben diese Welt von Ewigkeit her oder ist sie erschaffen? Gibt es einen einzigen Urquell aller Dinge? Gibt es deren zwei oder mehrere, und welches ist ihre Natur? Ich weiß es nicht, und was verschlägt es auch? Je nach der Zunahme meines Interesses für diese Kenntnisse werde ich mich auch bestreben sie zu erwerben. Bis dahin enthalte ich mich aber aller müßigen Fragen, die meine Eigenliebe beunruhigen können, für meinen Wandel dagegen nutzlos und für meine Vernunft zu hoch sind.

Bleiben Sie stets eingedenk, daß ich meine Ansicht durchaus nicht lehren, sondern nur auseinandersetzen will. Sei die Materie ewig oder erschaffen, habe sie einen passiven Urgrund oder gar keinen, immer steht so viel fest, daß das Ganze eine Einheit bildet und ein einziges geistiges Wesen offenbart, denn ich gewahre nichts, was nicht in diesem Systeme seinen Platz einnähme und nicht demselben Zwecke, nämlich der Erhaltung des Ganzen in der bestehenden Ordnung, dienen müßte. Dieses Wesen nun, welches Willen und Macht hat, dieses selbsttätige Wesen, dieses Wesen endlich, was es auch immer sei, welches das Weltall bewegt und alle Dinge ordnet, nenne ich Gott. Ich verbinde mit diesem Namen die Ideen von Intelligenz, Macht und Willen, die ich mir, in Folge meiner Beobachtungen, von demselben gebildet habe, so wie die Idee der Güte, welche eine nothwendige Folge ersterer ist. Trotzdem ist mir das Wesen, welchem ich diesen Namen beigelegt habe, noch eben so unbegreiflich wie vorher. Es entzieht sich meinem Verstande nicht weniger als meinen Sinnen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gerathe ich in Verwirrung. Ich weiß mit völliger Gewißheit, daß dieses Wesen existirt und zwar durch sich selbst existirt, weiß auch, daß meine Existenz der seinigen untergeordnet ist und daß sich alle mir bekannten Dinge ihm gegenüber durchaus in derselben Lage befinden. Ich erkenne Gott überall in seinen Werken, ich fühle ihn in mir, erblicke ihn um mich. Sobald ich ihn jedoch seinem inneren Wesen nach schauen will, sobald ich untersuchen will, wo und was er ist, was sein eigentliches Wesen ausmacht, dann entschlüpft er mir, und mein in Verwirrung gerathender Geist vermag nichts mehr zu erkennen.

Durchdrungen von dem Gefühle meiner Unzulänglichkeit, werde ich über die Natur Gottes niemals Untersuchungen anstellen, wenn ich mich nicht durch das Gefühl seiner Beziehungen zu mir dazu genöthigt sehe. Solche Untersuchungen sind stets vermessen. Nur mit Zittern und Zagen und in der festen Ueberzeugung, daß wir nicht geschaffen sind, das Wesen Gottes zu ergründen, sollte ein weiser Mensch dieselben vornehmen. Denn jedenfalls liegt für die Gottheit eine größere Beleidigung darin, daß man sich eine unrichtige Vorstellung von ihr macht, als daß man gar nicht an sie denkt.

Nachdem ich diejenigen Eigenschaften der Gottheit aufgefunden habe, aus denen ich ihr Dasein zu begreifen vermag, kehre ich zu mir selbst zurück und untersuche, welchen Rang ich in der Ordnung der Dinge, die sie regiert und die ich einer Prüfung zu unterziehen im Stande bin, einnehme. Meiner Gattung nach gebührt mir unstreitig die oberste Stelle. Denn durch meinen Willen und durch die Werkzeuge, über welche ich zur Ausführung desselben verfügen kann, besitze ich eine größere Fähigkeit, auf alle Körper meiner Umgebung einzuwirken, oder mich umgekehrt ihrer Einwirkung beliebig darzubieten oder zu entziehen, als irgend einem von ihnen innewohnt, wider meinen Willen durch einen blos physischen Impuls auf mich einzuwirken, und ich bin das einzige Wesen, dem sein Verstand eine Uebersicht über das Ganze gestattet. Welches Wesen hienieden außer dem Menschen hat die Gabe alle übrigen zu beobachten, ihre Bewegungen und Wirkungen zu messen, zu berechnen und vorherzusehen und das Gefühl des gemeinsamen Daseins gleichsam mit dem seines individuellen Daseins zu verbinden? Was kann man also wol an dem Gedanken, daß Alles für mich geschaffen ist, lächerlich finden, wenn ich nun doch einmal das einzige Wesen bin, das Alles auf sich zu beziehen vermag?

Es ist folglich wahr, daß der Mensch der König der Erde ist, welche er bewohnt; Variante ... König der Natur, wenigstens auf der Erde, ist... nicht nur bändigt er alle Thiere, nicht nur hat er sich durch seine Geschicklichkeit zum Herrn der Elemente gemacht, sondern ihm steht auch allein auf Erden diese Macht zu Gebote; ja selbst die Gestirne, denen er sich nicht zu nähern vermag, können sich in Folge seiner unausgesetzten Beobachtungen seiner Machtsphäre nicht entziehen. Man zeige mir auf Erden ein anderes Geschöpf, welches das Feuer zu benutzen und die Sonne zu bewundern versteht! Wie? Ich vermag die Wesen und ihre gegenseitigen Beziehungen zu beobachten und zu erkennen, ich vermag zu empfinden, was Ordnung, Schönheit und Tugend ist; ich vermag das Weltall zu betrachten und mich bis zu der Hand zu erheben, die es lenkt, ich vermag das Gute zu lieben und zu üben, und sollte mich mit den Thieren auf eine Stufe stellen? Niedrige Seele, deine traurige Philosophie macht dich ihnen ähnlich, oder du gibst dir vielmehr vergeblich Mühe, dich zu erniedrigen; deine natürliche Befähigung legt Zeugniß wider deine Grundsätze ab, dein wohlwollendes Herz straft deine Lehre Lügen, und selbst der Mißbrauch deiner Fähigkeiten bestätigt dir zum Trotz ihre Vortrefflichkeit.

Ich meinestheils, der ich für kein System eine Lanze zu brechen brauche, ich, ein einfacher und wahrer Mann, welcher sich von keiner Parteileidenschaft fortreißen läßt und nicht nach der Ehre trachtet, das Haupt einer Secte zu sein, ich, der ich mit dem Platze, an den mich Gott gestellt hat, zufrieden bin, ich kenne nächst ihm nichts Besseres als meine Gattung, und wenn ich mir meine Stellung in der Ordnung der Wesen selbst zu wählen hätte, für was Besseres könnte ich mich entscheiden, als dafür, Mensch zu sein?


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