Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Die Amtsbrüder.

Aus den Gebirgsschluchten herab springt das Wasser und geht, ins schwarze Steinbett tief gegraben, rauschend durch die Wiese des Engtals. Von dunklen Fichtenbäumen umstanden prangt der Wiese hohes Wildgras im Morgentau. Stellenweise dampft der Boden und die Hochstengeligen Blumen sind noch geschlossen. Eine feuchte Frische liegt im Tale und hoch oben am Berghang ist der blaue Schatten und der helle Sonnenschein durch eine scharfe Linie abgegrenzt. Diese Linie sinkt immer tiefer herab; oben auf der sonnigen Alm gellt der Lustschrei eines Hirten, wie im schattigen Tale der Bach rauscht, die kleinen Steine glatt überwallend, an den großen munter aufgischtend und die triefenden Uferweiden bespritzend.

An diesem Bache steht ein kleines steinernes Haus, mit tiefen Fensterluken, die kein Glas haben, und mit einem schwarzen Schornstein, aus dem kein Rauch aufsteigt. Aus dem Baue steht ein Holzgründel, daran hängt ein Wasserrad in den Bach, aber es bewegt sich nicht. Die Hüttentür ist zu, von Eisenhenkel ist der lange Strick befestigt, an dem eine Ziege geht. Diese nascht von der Hecke einige Blätter, dann schaut sie mit ihren eckigen Augen betroffen aus über das Wiesental, hinauf gegen den Bergvorsprung, hinter welchem die Kirchturmspitze herüberwinkt. Das Tier blickt der Hausmutter nach, die den Fußsteig entlang, auf einen Stock gestützt, uneben dahinwankt gegen das Dörfchen. Ihren Kopf trägt sie mit einem blauen Tuche so eingebunden, daß das grämliche Gesicht halb verdeckt ist. Ein paar Arbeiter, die ihr begegnen, sagen kurz: »Guten Morgen, Schleiferin!« Man hört kaum, daß sie dankt. Sie ist den Leuten noch fremd, weil erst seit kurzer Zeit eingewandert. So schleicht sie an der Kirchhofsmauer vorbei, an deren Rand blühende Flieder und schiefe Grabkreuze stehen, so schleicht sie dem Pfarrhofe zu. Der hat weiße Wände, helle Fenster und Blumen an den Fenstern. Sie steht ein Weilchen an der Eingangsstufe, als müsse sie Atem fangen, dann tastet sie unsicher nach der Türklinke.

In demselben Augenblick läutet die Kirchenglocke zur Messe, der Pfarrer tritt aus seinem Hause. Eine schlanke Gestalt in Taffettalar, mit der weißen Halsbinde und der Tonsur im schwarzen, kurzgeschnittenen Haar. Ein hageres Antlitz mit scharfen grauen Augen; fast strenge blickt er das Weib an, was sie denn begehre jetzt, da er muß gehen, um Messe zu lesen.

»Das ist die Steinschleiferin. Was willst du denn?«

»Ein Anliegen, Herr Pfarrer,« stottert sie beklommen. »Ich werd' halt ungelegen kommen, jetzt.«

»Vielleicht nachher. Du kannst derweil ja der Messe beiwohnen.«

»Ich will später kommen«, sagt sie heiser und wendet sich abseits. Der Pfarrer blickt ihr nach, sie ist mühselig und scheint Kummer zu haben. Da soll man sie doch anhören noch vor der Messe. Vielleicht kann sie dann ruhiger beten.

»Steinschleiferin!« rief er ihr nach. »Komm doch herauf. Setze dich ein wenig da auf die Bank. Wenn du nicht allzulange brauchst, so sage mir halt, was du für ein Anliegen hast.«

Sie torkelte heran, er setzte sich zu ihr auf die Bank. »Aber so schnaufen, Frau. Bist du denn so arg gelaufen.«

»Das ist jäh gekommen«, sagte sie nun und schob ihr Tuch etwas zurück von dem Gesicht, so daß die großen traurigen Augen enthüllt waren. »In der heutigen Nacht ist mein Mann gestorben.«

Der Pfarrer legte erschrocken die Hände zusammen. »Der Steinschleifer. Aber mein Gott, er war doch nicht krank!«

»Schon etliche Wochen hat er umgezogen, dahier hat ihm die Luft schlecht getan, wir haben's nicht geachtet. Erst vor drei Tagen ist's so arg geworden.«

»Aber daß du mich nicht zum Versehen gerufen hast! So ohne Empfang der Sakramente sterben lassen! Das ist ganz unverantwortlich!« Der Pfarrer war erregt aufgestanden.

Das Weib blieb sitzen und sagte: »Der Herr Pfarrer weiß es nicht, daß wir evangelisch sind.«

»Evangelisch!« wiederholte der Priester, sein Wort war nur ein Hauch. »Die Steinschleiferleute evangelisch! Und das habt ihr nicht gesagt?«

»Wir sind nicht gefragt worden. Und haben auch besorgt, daß es uns den Anfang könnte erschweren, wenn's die Leute wissen, daß wir nicht ihren Glauben haben.«

»Und warum kommst du denn jetzt zum katholischen Pfarrer?«

Da knickte das Weib ein und begann zu schluchzen.

Er saß da und blickte sie an. Und da ihr Weinen immer heftiger und kläglicher wurde, so legte er auf ihre bebende Schulter seine Hand und sagte: »Du willst für ihn ein Grab haben wollen auf unserem Kirchhof. Schau, das sollst du haben. Nur einsegnen kann ich ihn nicht, das verbietet mir meine Kirche.«

»Geht heut' wieder einmal nix vorwärts!« rief von der Kirchenecke herab eine schrille Stimme.

Der Pfarrer stand rasch auf. »Mein Küster kommandiert. Also, Frau, wenn es sonst nichts ist. Beruhige dich. Ein Vaterunser werde ich auch für ihn beten.«

Sie stammelte ihren Dank. Jetzt sei ihr eine Last ab, daß ihr Mann in christlicher Gemeinschaft ruhen könne. Nach Wendeck um den Pastor habe sie bereits die Magd geschickt. –

Und zwei Tage später, da sitzt unter der Linde, die hinter der Friedhofsmauer steht, ein alter Mann in schwarzem Anzug. Ein Handbündel hat er neben sich liegen auf dem Rasen, daraufhin stülpt er seinen Filzhut. Mit dem Sacktuch fährt er sich übers spärliche Haar, er ist müde geworden in der Tageshitze den weiten Weg von Wendeck her. Nun wickelt er aus dem Papier ein Stück Rauchfleisch hervor und beginnt daran zu kauen, dieweilen er die stille Waldgegend betrachtet, in der er wohl fremd zu sein scheint. Der Pfarrer hat diesen Mann von seinem Fenster aus beobachtet, dann geht er die Treppe herab zu dem Fremden und ladet ihn ein, mit ins Haus zu kommen.

»Das Begräbnis«, sagt er, »ist meines Wissens doch erst um drei Uhr. Bishin können Sie sich's im Zimmer ja viel bequemer machen, als da auf dem Rain.«

Der Fremde hat sich erhoben und grüßt den Pfarrer höflich.

»Ich irre mich doch nicht«, sagt dieser, »Sie sind der Herr Pastor aus Wendeck. Na, dann ist es schon recht, dann machen Sie mir das Vergnügen, Herr Amtsbruder.«

Gar gerührt folgt der evangelische Pastor dem katholischen Pfarrer ins Haus, ins freundliche Zimmer, wo er sich auf dem Ledersofa niederlassen muß.

Dann wird Frau Klara gerufen, daß sie ein Glas Wein bringe. Die Wirtschafterin läßt den Hausherrn in den Vorgang rufen. »Aber, Herr Pfarrer!« sagt sie dort, »sind Sie denn nicht gescheit? Den lutherischen Pastor! Gott behüte uns vor allem Übel, da kann man lang warten, bis ich für einen solchen Gast Wein bringe!«

»Warten wollen wir aber nicht«, sagt der Pfarrer, »seien Sie bloß einmal so gut, Frau Klara, und geben mir den Kellerschlüssel. Ich will schon selber etwas holen.«

»Es ist das Faß noch nicht angeschlagen«, sagt die Wirtschafterin.

»Das macht nichts, nehm' ich halt eine von den bestaubten Flaschen.«

Na, da geht sie doch lieber selber und bald haben die beiden Herren ein Glas Wein zwischen sich und führen ein gemütliches Plaudern.

Von kirchlichen Dingen reden sie nicht, wohl aber von der Berggegend und den Partien, die man da machen könne. Bald stellt es sich heraus, daß die Herren große Naturfreunde sind, die von der Alpentierwelt und von den Steinarten was verstehen. Der Pastor ist ein begeisterter Botaniker und der Pfarrer führt ihn nachher in seinen Garten und zeigt ihm seltene Bergpflanzen, die er selber ausgehoben hat im Gebirge und nun im Garten betreut. Sie besprechen eine Alpenpartie, die sie demnächst miteinander machen wollen.

Endlich ist es für den Pastor Zeit, zur Schleiferhütte hinabzugehen, wo mittlerweile sich schon Leute versammelt hatten zur Bestattung. Sie waren nicht wenig erstaunt, als nun statt ihres Pfarrers ein fremder, schwarzer Pastor daherkam, um den Sarg einzusegnen. Niemand hatte gewußt, daß der Steinschleifer evangelisch gewesen war. Aber niemand schlich deshalb jetzt davon, alle blieben da und hörten die schönen erhebenden Worte, die der Pastor sprach. Wie er nun einen kurzen Überblick hielt über das Leben des nun still gewordenen Mannes, wie er ihn dem christlichen Gedenken der Gemeindegenossen empfahl und wie er von der Urständ sprach, wo sie dereinst alle als Brüder im Herrn vor dem Erlöser stehen werden. – So etwas, meinten sie, müsse nächstens doch auch ihr lieber Herr Pfarrer sprechen bei einem Begräbnisse. Noch mehr überrascht waren sie, als in dem Augenblick, da der Zug sich in Bewegung setzte, oben im Kirchturm die Glocken anfingen zu läuten. Der Küster hatte sich anfangs geweigert, für einen Lutherischen läute er die geweihten Glocken nicht.

»So lasse nur den Strick aus, damit ich läuten kann«, hatte der Pfarrer gesagt.

Nein, das täte sich doch wohl nicht schicken, meinte der Küster und läutete selber. Der Pfarrer aber schloß sich dem Leichenzuge an und als am Grabe der Pastor das Vaterunser betete, faltete auch er die Hände und betete mit. –

Wo ist das geschehen? In einem Tale des Oberlandes steht ein Dorf, dort ist es geschehen. Und wann? Heute nicht, das kannst du dir denken, mein Leser, auch gestern nicht. Es ist schon längere Zeit her, daß so etwas möglich war. Sollte die Kirche wieder einmal christlicher werden, als sie heute ist, dann wird's wieder möglich sein.

 


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