Peter Rosegger
Das Sünderglöckel
Peter Rosegger

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Testamentmachen.

Lieber Leser! Bist du reich oder arm, einen Kasten besitzest du jedenfalls. In diesem Kasten birgst du vielleicht den Kern deiner Habe und in diesen Kasten läßt du ein unberufenes Auge so leicht nicht blicken.

Nun bedenke es. Das erste, wenn du eines Tages gestorben bist, wird sein, daß Leute kommen und diesen Kasten öffnen. Du bist noch nicht kalt, und schon strecken sie die Hand aus nach deiner Hinterlassenschaft. Es mag wohl sein, daß deine hinterbliebene Familie ein anderes Anliegen hat, als jenes, dein Geld und Gut unter sich zu teilen, daß sie von solchem brutalen Angriffe auf dein bisheriges Eigentum nichts wissen will, wenigstens am ersten Tage nicht. Aber die Deinigen müssen! Sie müssen hastig deine Kasten und Laden durchkramen, um deinen letzten Willen zu suchen, um zu wissen, wie du dein Leichenbegängnis wünschest, was du sonst zu sagen hast, denn nie ist das Verlangen nach einem Worte von dir so groß, als zur Stunde, da du den Mund für immer geschlossen hast. Außerdem ist auch das Gericht da. Das Gericht muß feststellen, was vorhanden ist, muß im Namen des Staates die Hinterlassenschaft sichten, die Erbangelegenheiten nach dem Gesetze einleiten und für etwaige minderjährige Erben die Vormundschaft antreten.

Man sucht nun nach einem Testamente, die Hinterbliebenen aufgeregt, weinend, der Gerichtsbeamte kaltblütig und gelassen. Und ein Testament ist nicht zu finden. Sind die Verhältnisse sehr einfach und geregelt, so wird der Mangel eines Testamentes unschwer verwunden und die Dinge nehmen den Verlauf des Herkömmlichen. Aber auch selbst dann noch welche Wohltat, wenn man einen Zettel findet. Da schreibt ein Arbeiter: »Von meinem Gewand soll die einfache Bestattung bezahlt werden; die silberne Uhr gehört meinem Bruder Anton. Der N. N. ist mir drei Gulden schuldig gewesen, sie gehören sein, soll einmal ein paar Vaterunser für mich beten. Sonst habe ich kein Guthaben und keine Schulden.« Ein hochehrenwertes Testament!

Aber zumeist findet man keins. Es ist eine merkwürdige Schwäche der meisten Menschen, daß sie in gesundem Zustande kein Testament machen wollen. So sehr hängen sie an ihrem irdischen Gute, daß sie sich nicht einmal im Gedanken von ihm trennen mögen. Sie wissen es recht gut, daß das Testament erst nach ihrem wahrscheinlich sehr späten Tode Giltigkeit bekommt, daß sie bishin über ihr Vermögen voll und unumschränkt verfügen können, auch wenn es im Testamente mit Unterschrift, Kreuz und Siegel anderen vererbt ist; sie wissen auch, daß sie das Testament nicht aus der Hand zu geben brauchen, es jederzeit beliebig abändern oder aufheben können, kurz, sie wissen, daß das Testament sie für Lebzeiten zu nichts und gar nichts verpflichtet – und trotzdem können sie sich nicht entschließen, ein Testament zu machen.

Die Freunde und Verwandten ahnen es, sehen die Unannehmlichkeiten und Zwistigkeiten und Prozesse voraus, aber sie dürfen es dem alten Manne nicht nahe legen, sonst argwöhnt er auf eigennützige Triebe und daß sie ihn schon gern beerben möchten. Da wird sich freilich wohl jeder hüten, auf die Abfassung eines letzten Willens anzuspielen. Bisweilen ist es so: der Familienvater möchte für den Fall seines Todes seinen letzten Willen äußern, aber sein Weib will davon nichts hören: Gott, nein, nur von so was nicht reden! – Es ist eine falsche Sentimentalität. Der Vater schweigt. Plötzlich ist der Tod da und mit ihm die Verwirrung. Statt des gehofften Vorhandenseins von Bargeld melden sich Gläubiger, manchmal Gläubiger, die man längst für bezahlt hielt; aber es fehlen die Quittungen. Es stimmt nicht mit gelegentlichen Äußerungen, die der nun Verstorbene getan. Verschiedene Hausgenossen und Verwandte erklären dies und das, was sonst der Verblichene besessen, als ihr Eigentum. Einer zeiht wohl gar heimlich den andern, das Testament, oder Bargeld, oder Wertpapiere unterschlagen zu haben, es fehlt jeder tatsächliche Anhaltspunkt über den Stand des Vermögens, und die Situation ist eine überaus peinliche.

Ich will weitere Verwirrungen und Irrtümlichkeiten, Unrecht und Feindschaften nicht andeuten, die aus Mangel eines Testaments so oft zu entstehen pflegen. Nicht selten wird durch das Versäumnis die Harmonie der Familie zerstört und ein endloses Zerwürfnis verursacht.

Und woher die lächerliche Abneigung vor dem Testamentmachen? Der Ursachen gibt es viele. Die eine, der widerliche Gedanke auf das Verzichten ist schon angedeutet worden. Eine andere Ursache ist, daß viele nicht klaren Einblick in ihre Vermögensverhältnisse haben oder nehmen wollen. Da wäre Unordnung, Zerrüttung vorhanden, sie mögen gar nicht daran rühren und lieber sich und andere in der vagen Vorstellung eines Vermögens wiegen, das vielleicht gar nicht vorhanden ist. Sie vergraben wie der Vogel Strauß ihr Haupt in den Sand, wollen nichts sehen, und nach ihrem Tode sollen die Nachfolger selber schauen, wie sie in Ordnung kommen. »Nach dem Tode«, das ist ihnen überhaupt ein unfaßbarer Begriff, der sie weiter nicht kümmert.

Mancher Hausvater weiß freilich wohl, wie es mit seinem Vermögen steht, will aber die Seinigen nicht aus ihren Himmeln reißen und während sie schon so viel als Bettler sind, genießen sie fröhlich das Leben und hoffen munter auf eine gute Erbschaft. Da wird so ein Mann sich freilich schwer entschließen zu einem Testament, in welchem nichts stehen könnte als: »Mein liebes Weib, meine lieben Kinder, im Namen Gottes vermache ich euch die Schulden. Sonst ist nichts vorhanden.«

Mancher, der sich einer soliden Wohlhabenheit erfreut, teilt den Stand seines Vermögens eben auch nicht gerne seinen Verwandten mit, aus Furcht, durch Darlegung der guten Verhältnisse eine Erhöhung ihrer Bedürfnisse und Ansprüche zu veranlassen, da er doch wünscht, daß das Vermögen einstweilen beisammenbleiben, sich tiefer gründen und die Familie für die Zukunft sorgenlos machen soll. Für einen solchen wäre es leicht, Testament zu machen und schon gar den Seinigen für seinen Todestag wenigstens einen guten materiellen Trost zu hinterlegen.

Der Mangel eines Testamentes ist sonst gewöhnlich ein Zeichen von Mißwirtschaft und Hohlheit in den Vermögensverhältnissen.

Ein weiterer Grund zur Unterlassung des Testaments ist das Grauen vor dem Advokaten. Wozu soll ein fremder Mensch Einblick in meine Verhältnisse haben und sich noch dafür bezahlen lassen? Und daß es ohne Advokaten nicht immer gehen will, davon hat mancher eine leise Ahnung. Es wäre der Mühe wert, eine Sammlung anzulegen von Testamenten, die ohne Rechtsgelehrten entstanden sind und oft die tollsten Unmöglichkeiten enthalten. Von einer Giltigkeit natürlich keine Rede. Mancher enterbt sein böses Weib, sein ungeratenes Kind bei Putz und Stingel, »nicht einen Kreuzer soll's kriegen!« Und das Gesetz vom Pflichtteil wirft seinen letzten Willen über den Haufen. Ein anderer diktiert seinem »Universalerben« so viele Legate für andere vor, daß dem Universalerben nichts weiter übrig bleibt, als die Bestreitung der Kosten, der Steuern und – der Bogen des Testaments. Ein besorgter Vater setzt seinen jüngsten Sohn zum einzigen Erben des Vermögens ein, wenn der Bursche die A. heiratet. Wenn er aber die B. heiratet, dann wird er enterbt. Ein Überkluger nennt sein Testament eine »Schenkungsurkunde«, glaubt damit einer großen Erbsteuer zu entgehen und ladet den Erben eine zehnmal größere Schenkungssteuer auf. Ein Zerstreuter vermacht sein »gesamtes« Vermögen dem A., und sein Haus dem V. Ein Verschämter möchte ein außereheliches Kind bedenken, nennt aber aus Diskretion die Mutter bei einem falschen Namen, so daß der Erbe amtlich nicht auffindbar und nicht annehmbar ist. Und so fort.

Allerdings könnte man im Grunde sagen:

Je gerechter ein Testament ist, je überflüssiger ist es; je ungerechter, je notwendiger, daß es schwarz auf weiß steht. Wenn zum Beispiel alle Kinder eines Vaters nicht zu gleichen Teilen erben sollen, so muß ein Testament sein, ist keins, so erben alle zu gleichen Teilen. So sagt das Gesetz. Andererseits bietet gerade dieses Gesetz die Hand dazu, wenn ein oder mehrere Geschwister zu Gunsten eines Hofübernehmers, das heißt Steuerträgers, im Erbe verkürzt werden sollen. Ein Vater soll schon aus tieferen Gründen bei der Erbschaft oder sonst eines seiner Kinder weder bevorzugen noch benachteilen. Ist eins ungeraten, so ist's ohnehin gewaltig im Nachteil; man mag das Lümperl vielleicht unter Aufsicht stellen, aber man soll es nicht schädigen, denn es hat von seinem Vater ebenso viel Lebensjammer miterhalten, vielleicht mehr, als etwa das andere »brave« Kind. Manchmal ist es gerade das treueste Kind, welches enterbt oder auf den Pflichtteil gesetzt wird. Welch Leid muß es für ein solches sein, wenn es an der Bahre des Vaters erfahren muß: dich habe ich weniger geliebt als die anderen! Hat der Vater, wenn er so ein Testament hinschreibt, eine Ahnung von der Herzensroheit, die in der systematischen Übervorteilung liegt? Und können die praktischen Vorteile des begünstigten Kindes je die Bitterkeit des zurückgesetzten aufwiegen? Regelmäßig kommen die unehelichen Kinder eines Erblassers zu kurz. Auch wenn dieser ledig ist und wohlhabend, er aber versäumt hat, ein Testament zu machen, so erben andere, fernere Verwandte oder ganz fremde Leute, oder der Staat, und das leibliche Kind bekommt nichts.

Übrigens, nicht so sehr wie, sondern vielmehr daß du Testament machen sollest, mein Leser, dafür sind diese Zeilen geschrieben. Wegen des Wie mußt du noch einen Sachverständigen um Rat fragen.

Wenn du das Buch nun aus der Hand legst, so bleibe noch eine Weile mit dir allein und denke nach. Denke, du wärest plötzlich gestorben und deine Familie, deine Verwandten, deine Freunde stehen um dich Stummen umher, und dein Eigentum steht und liegt herum, oder ist im Kasten geborgen. Und denke nach, wie mit deinem Willen alles verteilt werden solle, daß du jedem, den du lieb hattest, ein Gutes erweisest und daß keinem ein Unrecht geschehe. Und bist du darüber klar, so setze dich hin und schreibe alles auf, wie du wünschest, daß es sei, und habe für jeden ein Gedenken. Und sei größer als sie glauben. Gedenke nicht bloß solcher, die du liebtest, die dir Gutes getan haben, die dir treu ergeben sind, gedenke auch derer, die dir ein großes Leid zugefügt haben im Leben. Verschmähe den Ruhm, unversöhnlich zu sein, laß es drauf ankommen, daß sie sagen, du hättest doch am Ende noch ein Unrecht gut machen wollen – sammle Kohlen auf das Haupt deines Feindes, und wenn es sein kann, so tue ihm in deinem letzten Willen etwas Gutes. Aber tue es demütig, daß Böswillige nicht als Hohn auslegen, was christliche Liebe ist. So wird dein letzter Wille ein großer Wille sein, ein mächtiger, schöpferischer Wille und du lebest wirkend fort übers Grab hinaus. – Das bedenke und so schreibe. – Und wenn du dabei wärmer und weicher wirst, als du selber geahnt, gleichsam, als ob es ein wirklicher Abschied wäre, so schadet dir das gar nicht. Du kannst das Papier dann, was ich rate, einem Rechtsfreund zeigen, oder kannst es ungezeigt in deinem Kasten verschließen. Du hast dein Testament gemacht und wirst deshalb nicht eine Minute früher sterben als sonst, und du bist nicht um eines Schuhnagelswert weniger Eigentümer deines Vermögens als früher. – Und wenn's doch plötzlich Ernst wird, denn wir wissen nicht die Stunde! – um wie viel leichter ist's zu scheiden mit dem Bewußtsein, die weltlichen Angelegenheiten in Ordnung gebracht zu haben. Wie mancher Sterbende öffnet noch den Mund, will sprechen, sprechen, nur noch ein einziges Wort sprechen, und kann nicht mehr – und muß seinen wichtigen Willen unausgesprochen mit ins Grab nehmen. Die wenigsten glauben in ihrer letzten Krankheit noch ans Ende, hätten wohl was zu sagen, verschieben es aber von Tag zu Tag bis zur Stunde, wo sie in der Ohnmacht und Teilnahmslosigkeit des Todes sind.

Von welch selbstloser Liebe zu den Deinigen aber zeugt es, wenn nach deinem Tode freundliche Worte dartun, wie du schon in frohen Lebenstagen ihrer gedacht hast und treu für sie zu sorgen bemüht warst. O Freund, sprich zu deinem Weibe, zu deinen Kindern in jener Stunde, da sie trostlos in dein gebrochenes Auge starren und auf deine erstarrten Lippen. Sprich zu ihnen durch ein Blatt Papier, teile freundlich und gerecht die irdischen Gaben aus, deren du nicht mehr bedarfst und sage ihnen ein Wort väterlicher Ermahnung und labenden Trostes. Solch Scheidegruß schlichtet mehr, als die Leute ahnen mögen, er wird zur Seligkeit dem Sterbenden und zum Segen den Lebenden.

 


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