Joseph Roth
Tarabas
Joseph Roth

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XXIX

Eine Woche später ging er, mit dem Notar, zum Juden Nissen. Sie stiegen, alle drei, die Leiter zu Schemarjah hinauf. Schemarjah erhob sich und klappte das Buch zu.

Er flüchtete sich nicht mehr vor den Fremden. Er erhob sich und blieb am Tisch vor seinem zugeklappten Buch stehn.

Der Notar machte in Anwesenheit der zwei Zeugen, des hochwürdigen Bruders Eustachius und des Händlers Nissen Pitschenik, bekannt, daß der Gebethausdiener Schemarjah Korpus der alleinige Erbe des jüngst verstorbenen Obersten Nikolaus Tarabas sei. Das Erbe bestand in einem Säckchen voller goldener Münzen, im Werte von fünfhundertundzwanzig Goldfranken, ferner in ein paar hundert Papierscheinen.

Der Notar legte das Geld auf den Tisch. Der Bruder Eustachius und der Händler Nissen zählten die Goldstücke, und der Notar schaufelte sie wieder in das Säckchen zurück. Man reichte das Säckchen Schemarjah über den Tisch.

Er wog es in der Hand, kicherte, nahm es in die Linke. Er hielt es am Bund, schnippte daran mit einem Finger der Rechten und versetzte es so in ein schepperndes Rotieren. Er betrachtete es eine Weile mit fröhlichen Blicken und ließ es schließlich auf den Tisch fallen. »Ich brauche es nicht!« sagte Schemarjah endlich. »Nehmt es nur wieder mit!«

Da aber keiner von den Anwesenden sich rührte, begann er, wortlos, zuerst dem Notar, dann dem Händler Nissen, hierauf dem Bruder Eustachius das Säcklein anzubieten. Jeder schob es zurück.

Schemarjah wartete eine Weile. Dann nahm er das Säckchen, ging an sein Bett und steckte es unter das Kopfkissen.

Die drei Männer verließen ihn. Unterwegs, auf der Leiter noch, sagte der Notar: »Schad' um das Geld! Er hat also umsonst gelebt, der Tarabas!« »Das weiß man nicht!« sagte der Bruder Eustachius. »Das kann man niemals wissen!«

Sie verabschiedeten sich von dem Händler Nissen.

»Wir kehren noch bei Kristianpoller ein!« schlug der Notar vor. Sie saßen bald darauf in der Gaststube Kristianpollers. Der einäugige Wirt trat an den Tisch und sagte: »Ja, jetzt ist er tot!«

»Er war Ihr Gast!« bemerkte der Notar.

»Er war lange Zeit mein Gast!« antwortete der Jude Kristianpoller. »Er war immerhin ein merkwürdiger Gast im Wirtshof Kristianpollers!«

»Er war«, sagte der Notar, »immerhin ein merkwürdiger Gast auf Erden.«

Hier horchte der Bruder Eustachius auf. Er beschloß, auf den Grabstein Tarabas' die Inschrift zu setzen:

Oberst Nikolaus Tarabas,
ein Gast auf dieser Erde.

Gerecht, bescheiden und angemessen erschien ihm diese Inschrift.


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