Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Die testamentarische Bestimmung.

Da war einmal ein Bauer, der sein Gut klug und tüchtig verwaltete und seinen Nachbarn sowie der ganzen Gemeinde viel Segen brachte. Als er in die Jahre kam, übergab er den Hof seinem heranwachsenden Sohn und sagte: »Lieber Sohn! Ich trete dir das schöne, einträgliche Gut ab, freue dich daran, schaffe und vermehre es. Du kannst es aber nur annehmen, wenn du eine testamentarische Verfügung respektieren willst, die daran geknüpft ist. Jeder Besitzer dieses Hofes muß nämlich die Hälfte des jährlichen Ertrages für Arme und gemeinnützige Zwecke verwenden. Ich habe das stets so gehalten, und wenn du es ebenfalls halten willst, so ist von jetzt ab der Hof dein.«

Der Sohn übernahm dankbar das große Gut und versprach, der testamentarischen Verfügung stets strenge eingedenk zu sein.

So begann er zu wirtschaften, wirtschaftete gut, mehrte das Vermögen und verwendete die Hälfte des Ertrages für die Armen, für die Schule, für wohltätige Zwecke aller Art. Als er aber reicher und immer reicher ward, wuchs auch seine Freude am Gelde, sein Hang, immer noch mehr davon zu erwerben, und er begann sich darüber zu ärgern, daß er gebunden sei, die Hälfte der Einnahmen zu verschenken. Er wollte doch einmal diese testamentarische Bestimmung sehen, die ihn dazu zwang, von wem sie wohl stammen möchte und ob sie nicht etwa so gemacht sei, daß ein geriebener Advokat sie vielleicht für null und nichtig erklären könnte.

Er ging also zu seinem Vater, der im Ausgedinghäuschen mittlerweile ein gebrechlicher Greis geworden war und begehrte von ihm, jenes Testament zu sehen.

»Das Testament willst du sehen?« sagte der Greis, der sterbend im Bette lag, und tastete unter sein Kopfkissen. »Jene testamentarische Bestimmung willst du kennen lernen, die dich verpflichtet, die Hälfte deiner Einnahmen herzuschenken. Das Testament habe ich hier.« Er zog unter dem Kissen ein schwarzgebundenes Buch hervor und gab es mit zitternder Hand dem Sohne. Dieser blätterte darin, um das Schriftstück zu suchen. Dieweilen schöpfte der Greis einen tiefen Seufzer und war verschieden.

Als das Begräbnis angeordnet war, blätterte der Sohn wieder in dem Buch, ging dann mit demselben zu einem Nachbar und klagte ihm, daß er das Testament nicht finden könne.

»Du hast es ja in der Hand!« sagte der Nachbar. Denn jenes Büchlein war »das neue Testament«. –

Ob der Mann durch seinen Advokaten das »Testament« umstoßen ließ, oder ob er es eigenmächtig umgestoßen hat, kann nicht gesagt werden. Tatsache, daß trotz der christlichen Verordnung der reiche Bauer seine notleidenden Nächsten verderben läßt.

 


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