Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Verschwendung und Geiz.

Leuten, die »unsterblich« werden sollen, verzeiht man nicht, wenn sie – leben wollen. Die Deutschen werden ganz aufgeregt, wenn sie hören, daß z. B. ein Künstler für seine Werke auch bezahlt sein wolle. »Künstler dürfen nicht nach Geld streben, sie müssen Idealisten sein.« Daß der Idealismus nicht sowohl in Verzichtleistung auf das Geld sich ausdrückt, sondern vielmehr in dessen richtiger Verwertung, so weit denkt niemand. Der Idealist allein vermag dem Gelde moralischen Wert und ideale Bedeutung beizulegen. Nur ein Beispiel. Das größte gesellschaftliche Gut des Künstlers, des Schriftstellers, ist die Unabhängigkeit, und diese wird am sichersten erreicht durch eigenen Erwerb. Von »Genies« ist man gewöhnt, daß sie Verschwender seien, das – meint man – gehöre zum hohen Schwunge ihrer Genialität. Laß es aber einmal darauf ankommen, o Genie! Solange du das Geld zum Fenster hinausstreuest, bist du ein großer, flotter Geist, sobald du nachher betteln mußt, bist du ein Lump. Wer das Recht, zu leben, beansprucht, der hat die Pflicht, zu sparen. Sind seine Bedürfnisse einfach, und das setze ich bei einem wirklich gebildeten Geiste voraus, und ist seine Haushaltung vernünftig, so wird es nicht schwer fallen, bei auch nur bescheidener materieller Verwertung seiner Talente sich die Existenz zu sichern.

Von diesem Standpunkte aus wäre das folgende zu betrachten. Es handelt auch vom Idealismus, aber von was für einem!

Saßen eines Tages in einem Wiener Kaffeehause mehrere junge Idealisten. Sie sprachen von ihrem Ideal – dem Gelde. Einer von ihnen war Tages-, Wochen-, Monats- und Jahresliterat, er schrieb für Journale, Wochenblätter, Monatsschriften und Kalender; für die Unsterblichkeit schrieb er nicht, weil die schlecht honoriert. Dieser Mann hatte die Bemerkung gemacht, am liebsten schriebe er duftige Novellen: Düngerduft, Moderduft, armer Leute Dunst reize ihn, aber die dummen Leute nennten das Gestank und kauften nichts. So schriebe er, was verlangt werde, über alles, für alle – denn er brauche Geld. Er sei an das Wohlleben der Großstadt gewöhnt, sei willens, die Welt auszutrinken, solange er noch Lebensdurst habe, und das koste ihn jährlich sechzehntausend Gulden.

»Also Sie liefern auf Bestellung,« versetzte ein Zweiter, »und wohl auch Parteistandpunkte, Weltanschauungen und dergleichen.«

»Für Geld Weltanschauungen, meinen Sie?« sagte der eine und tat einen guten Zug, denn sie tranken Sekt. »Parteistandpunkt! Das ist auch so eine moderne Phrase, die sehr schön klingt und nichts sagt. Weltanschauung! Schönen Dank. Das mag was sein für Diogenesse und Klosterbrüder, ich schaue die Welt nicht an, ich genieße sie.« Sein Aussehen war übrigens nicht besonders genußlustig, eher abgespannt, blasiert.

In der kleinen Gesellschaft saß auch ein lyrischer Dichter, der bisher mit Hilfe aller Götter des Olymps Frühling, Mond, Sehnsucht und Liebe besungen hatte; der erklärte nun, er werde ein Theaterstück schreiben, das trage Geld. Ein anderer, der ein mittelalterliches Epos geschrieben und einen antiken Weltweisen übersetzt hatte, gestand ein, daß seine bisherige Tätigkeit ihn nicht mehr befriedige, seine Freude sei vielmehr Leben und Verkehr und er habe vor, einen möglichst schwunghaften Knoppernhandel zu eröffnen, an Knoppern sei schon mancher reich geworden. Daneben saß ein berühmter Mime von der »Burg,« der in ein Blatt Papier vertieft war. Studierte er etwa die Rolle eines Grillparzer'schen Stückes? Den Kurszettel studierte er. Der Mann spekulierte nicht mehr auf den Beifall des Publikums, sondern auf Hausse und Baisse. Und jeder dieser Idealisten war von seinem Ideal durchdrungen.

An der Tafelrunde befand sich auch ein Poet aus der Provinz. Das war erst der richtige. Statt Sekt trank er Schokolade, statt Havannas zu rauchen, knusperte er Butterkipflein. Und wurde dabei ganz vorlaut. »Meine Herren,« sagte er, »in Geldsachen machen Sie! Aber von Geldsachen verstehen Sie nichts. Sie wollen Geld haben.«

»Nein, nein, wir wollen nicht Geld haben, wir wollen Geld ausgeben!« So unterbrach ihn der Sechzehntausendsassa.

»Aber natürlich nicht einpökeln!« lachte der Provinzler. »Freilich ausgeben. Nur sind die Herren sehr schlechte Kaufleute, sie schaffen für gutes Geld lauter schlimme Sachen an, lauter imitierte Freuden, lauter Talmiglück – O, bitte! Sie kaufen sich um schweres Geld Nervosität, Unlust, Krankheit, Ekel. Ihre Schönheit kaufen sie beim Schneider, ihre Liebe im Bordell. Aus ihrer Wohnung hat der Luxus die Bequemlichkeit vertrieben, der Prunk die Gemütlichkeit. Vor lauter Weltgenüssen haben sie keine Zeit, sich selbst zu genießen, die natürlichen Fähigkeiten zu betätigen, die Harmonie des Lebens zu empfinden, ohne Hetze und Gier heitere Daseinsfreude zu fühlen.«

Der knoppernlustige Epiker drehte sich eine Zigarette und sagte nur schmunzelnd: »Eine ganz niedliche Feuilletonplauderei für die Fastenzeit, die Zeile zu sechs Kreuzern.«

»Ich gebe nichts dafür,« sagte der theaterbeflissene Lyriker. »Solche Sachen waren einst genießbar, und zwar nur in fünffüßigen Jamben.«

Der Sechzehnender wollte dem naseweisen Provinzler noch eins versetzen: »Na und was kaufen denn Sie sich mit Ihrem Geld?«

»Nahrung, Kleider, Wohnung –«

»Au!« unterbrachen sie ihn, »derlei bekommt man ja auf Pump!«

»Auch Bücher, Reisen,« berichtete der Provinzler. »Und was etwa noch übrig bleiben sollte – entschuldigen Sie, meine Herren, das triviale Wort – das lege ich in die Sparkasse.«

»Wie? Wohin legen Sie es?« fragte der Sechzehner.

»In die Sparkasse,« wiederholte der Provinzler.

Der andere beugte sich vor, legte die Hand ans Ohr und näselte: »Ich verstehe immer: Sparkasse! Was ist denn das?«

Der Provinzler war gerichtet. Der Mime fühlte noch ein menschlich Rühren, er wollte ihm aus dem Traume helfen. So rief er ganz erregt: »Die lumpigen vier Prozente der Sparkasse! So kaufen Sie sich doch Papiere, da gewinnen Sie das Drei- und Vierfache!«

Der Provinzler kam sich in diesem Augenblicke sehr klein vor. An Prozente hatte er eigentlich noch nie gedacht, war bloß froh gewesen, sein Ersparnis in gutem Gewahrsam zu wissen.

»In die Sparkasse!« lachten sie, »so sieht ein Poet aus der Provinz aus!«

»Ich habe mir,« fuhr dieser ganz dreist fort, »auch etwas Besonderes angeschafft, die persönliche Freiheit, die Unabhängigkeit. Keines Menschen Knecht zu sein! Eine Wonne, nicht nach Gunst und Beifall streben zu müssen, als Schriftsteller ganz nur seine eigene Natur ausleben zu dürfen! Ein ganzer Mensch sein zu können. Endlich auch Garantie auf ein sorgloses Alter, wenn's so weit kommt. Die Leute zollen uns Poeten Gunst und Beifall nur, solange wir ihnen recht sind und nichts kosten. Da finden sie es sogar großartig, wenn der Poet das Geld auf die Straße wirft, – damit sie es aufheben können. Kommt jedoch die Zeit, da sie ihm Almosen geben müssen, dann hört die Begeisterung für seinen Idealismus auf. Er hätte sparen sollen! Er hätte sich bei seinen Fähigkeiten schon was zurücklegen können! Er hat für sich selbst nicht gedacht und nun sollen andere für ihn denken! Jeder hat für sich zu sorgen und der Herr soll von seinem Idealismus jetzt nur etwas herabbeißen.«

»Wenn es mir einmal so schlecht geht,« sagte der mit den sechzehntausend Gulden Jahreseinkommen, »dann halte ich mich eben an mein Ideal.«

»Und welches Ideal ist das?«

»Die Bleikugel.«

»Die Bleikugel ist vielleicht der beliebte Schlußpunkt für verlorene Ehre oder dergleichen, aber nicht für Armut«, sagte der Provinzler. »Ich glaube nicht, daß es ungereimt ist, wenn der Poet so viel Stolz hat, daß er niemandem zur Last fallen will. Dieser Stolz vermehrt die Poesie des Daseins. Die Unabhängigkeit des Dichters wird ohnehin selten genug erreicht. Es darf ihm nur passieren, sich zu verlieben – und bei Poeten ist das gar nicht ausgeschlossen – und die Geliebte zu heiraten – mein Gott, das kann bei den anständigsten Leuten vorkommen –, und die Sorge ist da. Nirgends kehrt der Storch lieber und häufiger ein als bei Poeten, nirgends findet er auch eine willigere Aufnahme.«

»Das ist Luxus,« rief der knoppernde Epiker, »den ich mir nicht leisten möchte. Zum Kuckuck! Der Dichter muß die Liebe nur an der Honigseite genießen, die andere soll er den Philistern überlassen, verstehen Sie mich? Es gibt Ehepaare, die der Poesie eine gewisse Loyalität entgegenbringen, verstehen Sie mich?«

»Auch wenn Sie weniger deutlich wären; es ist kinderleicht zu verstehen«, meinte lachend der Provinzler, »na, zu solcher Poesie braucht man freilich keine Sparkasse. Aber, meine Herren, ich bitte schon um Entschuldigung, ich bleibe beim alten Philisterbrauch. Ein einfaches Haus, ein treues Weib, recht viele Kinder –: Das ist doch ein unschuldiges Vergnügen.«

»Und ein kostspieliges!« lachte der Sechzehntausendsapperment.

»Kaum ein Dritteil so kostspielig als das Ihrige, von dem ich zwar nichts kenne als den hohen Preis.«

»Ja wohl,« sprach der Mime mit seiner schönen Stimme, »die Preise sind hoch und Geld ist ein Unglück, wenn man keins hat.«

»Und noch ein größeres für den, der davon zu viel hat,« entgegnete der allezeit einfältige Provinzler. »Bei den Armen sehe ich den Segen des Geldes, bei den Reichen dessen Fluch. Das Geld richtet sich ganz nach der Hand, in der es liegt, wirkt in dem Sinn des Besitzers Gutes oder Schlechtes. Nach der gegenwärtigen Welteinrichtung ist das Geld eben unser sechster Sinn geworden und unsere praktische Güte. Was nützt dem Menschen sein Mitleid, wenn er kein Geld hat, um es zu betätigen? Was nützt dem Mann seine Genialität, wenn er keine Mittel hat, sie zu realisieren! Im Besitze des Strebenden wird das Geld zur Kraft, im Besitze des Edlen zur Tugend –.«

»Und bei mir wird es bloß rasch zum Eigentum eines anderen,« lachte der Sechzehntausender, »mir macht es eben Spaß, das Geld unter die Leute zu werfen, das ist so flott, so chevaleresk. Und es erwirbt sich spielend wieder.«

»Natürlich, wer für Geld zu haben ist, für den ist auch Geld zu haben.«

»Altvaterslogik, Provinzlermoral!« warf der Epiker leicht hin, von seiner Zigarre die Asche an der Tischecke abstreifend.

»Sie ist sehr hinderlich, meine Herren, diese Provinzlermoral,« sagte der einfältige Poet. »Man bringt's damit zu nichts Erklecklichem. Was ein Mensch sich verdienen kann, das führt durch langjährigen Fleiß höchstens zur bürgerlichen Wohlhabenheit. Reich macht nicht das Verdienen, sondern das Gewinnen. Gewinnen kann nur einer, der spielt, das Spiel aber ist lumpig. – Ich denke, der Besitz eines Menschen muß im Verhältnisse stehen zu seiner Persönlichkeit, sonst pflegt es schief zu gehen. Was er durch persönliche Fähigkeit und Arbeit erwirbt oder erworben hat, das ist ihm angemessen und ersprießlich. Das Weniger macht ihn mangelhaft, das Mehr bringt ihn leicht aus dem Gleichgewicht. Ich halte es nicht für sittlich, auf das, was einem gebührt, großmütig zu verzichten, um dann auf Wohltaten anderer angewiesen zu sein. Jeder bestehe stramm auf dem vollen Lohn seines Verdienstes und richte es sich so ein, damit auszukommen.«

»Ganz hübsche Grundsätze eigentlich,« sagte nun der Sechzehntausender, »aber so fleischlos, so platonisch – und derlei ist mir zuwider.«

»Ich habe mir aus dem Erfolg dieser platonischen Grundsätze ein Haus gebaut,« gestand der Provinzler.

»Was, ein Haus?« rief der Lyriker; »ja, kann man sich denn überhaupt so viel ersparen?«

»Dichterphantasie,« warf der Sechzehntausender hin.

Zu diesem wendete sich nun der Provinzler. »Gestatten nun auch Sie mir eine Frage. Seit wie lange nehmen Sie schon Ihre Sechzehntausend ein?«

»Was weiß ich? Seit zehn oder fünfzehn Jahren. Früher hatte ich mehr. Bin nämlich der Sohn eines großen Handlungshauses. Umgeworfen. Mußte trachten, meinen Unterhalt kümmerlich zu verdienen. Zum Glück Protektion.«

»Wenn Sie das Überflüssige Ihres kümmerlichen Verdienstes allemal in die Sparkasse gelegt hätten, so könnten Sie jetzt ein Ringstraßenpalais kaufen.«

Der Sechzehntausender war auf einmal zerstreut geworden. »Der fatale Marqueur!« murmelte er, auf diesen hinlugend, »dieser argwöhnische Blick! Er scheint mich nicht zu kennen.«

»Vielleicht das Gegenteil,« scherzte der Mime.

»Faule Witze. Pumpen Sie mir lieber.«

Der Provinzler war mittlerweile ganz niederträchtig geworden. »Pumpen möchte ich Ihnen nichts,« sagte er, »verkaufen Sie ein bißchen Charakter!«

»Charakter? Wenn noch davon vorhanden, sehr gern.«

»Da hier! Da liegen fünf Gulden. Eine horrende Summe. Sie gehört Ihnen, wenn Sie jetzt auf der Stelle etwas behaupten, wovon Sie nicht überzeugt sind!«

»Pah, überzeugt sein!« rief der Sechzehntausender hitzig, »Überzeugung, das ist auch so ein hohles Schlagwort. Meine Überzeugung ist, daß der befrackte Kerl dort einen Spektakel anrichtet, wenn ich die drei Flaschen Röderer und die Zigarren nicht bezahle. Die fünf Gulden des Bruders in Apollo dürften zu wenig sein, doch ich nehme sie.«

»Diese fünf Gulden, lieber Meister,« sagte der Provinzler, »sollen nur eine kleine Erkenntlichkeit sein für das Vergnügen, das Sie mir bereiten, wenn Sie zugeben, daß Sie ein Lump sind.«

Der andere stutzte einen Augenblick, dann lächelte er gutmütig und murmelte in den Tisch hinein: »Lump! Es dürfte stimmen. Auch Erzlump – aber dafür müssen Sie zehn Gulden geben.«

»Lassen wir die Torheiten, meine Herren,« sagte nun der Mime mit der schönen Baßstimme. »Die Zeche ist bezahlt. Färben wir uns nicht noch schwärzer, wir sind schwarz genug. Der Herr Kollege aus der Provinz verzeihe schon: es ist in der Großstadt nicht alles Korruption, was nach Lumpen riecht, und es ist in der Provinz nicht alles Idylle, was zwischen Veilchen steht. Geld regiert und ziert und verführt die Welt dort wie hier. Geld ist Blut, und ohne Blut kann man nicht leben. Blutarm zu sein, ist kaum schlimmer, als blutarm zu sein. Gottlob, der Herzschlag der Börse ist frisch, Lombarden stehen auf hundertundvierzig.«

»Sapperlot!« rief der Provinzler, »der Puls geht hoch. Fieber! Delirium!«


Dieses Gespräch hat mich damals nachdenklich gemacht. Wäre ich jener Provinzler gewesen, ich hätte mir wahrscheinlich dasselbe gedacht wie er. Aber gesagt hätte ich's nicht. Zwischen den übermütigen Großstadtgeistern nahm es sich doch gar zu altväterisch aus. Jetzt, gegenüber dem ernsthaften Leser, kann ich die Sache weiter spinnen. Das Geld selbst, dächte ich, ist nicht so schlimm, wohl aber manche Folgen des Geldbesitzes: den Verschwender haben wir gesehen; wirft er den glänzenden Mantel ab, dann armer Schlucker. Doch ist das Gegenteil von Verschwendung besser? Ist der Geiz nicht etwa noch schlimmer? Prüfen wir ein wenig. In der Künstlerwelt dürfte der Geiz schwerlich seinen richtigen Typus finden, da müssen wir schon ins allgemeinere ausschauen.

Es gibt manche Erscheinungen der menschlichen Seele, die nicht zu verstehen sind, Laster, an denen man keinen Grund und Zweck sieht; sie bringen nichts als Leiden, sind die Urheber unendlicher Widerwärtigkeiten; wir hassen sie, und doch neigen wir zu ihnen hin, und doch geben wir uns ihnen gefangen und schauen gleichsam mit Wollust unserem Unterliegen und Untergange zu.

Von den unbegreiflichen das unbegreiflichste Laster ist der Geiz: es ist, wenn schon nicht das schlimmste, so gewiß das dümmste. Jedes andere bietet mehr oder minder einen sinnlichen Genuß; selbst den gierigen Haß, den heißen Zorn nehme ich nicht aus, sie hitzen das Blut, sie geben der Seele eine dramatische Bewegung. Der Geiz jedoch bringt nur temperamentloses Hinbrüten, Entbehrung, Sorgen, Angst, mehr als die tiefste Armut es vermag. Es gibt Leute, die, solange sie nur wenig Geld haben, zum Genießen aufgelegt, ja Verschwender sind. Kommen sie zu viel Geld, so werden sie geizig und fangen an, sich alles zu versagen. Das erste ist zu verstehen, Geldarmut benimmt den Mut, zu sparen; was der Tag bringt, soll des Tages eigen sein, man lernt, nichts zu haben und doch zu leben. Warum aber will der Reiche noch reicher sein? Warum wird es ihm so schwer, ein weniges von seinem Gelde wegzunehmen? Warum fürchtet er sich so sehr vor der Armut, da er doch so gründlich vor ihr gesichert ist, oder vielmehr, da er als Geizkragen doch ohnehin so tief in Armut lebt, keine Bedürfnisse hat und sich so kindisch wohl fühlt in Entsagung? Ist die wirkliche Armut denn noch schlimmer? Seine größte Pein ist gerade das, was er am leichtesten tun könnte: das Geben. Aber nicht etwa, weil er anderen die Sache nicht gönnte, als vielmehr, weil er sich von ihr nicht trennen kann. Man könnte in der Tat sagen, der Groschen Almosen, den der reiche Geizige gibt, ist verdienstlicher als der, den der Arme reicht, denn der Geizige tut es mit weit größerer Selbstüberwindung.

Ein alter kinderloser Mann ist Besitzer von vielen hunderttausend Gulden, er hütet das Geld wie seinen Augapfel, ja noch weit sorgfältiger. Man kennt ja die Geschichte von jenem Harpagon, der sich den Star nur an einem Auge stechen ließ, um bei dem zweiten, das ja reiner Luxus ist, das Operationshonorar zu ersparen. Ein Spaßvogel sagte: Der Geizige nimmt nichts und seine größte Freude ist das Geben; er nimmt nichts von seinem Gelde und gibt immer nur dazu. Warum? Fürchtet er denn, daß er einmal könnte darben müssen? Darben muß er ja aber jetzt schon, weil er sich nichts gönnt. Will er sein Gut im hohen Alter verzehren? Wie alt will er denn werden? Sieht er nicht jeden Tag die Leute dahinsterben zur Rechten und zur Linken, und wie sie ihr Gut und Geld verlassen müssen, wie die Erben darum raufen, den Erblasser verlachen, vielleicht gar verfluchen? Will er denn eine Ausnahme machen und ewig leben und sein Geld ewig sich vermehren sehen? Kaum ertragen kann er den Gedanken, sein Geld könnte einmal zu irgend einem Zweck verwendet werden; es soll immer Geld bleiben und nichts als Geld, es soll immer sein bleiben und nichts als sein, es soll immer wachsen und nichts als wachsen. Wenn es noch Silbertaler oder Dukaten wären, wie in der guten alten Zeit, daß seine dürren Finger wühlen könnten im klingenden Metall, sein Auge sich freuen könnte an den Gebilden und dem Glanz, – das wäre noch Sinnengenuß. Aber statt dessen hat er heute in seinen Mappen lauter verknitterte, verschmierte Papiere, wovon hundert Stück tatsächlich nicht einen Messingknopf wert sind. Diese Wische sind gar kein Geld, sie sagen dem Besitzer nur, wie viel Geld er irgendwo gut hat, wie viel Vermögen ihm jederzeit zur Verfügung steht. – Vermögen! Wozu! Nur um es zu haben, nur um sich vorstellen zu können: dies und das wäre ich im stande, wenn ich wollte, dies und das könnte ich haben, wenn ich wollte, schaffen, wenn ich wollte! Er will aber nicht. Ihm ist das Habenkönnen lieber als das Haben selber. Der Geizige ist demnach ein ganz idealer Mensch. Für ihn hat das Geld keinen realen Wert, nur einen eingebildeten.

Ich aber frage im Ernst: wie kommt ein auch nur halbwegs vernünftiger Mensch dazu, so zu denken und zu fühlen, sich in ein so eminent unpraktisches Verhältnis zu setzen zum Gelde? Wie mag das nur vor sich gehen in so einer armen Seele? Der Mann war arm; gut, er hatte nichts zu verlieren und lebte leidlich anständig; er teilte nur mit fast allen Staubgeborenen den Wunsch nach Geld, dem Bringer aller Genüsse. Ganz recht. Endlich ist das Geld da, natürlich macht ihm die Erfüllung seines Wunsches Freude. Nun kommen Leute, die etwas von ihm haben wollen, geschenkt oder erworben. Ja, zum Satan, wenn er's wieder hergeben soll, wozu hat er's denn bekommen? Dann wäre wieder die alte Geschichte, ja eine schlimmere, denn ein arm gewordener Reicher ist weit schlechter dran, als einer, der den Reichtum nie gesehen hat. Darum muß der Armut jetzt mit doppelter Vorsicht ausgewichen werden. Daß mit dem Besitze die Bedürfnisse zu wachsen pflegen, und zwar in rascherem Schritte, als der Besitz selbst, das hat er auch gehört, also Vorsicht, Vorsicht! Und fest hält er das erraffte Gut zusammen.

Geiz ist das Laster des Alters. Es wäre doch verständlicher, wenn die Jugend sparen wollte für die Zukunft, in der sie gewiß sehr viel brauchen wird. Aber nein, der Jüngling genießt, der Mann schafft, der Greis spart. Weil der Greis keine Tatkraft mehr hat, so muß er seine Stütze im Geld suchen. Wer Geld zusammenscharrt, der fühlt sich seiner Tüchtigkeit nicht sicher. Darum ist das Genie im Gefühle seiner Ur- und Überkraft oft so verschwenderisch. Das Genie ist ja so reich, so mächtig, hat so viel Überfluß an Existenzbedingungen, daß ihm das Geld, das Krämermittel, nichtig und verächtlich erscheinen muß.

Oder ist beim Geizigen der bei so vielen Leuten mächtig entwickelte Sammelsinn mit im Spiele? Warum soll es nicht auch Münzen- und Banknotensammler geben? Es wäre verständlich. Allein der moderne Geizhals sammelt weder Münzen noch Banknoten; er erwirbt sie zwar, gibt sie aber fort, legt sie auf Zinsen an, sammelt Ziffern, nichts als Ziffern, um daraus eine möglichst hohe Ziffer zu gewinnen. Nach abwärts ist die Vielheit begrenzt, nach aufwärts geht sie ins Unendliche. Der Sparer wird nie fertig, der Geizige kann niemals genug haben. Eine Million! Was ist erst die Einheit der Millionen, es gibt Leute, die deren Hunderte haben! Und immer so fort, – armer Narr, der sich so foppen läßt!

Großer Besitz bringt auch noch eine andere Qual: er mehrt die Furcht vor dem Tode. Niemand wünscht unter aller Gebrechlichkeit und Genußlosigkeit so sehr zu leben, wie der Geizige, und niemandes Tod wird heißer ersehnt als der seine. Wenn er bedächte, wie sehr er seinen lieben Verwandten im Wege steht, wie sehr alle Glückwünsche, die zu Neujahr, zum Wiegenfest und zum Namenstage ihm langes Leben zurufen, das Gegenteil bedeuten! Alles kauft der Geizhals sich um sein Geld, nur nichts Gutes; alles erwirbt er damit seinen oft prozessierenden, tückischen Erben, nur nichts Gutes.

Vor Jahren lebte in einem Industrieorte Obersteiermarks ein Hammerschmied, der es zu großem Vermögen gebracht hatte. Seine Söhne wollten etwas lernen, der Vater sagte, er hätte auch nicht studiert und wäre doch gut gefahren; sie wollten reisen, das aber kostete Geld; sie mußten daheim bleiben und gleich anderen Schmiedegesellen arbeiten. Die Töchter waren Dienstmägde; die Mutter war's ja auch gewesen, was wollten sie denn anderes? Sie wollten doch anderes. Wissen, wie reich man ist und wie die Zeit genußlos vergeht, das ertragen junge Leute nicht. Durch Finten und Vorstellungen, durch Bitten und Trotzen suchten sie ihn zu bewegen, – vergebens. Der Alte saß auf seinem Geldsack wie angeschmiedet und gab nichts heraus. Ein roher Krieg wurde geführt zwischen Vater und Söhnen; diese ließen endlich die Arbeit liegen und stehen, lungerten herum und machten Schulden. Der Alte ließ sie mit Gewalt in die Schmiede führen und erklärte öffentlich, für seine Kinder keinen Groschen weiter zu zahlen. Auf einmal änderten sich die Söhne und der Vater glaubte schon, er habe es durchgesetzt. Sie murrten nicht mehr, sondern schwangen fleißig den Hammer, gegen den Vater waren sie nachgiebig, geschmeidig, und redeten herum, was sie eigentlich doch für einen guten Vater hätten, nur behandeln müsse man ihn können. Eines Tages wurde der alte Hammerschmied im Teiche gefunden. Ertrunken. Sie hatten ihn »behandelt«, nun war er ein guter Mann. Von den Söhnen hat nur einer die achtzehnjährige Kerkerhaft überlebt und der streicht noch heute gemieden und verkommen durch das Land. So viel Elend ist angeschafft worden mit dem Gelde, das der Alte so sorgfältig gespart hatte.

Besser glückte es jenem Bauer Fock. Der hatte um zweitausend Gulden Silbergeld, das tat er in einen eisernen Topf und vergrub es unter den Ahornen in die Erde. Nach Jahren, als er den Topf aushob, um einmal nachzuschauen, wie es den lieben Schimmeln gehe, war das Silbergeld weg. Hingegen lag im Topfe ein Sparkassenbuch auf zweitausend Gulden. Das hatte sein Schwiegersohn getan und die also gewonnenen Zinsen heimlich für sich benützt. Derselbe Bauer Fock soll von seinen Knechten verlangt haben, bei der Weinlese stets zu pfeifen; wer pfeift, der kann nicht Trauben naschen. Dafür stahlen sie ihm in der Nacht die vollen Fässer.

Der Geizige hat übrigens auch schöne Vorzüge, die schon der Volkswitz gebührend zu würdigen weiß. Er wird z. B. nie in das Laster der Völlerei verfallen, außer als Gast bei einem anderen. Er wird nie die Dienerschaft durch Trinkgelder demoralisieren. Er wird nie ein Gigerl sein, sondern in der ehrsamen Tracht seiner Väter würdig durch die Straßen wandeln. Er wird nie Schulden machen, außer es sind dort keine Zinsen zu zahlen, während das dann weiter verborgte Geld ihm Zinsen trägt. Er wird im Zorne sich stets weise bezähmen und nie einen Spiegel zerschlagen. Er wird sein Weibchen stets auf den Händen tragen, um ihm die Schuhe zu ersparen. Der Geizige ist ein Muster der Demut: er mag noch so viel haben, immer wird er bescheiden sein, immer wird er von seinen »sauer erworbenen paar Groschen« sprechen, wenn er es nicht vorzieht, ein Bettler zu scheinen. Für keinen ist es so süß, Bettler zu sein wie für den, der heimlich seine vollen Truhen hat.

Manchmal wird Geiz mit dem Bestreben nach Gelderwerb verwechselt. Das ist falsch. Der Erwerbssinn kann sittlichen Gründen entspringen, wie schon eingangs angedeutet worden ist. Den Weisen macht das Geld frei, den Toren bringt es in die Sklaverei. Man pflegt das Bestreben nach Ehre für edler zu halten als das Bestreben nach Geld. Es ist erst die Frage, ob das immer seine Richtigkeit hat. Mit der erworbenen Ehre kannst du nichts machen, als deiner persönlichen Eitelkeit schmeicheln. Mit dem erworbenen Gelde kannst du auch anderen Gutes tun. Die Ehre kommt dann von selbst.

Schlimm ist es, wenn man dich für reicher hält, als du bist, denn dann kann die notgedrungene Sparsamkeit für Geiz ausgelegt werden. Fruktifizieren kann das »für reich gehalten werden« nur der Geschäftsmann, denn Kredit gibt Kapital, trägt Zinsen, macht tatsächlich zum reichen Manne. Vom Geschäftsmann verlangt auch kein Mensch, daß er besonders wohltätig sei, er kann ja »nichts aus dem Geschäfte ziehen«. Die großen Wohltaten werden nur von dem verlangt, der kleine zu leisten vermag und geleistet hat. Von einem, der fünf Gulden herschenkt, sieht man es schwer ein, warum er nicht zehn gibt. Nichts ist so sehr geeignet, jemanden in den Geruch eines Knickers zu bringen, als wenn er im Wohltun ungleichmäßig ist. Die Bittsteller, die weniger bekommen als andere, oder einmal gar nichts, werden den Geruch schon besorgen.

Betrachte das Geld, das du besitzest, nicht als dein ausschließliches Eigentum; in den meisten Fällen ist es das nicht, am wenigsten beim Geizhals. Denn dieser – ich wiederhole es – besitzt das Geld nicht, sondern wird vielmehr vom Gelde besessen. Es ist ihm wie angetan, er selbst muß in ödester Wüstendürre leben, muß Geld graben und scharren, und zwar für den Zweck, den er am meisten haßt –: für andere, für Verschwender, für lachende Erben.

 


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