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18.
Die letzten Ereignisse.

Wie sehr hat sich der Kreis von Menschen zerstreut, in welchem sich unsre Erzählung bewegte. Nach Norden und Süden sind die Einen geflohen, die Andern haben gänzlich diese Welt verlassen, und zwischen Trauer um den Verlust und stiller Hoffnung, sind die Daheimgebliebenen doch weder alle vereint in ihrer Sehnsucht, noch in ihrem Umgang.

Wir haben den Leser seit dem vorigen Capitel schon daran gewöhnt, Sprünge zu machen, und so führen wir ihn denn jetzt über einen noch viel größeren Zeitabschnitt hinweg, während dessen wir ihm die verschiedne Lage unsrer Freunde gleichsam aus der Vogelperspektive zeigen. Denn ein Jahr ist vergangen, und dann noch ein halbes, was in diesen anderthalb Jahren geschehen ist, will ich mit kurzen Worten erzählen, und dann führe ich Euch nach – Heidelberg. Wenn Ihr also begierig seid, bald nach Heidelberg zu kommen, so leset dieses Capitel schnell durch, dann aber ist auch das Buch zu Ende, und was Ihr Euch dann sonst noch Schönes wünscht, das muß Eure Phantasie ergänzen. –

Wie verschieden ist nun der Schauplatz! Da unten im Süden liegt die Weltstadt, der blaue Himmel Italiens breitet sich über die Siebenhügelstadt, glühend liegt die Sonne über den Orangenwäldern und glänzenden, in Rosen versteckten Villen; über den bedeutungsvollen Trümmern der Vergangenheit und über den kahlen Bergrücken, wo mit goldbraunen Stämmen die Fichte emporragt, und durch das melancholische Rauschen, das durch ihre dürren Zweige geht, einen fremden Wandrer an das ferne Deutschland mahnt.

Und dann sehen wir wieder das schattige Pfarrhaus zu Hohenfichte, auf dem Hügel, zwischen Wald und Wiesenthälern, still und friedlich daliegen. Eine liebliche Mädchengestalt geht durch den Garten, schaut über die Hecke nach dem Kirchhof hinüber, öffnet das Pförtchen und setzt sich auf eine Bank unter einem Holunderstrauch. Dort schlägt sie ein Buch auf und fängt au zu lesen. Es ist Sabine – aber wir staunen über die Veränderung, die mit ihr vorgegangen ist. Sie scheint höher und schlanker geworden zu sein, ihre Bewegungen sind von einer Anmut und Leichtigkeit, daß man glauben könnte, hier habe die Alles verändernde Cultur sich als Lehrerin erwiesen, und doch, es ist nichts geschehn, es ist Alles an ihr reine, vollkommne Natur. Eine sanfte Röte liegt auf ihren Wangen, die Augen blicken groß und schön hinaus, ein stiller, ruhiger Ernst, ohne Schwermut, liegt über die reinen Züge ausgegossen.

Sabine waltet, von Allen geliebt, ja verehrt, im Pfarrhause zu Hohenfichte. Sie hilft der Pfarrerin in allen häuslichen Geschäften, aber nicht mit dem Gefühle einer Dienerin, sondern mit dem einer Freundin. Sie beschäftigt sich gern und viel mit den Kindern, geht mit ihnen aus, lehrt sie, spielt mit ihnen, sie beten Sabinen an.

Am liebsten aber beschäftigt sie sich mit dem Pfarrer. Er ist entzückt über des Kindes Gelehrigkeit und sucht ihrer Wißbegierde gern zu genügen und ihr entgegen zu kommen. Als er einst von einem Spaziergange nach Hause kommt, trifft er sie in seinem Arbeitszimmer am geöffneten Bücherschrank, in ein Buch vertieft, stehen. Lächelnd besieht er das Buch, es ist Goethes Hermann und Dorothea. Sie lies't es, und kann nun nicht mehr aufhören zu lesen. Der Pfarrer giebt ihr die Iphigenie, sie drückt ihm dankbar die Hand, als sie es gelesen und sagt:

»Ich gebe es Ihnen noch nicht wieder, ich muß es von Neuem lesen.« –

Oft geht der Pfarrer allein mit ihr spazieren, und dann öffnet sich die ganze Flut ihrer reinen Empfindung, sie vertraut ihm wie einem Vater, denn ihr leiblicher Vater lebt ja nicht mehr für sie. Mit Liebe und Schmerz spricht sie von ihm, der sie verstoßen hat.

Von Erich spricht sie mit aller Hingebung und Sehnsucht, sie hat die feste Ueberzeugung, er werde einst wiederkommen, obgleich seine seltnen Briefe noch keinen Zeitpunkt dafür festsetzen.

Dabei ist sie bemüht, sich allerlei Kenntnisse anzueignen; »denn,« sagt sie, »er will zwar, daß ich bleibe wie ich bin, und wie er es meint, so will ich es auch bleiben, aber ich will so werden, daß ich Alles verstehe, was er sagt, und daß er sich meiner vor Niemand zu schämen braucht!« –

Oft geht sie auf den Kirchhof nach Heimbach. Sie begießt die Blumen auf Johannes' Grabe und bringt frische Kränze dahin, und wenn sie dann an dem Grabe steht und an den fernen Geliebten denkt, ist es ihr, als wehte ein dankbarer, liebevoller Gruß zu ihr herüber.

Zuweilen besucht sie auch das Haus des Doktor Ulrich in der Stadt, wo sie stets mit offnen Armen empfangen wird, aber stets kommt sie mit klopfendem Herzen und in Thränen daselbst an, denn sie muß am Hause des Weinbauern vorüber, zu welchem ihr der Eintritt verboten ist. Einige Mal hat sie Versuche gemacht, ihn zu versöhnen, stets aber ist sie hart zurückgestoßen worden.

Der Weinbauer seinerseits sitzt wie der Tiger in seiner Höhle, starrköpfig, verbissen, vom Morgen bis zum Abend scheltend und hadernd mit seinen Dienstboten. Er scheint ordentlich darauf zu lauern, daß sein Fluch in Erfüllung gehe. Der Pfarrer und der Doktor haben das Ihrige gethan, um seinen Groll zu besänftigen, sie haben nichts ausgerichtet. Aber dieser innere Grimm, der ihn verzehrte, blieb nicht ohne Einwirkung auf seinen sonst so festen Körper, er wurde in kurzer Zeit hinfälliger, ja kränklich, ohne daß sich Jemand unterstehen durfte, darüber ein Wort zu verlieren, und sein bittrer Groll ging mit der Zeit mehr in ein knitterisch mürrisches Wesen über.

Der Mathes ist der Einzige, der die Verbindung Sabinens mit dem Hause des Weinbauern aufrecht erhält, er hinterbringt ihr Alles, was im Hause vorgeht, und obgleich sein Dienst beim Weinbauern kein durchaus angenehmer ist, und er schon oft nach Hohenfichte sich hat verdingen wollen, so bleibt er doch Sabinens wegen in der Stadt, und kommt nur von Zeit zu Zeit zu ihr, um ihr ausführlichen Bericht zu erstatten über den Weinbauern. Er verehrt sie nach wie vor als seine Gebieterin, spricht oft mit ihr von Erichs Wiederkunft, und wie er dann mit ihm zu gehen gedenke in die Welt, auch besucht er oft Johannes' Grab in Heimbach, und begießt die Blumen, die Sabine darauf gepflanzt hat. –

Sehen wir uns im Schlosse Weilburg um, so erhalten wir einen trüben und unbehaglichen Eindruck. Die Familie Weilburg ist ausgestorben, nur eine sehr entfernte Seitenlinie existirt noch, diese lebt in Paris, sie lassen das Schloß, den Park, die ganzen Güter verkaufen, ein reicher Fabrikherr bringt das Schloß an sich. Der Ahnensal wird zu einer großen Rumpelkammer eingerichtet, Familienbilder, altes Mobiliar, Gerätschaften aller Art, mit dem gräflichen Wappen versehen, liegen darin aufgespeichert, dem Staub und den Motten anheim gegeben, während in den einstigen Prachtzimmern die Räder eines großen Maschinenwerks knarren und rasseln. Die betreßten Diener sind verschwunden, Arbeiter mit schwieligen Händen gehen dafür aus und ein, der Park verwildert, nur die Gewächshäuser sind noch in vollem Flor, der einstige gräfliche Gärtner hat sich selbstständig etablirt. – – –

Werfen wir noch einige Blicke hinüber über die Alpen, um auch Erichs Leben zu betrachten. Er lebt still und einsam, ganz in seine Studien vertieft. Sein Zimmer ist schmucklos, ja ärmlich, er könnte sich jede Bequemlichkeit verschaffen, er verschmäht es.

Er vermeidet gern neue Bekanntschaften, und obgleich sich viele Künstler in Rom aufhalten, die er zum Theil auch kennen gelernt hat, geht er doch ihren geselligen Kreisen, wie überhaupt ihrem Umgange aus dem Wege. Er ist Allen ein Rätsel, sie sprechen viel von ihm, die Resultate seiner Studien machen vielfaches Aufsehen unter ihnen, seine Person bleibt ihnen unzugänglich. Man zeigt Zeichnungen und Entwürfe von ihm umher, man bewundert sein Talent, seine großartige Auffassung, und doch gelingt es Keinem, ein näheres Verhältniß mit ihm anzuknüpfen.

Den ganzen Tag über sitzt er emsig über seine Studien, erst wenn der Abend kommt, verläßt er das Haus, durchwandert die Trümmer einstiger Prachtwerke, am liebsten steigt er auf die Hügel und schaut hinüber nach den Apenninen, und schickt seine Gedanken weit fort in sein fernes Deutschland.

Zuweilen macht er größere Ausflüge, wo er dann auch wieder fleißig zeichnet. Auf diesen Wanderungen begleitet ihn meist ein Knabe, in dessen Zügen er eine flüchtige Ähnlichkeit mit Johannes wahrzunehmen glaubt, und dem er den Namen Giovanni gegeben hat. Giovanni trägt ihm dann die Mappe, oder was sonst mitgenommen worden ist. Ruhen sie dann Abends auf einem Hügel unter einer Pinie oder einem wilden Lorbeergebüsch aus und sehen die Sonne purpurn verglühen, dann erzählt Erich dem Knaben von den frischen, dämmernden Eichenwäldern Deutschlands, von seinen grünen Wiesenteppichen, von all dem holden Zauber seiner fernen Heimat. Aber Giovanni glaubt ihm nicht, er denkt sich jenseits der Alpen eine wüste, eisige Wildniß, wo in ewiger Nacht nur Bären und Wölfe hausen.

Die schwarzäugigen Römerinnen aus jener Straße, in welcher Erich wohnt, und aus den Gegenden, die er zu durchwandern pflegt, beneiden den Knaben Giovanni, sie befragen ihn vielfach, was sein Gebieter treibe, und schütteln die dunkeln Lockenköpfe über den schönen und doch so eiskalten und störrischen Deutschen, der gar kein Gefühl für wahre Schönheit habe.

Erich hatte an Zeichnungen, Plänen, Entwürfen und schriftlichen Aufsätzen Mancherlei an eine deutsche Akademie geschickt. Man war darüber erstaunt und überrascht und schrieb ihm, man erwarte ihn mit Freuden zurück, man habe bereits Mancherlei für ihn zu thun, es werde nur von ihm abhängen, auf ihre Anerbietungen einzugehn.

Einen Monat hatte Erich beschlossen, noch in Rom zu bleiben, da erhielt er eines Tages ein Packet Briefe aus Deutschland. Es waren Briefe von Beaten, dem Pfarrer von Hohenfichte und von Sabinen. Erich küßte die geliebten Schriftzüge, die ihm allen Zauberduft der Heimat herüberbrachten. Wie liebevoll schrieben sie Alle! Als er aber an eine Stelle in Sabinens Briefe kam, jauchzte er laut auf.

»Komm zu uns zurück, Erich,« schrieb sie, »es wird Alles gut werden. Der Vater ist von einer schweren Krankheit genesen, Dein Schwager hat ihn dem Tode entrissen, ich selbst bin, trotz alles Sträubens von seiner Seite, nicht von seinem Lager gewichen. Als die Krisis vorüber war und er mich an seinem Bette sitzen sah, hieß er mich niederknieen, er legte seine Hand auf mein Haupt und segnete mich und sprach: Ich vergebe Dir Alles, und wenn Dein Gemal wiederkehrt, will ich der Erste sein, der ihm entgegen geht und Dich ihm zuführt.

Ach, Erich, mir ist so leicht und beglückt zu Mute, ich möchte die Sonnenstrahlen küssen, die mir in das Zimmer fallen, wo ich dies schreibe! Es ist dieselbe Sonne, die Dir leuchtet, könnte sie auch Dir Freude und Trost ins Herz hinein scheinen. Und nun komm zurück, komm bald zurück, ich sehe Dir mit unnennbarer Sehnsucht entgegen, es fängt ein neues Leben für mich an, und bist Du erst wieder bei mir, ach, Erich, wie soll mein Herz all das Glück fassen!«

Was hielt unsern Freund nun noch in Italien zurück? Eilig packte er auf und verließ die Siebenhügelstadt, in wenigen Tagen hatte er die Alpen wieder überschritten. – – –

*

Der Frühling ist gekommen über Deutschland. Die Lerchen singen wieder, die grünen Knospenperlen an den Zweigen brechen duftend auf, rotbäckige Kinder reichen am Wege Veilchen und Primelsträußer umher, und in den Büschen des Thals läßt die Nachtigall ihre ersten Töne erklingen. Die Kirschbäume stehen schon in vollem, duftendem Blütenschnee, und die summenden Bienen prüfen die rötlich dämmernden Zweige der Apfelbäume, ob sie nicht bald die Rosenzeit verkünden wollen. Es dringt ein Odem allumfassender Wonne durch die erwachende Welt, an alle Herzen klopft mit Blumenaugen die Natur und spricht tröstend: Lüftet das dumpfe Haus, lüftet die Herzen, der Winter ist ja vorüber und die goldnen Tage sind wieder gekommen! – –

Auf der Höhe des Heidelberger Schlosses, wo aus den epheuumrankten Nischen des riesigen dicken Thurms die steinernen Standbilder Friedrichs V. und Ludwigs V. von der Pfalz in ewiger Ruhe trauern, und die hohen Linden des Elisabethgartens von viel tausend grünen Flocken übersät, sich im Abendsonnenstrahle baden, hier auf der Höhe steht ein jugendliches Menschenpar, frisch und blühend wie der duftende Frühling rings umher, und schaut wonnetrunken hinab auf das wundervolle weite Land.

Wir sind in Heidelberg! Wißt Ihr, was das heißt: Wir sind in Heidelberg?

Da hebt es sich empor, das Alhambra der Deutschen, der Riesenbau begrabener Geschlechter, die Heidelberger Schloßruine. Gesprengt sind die Thurmkolosse, vom Blitze zerschlagen die stolzen Zinnen, durch alle Fugen drängt sich blühend der Epheu und schlingt sich in immergrünen Gewinden von Baum zu Baum, von Mauer zu Mauer, legt flatternde Laubteppiche in die öden Fensterbogen, umrankt alle Gallerien, hält die morschen, steinernen Götterbilder und Statuen von Kaisern und Pfalzgrafen mit kräftiger Hand zusammen, umwindet die granitnen Säulen, die einst Karls des Großen Palast geschmückt haben, und macht die einstige Fürstenstadt von Palästen zu einem großen, herrlich blühenden Garten. Im Rücken halten die Berge Wacht, von ihrem höchsten Gipfel schaut die Warte des Kaiserstuhls weit in die Länder hinaus.

Blickst Du aber ins Thal hinab – o weide Deine Augen, Wandrer, kein schöneres Bild tritt so leicht Deinen Blicken entgegen. Da kommt zwischen den Bergen des Odenwalds und den letzten Bergrücken der schwäbischen Alb, der grüne Neckar durch die Felsen getanzt und gesprungen, er ist wie berauscht vom goldnen Licht und Duft des Frühlings, er mag die Berge nicht verlassen, und windet sich, immer neu zögernd, in silbernen Schlangenlinien durch die weite Ebne dem Rheinstrom entgegen. Der dämmert aus weiter Ferne, fast verschwimmend her, und hinter ihm, in violenblauer, rosiger Nebelferne, umschließen den Horizont die Höhenzüge des Haardtgebirges.

Welch ein Meer von Sonnenlicht und Duft weht über diese Trümmer hin! Hierher schickt die ganze Welt ihre Abgesandten. Da ist der grämliche, dünnbeinige Krämer von der Themse mit seinem Reisebuche; da ist der genußsüchtige Franzose aus der Maison d'or, da der transatlantische Republikaner, der bärtige Slave, der Abkömmling der Hellenen und des Ostens gebräunte Söhne. Und Alle stehen hier entzückt beschauend und horchen auf die Gesänge der jungen Musenwelt, die, buntfarbig angethan, über den Trümmern ihre Wonne erklingen läßt.

Und haben wir staunend und sinnend jene Bergstadt zerfallener Paläste durchwandert, wo jeder Thurm seine thatenreiche Geschichte, jede zerbröckelnde Statue und jeder Pfeiler seine Erinnerungen hat, wo jede Säule sich aus einer sagenreichen Vergangenheit hervorhebt – dann immer aufs Neue treibt es uns hinunter zu blicken auf die sonnigen Gebreite des herrlichen Landes.

Wenn hier die Dämmrung ihre Flügel über die Gegend breitet, der Abendhimmel, hell glänzend ausgespannt, die ersten blassen Sternenfunken zeigt, dann ist's, als stiege mit dem Rauschen des Neckars die Poesie lebendig aus der Tiefe, wandelte still von Hügel zu Hügel, stiege hinauf zu den Mauerzinnen des Schlosses, zum lang hingebreiteten Altane und hierher zum Vorsprung der Mauer, wo die Linde ihr Frühlingslaub in den Abendlüften badet. Da ist's, als breitete sie die Arme aus und spräche: Laßt die Zeiten kommen und gehen, ernst oder heiter, mit Schwertergeklirr oder mit Freudengesängen, diese Gegend ist dennoch mein, und meine Jünger finden mich stets hier, ihnen zeige ich mein Eigenthum am schönsten. –

Hier auf der Höhe stehen Erich und Sabine, selig umschlungen schauen sie sich an, und schauen sie hinaus, sie fühlen ganz ihr Glück.

Holen wir kurz noch Einiges aus der jüngsten Vergangenheit nach. Das Wiedersehen übergehen wir. Der Weinbauer, Ulrich und Beate, der Pfarrer und der Mathes, alle waren zugegen, als Erich und Sabine einander entgegenflogen. Der Weinbauer war nicht nur besänftigt, er war zufrieden.

In Hohenfichte war eines Tages eine kleine Gesellschaft versammelt, welche auch durch den Regenwurm und die Hambutte verherrlicht wurde. Die Pfarrerin wollte, Sabine solle noch einmal den Myrtenkranz aufsetzen, sie war nicht dazu zu bewegen, aber noch während des Streites erschien der Gärtner von Weilburg und brachte den, wie er sagte, bestellten Blumenstrauß. Niemand wußte darum, und auf die Frage, wer die Bestellung gemacht habe? nannte er den Mathes. Von ihm kamen die Blumen. Sabine nahm eine weiße Camellie aus dem prachtvollen Strauße und befestigte sie in ihrem blonden Har, vor der Brust hatte sie nur eine Rosenknospe von Johannes' Grabe tragen wollen, jetzt aber mischte sie diese unter eine Auswahl aus jenen übersandten Blumen, schmückte sich, und trat so mit Erich zur Gesellschaft. –

Erich war eine Professur der Kunstgeschichte an einer Akademie angeboten worden, er hatte sie ausgeschlagen und es vorgezogen als Baumeister selbstständig zu wirken, wir kennen ihn darin schon, eine praktische Thätigkeit geht ihm über Alles. Er besitzt ein reizend gelegenes Landhaus im Rheingau, dem Mathes hat er daneben einen Weinberg und ein Häuschen gekauft, und dieser ist jetzt, da Erich seine Sabine zum ersten Mal in die Welt führt, bereits an seinem neuen Bestimmungsorte, und richtet Alles zum Empfang ein. Mögen sie glücklich in ihrer neuen Heimat anlangen. –

Von dem Gemäuer zerfallner Burgen sehen wir hinab, wie ringsum aus thaufrischen Thälern der Frühlingsduft mit goldnen Schwingen emporweht. Dort oben hat eine Welt ausgelebt, der Wandrer träumt über Trümmern von der Pracht einer fernen Vergangenheit, während drunten die geschäftige Gegenwart mit ihren Dampfkolossen über Ströme und Eisenschienen dahinbraust. Der lebendige Ruf der Gegenwart ist das Gebieterwort, das mit unbedingter Gewalt die Kräfte der Natur aus dem Schlummer rüttelt, das auch aus der Menschenbrust Kraft und Schaffensdrang hervorlockt.

Um zerfallene Burgen drängt sich eine sprossende junge Pflanzenwelt; neben dahinsinkenden Geschlechtern der Vorzeit, deren einstige Kraft aufgerieben ist im Kampfe der Leidenschaften, vermodert im Wahn und Aberglauben, steigt das junge Leben der Gegenwart empor, frisch, kräftig, von der Natur erzogen, wie ein Handschlag des Himmels, für kommende kräftige Geschlechter.

Auf den grünen Rasen geliebter Gräber fällt eine Thräne, der lebendigen Welt aber gehört die Lebenskraft, die im Kampfe sich losringen soll aus den Fesseln des Wahns, und mit Selbstvertrauen wirken soll am großen Werke: der Wahrheit näher zu kommen und der Natur.

*

Druck von Otto Wigand in Leipzig.


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