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1.
Ueber die Berge mit Ungestüm!

Wanderschaft! Wanderschaft! – Wem, der dich Einmal gekostet hat, geht nicht das Herz auf in frischer, fröhlicher Erinnerung! Die Straßen führen über Berg und Thal, weithin in alle Welt; durchfliegen möchte sie das Herz in ungestümer Lust, aufsteigen wie die Lerche ins ewige Blau des Himmels. Die ernsten Berge locken vielversprechend empor, die heitern Thäler, glänzend in der Thaufrische des Morgens, winken herab; Dörfer und Städtchen dehnen sich behaglich im Sonnenschein; Wiesen, Satenstreifen und das weite Land verschwimmen in träumerischer Ferne. Es duftet der Wald, die Wipfel rauschen wie belebt, und jede Haideblume am Bergeshang kündet buntes jugendliches Leben. – Heda, Wandersmann, wohin geht die Reise? – Dort hinab in's Thal, wo zwischen Obstbäumen und Fliedergesträuch die roten Dächer schimmern. Da hab ich meine Herberge zu Nacht. – Wohl denn, nimm meinen Wandergruß, so gehen wir mitsammen! – Da fängt Einer an sein Leibstück zu singen, gleich sind die andern Kehlen mit gestimmt. Freier und lebendiger klingen die Lieder, wenn sie herausklingen in die frische Eichenluft, in den jauchzenden Wiederhall grün geschmückter Thäler, sorgenlos geboren, sorgenlos mit luftigem Flügelschlag sich dahinschwingend. So tanzen leicht und lebendig die Stunden vorüber, und sinkt die Dämmrung nieder, dann gehen goldne Sterne auf, und bekränzte Kinder des Traums schlingen ihren Reigen durch die Nacht, bis der Morgenruf der Lerche den Erquickten zu neuem Wandern weckt. –

Hinauf zu des höchsten Gebirges waldigen Gipfeln, dem Pfade folgend, der bald über Felsen klomm, bald durch Gebüsch und Gestrüpp sich wand, stiegen zwei jugendliche Gestalten. Beide wandermäßig angethan, den grauen Reisefilz auf dem Kopfe, den Stab in der Hand, stiegen sie fröhlich hinan. In Abendglut sonnten sich die Gipfel der Berge, während ein blauer Nebel ihren Fuß umwallte. Zugvögel badeten sich im goldenen Aether, tauchten nieder in die Schatten, und schwebten wieder empor zum Lichte. So schwangen sich auch die Blicke und Gedanken des Einen der Wandrer, der kühn und leicht, wie die berggewohnte Gazelle emporstürmte, während er mit klarer, wohlklingender Stimme, aus voller Brust eine Art von Gesang rezitirte und improvisirte:

»Streut eure Blüthen über mich, duftende Bäume! Wirf deiner Strahlen bewegliches Gold, allwärmende Sonne, durch spielende Schatten knospenschwellender Blüthenzweige! Zu dir hinauf, durch der Tannen dunkle Nacht, durch Schatten grünenden Laubes, zu dir hinauf, ergrauter Urfels des Gebirges, und wieder hinab zu dir, stillbuschiges Thal, komm' ich geschritten, die dürstende Seele neu zu erquicken! Goldenes Weben läutender Kräfte! Ja ich fühle es, lebendige Frische wogt mir geschäftig um Stirn und Busen!«

»Dsching ratta bum!« rauschte die Stimme des Gefährten dazwischen, den einfallenden Orchestersatz nachahmend. »Dir hat, fuhr er fort, der junge Wein in dem letzten Wirtshause die Zunge auf eine ganz sonderbare Weise gelöst. Fange doch aber lieber ein bekanntes Lied an, das ein vernünftiger Mensch mitsingen kann, denn auf Deine Dithyramben und Rezitative bin ich nicht eingeübt.« – Der Andre aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen, und, indem er einen Buchenzweig auf seinen Hut steckte, fuhr er fort:

»Fernab im Dampfe der Stadt bleibe der Leidenschaften Gewoge! Steigend und fallend, wie wechselnde Flut, rauschet der Völker beweglicher Strom durch finstrer Gemäuer Gemarkung. Wünschen und Hoffen, und der Schranke bindend Gesetz sehen einander in's feindliche Auge, und Schlag auf Schlag giebt Wunde um Wunde. Wenn, übertönt von des Lebens Brandung, draußen das sanftere Wort sich verliert, richtet der Mensch sein enges Haus, richtet im stillen Kreise sich ein. Wem die Natur sein Haus gebaut, dem gab sie selige Kunde, ihres Waltens innig Verständniß. Dem gab sie Freiheit, gab ihm Flügel, über der Wolken luftigen Pfaden zum Quell des Lichts, der ewigen Liebe, leichten Mutes sich hinzuschwingen!«

»Juviwalleralla! und so weiter!« lachte der Andere. »Nun habe ich's satt, singe Du Deine Cantaten meinetwegen den Wolken oder sonst wem vor, und biege Du, wenn Du Lust hast, auch noch um diese Felsenecke, ich nehme den kürzeren Weg und klettere gradeswegs zum Gipfel des Berges hinauf, dadurch schneide ich ein gut Theil des Weges ab, oben warte ich auf Dich.«

Der diese Worte gesprochen hatte, war ein Jüngling von keckem Aussehen. Aus seinem etwas verwüsteten Gesicht sahen ein Par Augen, die, wenn auch Leidenschaft mit vollen Segeln daherrauschend einige Schatten auf die übrigen Züge des Antlitzes geworfen hatte, doch noch feurig und lebendig hervorglänzten. Bei den letzten Worten hatte er seinem Gefährten den Rücken gewandt und verschwand zwischen Gesträuch und Felsgeröll, gradeswegs auf den Gipfel zusteuernd. Sein Gefährte aber nickte ihm zu und schritt auf dem Fußpfade weiter.

Links zu seinen Füßen zog sich eine tiefe Schlucht, einst das Bett eines Stromes, der die Felsen durchbrochen hatte. Jetzt rieselte nur noch ein Bächlein in der Tiefe, Bäume und Strauchwerk ragten mit den Wipfeln empor. Der Wandrer sah empor, weit konnte es nicht mehr sein bis zum Gipfel des Berges, von dem aus man die Stadt erkennen sollte, die heut das Ziel seiner Wanderung war. Und wie er empor sah, lag die ganze Schönheit seines jugendfrischen Antlitzes offen zu Tage. Da war noch kein Fältchen, das als Leichenstein geknickter Frühlingsblumen oder als Wahrzeichen dunklerer Stunden dagestanden hätte, in aller Reinheit und Klarheit lag ein gesundes Rot darüber gegossen, und die ganze Gestalt war ein Bild männlich jugendlicher Kraft und Frische. – Er schritt weiter, erst leise für sich summend, dann lauter nach seiner Art singend und improvisirend:

»Schwebst du schon nieder, trillernde Lerche? In Halmen der Erde hast du dein Haus, und droben auch bist du im Aether daheim! Botin des Frühlings, liebliche Sängerin, sei mir gegrüßt! Fröhlich wie du, mit leichtem Gefieder, will ich dem Morgen entgegengehn, vergessend die finstern Sorgen der Nacht, nur Freude kündend, nur Freude bringend. Ihr Quellen des Lichts, ewigen Morgen strömet, ihr himmlischen, mir in die Sele! daß, wenn der erdegebornen Qualen finstre Bande mich rings umziehn, hoch in reineren Lüften reiner und heller mein Sang ertöne, und wenn vom Bogen der letzte Pfeil haftet im Herzen, singend ich steige zum letzten Mal, freudig verkündend: Erwachet getrost! Es kommt eine Sonne, es kommt ein Tag, heißt ihn willkommen!«

»Ja ja, willkommen, komm nur herauf!« erklang es in der Nähe. Es war nicht der Wiederhall, sondern die Stimme Bernhards, des Malers, seines lustigen Gefährten. »Uebrigens, Erich,« fuhr er fort, indem er ihm entgegentrat, »stelle ich mich wie der Cherub mit dem flammenden Schwerte dir in den Weg, und lasse dich nicht die Aussicht vom Gipfel aus betrachten, wofern du nicht den Rhapsoden ausziehst, du hast nun heute genug geträllert.« –

»Ich bin ja stille,« entgegnete Erich, indem er ihn bei Seite schob, und die letzten Schritte zum Gipfel that.

»Siehst Du,« sagte Bernhard, »ich habe hier schon Bekanntschaft gemacht, ich stelle dir hiermit einen jungen Mann vor, dessen Namen ich nicht weiß, der aber entweder der ›Knab vom Berge‹ oder sonst Jemand ist, des Letzteren hoffe ich gewiß zu sein.« –

»Ich heiße Johannes N…,« entgegnete der unbekannte Vorgestellte, indem er Erich begrüßte. –

Ein herrliches Abendbild lag vor den Augen der Beschauer ausgebreitet. Ein hoher Bergesgipfel, der äußerste Vorposten einer weit sich hinstreckenden Gebirgskette, geschmückt mit den Mauerresten einstiger Größe, trat keck in den Vordergrund und theilte die Landschaft in zwei Bilder. Das Bild zur rechten Hand war das beschränktere. Ein Stromthal, lang hingedehnt zwischen hohen Bergen, aus denen dämmernd die Thürme einer Stadt hervorragten. –

»Das ist dort das Ziel Deiner Reise,« sagte Bernhard zu Erich. –

Links aber breitete sich eine weite Fernsicht lebhaft und anmutig aus. Liebliche Rebenhügel stiegen terrassenförmig am jenseitigen Ufer auf, und ein kleines Flüßchen, das sie durchbrach und sich in den Strom ergoß, eröffnete den Blicken Eingang in ein kleineres Seitenthälchen, vielversprechend und geheimnißvoll in träumerischen Abendduft gehüllt. Durch das ganze Bild aber wand sich der Strom, wie der lebendige Gedanke ewigen Werdens und rastloser Geschäftigkeit, und rauschende Mühlräder und Hämmerwerke in der Tiefe gaben Kunde seines geschäftigen Verkehrs mit fleißigen Menschenhänden. Und über dem Ganzen lag der Abendhimmel klar und rein, seine sinkende Sonne hinter purpurnen Wolken verbergend.

Nachdem die Drei eine Weile schweigend hinabgesehen, nahm Bernhard zuerst wieder das Wort, indem er sich zu Johannes wandte: »Sie scheinen hier zu Hause zu sein, machen sie uns mit der Gegend bekannt. Ist das Dorf dort unten Heimbach und wohnt dort der Pfarrer B., bei dem ich die erste Station meiner Reise durch die Vetternstraße zu machen gedenke? Ist ferner dort ein gutes Bier im Wirtshause? Bitte, Herr Cicerone« –

»Geben Sie ihm nur die Nachricht über das Bier zuerst, das ist ihm doch die Hauptsache!« unterbrach ihn Erich. – Johannes wußte darüber genügende und für Bernhard befriedigende Auskunft zu geben, dann fuhr er fort: »Das Dorf dort unten ist allerdings Heimbach, wir haben noch ein Stündchen bis dahin zu gehen, ich bin selbst dort zu Hause, kann Sie also begleiten. Der Bergesgipfel hier gegenüber mit der Ruine, ist die Weilburg

Bei dem Namen Weilburg stutzte Erich. Eine Erinnerung durchflog ihn, der Andre aber bemerkte es nicht und fuhr fort. »Die Familie der Grafen Weilburg existirt noch, hat aber ihren Wohnsitz dort hinunter in's Thal verlegt, Sie sehen dort das weiße hervorschimmernde Schloß, in der Nähe des Dorfes Heimbach.«

»Mir ist,« sagte Bernhard, »als habe mein Vetter, der Pfarrer B. früher einmal meinem Vater eine Mittheilung gemacht über ein merkwürdiges Bild – richtig, er nannte es ›die Tochter Jephta's,‹ mich interessirte damals das Bild, kann man es noch sehen?«

»Das Bild ist verloren gegangen,« entgegnete Johannes; »seit dem Brande der Kapelle, dem einzigen bis vor Kurzem noch erhaltenen Theile der Weilburg, in die der Blitz geschlagen hatte, ist es verschwunden, wahrscheinlich mit verbrannt. Es war ein wunderbares Bild, die Situation, wie der Vater seine Tochter mit dem Schwerte opfert, war mit fürchterlicher Grellheit ausgedrückt. Uebrigens glaube ich nicht, daß es die Intention des Malers war, die Opferung der Tochter Jephta's darzustellen. Die Figuren sind sämmtlich in der Tracht des sechzehnten Jahrhunderts, einige Mönche und geharnischte Ritter sind als Staffage benutzt, und obgleich die Maler jener Zeit darin stets mit großer Naivetät verfahren, wie man denn auf Gemälden, die die Kreuzigung darstellen, häufig Pluderhosen, Handschuhe, Federhüte findet, so glaube ich doch, daß das Bild etwas Anderes vorstellen sollte. Doch Sie kennen es ja nicht, was rede ich also darüber. Merkwürdig aber ist es, daß das abergläubische Volk dem Bilde böse Einwirkungen zuschrieb, und noch jetzt die Kapelle, wo es gehangen, gern vermeidet.«

»Die böseste Einwirkung,« entgegnete Bernhard, die die bloße Beschreibung des Bildes auf mich macht, ist, daß ich dabei immer durstiger werde, also denke ich, wir machen uns wieder auf den Weg. Glück auf die Reise, Erich, hier trennen sich unsre Wege. Ich mache in Kürze ein paar Vetternstationen bei Landpfarrern ab, dann besuche ich Dich in der Stadt.« –

Johannes wies Erich noch auf den rechten Weg: »Folgen Sie immer dem Fußsteig hinab, dann kommen Sie über eine Wiese und durch ein kleines Weidengesträuch, das an die Fahrstraße nach der Stadt führt.«

Johannes schritt darauf mit Bernhard links hinab nach Heimbach, während Erich allein seinen Weg nach der entgegengesetzten Richtung einschlug. Im Gehen stellte er seine Mutmaßungen an, wer dieser Johannes wohl sein könnte, dessen Wesen ihn, so weit dies bei der flüchtigen Begegnung der Fall sein konnte, sehr angesprochen hatte, mehr aber noch hingen seine Gedanken einer Erinnerung nach, die sich an den von Johannes ausgesprochenen Namen Weilburg knüpfte, und die die fröhlichen Schwingen seiner Seele für einige Augenblicke zu hemmen schien. Schnell aber warf er den Kopf zurück, als habe er frischen Mutes die lästige Erinnerung von sich gestoßen, und fand sich jetzt am Fuße des Berges auf der Wiese, welche sich dem Ufer des Stromes entgegensenkte.

Ein Kahn lag am Ufer, und einige Bündel frischen Grases bereits im Kahne, während ein Bauerbursche und ein Mädchen beschäftigt waren, den Rest des eben geschnittenen noch dazu zu tragen. Das Mädchen war hübsch, es schien kein Landmädchen zu sein, obgleich ihre Kleidung auch nicht ganz städtisch war, doch zeigte der große runde Strohhut, den sie, da die Sonne nicht mehr schien, am Arme trug, und das Seidenband, das daran befestigt war, daß das Mädchen aus der Stadt sein mußte.

Der Knecht saß bereits im Kahne und eben wollte seine Gehülfin auch einsteigen, als Erich grüßend herantrat mit der Frage, ob die Stadt zu Wasser schneller zu erreichen sei? Es wurde bejaht, und auf seine Bitte, ihn mit in den Kahn zu nehmen, lud ihn das Mädchen ein, mit einzusteigen. Dann tauchte der Knecht das Ruder tiefer ein, bald war der Kahn mitten auf dem Strome, und es war ein schöner Anblick, wie das Mädchen ebenfalls so leicht und kräftig das Ruder zu handhaben wußte. Erich bat sie, es ihm zu überlassen, doch war sie nicht dazu zu bewegen, und als er darauf bestand, entgegnete sie lachend und drohend:

»Sie sind jetzt Frachtgut, machen Sie nicht, daß ich Sie als Ballast ansehe!« –

Das war allerdings kein Ausspruch eines Bauermädchens, und Erich, dem die lebendigen Augen seiner Fährmännin gefielen, fing bald ein anderes Gespräch an.

»Kennen Sie,« fragte er, »in der Stadt einen Doctor Ulrich?«

»Ja freilich,« entgegnete das Mädchen, »und zu dem wollen Sie? Da können wir Sie bis an die Gartenthür rudern, denn der Garten stößt hart an den Fluß. Ich weiß jetzt auch,« fuhr sie fort, indem sie ihn lächelnd ansah, »wer Sie sind. Sie sind gewiß der Schwager des Herrn Doktor, der schon seit ein par Tagen erwartet wird. Hab' ich recht geraten?«

»Nun, das ist alles Mögliche!« lachte Erich, »also mit solcher Gespanntheit erwartet man mich hier, daß man mich nach der Beschreibung zu Land und zu Wasser erkennt! Allerdings haben Sie recht geraten. O wie schade, daß ich die Ehrenpforten nicht gesehn habe, die doch wahrscheinlich für mich in den Straßen aufgerichtet sind!«

Das Mädchen errötete leicht, es fühlte, daß dies ein Spott auf ihre erste Frage sein sollte, dann sah sie ihm scharf in die Augen und sagte schalkhaft in Bezug auf seine phantastische und durch die Wanderung etwas in Unordnung geratene Reisekleidung:

»Schade ist's freilich, daß Sie nicht durch die Straßen gegangen sind, da hätten doch Andre noch ihre Freude gehabt, besonders die Kinder, nun aber bringen wir Sie so hinten herum, und der Mathes und ich sind die beiden Einzigen, denen's geboten wird!«

Eben wollte sich Erich durch eine Entgegnung an seiner hübschen Gegnerin rächen, da rief diese dem Knechte zu:

»Mathes, Mathes, der Wind nimmt Dir das Band vom Hute!« –

Der Mathes, der bis dahin ohne jedes Zeichen der Theilnahme dagesessen hatte, griff hastig nach seinem Hute, als sei mit dem Verluste des Bandes ein Unglück verbunden, und reichte den Hut dem Mädchen, welches das grüne Band darauf feststeckte, und den Hut mit den Worten zurückgab:

»Bringe mir den Hut heut Abend, Mathes, ich will dir das Band festnähen.«

Erich stellte Betrachtungen bei sich an, in welchem Verhältniß die Beiden wohl stünden. Das Mädchen gehört doch offenbar nicht der dienenden Klasse an, dachte er, und steht über jenem Knechte, der, obgleich ein wohlgewachsener hübscher Bursche, doch nach seiner Ansicht nicht der Schatz dieses Mädchens sein durfte. Dann aber schien ihm das Anerbieten in Betreff des Bandes doch auf eine Vertraulichkeit schließen zu lassen, welche nur zwischen Liebesleuten üblich ist.

Während dieser Betrachtungen hatte er übersehen, daß der Mathes dem Ufer zusteuerte, und jetzt den Kahn bereits zum Aussteigen festhielt. –

»Da ist die Gartenthür,« sagte das Mädchen. –

»Schon da?« rief Erich, der gern noch weiter mitgefahren wäre, sprang dann an's Ufer und suchte die Thür zu öffnen. Sie war verschlossen. Da fiel ihm ein, daß er vergessen habe dem Burschen ein Geldgeschenk für die Fahrt zu machen, dem Mädchen etwas zu geben, kam ihm nicht in den Sinn – doch ja, einen Kuß hätte er ihr am Ende doch recht gern gegeben. Er wandte sich um, der Kahn war bereits aber wieder mitten auf dem Strome, und das Mädchen nickte noch einmal freundlich lachend herüber. –

Da stand nun der fremde Wandrer vor der ebenfalls fremden verschlossenen Gartenthür. Was sollte er nun anfangen? Den schmalen Weg am Ufer, hinter der Gartenmauer wieder zurückzugehen, und sich so nach der Stadt zu fragen, dazu hatte er keine Lust, er machte daher keine Umstände, warf seine Reisetasche über die Mauer, gab seinem Stabe dieselbe Richtung und schickte sich selber an hinüber zu klettern. Noch ein Sprung und er war drüben, und zwar ebenfalls in einem fremden Garten. Eben wollte ihm der Gedanke aufsteigen: wie? wenn du nun wirklich in das Gehege fremder Leute gebrochen wärst – das gäbe eine Komödie! als zwei gellende Kinderstimmen in seiner Nähe schrien:

»Ein Spitzbub! Ein Spitzbub!« –

Erich wandte sich um, um die beiden hoffnungsvollen Inhaber so hell tönender Kehlen zu betrachten, als diese davonliefen, und eine Dame um den Baumgang trat, die erst einen Augenblick stutzte, dann aber mit dem lauten Rufe: »Erich! Erich!« dem vermeintlichen Spitzbuben in die Arme flog. Bruder und Schwester hielten sich nach langer Trennung umschlungen. Jetzt kam auch der Schwager Doktor und noch ein junges Mädchen, die Schwester desselben, herbei, gefolgt von den beiden kleinen Ausreißern.

»Da haben wir's,« rief der Doktor, »acht Tage lang wartet man mit Leibgerichten auf den Leichtfuß und dann steigt er Einem unvermutet über die Gartenmauer!« –

Erich flog aus einem Arm in den andern, seine Schwägerin Sophie wurde ihm vorgestellt, ebenso seine beiden ihm noch unbekannten Neffen, die sich bereits der Reisetasche des Spitzbuben bemächtigt hatten, und sie hinter sich her in das Haus schleppten. Nun ging es an ein Fragen, Erzählen, Lachen und wiederholtes Begrüßen, und vor lauter Fragen und Antworten überhörte man das eben Gesagte wieder, und fragte noch zehnmal dasselbe. –

»Liebe Beate,« sagte endlich der Doktor zu seiner Frau, »bringe nur das Abendessen, damit sich die allgemeine Aufregung an etwas Vertilgbarem auslassen kann. Setze uns auch eine Flasche Mosel auf. Jungens, aus dem Wege, man stolpert doch ewig über euch! Glotzt doch den Onkel nicht so dumm an! Sophiechen, wische mal Paulchen die Nase. Ei da vergesse ich ganz, daß ich noch ein Wort mit dem Weinbauer zu sprechen habe, also geht nur Beaten nach in die Küche, Kinder, damit diese nicht in der Aufregung unserem Appetite einen Strich durch die Rechnung macht.«

Mit diesen Worten schritt er auf eine lange hagere Gestalt zu, die grüßend in der Hausthür stand. Erich ging mit Sophien in die Werkstatte der gastronomischen Künstlerin, wohin er gewiesen worden war. –

In Kurzem saß die Gesellschaft in einer Gartenlaube bei der Lampe um die Abendmahlzeit versammelt. Beate fand natürlich, daß der Bruder größer, breiter, schöner geworden sei, und auch Sophie war dieser Ansicht, wofür sie der Doktor auslachte, da sie Erich ja früher nicht gesehen habe. Beate tadelte nur, daß Erich nicht rasirt sei, Sophie aber meinte, so ein kleines Bärtchen, wie Erich es trage, gefiele ihr recht gut, einen großen Bart aber würde sie auch nicht billigen.

»Du hast doch noch andre Kleidungsstücke bei dir?« fragte Beate. –

»Das Har ist aber etwas zu lang,« fand Sophie. –

»Ja wohl,« meinte Beate, »und das Halstuch mußt du anders binden«–

»Und das Komplimentirbuch studiren,« fiel der Doktor trocken ein, indem er sich eine Cigarre anbrannte. »Ich bitte euch, Kinder, laßt doch den Quark sein, nehmt den armen Jungen nicht gleich heut in eure Klauen. Erich, nimm dich überhaupt vor den beiden Frauenzimmern in Acht, was sie nicht auf den ersten Anlauf erringen, das wissen sie zu erschleichen – ja ja, nur keine Einrede, ich spreche aus trauriger Erfahrung.« –

So scherzte man und verplauderte die Stunden. Erich erzählte von den letzten kleinen Begebenheiten seiner Reise, auch von dem hübschen Mädchen, das ihn bis an die Gartenthür gerudert hatte. –

»Das ist des Weinbauern Tochter Sabine gewesen,« riefen die Uebrigen wie aus einem Munde.

»Nun, da bist du in liebenswürdiger Gesellschaft hergekommen,« sagte der Doktor, »die Sabine ist ein Prachtmädel.«

»Ein ganz vortreffliches Mädchen,« fuhr Beate fort.»Ich habe ihr viel zu danken. Als ich im vorigen Jahre lange Zeit krank lag – Sophie war damals noch nicht bei uns – erbot sie sich selbst mich zu pflegen, und that nicht allein dies, sondern stand auch dem ganzen Hauswesen musterhaft vor, bemutterte die Kinder, kurz sie war uns ein wahrer Segen. Für ein Mädchen von siebzehn Jahren leistet sie das Mögliche. Sie leitet die ziemlich bedeutende Wirtschaft ihres Vaters, des Weinbauern, der hier in unsrer Nähe wohnt und die schönsten Weinberge in der Gegend besitzt, mit der größten Umsicht und Gewandtheit, ist dabei immer in liebenswürdiger Laune, und in jeder Hinsicht ein vortreffliches Kind. Sie besucht uns sehr oft, sie hätte Dir schon unterwegs von uns erzählen können.«

In Sabinen's Lob stimmten in dieser Weise Alle überein, weniger war dies der Fall, als Erich von Johannes anfing.

»Also auch diesen Phantasten hast du schon kennen gelernt,« sagte der Doktor. »Hat er dir zur Begrüßung nicht gleich ein bogenlanges Gedicht vorgelesen? Dieser Bursch ist mir einer der unleidlichsten Menschen, er ist ein Träumer, der für nichts Reelles Sinn hat. Ewige Schwebelei und Nebelei und Poeterei!«

»Du kennst ihn nicht, lieber Ulrich,« entgegnete Beate, »oder du beurtheilst ihn falsch. Daß er ein Stück Poet ist, sollte dich doch nicht so vor ihm zurückschrecken, übrigens ist es auch gar nicht seine Art so, wie du wähnst, mit langen Gedichten um sich zu werfen, im Gegentheil, er ist damit sehr zurückhaltend. Und was die Schwebelei und Nebelei betrifft, so ist das eine Lieblingsbenennung von dir, die aber hier nicht paßt. Er ist eben ein junger Mensch, bei dem Gemüt Alleinherrscher ist, eine zarte und dabei so edle Natur, die es wohl verdient, daß man sie etwas schonend behandelt. Manche Ecken an ihr wird die Zeit schon noch abschleifen.«

»Ihr Frauensleute seid alle in den albernen Jungen vernarrt,« entgegnete der Doktor.

Beate fuhr zu Erich gewendet fort: »Dieser Johannes ist der Sohn des Schloßverwalters zu Schloß Weilburg, du hast es vielleicht vom Berge aus liegen sehen. Der Pfarrer in Heimbach entdeckte Talente in dem Knaben, verwandte sich bei dem alten Grafen für ihn, und dieser läßt ihn nun studiren. Er ist erst vor Kurzem wieder nach Hause gekommen, um die Ferien da zu verleben. Jeder, der ihn kennt, hält viel von ihm, bis auf diesen – brummigen Mann hier, der ihn aber eben nicht kennt.«

Mancherlei wurde noch durchgesprochen, dann sagte man sich gute Nacht. Beate nahm eine Kerze und leuchtete dem Bruder hinauf in das Gemach, das sie für ihn vorbereitet hatte. Als ältere Schwester gestattete sie sich das Vorrecht, noch ein halbes Stündchen bei Erich zu verplaudern. Neben ihm auf dem Sofa sitzend, that sie jetzt eine Frage an ihn, die ihr schon lange auf dem Herzen gelegen haben mußte.

»Weißt Du denn,« fragte sie, »daß an meiner so dringenden Einladung, uns diesen Sommer zu besuchen, noch Jemand anders Theil hat?«

Erich sah seine Schwester erstaunt an.

»Du weißt es wirklich nicht? Oder willst du es nur nicht wissen? Nun ich will dir nur die ganze Geschichte erzählen, nachher magst du beichten. Seit dem Frühjahr hat nämlich der Graf Weilburg mit der Comtesse Corona, seiner Tochter, wieder sein Schloß in der Nähe von Heimbach bezogen, nachdem er fünf Jahre theils in Rom, theils in Paris, theils sonst auf Reisen zugebracht hatte. Der Graf scheint sehr leidend zu sein, es ist wohl, ein Gemütsleiden, was ihn drückt, man sagt die Auflösung einer Partie, die seine Tochter gehabt und dann, trotzdem daß der Bräutigam sie schwärmerisch liebte, plötzlich abgebrochen, habe seine trübe Stimmung noch vermehrt. Die Comtesse ist sehr schön und eben so stolz, ich gehöre zu den wenigen Frauen, die sich über diese ihre Untugend nicht zu beklagen haben. In Gesellschaft lernte ich sie kennen, unterhielt mich viel mit ihr, sie suchte mich immer wieder, trotzdem daß sie Weltdame ist und ich simple Hausfrau, fragte mich über meine Familie, ich erzählte ihr auch von dir und daß du uns vielleicht besuchen würdest. Merkwürdigerweise ermunterte sie mich sehr, dich doch gar einzuladen, dann glaubte ich eine kleine Verlegenheit an ihr wahrzunehmen, wir sprachen über andre Dinge – und doch kam sie noch einmal auf meinen Bruder zurück, er würde sich in dieser schönen Gegend gewiß vortrefflich gefallen. Und, noch mehr, zweimal als ich seitdem wieder mit ihr zusammenkam, war eine ihrer ersten Fragen, ob ich mich des Besuches meines Bruders in diesem Sommer würde zu erfreuen haben? Und nun sage mir, Erich, kennst du die Dame?«

Erich war einen Augenblick betreten. »Das ist mir ein unerklärliches Interesse, wer weiß, Beate, ob du es dir nicht nur vorspiegelst.«

»O nein, lieber Erich, in dergleichen irre ich mich nicht! Du solltest die Comtesse Corona also wirklich nicht kennen?«

»Ich kenne sie in der That kaum. In der Schweiz wohnte ich allerdings einmal, vor einem Jahre, in einem Gasthofe mit einer Familie Weilburg. Gesehn habe ich da wohl zuweilen eine Dame – aber eine Bekanntschaft kann ich das kaum nennen!«

Beate sah mit geübtem Blicke, Erich wolle heut nichts weiter darüber sagen, sie beschloß daher, eine bessere Gelegenheit abzuwarten. Mit Gewandtheit sprang sie dann zu einem andern Gespräch über, und schied bald darauf mit dem Wunsche von Erich, er möge die erste Nacht unter ihrem Dache recht süß schlafen. –

Erich, obgleich vorher noch müde von der heutigen Fußwanderung, war durch Beatens Mittheilung in eine lebhafte Aufregung geraten, in welcher ihn der Schlaf noch lange fliehen zu wollen schien. Er war mit sich selbst unzufrieden, die lästigen Gedanken nicht los werden zu können, schritt das Zimmer auf und ab, es schien ihm schwül, er öffnete das Fenster und warf sich dann, von seinen Gedanken bemeistert, in eine Sofaecke.

Unterdessen habe ich Zeit, noch Einiges über Erichs Lebensverhältnisse zu erzählen. Seiner Eltern in frühster Kindheit beraubt, war seine zehn Jahre ältere Schwester Beate ihm der Gegenstand, auf den er alle Familienliebe übertrug. Beide lebten bei Verwandten, Beate aber war seine eigentliche Erzieherin und Mutter. Sie verheiratete sich, Erich sollte ihr aber auf den Rat des Vormunds nicht folgen, sondern im Hause der Verwandten bleiben. Er bezog die Universität. Von Jugend auf durch glückliche äußere Lebensverhältnisse begünstigt, in einer Lage, sich uneingeschränkt allseitig ausbilden zu können, folgte er auch hier ganz seinem Geschmack und Willen. Die Fachstudien zogen ihn nicht an, er brauchte sich ihnen nicht hinzugeben, dafür füllten Kunst- und literarische Studien sein ganzes Interesse. Nachdem er zwei Jahre mit schönem Erfolge in dieser Weise sich gebildet, gewann die plastische Kunst und vorzüglich die Architektur die Oberhand in seinem Interesse, wie auch sein Talent ihn hauptsächlich nach dieser Seite hin zu weisen schien. Er befestigte sich hierin, bezog deshalb nochmals eine Akademie, und hatte sein künstlerisches Streben dahin gerichtet, sich als Baumeister und Meister seiner Kunst einmal einen schönen Wirkungskreis zu gründen. Er war jetzt dreiundzwanzig Jahre alt, und ein reiches blühendes Leben sah seine Phantasie vor seinen Blicken ausgebreitet. Seine Kunstliebe entsprang aus seinem Natursinn, die Natur war seine Göttin, der er enthusiastisch huldigte.

– Erich erwachte aus dem Schlummer, der ihn allmälig beschlichen hatte. Es mußte spät in der Nacht sein, das Licht war tief herabgebrannt und der kalte Nachtwind zog durch das offne Fenster. Er schloß es und legte sich schlummertrunken zur Ruhe.

*


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