Joseph Roth
Tarabas
Joseph Roth

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XVII

Der Pfarrer von Koropta war ein alter Mann. Er verrichtete seit mehr als dreißig Jahren seinen Dienst in dieser Gemeinde. Einen einfachen, demütigen, undankbaren Dienst. Die alte, fettig glänzende Soutane schlotterte um seinen hageren Körper. Die Jahre hatten ihn winzig und mager gemacht, seinen Rücken gekrümmt, Höhlen um seine grauen, großen Augen gegraben, zwei Furchen zu beiden Seiten seines schmalen, zahnlosen Mundes, sie hatten seine Schläfen und seine Stirn gelichtet und sein schlichtes Herz geschwächt. Er hatte den Krieg über sich ergehen lassen, den großen Zorn des Himmels, und Hunderte von Morgen, an denen er die Messe nicht lesen konnte. Er hatte Tote begraben, die, von zufälligen Geschossen getroffen, den letzten Segen nicht empfangen konnten, Eltern getröstet, deren Kinder gefallen und gestorben waren. Er sehnte sich selbst schon nach dem Tode. Mager und schwach, mit erloschenen Augen, zittrigen Gliedern erschien er vor Tarabas.

Man müsse, eröffnete ihm der Oberst, die wunderdürstigen Bauern, die da nach Koropta heranrückten, besänftigen. Das geschehene Unglück sei groß. Die Armee rechne auf den Einfluß der Geistlichkeit. Er, der Oberst Tarabas, auf die Unterstützung des Pfarrers.

»Ja, ja!« sagte der Pfarrer. Allen Machthabern, die im Verlauf der letzten Jahre in Koropta eingezogen waren und beinahe genauso gesprochen hatten, wie jetzt der Oberst Tarabas sprach, hatte der Pfarrer das gleiche »Ja, ja!« gesagt.

Einen Augenblick ruhten seine alten, erloschenen, großen, hellen Augen auf dem Antlitz des Obersten. Der Pfarrer hatte Mitleid mit dem Obersten Tarabas. (Ja, wahrscheinlich war der Pfarrer der einzige Mensch in Koropta, der Mitleid mit Tarabas hatte.)

»Ich werde in Ihrem Sinne morgen zu den Gläubigen sprechen!« sagte der Pfarrer.

Aber es war Tarabas, als hätte der Pfarrer etwa gesagt: Ich weiß, wie es um dich steht, mein Sohn! Du bist verworren und ratlos. Du bist ein Mächtiger und ein Ohnmächtiger. Du bist ein Mutiger, aber ein Ängstlicher. Du gibst mir Anweisungen, aber du weißt selbst, daß es dir wohler wäre, wenn ich dir Anweisungen geben könnte.

Tarabas schwieg. Er wartete noch auf ein Wort des Alten. Der aber sagte nichts. »Sie trinken?« fragte Tarabas. »Ein Glas Wasser!« sagte der Pfarrer. Fedja brachte es. Der Pfarrer trank einen Schluck. »Schnaps!« rief der Oberst. Fedja brachte ein Glas voll Schnaps. Es war klar wie Wasser. Tarabas trank.

»Die Herren Soldaten können viel Alkohol vertragen!« sagte der Pfarrer.

»Ja, ja«, antwortete Tarabas, fern, fremd und zerstreut.

Es war beiden klar, daß sie nichts mehr miteinander zu reden hatten. Der Pfarrer wartete nur auf ein Zeichen, aufbrechen zu dürfen. Tarabas hätte sehr viel zu sagen gehabt: sein Herz war voll und auch verschlossen. Ein geheimnisvoll verschlossener, schwerer Sack: so lag das Herz in der Brust des gewaltigen Tarabas.

»Was haben Sie noch zu befehlen, Herr Oberst?« fragte der Pfarrer.

»Nichts!« sagte Tarabas.

»Gelobt sei Jesus Christus«, sagte der Pfarrer.

Auch Tarabas stand auf und flüsterte: »In Ewigkeit. Amen!«


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