Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Die Sünde des Bräutigams.

Über diese Geschichte habe ich einmal einen Vortrag gehalten, und da wäre mir beinahe etwas passiert. Die Männer wollten mich steinigen und die Frauen wollten mich küssen. Daraus ergab sich allerdings eine einfache Taktik: Ich verwies die kußfrohen Frauen an ihre Männer, und diese ließen die Steine fallen, um freie Hand zu bekommen.

Nämlich, die Sache ist die. Es handelt sich um eine Zuschrift, die mir irgend einmal von irgend wem aus irgend einem Grunde zugekommen, und die ich einfältiger Weise zum Vortrag gebracht hatte, während sie ein tiefes und sehr wichtiges Geheimnis war. Wichtige Geheimnisse, die nicht weitergesagt werden sollen, muß man natürlich drucken lassen, also lautet jene Zuschrift wie folgt:

Nachdem seit der Abreise des jungen Paares zwei Tage verflossen waren, erwartete ich von ihr – meiner Tochter – einen Brief. Solche Briefe kommen sonst fast sicher und sind gerüttelt voll Glück. Aber ich wartete umsonst. Albertine hatte mir vor der Abfahrt versichert, recht viel von ihrer Hochzeitsreise zu schreiben, denn wenn man mit dem geliebten Manne nach Italien geht, und zwar das erste Mal, da kann man schon was erzählen. Ich hatte mich etwas zu leicht in die Sache gefunden; daß der Witwer-Vater nun vereinsamt sein wird, daß er außer der alten Kunigunde niemand um sich hat, daß das Haus wie ausgestorben ist, wo sonst aus allen Ecken ihr lustiges Lachen geklungen, wer denkt daran. Adieu, Papa! und abgetan ist's. Aber um mich handelt es sich nicht. Vom neunzehnjährigen Mädel wollt' ich erzählen, das schon auf der Hochzeitsreise den Alten gründlich vergessen hat, der doch auch einmal Briefe aus lieber Hand gewohnt worden ist. Es vergehen Tage, es vergeht die Woche und der Briefträger hat nichts. Man spricht von Unverläßlichkeit der italienischen Post, aber mein Gott, in den ersten Tagen sind sie doch noch in Triest gewesen. Dann aus Venedig, Mailand, vom Gardasee schreibt der Christenmensch doch Ansichtskarten. Es wird doch nicht alles verloren gegangen sein.

Einst – o du süßes heiliges Einst! – als ich meine achtundzwanzigjährige Marie so auf die Hochzeitsreise geführt, da hat sie schon am zweiten Tage ihren Eltern einen Brief geschrieben, der noch vorhanden ist, um mich immer traurig lächeln zu machen. Sie kann nicht jubeln genug. Ihr Mann ist noch tausendmal lieber, als sie hatte ahnen können, die Aufmerksamkeit, die Zuvorkommenheit, die Güte selbst! Ein herrlicher Mann, das Ideal eines Mannes! – Keine hat einen Briefsteller mit, und jede schreibt dasselbe.

Jede?

Mein Herzblättchen schreibt gar nicht. Mir wird am achten und neunten Tage unheimlich. Unglücksfälle müßte man doch in den Zeitungen gelesen haben. Wenn sie nicht verheiratet gewesen wären, hätte man an eine Entführung denken können. Ich habe mein Gewissen erforscht, vielleicht hatte ich die Leutchen irgendwie verletzt. Nein, beim Abschiede war sie so sehr in des Vaters Arme und Nacken verschlungen, daß der Bräutigam nicht geringe Mühe hatte, den Knoten zu lösen. Und jetzt vergessen! Am zehnten oder zwölften Tage begann mir der Briefträger bereits auszuweichen, denn ich wurde unangenehm. Die alte Kunigunde jammerte über meine Appetitlosigkeit und gab der Stubenluft die Schuld. Ich wagte mich nicht ins Freie, damit ein plötzlich eintreffender Expressbrief oder eine Depesche mich ja sicher zuhause treffe. Endlich merkte die Alte doch den Grund meines Kummers und gestand mir zögernd, sie habe einen Brief! Einen Brief von dem Fräulein, das heißt, von der jungen Frau. Am zweiten Tage sei er geschrieben worden in Triest und an sie gerichtet. Man kann sich denken, wie ich über die arme Person hergefallen bin! Was es denn sei? Krank? Gefährlich?! – Ich möge nur selber lesen! Auf die Kommode legt sie den Brief und dann wie der Wind zu der Tür hinaus.

Nun, also – den Brief habe ich gelesen. Am Tage der Verlobung sollte man ihn jeder Braut –. Nein, doch nicht. Gott, was ist der Mann für ein – für ein herrliches Wesen! Im gleichen Alter, sagen wir, mit ihr, der Braut, und welch ein Unterschied: der Wolf und das Lamm. Wenn in der Abschiedsstunde der Vater den neugebackenen Schwiegersohn beiseite zieht und zu ihm sagt: »Sohn, mein Liebstes übergebe ich dir, deinem Schutz, deiner Diskretion. Sie ist noch ein Kind, kaum aufgeblüht. Denke dran!« So antwortet der junge Mann begeistert: »Gewiß, Papa!« Aber verstanden hat er's nicht, was der Vater gemeint. Ausnahmen wird es ja geben, wo die Liebe nicht alle Güte aufgefressen hat, wo die Leidenschaft, oder gar nur die Eitelkeit nicht alle Vernunft und Rücksicht verdrängt. Aber der Mann, wie er als Gattungsgeschöpf durch die Welt läuft, er glaubt nicht daran, daß auch die Stunden nach der Hochzeit dem – Menschen gehören, der Züchtigkeit, der Frauenehre! Unter Junggesellen, die samt und sonders in dieser Angelegenheit sehr dumm sind, gehen allerhand theoretische Anschauungen und Vorurteile, wie der Mensch überhaupt nie so dumm ist, als wenn er in Theorie macht. Die Seele des Weibes bleibt sicherlich um runde zehn Jahre länger rein, als die des Mannes. Das heißt, in den meisten Fällen bleibt sie es immer.

Wenn ein Vater sein wohlerzogenes Töchterlein in jungen Jahren verheiratet, wird er mit dem Bräutigam ein deutliches Wort sprechen müssen. Höre einmal, Karl! Zur Ausstattung gehört auch ein klein wenig Knigge, oder vielmehr ein Nachtrag zu demselben. Geleite vom Hochzeitsmahl hinweg dein junges Weib in ihr heimatliches Gemach und plaudere mit ihr von der verrauschten Hochzeit und von den Plänen der Zukunft. Und wenn die Zeit zum Schlafen kommt, so sage ihr freundlich gute Nacht und gehe auf dein Zimmer. Solltest du am zweiten Abend etwas länger bleiben und das Gespräch verinnerlichen und den Kuß verlängern, so wird dir die junge Frau das nicht verübeln. Allmählich wirst du deine Rechte ja sanft erobern, aber hüte dich vor Rücksichtslosigkeit! In dem Augenblick, da du einer solchen verfällst, zerspringt in dem reinen Weibesherzen eine Saite, die nimmer mehr aufgezogen werden und deren Fehlen die Harmonie eines ganzen Lebens beeinträchtigen kann! Höher vermagst du dein Weib nicht zu ehren, inniger kannst du ihre Dankbarkeit nicht wecken, als wenn du in der ersten Zeit eures Beisammenseins zarte Rücksicht übest. Eine solche Liebe wird sie dir eher und süßer besiegen, als alle anderen Mittel. Nimm sie nicht eher, als bis sie selbst den Arm um deinen Nacken schlingt.

So deutliche Worte dürfte der Bräutigam ja wohl verstehen und sie müßten ihn stutzig machen, müßten ihm zum Bewußtsein bringen, daß es eine üble Gepflogenheit ist, den Hochzeitstag mit Tränen der Empörung und Verzweiflung des geliebten Wesens zu krönen.

Wie kindlich spricht sie am Altare ihr Ja, meist ohne zu ahnen, daß sie damit einen Shylockschein unterschreibt, der schon in den nächsten vierundzwanzig Stunden bezahlt werden muß. Aber der Jude, der ihn präsentiert, ist nicht schlau, einige Tage später würde der Schein mit viel höheren Zinsen eingelöst werden. – Der Mann möge bedenken, daß einmal eine Zeit kommt, wo sie auf ihrem Rechte fußend ihn bankerott machen kann und er ihrer Gnade dann so bedürftig sein wird, als sie nun der seinen.

Die Vorrechte des Mannes schrumpfen übrigens recht sehr zusammen bei Erwägung, wer in der Ehe die größeren Opfer zu bringen hat, was schwerer ist, Vater oder Mutter zu werden.

Möge man einmal aushorchen, was Frauen über die ersten Stunden glücklichen Alleinseins mit dem Angetrauten für eine Meinung haben. Sie sprechen davon. Die einen sagen, es sei die schrecklichste Stunde ihres Lebens gewesen. Die anderen gestehen, nie hätten sie geglaubt, so tödlich hassen und verachten zu können, als zu jener Stunde. Und noch andere versichern, daß es viele Wochen und Monate bedurft hätte, um in ihrem Gemüte die Verwüstung wieder auszugleichen, die dieser fürchterliche Zertrümmerungssturz des Ideals angerichtet. In mancher Frauenseele ist der Schaden überhaupt nicht mehr gut zu machen. Es sind Ehefrauen bekannt, die nach der Brautnacht die Flucht ergriffen haben und kaum wieder zu bewegen waren, in das Haus ihres Eheherrn zurückzukehren. Was auch Männer über die Frauen für eine Meinung haben mögen – ich glaube, daß sie sich in den meisten Fällen irren.

Nun zum Briefe meiner Tochter. Was hat sie mit so flüchtigen Worten und zitternden Zügen der alten Haushälterin geschrieben?

Liebe Kunigunde!

Hier angekommen glücklich, das kannst Du dem Vater sagen. Heute früh, er schlief noch, rasch angezogen und das Hotel verlassen. Jetzt irre ich umher in der fremden Stadt; wie eine Verworfene komme ich mir vor und kann keinem Menschen ins Gesicht schauen. Auf einer Gartenbank schreibe ich das, was ich dann tun werde, weiß ich nicht. O mein Gott, wer hätte ahnen können, wie falsch, wie roh dieser Mensch ist. Zwischen uns ist alles aus, nie könnte ich ihn lieben. Niemanden weiß ich, gute Kunigunde, und auch dir kann ich nichts sagen. Mein armer Vater! er soll es nie erfahren, wie unglücklich ich bin. Wie habe ich diesen Menschen geliebt, und jetzt ein solches Erwachen! Es ist nicht zu fassen. Vor Wochen habe ich in einer Zeitung von einer Gerichtsverhandlung gelesen, aber damals nichts verstanden. Wahnsinn – anders kann ich mir's nicht denken. Gott, da kommt er und sucht mich. Ich will nach Hause zu euch. Vater noch nichts sagen.

Albertine.

Das also war meiner Tochter erste Nachricht von ihrer Hochzeitsreise.

Als sie nach drei Wochen zurückkehrten, waren sie verändert. Er übertrieben artig, sie kühl und wortkarg, sowohl gegen mich, als auch ihren Mann. Seither sind über zwei Jahre vergangen. Die beiden Leute leben ruhig nebeneinander hin, ich möchte sagen, ohne Freude und ohne Leid. Aber letzteres dürfte kaum stimmen. Ich warte noch immer vergebens auf den Enkel. – –

So die Zuschrift, die ich damals zum Vortrag gebracht und die mir beinahe Steine und Küsse eingetragen hätte. Jetzt ist das freimütige Wort gedruckt – ich erwarte bloß noch die ersteren.

 


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