Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Das Allerungereimteste.

Ist etwas Anstößiges an der Sache? Es ist doch nichts Anstößiges an der Sache, wenn der Pfarrer im Beichtstuhl sitzt, seine Schnupftabaksdose klöpfelt, sie fürsichtig aufmacht, mit beiden Fingern eine Prise fasst und sie in die Nase schnupft, während er den Sünder abhört und ihm die Absolution erteilt? Es ist doch nichts Anstößiges, wenn er dasselbe mit der Dose und mit der Nase auch auf der Kanzel macht und beim Hochaltar während der heiligen Messe? Er verwendet dabei ja wohl auch das blaue Sacktuch fleißig, um Ungebührliches zu vermeiden. Nun denke man, der Herr Pfarrer stäke sich im Beichtstuhl eine Zigarre an oder stopfe sich bei der Predigt eine Pfeife! Es ist undenkbar. Die Bauern tun sogar den Kautabak aus dem Munde, bevor sie in die Kirche treten, legen das Knöllchen auf irgend einen Mauervorsprung, um es nach dem Gottesdienste wieder weiter zu genießen. Wie erst sollten sie mit ihren Pfeifen im Mund in der Kirche sitzen und rauchen gleich Zechern im Wirtshause? Es ist undenkbar. Aber schnupfen darf in der Kirche die Gemeinde nach Herzenslust. – Seit wann ist der Schnupftabak sanktioniert? Warum gerade der Schnupftabak, der Rauchtabak aber nicht? Weil eben die Tabakspfeife in der Kirche undenkbar ist.

Ich kenne aber einen Ort, wo die Tabakspfeife noch weit undenkbarer ist. Am allerundenkbarsten. Nimmermehr vergesse ich den Eintritt in jenes Forsthaus, obschon mehr als vierzig Jahre seither verflossen sind. Saß dort auf einem Schemel ein junges Weib, säugte an der Brust ein kleines Kind und rauchte gleichzeitig aus einer Tabakspfeife.

Eine kurz berohrte Pfeife war's mit hohem spitzigem Deckel, der nahe dem Näschen kecklich emporstand. Während der eine Arm auf dem Schoße lag und dort das Kopfkissen des Kindes abgab, tat sie mit der andern Hand am Pfeiflein herum, schnellte mit dem Finger den Deckel auf, steckte den Finger in die Pfeife, pusterte und paffte, bis der gewünschte Zug hergestellt war und das Zeug tüchtig Rauch gab.

»Förster-Thresel!« rief ich aus wie verrückt, »tu' die Pfeifen weg oder das Kind!«

»Just so,« antwortete sie zwischen den Zähnen hervor, »was geht's dich denn an?«

Sie hatte recht, mich ging's nichts an. Es gehörte weder sie mir, noch die Pfeife, noch das Kind. Aber es war zu unerhört. Versteinern hätte einen das Bild können.

Allerdings war es damals hier nichts Neues, Weiber Tabak rauchen zu sehen, sie rauchten beim Spinnen, beim Nähen, auf dem Kirchweg und an anderen Orten. Aber, daß eine beim Kindersäugen die Pfeife im Mund gehabt hätte, das hatte ich bis zu jenem Tage nicht gesehen.

Mit einem bitteren Abscheu habe ich mich weg gewendet und bin fort gegangen.

Heute verstehe ich einigermaßen die Entrüstung nicht, die mich dazumal dem Förstersweibe gegenüber erfüllte. Ich habe seitdem schon anderes gesehen, nicht im Walde, sondern in großen Städten, bei feingebildeten Herrschaften. Dort drehen lustige Offiziere den Ehefrauen feine Zigaretten, und die elegante Dame steckt die Zigarette in das rote Mündchen und raucht, und ihr Kind gibt sie an die Brust einer weltfremden Person. Und die weltfremde Person hat einen dungduftigen Bauernlümmel zum Liebhaber, und die vornehme Mama mit der Zigarette verachtet das niedrige Volk, aus dem die Amme kommt, und gibt ihr doch das Kind an die Brust.

Ist das nicht noch ungereimter, als eine Mutter, die beim Kindersäugen Tabak raucht?

Sie kennen sicherlich die Eifersucht, meine liebenswürdige Dame? Gut. Wissen Sie auch, wann diese vor allem am Platze ist? Wenn Ihr eigenes Kind die Milch und die Seele einer fremden Mutter trinkt.

 


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