Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Wohnungsünden.

Also zwei streitende Handwerksburschen. Der eine ein Gebirgsschuster, der andere ein Stadtschneider. Sie stritten über das Gemeindehaus zu Rulldorf, das vor ihnen stand. Der Schneider behauptete, es sei einen Stock hoch, der Schuster sah mit eigenen Augen, daß es zwei Stock hoch war. Zum Glück hatten die beiden – und darin unterschieden sie sich von manch' anderen Hadernden – den aufrichtigen Wunsch, sich zu verständigen. So sagte der Schneider: »Du Schuster! Quatsch dich einmal aus, was verstehst du bei Häusern eigentlich unter Stock?«

Der Schuster fix in der Antwort, als handele es sich um ein Katechismusexamen: »Unter Stock verstehe ich, ob und wie vielfach ein Haus gedoppelt ist. Ob es eine Lage Wohnungen hat, oder mehrere übereinander.«

»Du redest ungenau, Schuster, aber ich verstehe dich«, sagte der Schneider. Dann wies er auf ein ebenerdiges Häuschen, das an der Straße stand: »Wie viel Stock hoch ist dieses Haus?«

»Einen Stock hoch.«

»Ich habe mir's gedacht. Aber du bist im Irrtum, mein lieber Schuster. Das Häusel ist gar keinen Stock hoch, es ist ebenerdig.«

»Ebenerdig, das ist der erste Stock. Und das Gemeindehaus hier ist zwei Stock hoch, weil zwei Lagen übereinander sind. Das sieht man schon an den Fenstern.«

»Schuster!« eiferte der Schneider und tippte auf die Stirn, »dir fehlt's in diesem Stock!«

»Und mir scheint, dich gelüstet's nach diesem!« sagte der Schuster und hob seinen Knüppel.

Als sie aneinandergerieten, kam der Gemeindediener und führte die beiden Handwerksburschen in ein Gelaß, das nach des Schneiders Meinung im Parterre, nach des Schusters Ansicht im ersten Stocke lag.

Wer hat recht? Die Welt schlägt sich zum Schneider, und ich halte es mit dem Schuster. Wie ich höre, stehen auch die Engländer und Amerikaner auf Schusters Seite. Mit Vergunst, wenn ein Haus übereinander zum Beispiel drei Raumschichten hat, so verstehe ich nicht, warum man erst bei der zweiten Raumschichte anfängt zu zählen. Wenn ein Gebäude übereinander vier Fensterreihen hat in der Wand, warum soll es nur drei Stock hoch sein? Wenn man mit einem Maßstab oder Stocke mißt, so tut man's von der Erde aus.

Jeder Naturmensch, dessen Hausverstand noch nicht verschoben ist, wird das, was wir anderen Parterre zu nennen pflegen, als den ersten Stock betrachten. Welche Abenteuerlichkeit aber häufen die Städter übereinander! Da beginnt der erste Stock mit dem zweiten, dazwischen heißt noch einer »Mezzanin«, so daß dann der natürliche vierte Stock in der Hausherrensprache zweiter Stock heißt. – Das ist nicht etwa Begriffsverwirrung, das ist halt ein bißchen Schwindel. Man will die Mietparteien täuschen. Der vierte Stock ist den Leuten zu hoch, gut, so sollen sie im »zweiten« wohnen. Im fünften Stock zu wohnen, kann man einem anständigen Menschen schon gar nicht zumuten; nur die Niedrigen wohnen hoch, die Hohen aber niedrig.

Redlicher geht es in Norddeutschland zu, wo es heißt, zwei Treppen hoch, drei Treppen hoch; da weiß jeder, woran er ist. In Wien kenne ich ein Zinshaus, das ist so bestellt: vor dem Haupteingang eine Freitreppe mit achtzehn Stufen, sie führt ins »Parterre« hinauf. Im ersten »Vestibül« führen acht Stufen zum eigentlichen Vorhaus. Dann führt eine Treppe mit neunzehn Stufen in das »Mezzanin«, dann eine Treppe mit neunzehn Stufen in den »ersten Stock«, dann eine Treppe mit siebzehn Stufen in den »zweiten Stock«, dann eine Treppe mit neunzehn Stufen in den »dritten Stock«. Die Mietparteien des zweiten Stockes müssen also sechs Treppen steigen. Von diesen sechs Treppen sind vier in drei Absätzen, so daß im ganzen bis zum »zweiten Stock« vierzehn Stiegen führen. Die Bewohner des fünften Stockes haben in diesem Hause nicht weniger als dreiundzwanzig Stiegen zu klettern – Kirchturmhöhe. Und da soll einer behaupten, daß es bei uns nicht hoch hergehe! Zu bewundern ist nur die Bescheidenheit unserer fünf oder sechs Stock hohen Hausherrn, die sich viel niedriger machen als sie sind. Ihnen sind halt niedrige Häuser mit hohem Zins lieber, als umgekehrt. Der Humbug ist stockdumm, doch die Leute fallen »'rein«, das heißt, sie steigen hinauf.

Aber Freund! höre ich besänftigend sagen, hohe Häuser, hohe Zimmer! – Es scheint also, daß man den hohen Zimmern besonderen Wert beilegt. Ich bin so unglücklich, in hohen Zimmern wieder nur Nachteile zu sehen. Viel Raum, Luft und Licht – aufs Innigste zu wünschen. Doch weite und niedrige Zimmer sind hierin günstiger, als schmale und hohe. Diese engen, hohen Zimmer der neuen Zinshäuser haben schlechten Raum, schlechte Luft, schlechte Wärme, schlechtes Licht. – Schlechten Raum, weil für die Einrichtungsstücke zumeist nur die Weite des Fußbodens maßgebend ist. Die Kästen kann man nicht an die Wand hängen und selbst wenn diese noch so hoch ist. Nicht einmal die Bilder, wenn man sie zum Ansehen hat, dürfen so hoch gehängt werden, daß sie die Flächen ebenmäßig ausfüllen; oben bleibt ein Raum, der nicht ausgenützt werden kann. – Schlechte Luft, weil die Fenster nicht bis zur Zimmerdecke hinaufreichen und weil die oberen Teile dieser Fenster kaum geöffnet werden. Man kann die unteren Fensterflügel sperrangelweit aufmachen, die Luft in dem oberen Räume wird stocken und das um so mehr, je abgestandener sie ist. Der Fensterwind erreicht sie nicht, er bleibt in der Niederung und die obere laue Zimmerluft schwimmt über der frischen kühlen Luft wie Öl auf Wasser. Mit einer brennenden Kerze oder einem papierenen Windrädchen kann man den Luftzug am besten beobachten, da ist zu sehen, wie selbst bei offenen Fenstern die Luft über der Fensterhöhe tot bleibt. Erst wenn die Fenster wieder geschlossen sind, wenn die hereingetretene frische Luft am Ofen erwärmt wird und emporsteigt, sinkt die alte schlechte herab in das Bereich der menschlichen Lungentätigkeit. Werden die Fenster, wie es bei niederen Zimmern der Fall ist, nahezu bis zur Decke reichen, dann kann die schlechte Luft sich nirgends verstecken, sie wird von der eindringenden frischen vielleicht einmal an den Wänden herum und dann zum Tempel hinausgejagt. – Hohe Zimmer haben schlechte Wärme. Im Winter, der Ofen knistert schon eine Stunde lang, man hat bereits sündhaft viel Material verheizt und man friert noch immer, wenigstens an den Beinen. Wollen wir spaßeshalber nicht einmal auf den Tisch steigen oder gar auf die Zinne eines Schrankes emporklettern? Wir staunen über die Wärme, die sich angesammelt hat da oben, wo niemand wohnt! Oder wollen wir es doch am Ende so machen, wie jener Privatbeamte, der seinen Schreibtisch und Sessel auf den Kleiderkasten gestellt, damit ihm Finger und Zehen nicht erfroren? Denn die Ofenwärme ist ein hochmütiges Ding, sie mag nicht auf dem Boden kriechen, sie will oben hinaus. Und hohe Zimmer sorgen dafür, daß die schönste kostbare Wärme dorthin kommt, wo man sie nicht braucht.

 

Soll ich mir nicht ein Privilegium geben lassen auf meine Erfindung ausziehbarer Betten? – Endlich geben schmale hohe Zimmer schlechtes Licht. Die Fenster haben zwar ihr richtiges Verhältnis, schon der Außenseite wegen, der so viel geopfert wird, daher langen sie nicht so hoch hinauf, als es im Innern nötig wäre, der obere Raum bleibt dunkel, und die Zimmerdecke, die bei nicht zu hohen Zimmern beleuchtet wird, und das Licht in alle Winkel milde zerstreut, sie bleibt hier in Halbdämmerung. Ebenso kann auch die Tischlampe nicht in die dunkle Höhe dringen, die Stimmung bleibt düster und ungemütlich. Wie heimlich ist's dagegen in jenen elf Fuß hohen Zimmern älterer Häuser!

Bei der Ängstlichkeit, mit der heute in neuen Häusern Raum gespart wird, fällt diese Raumverschwendung übermäßig hoher Zimmer besonders auf. Bauet die Zimmer niedriger und weiter, und ihr gewinnt bei der gleichen Haushöhe ein neues Stockwerk – damit ist die Raumfrage praktisch gelöst. – Aber halt vornehm sind hohe Zimmer. Schloßartig! Großartig! Daß die wirklichen Schloßräume nicht bloß hoch, sondern auch entsprechend weit sind, bleibt unbedacht.

Wenn es wahr ist, daß die Wohnung eines Menschen der Ausdruck seiner Seele ist – na! dann hätten wir jetzt lauter hohe Seelen, dann freilich muß man kaminartige Räume bauen, die hohen Seelen könnten sonst, wenn sie sich einmal aufrichten, die Zimmerdecke durchstoßen.

Lustig ist es, wenn mein Bergschuster, der in die Stadt kommt, von kropfigen und zopfigen Häusern spricht. Die Kuppeln, die für nichts sind, nennt er Kröpfe, die Türmchen, die weder Glocke noch Stiege haben, nennt er Zöpfe. Und was sie an die Außenseite der Häuser für Zeug kleben – heute »Marmor«, morgen Dreck. Ein Glück, wenn die herabfallenden Trümmer keinen Architekten erschlagen. Dann erst so eine moderne Villa! Reizend! Lauter Ecken, Giebel, Türmchen und Veranden! Alles, nur kein wohnliches Zimmer. Und war doch irgendwo ein geräumiges Zimmer unvermeidlich, so ist das der »Salon«, in dem nicht gewohnt, nicht gespeist, nicht geschlafen werden darf – der höheren Zwecken dient. Er hat den Besuchern zu zeigen, »daß mer auch nobel san!«

In der Bauernschaft ist die Einrichtung aus den Sitten und Bedürfnissen hervorgegangen. Der städtische Emporkömmling hat nichts Hergebrachtes, also eigentlich keinen natürlichen Maßstab, er fängt ganz neu an und seine Penaten sind Flunk und Flitter. Für das Tüchtige und Behagliche fehlt ihm der Sinn. Sein Bett ist zierlich geschnitzt, aber zu kurz, das Nachtkästchen ist fein poliert, aber zu schmal, das Waschbecken ist aus Nuß, aber zu hoch, die Gefäße sind aus chinesischem Porzellan, aber zu eng. Der Chiffonier (das deutsche Wort Kasten hält er nicht aus, ohne zu ächzen) hat hübsche Säulchen, Ornamente, geschnitzte Tigerköpfe und reichgegliedertes Gesimse, aber er hat zu wenig Raum für Kleider. Vor dem Bette – ich spreche von einem gewöhnlichen Bürgershause – liegt ein kleines, dünnes Gewebestück, hingegen unter den Tischen, Sesseln, wo nur der beschuhte Fuß hintritt, sind große weiche Teppiche. Der Toilettespiegel steht gewöhnlich so dem Fenster gegenüber, daß das Gesicht des Hineinschauers im Schatten ist. Die Bilder hängen zu hoch, die beglasten so, daß sich in ihnen die Fenster spiegeln. Der Schreibtisch ist häufig so gestellt, daß das Fensterlicht von der verkehrten Seite kommt; die Leuchter und Lampen so hoch, daß der Schreibende oder Lesende zu wenig Licht erhält. Die lichten freundlichen Fenster werden mit Vorliebe durch schwere Vorhänge verdüstert. Wenn ich sage, daß man trotzdem in einem geschlossenen Chiffonier Reclams Universalbibliothek lesen kann, so ist das Übertreibung; für größeren Druck aber fällt genug Licht durch die Fugen eines modernen »Kastens«. Das »Meubelmang« braucht ja bloß ein Jahrzehnt zu halten, dann kommt wieder neue Mode – Renaissance, oder Barock, oder Japan, oder Empire, oder Secession, oder was anderes. Und wer antike Möbel haben will, der bestellt sie mit oder ohne Agenten bei der Firma, wo sie gemacht werden. Und noch nicht genug mit den Treppen draußen, wollen die Leute auch in ihrem Zimmer Stiegen steigen – zwei, drei Stufen hinauf in die Kanzel, in den Spielleuteraum, oder wie das eingeplankte Podium heißt, das die Einheit und Bequemlichkeit des Zimmers zerstört, hingegen aber den Vorteil hat – modern zu sein.

Ferner muß so ein nobles Zimmer recht vollgeräumt sein, daß man bei jeder Bewegung an irgend etwas stößt und ja nicht einen Augenblick vergißt, wie viele schöne Sachen in diesem Hause sind. Auf Tischen, Tischchen, Kästen und Stellen stehen Vasen, Figuren, Bildständerchen ohne Persönlichkeiten, Briefbeschwerer ohne Briefe, Lampen, die nicht angezündet werden können, Krüge, die nichts enthalten, und allerlei sonstige »Nippes«, die man zu nichts brauchen kann, die überall nur an der Arbeit hindern, so daß man in einem Kramladen zu sein glaubt, aber nicht in einem Heim, in dem schließlich doch auch etwas Raum für den Bewohner übrig bleiben soll. Zum mindesten sind derlei oft dazu noch recht geschmacklose Sächelchen eine Tagesschererei, die keinen anderen Zweck hat, als der Eitelkeit zu schmeicheln, Unbequemlichkeit zu verursachen und recht oft auch durch unausbleibliches Beschädigtwerden Ärger bereiten. Die wahre Vornehmheit liegt stets in der Einfachheit; alles, was an Überladung und Aufhäufung gemahnt, zeugt von Krämergeist.

Schön und heimlich ist es ja, wenn das Zimmer Sachen hat, die zur Persönlichkeit des Bewohners in besonderer gemütsinniger Beziehung stehen, aber schon der züchtige Sinn verlangt es, daß solche Dinge nicht immer ausgekramt bleiben, abgesehen von der Arbeit, die jeden Tag nötig ist, um sie in Stand zu halten.

Ich denke, nun wäre es genug. Allerdings gäbe es auch noch andere Wohnungsünden; wollen einstweilen erwägen, ob nicht diese etwa zum allgemeinen Besten abgeschafft werden könnten. Eine ganz müßige Plauderei möchte ich nicht gerne gehalten haben. Aus der Betrachtung, wie unser Wohnhaus nicht ist, ersehen wir klar, wie es sein soll.

 


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