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8.
Kunstgenüsse, Bekenntnisse und Zerwürfnisse.

Bernhard hielt Erich für verrückt, er suchte sich durch andre Gesellschaft zu entschädigen. Da war noch genug Gesellschaft für ihn. Da waren ein par Forstleute des Grafen, und ebenso einige Schreiber aus dessen Kanzlei, ferner ein Gärtner und sonstige Beamte des Gutes, alle diese saßen theils auf der Rampe, theils in der Wirtsstube, und machten sich bei Bier oder Wein einen lustigen Sonntag. Bernhard wurde schnell bekannt mit ihnen, knüpfte auch mit einigen Bauermädchen interessante Verhältnisse an, deren Eins ihn besonders fesselte. Er lud seine Schöne ein, heut Abend mit ihm ins Theater zu gehn, und sie, obgleich sie einen eifersüchtigen Schatz hatte, der alle Burschen wütend zur Rache anstachelte, war doch zu geschmeichelt durch des Malers Antrag, als daß sie hätte widerstehen können.

Der Theaterunternehmer im Dorfe war der Besitzer jenes Elefanten in der Stadt, von dessen kritischen Umständen wir schon Einiges gehört haben. Der Führer desselben hatte in der Stadt nicht die Konzession erhalten, mit seiner Bande Vorstellungen geben zu dürfen, hatte daher das Dorf Heimbach dazu gewählt, der Elefant war in der Stadt geblieben. In dem dumpfigen Sale eines zweiten Wirtshauses zu Heimbach hatte er seine Bühne aufgeschlagen, während draußen ein lustiges Treiben umhertummelte. Die Bauern tranken, schäkerten, lachten, und Alles erwartete mit Spannung die Vorstellung. Ein geschriebener Zettel war an die Hausthür geklebt, welcher folgendes Programm enthielt:

Heute Sonntag zum ersten Male, Jasion und Medea, Trauerspiel in drei Akten. Personen: Otto, König von Mohrenland; Medea, seine Tochter. Diese Medea wurde durch die siebzehnjährige Tochter des Unternehmers dargestellt. Ferner: Jasion, griechischer Feldherr.

Da das Personal des Unternehmers nur aus fünf Personen bestand, und außer seinem Sohne, keinen männlichen Darsteller hatte, übernahm seine Schwester, ein kolossales Frauenzimmer, über sechs Fuß hoch, alle männlichen Heldenpartien, und füllte dieses Fach ganz vorzüglich aus, da sie darin auch durch ihre ungewöhnliche tiefe Stimme begünstigt wurde. Sie hatte auch heute den Jasion übernommen.

Endlich war noch da: Kasperle, Jasions Diener, dargestellt vom Unternehmer. Dieser hatte zwar nur ein Auge, das andre war ihm bei einer Schlägerei abhanden gekommen, das that aber nicht viel zur Sache, ein darüber geklebtes Pflaster that oft sehr gute Wirkung bei Charaktermasken.

Die Theaterstunde rückte heran, und die lustige Gesellschaft beim Lammwirt machte sich auf den Weg. Bernhard führte seine Schöne am Arm, in einiger Entfernung folgten die grollenden Gestalten ihres Schatzes und seiner Gefährten. Man ordnete sich im Sale. Die ersten Bänke nahmen die obengenannten Honoratioren, die Jäger, Schreiber und sonstigen Beamten ein, in ihrer Mitte der Maler und seine Dame. Dann folgte eine Reihe Bauermädchen, die einander sämmtlich untergeärmelt hatten, das ganze Zimmer war drückend gefüllt. Zwischen der ersten Bank und der Bühne war ein Zwischenraum von drei Schritten, woselbst – nicht das Orchester, sondern die ganze Jugend des Dorfes zusammengekauert saß und erwartungsvoll der Dinge harrte, die da kommen sollten.

Es war sehr dunkel und dauerte entsetzlich lange, ehe der Vorhang sich heben wollte. Die Ungeduld wuchs. Hin und wieder ertönte ein helles Kreischen, ein Produkt im Dunkeln vorgenommener zarter Scherze, und dann folgte Gelächter. Mittlerweile wurde auch die im Orchester stationirte Jugend unruhig. Zwei kleine Dirnen bespuckten einander, während mehre Buben die handgreiflicheren Vortheile ihrer Fäuste vorzogen.

Da plötzlich sprang der weibliche Jasion in Kostüm hinter den Koulissen hervor, griff einen derben Buben beim Schopfe, legte ihn über sein Knie, und fing an, ihm den Hintern mit rüstiger Faust durchzugerben. Zwei andere Buben, deren natürliche Kräfte beim Anblick dieser dramatischen Scene gelähmt zu sein schienen, erging es nicht besser, dann ging's über die Dirnen her. Die Einen wurden zurückgerissen, die Kleineren flogen unter den Händen des weiblichen Feldherrn über die Köpfe der Uebrigen weg, in den Vordergrund, damit sie besser sehen könnten.

Das Publikum jubelte und applaudierte, und einige sehr dumme Gesichter glotzen mit lang vorgerecktem Halse aus dem Hintergrunde hervor, ja es schien eine gewisse Besorgniß in ihren Mienen zu liegen, denn wenn die eben gespielte, höchst wirksame Scene des weiblichen Jason der rechtmäßige Anfang des Stückes war, und sich die Handlung in dieser Weise durch die Tragödie steigerte, so mochten sie sich wol eines gewissen Vorurtheils gegen den weiteren Gang derselben nicht erwehren können.

Endlich wurde geklingelt, einmal, zweimal, und wie sich's gehört, zum dritten Male, und empor flog der Vorhang.

Da saß der König von Mohrenland, aber ohne Mohrengesicht und ziegelrot geschminkt – (ein Zeichen, wie wenig die herrschende Dynastie mit ihren Unterthanen verwachsen zu sein braucht! Doch hatte der Darsteller des Königs sich vielleicht darum so rot geschminkt, um eine Schamröte über diese Differenz zwischen König und Volk auszudrücken.) – Vor ihm stand seine Tochter Medea, die vor Verlegenheit sich nicht zu lassen wußte. Der König kündigte ihr an, er wolle auf die Jagd gehen, und übergebe ihr den Schlüssel zum Kerker, sie möge aber den darin befindlichen Gefangenen durchaus nicht herauslassen. Nachher werde er sie zur Tafel führen.

Der König geht ab. Medea erzählt darauf, kerzengerade dastehend wie eine Bildsäule, und die Worte vor Verlegenheit hervorstotternd, daß sie sich freue, den Schlüssel in Händen zu haben, nun wolle sie den griechischen Feldherrn befreien.

Kasperle erscheint, macht mehre Witze, schmeißt sich auf den Boden, springt wieder auf und überschlägt sich in der Luft, und giebt in dieser Weise seine Freude zu erkennen, seinen Herrn wieder zu sehn.

Darauf tritt Jasion auf mit Ketten belastet. Medea erklärt ihm, sie wolle ihm die Freiheit schenken, wenn er den Drachen, welcher in der Nähe hause, tödten wolle, ja sie verspricht ihm etwas noch viel Belohnenderes als die Freiheit, was sich Jasion durchaus nicht erklären kann.

Da stieg in Bernhard ein Gedanke auf, der im Nu zur That werden sollte. Er langte einen Kreuzer hervor und schnellte ihn unter die im Orchester sitzende Dorfjugend.

Wie ein Bienenschwarm, der sich zum Stocke drängt, hintereinander, übereinander, untereinander, so stürzten die Buben über den Kreuzer her. Es regnete Püffe, es hagelte Stöße, es quitschte, kreischte, schrie – da hob sich aus der Mitte des Chaos ein Arm in die Höhe, und in der geballten Faust trug er den erbeuteten Kreuzer. Nun warf sich Alles über diese Faust her, die Faust aber war wacker, und vertheilte fühlbare Vertheidigungssalven. Hier wurde ein Auge blau, dort schillerte es grünlich und manches Gesicht trug die Nuancen aller Farben durcheinander.

Nun flogen noch einige Kreuzer, die Balgerei schien nicht aufhören zu wollen, da griff der weibliche Jason hinter die Koulissen und pochte mit einem Knüttel dermaßen auf den Boden, daß Alles dröhnte. Medea hatte in der Verlegenheit das Talglicht mit den Fingern geputzt. Die Ruhe wurde hergestellt. –

Jason verspricht den Drachen zu tödten, und der Vorhang fällt unter Beifallsklatschen.

Nun trat ein Leiermann herein und spielte auf seiner Drehorgel, trotzdem daß dem Instrument mehre Töne ganz abgingen, einen Walzer ziemlich erkennbar, während sich die Hitze in dem niedrigen Sale von Minute zu Minute steigerte.

Der zweite Akt begann. Jason erscheint mit Kasperle, um den Drachen todt zu machen. Jason befiehlt, Kasperle solle das Unthier aufspüren, während er selbst an seine liebe Frau in Griechenland, und an seine sieben hoffnungsvollen Söhne denken wolle. Kasperle will nicht dran, kriegt Prügel, brüllt gar ergötzlich, kriegt immer mehr Prügel, endlich zieht Jason das Schwert und ruft: »Memme, ich durchbohre Dich –!«

Aber während er mit gezogenem Schwerte dasteht, springt ein Hühnerhund, der sich hinter die Koulissen verlaufen hatte, hervor, rennt quer über die Bühne und gerät zwischen Jasons Beine. Jason stößt einen Fluch aus, und der Schlag, der für Kasperle bestimmt war, trifft nun mit verdoppelter Wucht das verlaufene Thier. Bellend und heulend springt der Hund unter das jugendliche Orchesterpublikum, das nun seinerseits ebenfalls heulend und kreischend auseinander stiebt, wie Spreu, vor dem Winde. – »Moor! Moor! Kusch dich!« tönte aus dem all gemeinen Geschrei die Stimme des Besitzers, eines gräflichen Jägers, und Moor legte sich knurrend zu den Füßen seines Herrn.

»Weiterspielen! Weiterspielen!« scholl es von allen Seiten durch das Gelächter und Getümmel, Alles schrie: »Ruhe! Ruhe!« wodurch der Lärm für einige Minuten nur um so größer wurde, endlich legte sich das Toben von so viel erschütterten Zwergfellen, und der weibliche Mime konnte aus den Koulissen hervortreten. –

Jason erscheint mit einer goldenen Kette, und erzählt, er habe den Drachen getödtet und ihm diesen Schatz abgenommen, welchen er nun zur Prinzessin zu tragen gedenke. Kasperle erscheint und klagt in den erschütterndsten Tönen, seinen Herrn nicht finden zu können, worauf er sich zum Teufel wünscht. Der Teufel ist willfährig, erscheint in einer Explosion von Kolophonium und fährt mit Kasperle ab, welcher gräßlich schreit, und vor der schönsten Scene rauscht neidisch der Vorhang nieder.

Das Dorfpublikum schreckte zusammen vor Wonne, aber gab Ströme von Schweiß von sich. Der Maler traktirte seine Dame mit Schinken und Bier.

Doch der letzte Akt beginnt. Jason übergiebt der Prinzessin Medea seine Beute, und sie enthüllt ihm mit stoischer Ruhe, er solle frei sein, wenn er sie nun auch noch von ihren Qualen befreie. Der gute Jason versteht das nicht recht und meint: sie sehe ja so blühend aus, daß ihr gar nichts fehlen könne. Sie antwortet: »Mein Schmerz sitzt in meinem Herzen, verstehst Du mich denn nicht, Jasion?« – Jason ist bornirt genug, wirklich nichts zu merken. Da endlich erklärt sie ihm: »Schrecklicher Mann, ich liebe Dich, o Held, nur dann kannst Du frei sein, wenn Du mich heiratest!« – Diese Freiheit scheint dem guten Jason denn doch eine etwas starke Zumutung, er sagt, daraus könne nichts werden, erzählt ihr von seiner Frau und seinen sieben Würmern in Griechenland – – –

Aber siehe, da erhebt sich ein Gemurmel vor der Thür des Sales, es wird lauter und lauter, man vernimmt deutliche Stimmen durcheinander: »Aufmachen! – Wollen ihn lehren! – Prügel kriegen! – Schweinhund von Maler!« – – krach, da ward die Thür aufgebrochen, die von draußen wollten herein, die von drinnen drängten zurück, die Heereswoge außerhalb schien aber die stärkere zu sein, denn schon wälzte sie sich herein in den dumpfigen Sal, mit Fluchen und Lärmen, und dazwischen krächzte das Geschrei der Weiber und der gegen die Wände gequetschten Unglücklichen, die im Gedränge die Arme nicht zu rühren vermochten.

Der Schauspielunternehmer, den kürzlich der Teufel von der Bühne geholt hatte, lag auf der Erde (man sagt, er habe diesen Platz nicht freiwillig gewählt) und schimpfte auf einen derben Bauernburschen in grauen Leinwandhosen, der breitbeinig über ihm stand und ihn bei der Gurgel hatte. Andre mischten sich drein, im Sale prügelte man sich bereits nach Herzenslust.

Jetzt aber sprang jener Bursche, dem Bernhard seine Geliebte weggekapert hatte, über die Bänke, er spähte umher und schien seiner Beute ansichtig geworden zu sein. Mit einem Knüttel bewaffnet, sprang er auf den Maler zu, und eine Schar ebenso Bewaffneter folgten ihm nach.

»Schlagt ihn todt, den Kerl, den Mädchenjäger!« erscholl es von mehren Seiten.

Die Freunde des Malers suchten ihn zu vertheidigen, und er gewann Gelegenheit sich auf die Bühne zu retten, wohin bereits die Jugend und ein Theil des weiblichen Publikums sich geflüchtet hatte, und von welcher die Aktricen, die an dergleichen Scenen schon gewöhnt zu sein schienen, verschwunden waren. Die treulose Geliebte jenes Burschen wurde für einen Augenblick der Gegenstand der Wut, schon aber stürzte die Schar dem Maler nach, der sich hinter den Koulissen zu verbergen suchte. Er tappte umher nach einer Thür hinter der Bühne, diese aber war verrammelt. Er fand ein Fenster, wollte hinausspringen, schon aber waren seine Feinde hinter ihm, das Fenster war im Nu zertrümmert und mehre Schläge brannten auf des Flüchtlings Rücken. Dennoch hatte er das Freie erreicht.

Aber auch hier erneuerte sich der Schreck, denn eine neue Schar sprang im Finstern herzu und schlug wütend mit Fäusten auf ihn los. Plötzlich fühlte sich der halb Bewußtlose von kräftiger Hand angefaßt, herausgerissen aus dem Getümmel, durch die Gebüsche mehr geschleift als geführt – noch um eine Ecke, hinter einen Gartenzaun, fortgezogen, bis er, der Gefahr entronnen, sich in einer Seitengasse des Dorfes befand. Aus seinem Todesschreck erwachend, blickte er seinen Retter an – Erich stand vor ihm.

Dieser war durch das Dorf gegangen, hatte das Getobe gehört, des Malers Gefahr erblickt, und war schnell eingesprungen.

»Jetzt mache Dich aus dem Staube!« rief er ihm zu.

»Das ist ein rohes Volk, diese Bauern!« keuchte der Maler.

»Du wirst ihren Zorn wol verdient haben.«

»Ich muß die Nacht bei Dir bleiben, man lauert mir von allen Seiten auf.«

Schweigend schritten sie dem Wirtshause zu, Bernhard bestellte eine Flasche Wein auf Erichs Zimmer. Erich trank nicht, der vielfach Zerbläute aber sprach ihr unablässig zu, während Beide lange schweigend da saßen. Der Maler stierte, den Kopf auf den Arm gestützt, in sein Glas, er war in Gedanken verloren, und es schien Etwas in ihm vorzugehn, denn er seufzte einige Mal tief auf. Dann trank er von Neuem, als wolle er seine Gedanken hinunterspülen, und warf sich in eine Sofaecke, indem er sich beide Fäuste krampfhaft gegen die Augen drückte. Dann fuhr er auf, legte den Kopf auf den Tisch, und blieb lange in dieser Lage, bis ein langer zitternder Seufzer wiederum aus seiner Brust ging, worauf er wieder wie vorher in die purpurne Flut seines Glases starrte.

Erich fand sich nicht veranlaßt, das Schweigen zuerst zu brechen, und erst nach einer halben Stunde fing Bernhard zu reden an. –

»Es soll das letzte Mal sein,« sagte er, »daß ich mich mit diesem Volke einlasse.«

»Daran wirst Du wohl thun,« sagte Erich kalt.

»Du denkst, dergleichen tolle Streiche machten mir besonderes Vergnügen? Du irrst Dich. Daß ich dem Burschen seine Geliebte abwendig zu machen suchte, that ich nur, um mir ein Abenteuer pikanter zu machen, das ich bei einer Andern wohlfeiler haben konnte.«

»Wenn dergleichen Abenteuer ein solches Ende nehmen, wie das heutige, so glaube ich gern, daß Dir dergleichen kein sonderliches Vergnügen macht.«

»Es macht mir überhaupt nichts mehr Vergnügen. Alle meine Lustigkeit ist nur krampfhaftes Zucken, nur bittrer Zwang, um mein Inneres zu übertäuben.«

»Das sind nur die Nachwehen Deiner heutigen Gefahr. Hast Du den Schreck erst überwunden, so wird auch alle Deine Ausgelassenheit wiederkehren.«

»Das Letztere ist wol möglich, und ich werde mich absichtlich in jeden Strudel der Lust stürzen müssen, um mich vor mir selber zu retten. Du kennst mich nicht, oder kennst doch eben nur meine Aeußerlichkeiten, könntest Du aber in mein Inneres blicken, so würde Dir mein Treiben klarer werden. Mein ganzes Wesen ist Zerrissenheit.«

Erich zuckte die Achseln und schwieg. Er glaubte, der Maler wolle eine neue Komödie spielen. Dieser aber fuhr fort:

»Ich war mit dem Leben früher vertraut, als die Jugend pflegt. In meinem siebzehnten Jahre hatte ich, was Sinnengenuß betrifft, keine neue Erfahrung mehr zu machen. So ging's nun fort. Ich lebte in Gesellschaften, die mich aufreiben mußten, ich hatte aber nicht die Kraft, ihnen zu entsagen. Jetzt bin ich fünfundzwanzig Jahre alt, mir ist das Leben ein Ekel, wenn ich nicht immer neue Erfindungen machte, mir die schale Hefe noch halbwege schmackhaft zu machen. Ich möchte oft heulen und mir den Tod geben, und dann kann mich nur neuer Genuß aus solchem Zustande herausreißen, und alle die zerrissenen Fetzen meines Daseins wieder zusammenflicken. Vielleicht verstehst Du mich nun deutlicher.«

Erich hörte dem Redenden mit Verwunderung zu. Seine Genußsucht kannte er, dies aber war ihm denn doch eine ganz neue Seite seines Charakters, und er fand sich dadurch eher bewogen, sein Schweigen aufzuheben.

»Es ist mir unbegreiflich,« sagte er, »wie ein Mensch, der sich selbst für einen Zerrissenen erklärt, sich noch unterfangen kann, dem Sonnenlicht unter die Augen zu treten. Dieses Eingeständniß eigner Schwäche wäre für mich der Tod. Es kann den Menschen wol in banger Stunde jene bessere Art von Verzweiflung überkommen, wenn er seine liebsten Wünsche und kühnsten Hoffnungen mit ihrer Erfüllung in so weite Ferne gerückt, oder gar vereitelt sieht. Dann aber soll die männliche Kraft sich geltend machen, man soll sich männlich fassen, und indem man seine Gaben einem großen Werke leiht, durch dieses wieder an sich selber arbeiten. Man soll, man muß mit sich zurecht kommen können,«

»Du verstehst das nicht, Erich. Du hast nie einen leichtsinnigen Streich meiner Art vollführt, Du bist in gewissem Sinne ein Kind geblieben, kannst Dich also in meinen Zustand nicht hineindenken, weil Du von dem Deinen nicht ganz abstrahiren kannst. Du kennst das Leben nicht, hast keine Erfahrungen gemacht. Deine glücklichen Verhältnisse haben Dich leicht über Alles dahingetragen.«

»Doch, ich habe Erfahrungen gemacht, ich glaube das Leben zum Theil zu kennen.«

»Was Du so Erfahrungen machen nennst! Hast Du jemals den Kranz der Unschuld zerrissen, und Dich in fürchterlicher Lust daran geweidet, Deiner eignen Sele Schmerzen anzuthun? Hast Du nach zügellos durchtobten Nächten jemals die Stimme des eignen dämonischen Selbst gefühlt und sie doch verlacht? Ich habe das erfahren, habe der Willenskraft entsagt, um der ganzen Welt des Genusses auf ein Mal in die Arme zu taumeln, nur so konnte, nur so wollte ich mich und das Leben vergessen. Und da ich Alles an mich gerissen hatte, kam ich zu der Ueberzeugung, daß auch das keine Befriedigung gebe. Wo sitzt nun, frage ich, das, was dem Menschen Befriedigung giebt. Man müßte ganz kindisch sein, oder nie etwas von der Welt erfahren haben, wenn man dieselbe schön, oder Etwas in ihr wünschenswert finden sollte. Ich habe sie durchgekostet, sie ist schal und nur im Taumel des Rausches kann man über ihre Nichtigkeit hinwegsetzen!«

»Das ist die Philosophie eines Rasenden,« sagte Erich; »sie muß Dich notwendig zum Untergange führen, wenn noch etwas an Dir untergehen kann. Dieser Zug Deines Charakters ist mir durchaus neu, ich habe Dich allerdings für einen leichtsinnigen Menschen gehalten, aber doch nicht für einen so gänzlich Verwahrlosten und zerrissenen, und ich bewundre Dein Talent, Deine eigentliche Lebensstimmung vor den Menschen zu verbergen. Daß Dir der Himmel schwarz aussieht, will ich glauben, es liegt aber an Deinen eignen Augen. Es ist nicht zu verwundern, aber jedenfalls zu beklagen. Nur der ist unglücklich, dem die Lebenskraft versiegt ist. Unser ganzes bürgerliches Leben hängt an diesen Fäden, Stat, Volksleben, Wissenschaft und Kunst gehen daran unter. Müßt Ihr mit ihnen zugleich zu Grunde gehen, so ist das Eure eigne Schuld, denn Ihr seht an der allgemeinen Zerrissenheit das Abbild Eures eignen Wesens. Bei Zeiten muß man sich, und rein menschlich muß man sich fassen. Ich will auch den Genuß nicht ausschließen, nur muß er so beschaffen sein, daß man durch ihn Andern ein edles Vorbild werde. Verzweiflung ist eine heilbare Krankheit, Zerrissenheit aber ist Feigheit

»Du hast gut predigen, auch zum Leichtsinn gehört Mut.«

»Allerdings. Wie das Leben eine Portion Leichtsinn erfordert, so erfordert es auch Mut, um die Folgen des Leichtsinns zu vertreten. Du aber verwechselst Leichtsinn mit Leichtfertigkeit, und Mut mit Tollkühnheit, die eben nichts anderes ist, als zur Verzweiflung gebrachte Feigheit.«

»Du nimmst Dir mehr gegen mich heraus, als ich Dir zugestanden habe!« rief Bernhard aufspringend.

»Du hast mich in Dein Inneres blicken lassen,« entgegnete Erich sitzen bleibend und mit kaltem Tone, »und kannst, nachdem ich Dich so habe kennen lernen, nicht mehr verlangen, daß ich Achtung vor Dir haben soll.«

»Verachtung? Nimm Dich in acht, daß ich Dir nicht zeige, daß doch noch eine Kraft in mir lebt!«

»Vielleicht die Tollkühnheit, eine neue Albernheit zu begehen, denn die fürchterliche Kraft, ein Verbrechen zu begehen, wozu allerdings Dein Wesen, als zu seinem letzten Gipfel, hinstreben müßte, diese traue ich Dir nicht zu.«

»Reize mich nicht zum Aeußersten!« schrie der Maler außer sich vor Wut; »wenn ich Dich jetzt verlasse –«

»Würdest Du mir eine Freude bereiten!«

»Willst Du mich zwingen, Dich zu hassen, wie ich schon Deinen Gesellen Johannes hasse?«

»Thu nach Belieben.«

Bernhards Wesen war in höchster Erregung, die Ruhe Erichs und der genossene Wein machten sein Blut noch tobender. Mit wutverzerrten Mienen stand er da und rief: »Gut, wahret Euch vor mir, ich will Euch beweisen, daß ich mehr Thatkraft besitze, als Ihr Beide. Ihr seid knabenhafte Gesellen! Brüstet Euch mit Eurer albernen Tugend und Hoheit! Tugend kenne ich nicht, so soll Euch dann mein Laster und mein Grimm in den Weg treten!«

Erich sprang auf und rief: »Jetzt zwingst Du mich, Dir die Thür zu weisen! Hinaus, Schandbube!«

Mit fürchterlichem Gelächter stürzte Bernhard hinaus und schlug die Thür hinter sich zu. Schreckliche Gedanken und Entschließungen dämmerten in ihm auf, als er den Weg nach der Stadt einschlug. Seine Wut legte sich, aber kalte Verhärtung und schauerliche Pläne, gepart mit aller Verachtung des Lebens und der Menschen, bemächtigten sich seines verwahrlosten Gemütes.

Erich schritt gedankenvoll im Zimmer auf und ab, er erstaunte über sich selber. Wo hatte er die Worte hergenommen, dem Maler in dieser Weise zu begegnen, er, der am Morgen dieses Tages noch selbst halber Verzweiflung anheim gefallen war? Mit schmerzdurchwühltem Herzen hatte er gesucht nach Johannes, er hatte ihn nicht gefunden, überall aber trat das bleiche Antlitz des Freundes vorwurfsvoll vor seine Sele, er fühlte ganz das Leiden desselben, er glaubte sein Herz gebrochen zu haben, und sein eignes Elend schien ihm endlos. Und da, als der Maler ihn Blicke thun ließ in seine Brust und ihm eine Hölle von trostlosen Gefühlen zeigte, wo über den Ruinen der Tugend auch jede Lebensblute geknickt, in dämonischer Lust mit der Wurzel ausgerissen war, da zuckte es schmerzhaft durch Erichs Brust, er wähnte eine Uebereinstimmung mit seiner eigenen Gemütlage zu finden und ein Schauder ergriff ihn.

Und doch, wie verschieden war die Stimmung Beider! Bei Bernhard der Ausdruck einer verstümmelten, in sich gebrochenen Natur, bei Erich das Ineinandergreifen der reinsten und schönsten Empfindungen, der Liebe und Freundschaft, die das erste Auflodern jugendlicher Leidenschaft feindlich gegen einander geworfen hatte. Trotz aller jener Aeußerungen moralischen Aufraffens, mit denen er dem Maler entgegnete, hatte doch noch eine gewisse innere Beklommenheit bei Erich statt, die ihm bei allen seinen Worten den Spiegel vorhielt, und die erst im Verlauf des Gespräches von ihm wich. Dann aber fühlte er, wie immer mehr Fassung und Ruhe über ihn kam, er fühlte seine Sele erstarken und jetzt, da der Maler ihn verlassen hatte, sah er zu seinem eignen frohen Erstaunen, wie alle Klarheit und Lebensfreudigkeit wieder über ihn gekommen war.

Er dachte an die Geliebte – ein seliges Aufblühen aller Lebensknospen schwellte seine Brust! Er dachte an den Freund – er glaubte ihn lächelnd vor sich zu sehen, er strich ihm in Gedanken das weiche schwarze Har von der weißen Stirn und aus der krystallreinen Tiefe seines dunklen Auges wähnte er Vergebung und Versöhnung hervorleuchten zu sehen. O wie liebte er diesen Johannes! In seinen schönen jugendlichen Zügen glaubte er das Ideal der Menschheit zu erblicken, und oft däuchte es ihn, als wäre dieses Jünglingsbild für die Qualen der Erde zu schade, über ihre Freuden und Wonnen aber in seliger Hoheit erhaben. Er konnte ihn sich nicht denken in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens, und wenn er hierüber leise Fragen an die Zukunft richtete, kam eine Bangigkeit über ihn und seine Gedanken wirrten durcheinander. Dann um so lebhafter trat ihm Sabinens Bild vor die Sele, hier glaubte er klar und hell in eine weite sonnige Zukunft zu sehen, und welche Situation er sich auch ausmalte, überall sah er Sabinen in ihrer ganzen Lieblichkeit sich frei bewegen und die Verhältnisse sich anpassen. Und wenn er sie sich so an seiner Seite dachte, welche Bilder erschuf ihm da seine Phantasie!

In solche Gedanken vertieft stand er am Fenster und sah hinaus in die Nacht, da hörte er unter sich ein leises Singen. Es war die Stimme dir Muhme, die sich folgendermaßen vernehmen ließ:

Die Sonn' ist hin,
Wie Lust der Minn'.
Nun Waldesruh
Deckt still mich zu.
Ach trüb und müd
Ist mein Gemüt,
Daß mir die Rosen all' verblüht!

Um Ehr' der Welt
Ist's schlecht bestellt.
Sie träget Scheu
Vor Glaub' und Treu.
Um Gold und Lohn
Spricht man ihr Hohn,
Mein treues Herz das brach davon.

Nach Lieb' und Glück
Schau ich zurück:
Das schwand dahin
Mit falschem Sinn.
Was ich gekos't,
War schlecht erlos't,
Nun, reicher Gott, gieb du mir Trost!

Erich hatte mit bewegtem Herzen zugehört. Es drängte ihn mit Gewalt in die Nähe der Menschen, er mochte sich seinen Gefühlen nicht in der Einsamkeit überlassen. Unten auf der Rampe unter den Bäumen hörte er noch reden, jede Gesellschaft war ihm in diesem Augenblick willkommen, er ging die Treppe hinab, gesellte sich zu den noch versammelten Gästen des Lammwirts und ließ sich einen Nachttrunk reichen.

*


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