Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Moderner Kanzelgeist.

Man meint, daß die gegenwärtige Religionsgärung zum Segen für alle christlichen Kirchen sein werde, denn sie erwecke hüben wie drüben den religiösen Sinn und das christliche Gewissen.

Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein. Die Kirche versteht nicht zu ernten. Der Streit ist so rücksichtslos, die Polemiken, besonders von einer Seite, sind so roh und widerspruchsvoll, daß der letzte Rest des Glaubens, der bisher noch in den Menschen ist, dadurch leicht ganz und gar vernichtet werden kann.

Betrachten wir einmal zweierlei Predigten, die eine Art wie sie sein soll, die andere wie sie ist.

I.

Der Prediger beginnt seinen Vortrag mit dem Evangelium und weicht nicht davon ab. Er führt das Leben Jesu vor, stellt darüber Betrachtungen an und weckt zu dieser göttlichen Persönlichkeit, die uns erlöst und befreit, eine innige Liebe. Er bespricht die Gnaden des Glaubens, die Wunder der Liebe. Und immer wieder kommt er zurück auf die großen Lebenslehren der Bergpredigt. Es ist ein starker Christus, den er da vorstellt, ein treuer Führer durch Leid und Gefahr, milde, liebreich dem Willigen, herbe dem Widerstrebenden und Hochmütigen. Je ärmer, niedriger, sündiger einer ist, je angelegentlicher und gütiger beugt sich Christus zu ihm nieder und richtet ihn auf. Der arme Mensch braucht nichts zu tun, als sich aufrichten zu lassen. Der Redner predigt immer wieder den redlichen Willen, die Demut und die Nächstenliebe, die Reinheit der Gesinnung und des Handelns. Immer wieder erinnert er an jene Worte Christi, die uns widerstandsfähig machen gegen irdische Drangsale, die uns treu machen dem Bruder, dem Nachbar, dem Untergebenen, dem Vorgesetzten, dem Vaterlande; die uns stark machen gegen die Feinde unseres Volkes, gegen das Unrecht, wo und wie es sich auch zeigen mag; die uns tüchtig machen für die Aufgaben unseres Berufes. Der Prediger spricht von Christus und der Wissenschaft, von Christus und dem Fortschritt, von Christus und der sozialen Frage, alles Leben und Streben weiß er in ein Verhältnis zu Christus zu rücken. Aber er mahnt heute und morgen und jeden Tag, daß diese irdischen zeitlichen Angelegenheiten nicht die Hauptsache, nicht das letzte Ziel sind. Daß wir Menschen Einkehr in uns selbst halten sollen, daß wir in unserem Innersten das Reich Gottes haben, wenn wir es haben wollen, ein Hochgefühl in Gott, das uns sanftmütig, geduldig, zufrieden macht, das uns Seelenruhe und Glückseligkeit verleiht, das uns souverän macht über die ganze Welt. Und der Prediger weist jubelnd darauf hin, daß dieses unser Reich Gottes nicht vorübergehend ist, wie unser Leib und irdisches Leben, sondern in Ewigkeit die Heimat reiner Seelen bleibt. Dann aber auch kommt der evangelische Prediger auf die besonderen Anliegen der Gemeinde und Einzelner in ihr. Wo Unglück und Trauer ist, da beruhigt, tröstet er mit der treuen Liebe des Heilandes und mit seinem Worte weckt er das Mitleid und die Opferwilligkeit der Gemeinde auf. Wo Glück ist, da verklärt er es mit dem Hauche des Göttlichen. So hebt er den Mut und dämpft den Übermut und sucht bei allen Dingen christliche Ordnung in den Einzelnen, in die Familie, in die Gemeinde zu bringen.

II.

Auch der andere Prediger geht vom Evangelium aus und predigt es. Aber er predigt es fast bloß in theologisch-dogmatischem Sinne und braucht nur solche Sprüche, mit denen er die Kirche und ihre Priester rechtfertigen zu können glaubt. Es gibt schon auch Beherzigenswertes und Gediegenes, das meiste aber ist Polemik gegen andere Bekenntnisse, die er beiläufig mit Gottlosigkeit zusammenwirft. Wer nicht glaubt, der wird ewig verdammt, aber es gibt nur einen wahren Glauben, den römisch-katholischen. Ein Ungläubiger ist zu allem fähig. Luccheni, der Mörder der Kaiserin, war auch ein Ungläubiger. Es kommt allerdings vor, daß auch Ungläubige gut, gerecht und barmherzig sind, aber man ist nicht einen Augenblick sicher, daß sie sich ändern, Schurken und Verbrecher werden. In Tirol war einmal ein junger Offizier, der machte sich lustig über den Glauben und leugnete Gott. Da sagte ein Bauer zu ihm: Herr Offizier, wenn du da oben über den Berg reitest, könnte man dich vom Pferde schießen. – Aber wer könnte so unchristlich sein? – Ich. Wenn du das erste Gebot aufhebst, so hebe ich das fünfte auf. – Das war gut geantwortet, setzt der Prediger bei. Der Glaube ist das innere Augenlicht. Der Glaube kommt vom Hörensagen, darum soll man nicht nachforschen. Der Glaube ist eine Gnade Gottes, wer ihn nicht hat, der soll darum beten. Wer nicht glauben will, der glaubt auch trotz Wundern nicht. Aber der Glaube ohne die Werke ist tot, man muß auch gute Werke üben, nämlich beten, fasten, Almosen geben und die heiligen Sakramente empfangen. Die Apostel und ersten Christen waren arme, unwissende Menschen. Und bald darauf: Ein Grund des Abfalles vom Glauben ist die Unwissenheit. Ein zweiter Grund ist die Unkeuschheit. Mancher katholische Priester ist vom Glauben abgefallen, weil er Weib und Kinder haben wollte. Die Ursache der Reformation war, weil Luther sein Katherl haben wollte. Die Ursache des Abfalles in England war, daß der König seine rechtmäßig anvertraute Gemahlin verließ und ein junges Fräulein nahm. Der Papst gab dies nicht zu, so wurde der König dem Glauben abtrünnig. Ein katholischer Priester ist zu den Altkatholiken gegangen, er hat Geld genommen. Auf dem Sterbebette will jeder Abgefallene wieder katholisch werden, lutherisch ist zwar gut leben, aber katholisch ist gut sterben. Der Religionsfeind Voltaire hat in der Sterbestunde einen Priester haben wollen, aber man hat ihm keinen geschickt. Die Protestanten sagen, sie hätten das Evangelium. Ja, wer bürgt ihnen denn dafür, daß die Evangelien, die Apostelbücher, die Bibel überhaupt heilige Bücher sind? Wer gibt ihnen die Gewähr dafür, daß nichts hineingeschwindelt ist? Sie haben keine Autorität, auf die sie sich verlassen können in diesen Sachen. Wir Katholiken haben eine Autorität – den Papst. Der römische Papst ist Petrus, der Felsen, auf den Christus seine Kirche gebaut, das ist unwiderleglich, dagegen kann nichts eingewendet werden, weil es Christus gesagt hat und weil Christus die ewige Wahrheit ist. Der Papst hat – und das kann jeder in der Kirchengeschichte lesen – nie eine Irrlehre verkündet. Der Papst kann als Mensch sündigen, ja, es waren einige Päpste, die ihres schlechten Lebens wegen wahrscheinlich verdammt sind, aber als Völkerlehrer sagt der Papst die Wahrheit, weil er unfehlbar ist, und der Papst ist unfehlbar, weil er Stellvertreter Gottes der ewigen Wahrheit ist. Heutzutage ist alles gegen den Papst und die Priester werden verfolgt wie die heiligen Märtyrer. Unter den vielen tausend Priestern gibt es freilich auch einige schlechte, aber die verfolgt man nicht, man verfolgt nur die guten. Protestantische Pastoren gehen im katholischen Lande umher, um den falschen Glauben zu predigen. Wenn katholische Priester das in den lutherischen Ländern wagen wollten, was würde ihnen geschehen? An vierzigtausend Personen sind übergetreten zum falschen Glauben, wovon viele schon heute wieder zurück möchten, wenn es der Trotz zuließe. Dafür sind vor kurzem im Orient achtzigtausend Heiden katholisch geworden. Die katholische Kirche ist die alleinseligmachende und sie wird durch keinen Feind überwunden werden können, wird bestehen bis ans Ende der Welt. Darum seid stark im Glauben. Wer glaubt, der wird selig, wer aber an den Papst nicht glaubt, der glaubt nicht an Christus, und wer an Christus nicht glaubt, der wird ewig verdammt. –

Das die Grundzüge der Predigten, wie man sie jetzt hören kann, die letztere Art bei uns weitaus häufiger, als die erstere. Für erstere wäre die ganze Welt empfänglich, auf jeder katholischen Kanzel könnte sie gehalten werden, ohne das christkatholische Prinzip zu verletzen. Aber das Anhören solcher Predigten im evangelischen Geiste, wie sie I. zeigt, ist den Katholiken unter Androhung der Strafe Gottes verboten! Wenigstens sagen das viele Eiferer. – Diejenige Art von Predigten jedoch, wie sie unter II. steht, schreckt alle milden, religiösen Herzen zurück, sie erfüllt die Gemüter mit Zorn und Widerspruch – sie führt zu keinem guten Ende.

 


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