Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14.
Corona.

Wir wissen, daß Bernhard sich im Schlosse Weilburg niedergelassen hatte, und in jedem Augenblick bedacht war, sich hier so sehr und so lange als möglich fest zu setzen. In dem Ahnensal des Grafen, einem hohen, alterthümlich zugestutzten Raume, dessen Wände von oben bis unten mit Porträts jeder Größe, aus mehren Jahrhunderten, bedeckt waren, hatte er sein Atelier aufgeschlagen. Einige alte verstaubte und verschwärzte Bilder waren herabgenommen, er gab vor an ihrer Erneuerung zu arbeiten, auch jenes größere, geraubte Bild lehnte an der Wand. Niemand außer ihm durfte den Ahnensal betreten, so hatte es der Graf angeordnet, auch Corona, ja diese ganz besonders, sollte davon ausgeschlossen sein.

Corona, obgleich vielfach mit sich selbst beschäftigt, hatte aber doch bemerkt, daß etwas um sie her vorgehe, was für sie Geheimniß bleiben sollte, und ob sie gleich sonst wenig auf Dergleichen geachtet haben würde, so schien ihr doch diesmal dies Alles in genauer Verbindung mit Erich zu stehen, weshalb sie ein achtsames Auge darauf behielt. Jene Pergamentblätter, die der Graf nach seinem letzten Krankheitsanfall so hastig und geheimnißvoll verschlossen hatte, und die, wie sie wußte, aus Erichs Händen gekommen waren, erregten ihr Interesse auf's Heftigste, war doch Alles, was nur in irgend einer Beziehung zu ihm stand, für sie von Bedeutung und Wichtigkeit.

Ihr Zustand war ein beklagenswerter, sie stand ganz auf sich selbst angewiesen da. Das Verhältniß zu ihrem Vater war nichts weniger als schön, sie beherrschte ihn in jeder Beziehung, und gebot ihr die Klugheit auch, sich nach außen scheinbar seinem Willen zu unterwerfen, so war ihr doch seine gänzliche Energielosigkeit, ihrer eignen Charakterfestigkeit gegenüber, fast – verächtlich, so sehr sie ihr auch zu Statten kam. Sie hatte Manches aus seinem Leben erfahren, was nicht eben geeignet war, ihr Ehrfurcht einzuflößen, und ihre Liebe zu ihm war nicht stark genug, Dergleichen als Lästerung von sich zu weisen oder zu überwinden.

Von Jugend auf verschlossen, obgleich beobachtend, hatte sie niemals den Drang gefühlt, ein Freundschaftsverhältniß oder sonst ein auf Mittheilung gegründetes Verhältnis zu schließen, sie verarbeitete alle Eindrücke schweigsam in sich selber, und auch jetzt, da eine so heftige Leidenschaft sie verzehrte, erlaubte ihr Stolz ihr nicht, aus sich selbst heraus zu gehen, daß sie dies aber dem Gegenstande ihrer Neigung gegenüber thun mußte, obgleich ihm ganz allein gegenüber, dies däuchte ihr schon genug der Erniedrigung.

So zwischen Stolz, unverstandner Liebe und Mißachtung ihrer Umgebungen, fast aus ihrer einsamen festen Haltung gebracht, fluchte sie einer Liebe, die ihre Qual war, und die, da sie aber mächtiger war als aller Stolz, ja sogar trotz aller Trostlosigkeit hin und wieder von einem Hoffnungsschimmer träumte, um desto vernichtender wieder zu erwachen, aufreibend und der Verzweiflung anheimgebend, wirken mußte.

Zwei Mal hatte Corona seit Kurzem Erich wieder gegenüber gestanden, sie hatte ihm das Bekenntniß ihrer Liebe gethan, war er schuldig oder nicht, daß er sie nicht erwidern konnte, sie konnte es nicht ergründen, sie hatte aber die lange umhergetragene Qual endlich ausgeschüttet, und jetzt, da sie es gethan, da sie es erfolglos gethan hatte, wünschte sie ihn schuldig, um sich an ihm rächen zu können.

Eine dämonische Stimme in ihr forderte Genugthuung, und schon ließ die Leidenschaft sie in Erich nicht mehr den Geliebten, sondern den Gegenstand erblicken, auf dessen Haupt die Erfolge ihrer Leiden und ihrer Verzweiflung fallen müßten. Alles, was an ihn erinnerte, versetzte sie in die heftigste Aufregung, ja sie hatte sogar in Gegenwart ihrer Umgebungen nicht immer die Kraft, ihre Verwirrung zu beherrschen.

Dem Maler Bernhard war dies nicht entgangen, er wußte mit anscheinender Gleichgültigkeit weiter zu forschen, und baute hierauf mit kalter Berechnung seine weiteren Pläne, um Erich zu vernichten. Ueberall schloß er sich an sie an, er selbst hatte jetzt, als wäre sein Charakter auf seinem Höhepunkte angekommen, eine solche Festigkeit und Sicherheit erlangt, daß er nicht allein das ganze dienende Personal des Schlosses unumschränkt regierte, denn Alles fürchtete sich vor ihm, sondern sogar Corona fühlte sich durch sein kalt gebieterisches Wesen, seine durchdringenden Blicke, durch seine ganze Persönlichkeit vielfach beeinträchtigt. Sie konnte sich ihm nirgend entziehen, überall war er in ihrer Nähe, oft sprach er von Erich, und zwar so, daß sie Geheimnisse hinter seinen Worten vermuten mußte, ja sogar oft, wenn er ihr unverwandt in die Augen sah, durchrieselte sie ein Schauer, als müsse sie ihn fliehen und sei doch durch unbekannten Zauber an ihn gekettet.

Er selbst hatte zweierlei Absichten, die Hand in Hand mit einander gingen. Die eine war seine Rache an Erich, diese wollte er durch Corona selbst vollziehen, und habe er diese dann durch dies gemeinsame Werk an sich gefesselt, dann sollte der zweite Theil seines Planes hervortreten, nämlich seine Rache an Corona selbst.

Hätte er die Gräfin früher kennen gelernt, so würde ihre Schönheit seine ganze Leidenschaft entflammt haben, jetzt aber, wo sich sein Charakter kalt, schroff und fertig ausgebildet hatte, war er nicht mehr gewillt, die stolzen und verachtungsvollen Blicke, mit denen sie seiner Zudringlichkeit zu begegnen pflegte, zu vergeben, im Gegentheil, er wollte sie demütigen, und obgleich auch seine Versuche hierbei an ihrer Festigkeit und Selbstbeherrschung scheiterten, ließ er sich doch die Mühe nicht verdrießen.

Daß er ihre Liebe zu Erich durchschaute, war allerdings ein gefährlicher Punkt für Corona, und dieser war es auch grade, auf welchen Bernhard seinen Plan gründete.

Mit anscheinender Gleichgültigkeit erzählte er ihr eines Tages, Erich werde sich in Kurzem verloben, vielleicht sei es schon geschehen. –

Corona sah ihn erbleichend und schweigend an, dies schien ihm eine Aufforderung zu sein weiter zu sprechen. Mit einem ganz gewöhnlichen Bauermädchen wolle Erich sich verbinden, fuhr er fort, es sei ihm unbegreiflich, was er an der Dirne fände, jedoch – der Geschmack sei nun eben verschieden. Corona hatte diesmal Ueberwindung genug, etwas Gleichgültiges darauf zu entgegnen, weniger widerstehen konnte sie aber seinen vielfachen geheimnißvollen Andeutungen in Betreff jener Pergamentblätter, und als er einst ihre Neugier auf's Höchste rege gemacht hatte, rief sie überwältigt:

»Ich muß die Blätter sehen, schaffen Sie sie mir!«

»Ich?« fragte Bernhard; »nein, gnädige Gräfin, das ist nicht möglich, Sie wissen, daß der Graf dieselben wie einen verhängnißvollen Schatz bewacht, es ist nicht möglich sie zu erlangen.«

»Gut, ich werde sie dennoch lesen.«

»Es würde ein nicht geringer Grad von Selbstüberwindung von meiner Seite dazu gehören, gnädige Gräfin, wenn ich Ihnen die Pergamente verschaffte. Einmal begegnen Sie meiner Zuvorkommenheit mit stolzer Ausweichung, und dann fordern Sie wieder eine That von mir, wie sie nur eine gegenseitige Vertrautheit rechtfertigen kann. Sie werden mir daher verzeihen, wenn ich Ihrer Aufforderung nicht nachkomme.«

Corona sah ihn verächtlich an und verließ ihn. Am Abend desselben Tages trat er ungemeldet in ihr Zimmer und überreichte ihr lächelnd die Blätter, er war heimlich in des Grafen Zimmer gedrungen, hatte die Schatulle erbrochen und die Pergamente entwendet. Corona empfing dieselben mit bangem Schauer, sie sah sie flüchtig an, in diesen vergilbten, halb vermoderten Blättern konnte doch nichts auf Erich Bezügliches enthalten sein, aber sie waren doch durch seine Hände gegangen, und das war immerhin genügend für ein reges Interesse.

»Ich habe Ihnen einen Wunsch erfüllt, gnädige Gräfin,« sagte Bernhard, »und auf eine Weise erfüllt, die sich nur dadurch rechtfertigen läßt, daß Ihre leisesten Wünsche für mich Befehle sind. Wir sind nun durch ein Geheimniß verbündet, sein Sie daher auch ganz offen gegen mich, und machen wir gemeinschaftliche Sache gegen – Einen, an dem wir Beide uns gleichmäßig zu rächen haben.«

Er ergriff ihre Hand, sie aber entriß ihm dieselbe und rief mit Heftigkeit:

»Fort, Unverschämter! Die Blätter sind mein, ich würde sie ohne Mühe selber erlangt haben – hinaus! Auf dies Zimmer darf Niemand ungemeldet.«

Sie wies nach der Thür, Bernhard richtete sich hoch vor ihr auf, sah sie mit höhnischem Lächeln an, und verließ mit einer Verbeugung das Zimmer. Corona setzte sich erschöpft nieder, sie wähnte sich tief erniedrigt zu haben durch die Gemeinschaft dieses Menschen, ihr ganzer Stolz erwachte wieder. Aber sie hatte ja nun die geheimnißvollen Blätter in Händen, und beschloß dieselben sogleich zu lesen.

Sie klingelte ihren Dienerinnen, ließ sich entkleiden und gab vor, zu Bett gehen zu wollen. Als die Dienerinnen sich entfernt hatten, zog sie ein leichtes weißes Morgengewand an, warf sich in ein grün umlaubtes Ecksofa und begann zu lesen. Der Anfang jener Schriften war durchaus unkenntlich und unleserlich geworden, ebenso mehrere andre Theile derselben, wir theilen daher nur Dasjenige mit, was vollständig und kenntlich davon geblieben war:

*

»Da nun die Zeit gekommen war, da ich die Universität Bologna verlassen sollte, um nach Deutschland zurückzukehren, ward ich sehr betrübt, denn ich wußte mir keinen Rat, wie ich meine Schulden bezahlen sollte. Mein Herr Vater hatte mir geschrieben, er schicke mir nun die letzten zweihundert Dukaten, er wolle mich enterben und verstoßen, so ich mein Lasterleben und Wüstheit nicht lassen wolle, ich möge nun zurückkommen und in Kaisers Dienst treten.

Da ich nun mit meinen Zechgesellen im Wirtshause saß, fragten sie mich, warum ich nicht wie sonst, tränke und jubelte, denn ich war der Wildeste und Wüsteste von Allen. Da lachten sie mich aus über meine Traurigkeit, und redeten mir zu, also daß ich trank wie sie, und rief, daß alle Sorgen zum Teufel gehn sollten.

Siehe, da öffnete sich die Thür und herein trat unser Kumpan Fernalini, der war von seiner Reise nach Neapel zurückgekehrt, allwo er seine Geschäfte zum Besten abgemacht hatte. Da war die Freude groß, und Fernalini ließ die allerbesten Weine aufsetzen, also daß die Köpfe sich erhitzten, und ich sagte ihm, wie ich in Nöten sei des Geldes halber, und er versprach mir so viel zu geben, als ich brauchte.

Da begab es sich, daß zwei meiner Genossen Händel kriegten und griffen sich mit bloßen Degen an, und da ich mich darunter mischte, bekam ich eine Wunde in die Hand, daß das Blut nicht zu stillen war. Da lachte Fernalini und sagte, ich sollte ihm zum Scherz einen Wechsel schreiben mit meinem Blute, dann habe er etwas Schriftliches von mir, und da es mit meinem eignen Herzblute geschrieben sei, müsse es unsre Freundschaft für immer festmachen. Da lachte ich auch und that wie er sagte, und er umarmte mich und verband meine Wunde, denn er war ein gar geschickter Arzt.

Da nun das Gelage immer wüster wurde, hielten die Zungen nicht mehr zurück und die Gesellen brüsteten sich, wie viel Dirnen sie hätten und wie viel sie mit ihnen verpraßt hätten und rühmten sich, daß niemals aus ihnen was werden könne und aus mir am allerwenigsten, und nannten mich den Zech- und Lotterkönig. Da sagte Einer, es sei in der Nähe der Stadt eine Hexe, die könne wahrsagen, und wir sollten Alle hingehn und sie befragen. Fernalini wollte nicht, daß ich mitginge, aber ich war des süßen Weines voll und mochte nicht bleiben, und er ging auch mit.

Die Hexe aber wohnte in einer scheußlichen Höhle tief im Gebirg und hatte viel böses Gethier bei sich, und es drang blaues und grünes Feuer aus allen Winkeln und ein erschrecklicher Dampf. Da wir sie nun antraten, kam sie auf Fernalini zugeschlottert, sprang für Freuden in die Höh, und das Gethier, als da sind Wildkatzen, Eulen, Molche, Kröten und Schlangen, kamen mit Geschrei hervorgekrochen. Fernalini aber gebot der Hexe ruhig zu sein, und stieß das Gethier mit den Füßen von sich.

Da hub die Hexe an ihre Zaubereien zu machen, und kochte und siedete und ich mußte ihr meine Hand reichen, daß sie sie besehen könne, und da sie den Verband sah, nahm sie ihn ab und betrachtete die Hand. Da richtete sie ihre Blicke grinsend auf Fernalini und sagte dann zu mir:

Du bist ein Deutscher von Geburt, Namens Eberhard Horst von Weilburg Graf.

Wiederum sah sie mich an und sprach:

Du wirst kein Glück auf Erden haben! –

Zum dritten Mal sprach sie drauf und sprang zurück, und ihr Har flatterte scheußlich, und all das Gethier wimmerte kläglich:

Ein schrecklich Verbrechen steht auf Deiner Hand verzeichnet, Deine Sele ist nicht mehr Dein, Dein ganz Geschlecht ist verflucht! –

Da erhob sich ein gewaltiger Sturm und Geschrei, daß alle die Feuer ausgingen, und ich war sehr erschrocken und stürzte hinaus und alle Gesellen mit mir, also daß wir uns im Finstern verloren. Da faßte mich Jemand an und redete mir zu und sagte, ich solle auf das Geschwätz nicht achten, das war Fernalini.

Da nun eine Woche vergangen war –« (Hier waren mehrere Seiten des Pergaments ganz unleserlich.)

*

»Da ich nun vermält war, meinten meine Verwandten, ich würde mein wüstes Leben lassen, aber ich kümmerte mich nicht um meine Gemalin, obgleich sie schön und klug war, und fuhr fort mit neuen Lottergesellen, wie ich's seither gewohnt war, mit Saufen, Raufen und Verführen. Da nun die Zeit erfüllet war, gebar meine Gemalin Zwillinge, einen Sohn und eine Tochter, und starb in Gram und Leiden um mich. Ich gab die Kinder in's Kloster, daß sie da erzogen würden und schweifte im Land umher, an Kaisers Hof oder der Fürsten, und wo es sonst lustig herging, also daß ich verschrieen war überall wegen schlechten Lebens und vielfachen Mordes im Zweikampf. Aber ich lachte – – –«

*

»Siehe, da hielt ich einst ein großes Jagen, und auf meiner Burg waren der Ritter und Grafen viel versammelt, daß sie morgens bei Sonnenaufgang aufbrächen zur Bärenhatz. Da nun Alle Abends im Sal saßen bei den Humpen, überredeten sie mich, ich sollte meine Tochter, die schön war von Gestalt und Angesicht, aus dem Kloster holen lassen, daß sie des Hauses Wirtin sei. Da schickte ich zum Kloster, daß sie auf der Burg sei, wenn wir nach drei Tagen wieder heim wären.

Und wir hielten ein groß Jagen und machten viel Beute, also daß wir in dreien Tagen reich beladen heimkehrten. Da ging das Zechen erst brav an, aber meine Tochter, die ein zart Mägdlein war von sechzehn Jahren, klagte, daß ihr das wilde Leben auf der Burg nicht anstehe, und ich schalt sie und schickte sie in ihre Kammer.

Als wir nun im besten Rausch beisammen saßen, trat zu mir mein Beichtvater Medardus, der nahm mich bei Seite und sprach:

Euer Haus ist geschändet, denn Eure Tochter und Erbin ist mit einem Buhlen im Burggarten. Ihr Buhle aber sei ein junger Ritter, Namens Kurt, der habe sie schon im Kloster besucht.

Da ergriff mich grimmige Wut, ich gürtete mein Schwert, hieß einen Knappen eine Fackel nehmen und schlich mit Medardus in den Burggarten. Da stand meine Tochter und der Ritter Kurt hielt sie umschlungen und küßte sie. Ich aber sprang zu und stieß dem Ritter das Schwert in die Brust, daß er todt niederfiel, meine Tochter aber schrie und weinte. Ich aber war wie irre vor Grimm und Zorn und band ihr die Hände und richtete sie mit dem Schwerte. Da ich aber ihr Blut sah, fiel ich um, und, die Diener trugen mich auf die Burg zurück.« – – –

*

»Da ich genesen war von meiner Krankheit, that ich einen Schwur mich zu bessern und verfluchte mein Gräuelleben, daß ich meine Sele rette, siehe, da erschien mir Fernalini im Traum und hielt mir grinsend den mit meinem Blut geschriebnen Wechsel hin, und lachte mich aus und verschwand in einer roten Flamme, daß ich meinte, ich sähe den leibhaftigen †††. Da schickte ich Boten aus mit großen Geldsummen in alle Lande, daß sie den Fernalini suchten und ihm den Wechsel bezahlten, aber sie fanden ihn nicht und kamen Alle wieder.

Da ging ich in mich und raufte mein Har über mein Elend, und bejammerte mein Leben und meine Thaten, und lebte als ein Klausner auf meiner Burg. Drauf ließ ich die Kapelle bauen, daß ich Gott versöhne, und ließ einen Maler kommen von Nürnberg, der malte meine letzte Frevelthat so schrecklich, als er konnte, aber das Bild war doch nichts gegen mein Verbrechen.

Und ich fand keine Ruh, ob auch Jahre dahingingen, mein Elend bleibt sich gleich. Ich bin ein Greis von siebenzig Jahren und stehe allein auf der Welt, denn mein Sohn schweift im Lande umher und vermehrt meine Leiden, weil er wüst und schlimm lebt, wie ich es einst gethan. Ich kann mir keine Ruh erwerben, denn ich weiß, daß ich und mein Haus verflucht ist, bis in's letzte Glied und muß elendiglich dahingehn! Solches schrieb ich Eberhard Horst von Weilburg, Graf, anno 1550.« – –

*

»Schrecklich! Schrecklich!« rief Corona, als sie ausgelesen hatte, und schleuderte entsetzt die Blätter von sich. Sie warf sich erschüttert in die Ecke und starrte mit gefaltenen Händen eine Weile vor sich hin. Sie hatte in diesen Pergamenten irgend eine Beziehung zu dem Geliebten gesucht, und nun standen wilde Gräuelbilder aus der Geschichte ihres Hauses vor ihrer Sele.

»Das also,« rief sie aus, »waren meine Ahnen, Wüstlinge und Verbrecher, die den Fluch, der auf ihnen selbst lastete, auch noch auf ihr ganzes Geschlecht schleuderten! Ja, die Folgen ihrer wilden Thaten haben sich in einer Reihe von Menschenaltern in unserm Hause bewährt, denn von jeher ist alles Unheil bei uns daheim!« –

Sie stützte eine Weile gedankenvoll den Kopf auf den schönen marmorgleichen Arm, dann sprang sie auf, fest entschlossen, jenes Gemälde aus der Kapelle zu sehen. War sie doch vertraut geworden mit seiner ganzen unseligen Entstehungsgeschichte, was konnte ihr nun dieses selbst noch Schauder einflößen? Rasch klingelte sie ihrer Dienerin und ließ den Maler kommen.

Einen Augenblick schwankte sie. Sollte sie diesem Menschen, den sie gleichmäßig haßte und verachtete, nun doch wieder etwas verdanken? Aber er war ja der Einzige, durch den sie ihre Absicht ausführen konnte, und – konnte sie ihn denn nicht wie einen gewöhnlichen Bedienten betrachten, der ihren Befehlen unbedingt zu gehorchen habe? –

Der Maler kam.

»Schließen Sie mir den Ahnensal auf,« rief sie ihm entgegen, »ich will das Gemälde aus der Kapelle sehen.«

»Das geht nicht, gnädige Gräfin,« entgegnete Bernhard, »der Graf hat jeden Zutritt untersagt.«

»Sie werden ohne Umstände aufschließen!«

»Sie verzeihen, ich werde es nicht thun.«

»Ich bin Gebieterin in diesem Hause,« rief sie in heftigem Zorn, »und befehle, daß mir geöffnet werde! Soll ich mir von fremden Eindringlingen vorschreiben lassen, wo ich befehlen kann? Sie werden gehorchen, oder noch in dieser Stunde das Schloß verlassen!«

Bernhard schwieg verletzt einen Augenblick still und kniff die Lippen zusammen, dann entgegnete er kalt:

»Sie haben allerdings zu befehlen und ich werde gehorchen, Sie aber werden dann auch die Folgen meiner Ueberschreitung eines früheren Befehls auf sich nehmen. Doch muß ich bitten, daß Sie sich eine halbe Stunde gedulden, damit ich einige Gerüste wegschaffe, die grade vor diesem Gemälde behufs der Erneuerung desselben aufgestellt sind.«

»Rasch denn an's Werk,« rief sie, heftig im Zimmer auf- und abschreitend. Der Maler aber ging nicht in den Ahnensal, denn ein derartiges Geschäft, wie er es vorgegeben hatte, war nicht nötig, da das Bild am Boden stand und an die Wand gelehnt war, sondern er ging, oder flog vielmehr hinaus, durch das Dorf, nach der alten Weilburg, und kam noch vor Ablauf einer halben Stunde in Gesellschaft eines Mannes zurück, der sich fest in einen Mantel gehüllt hatte.

Darauf erschien er wieder, leise auftretend, in Corona's Zimmer und sagte mit angenommener Unruhe, er fürchte, es sei ihm Jemand nachgeschlichen, denn er habe in dem dunklen Sale Tritte gehört, und es sei nicht unmöglich, daß sich unter den vielen dort aufgestellten Gerätschaften Jemand verborgen habe.

Corona achtete nicht darauf, eingedenk daß sich die Dienerschaft von gewissen Zimmern des Schlosses oftmals Gespenstergeschichten erzählt habe, sie ergriff daher einen Armleuchter und folgte dem Maler. Sie mußten, um kein Aufsehn im Schlosse zu erregen, durch eine lange Reihe von Corridors und unbewohnten Zimmern und Sälen gehn, denn der Ahnensal war auf dem anderen Flügel des Schlosses, die alten Thüren knarrten, hie und da wurde eine Maus durch den ungewohnten Lichtschein aufgestört, endlich waren sie an Ort und Stelle.

Sie schritten nach der entgegengesetzten Ecke, wo das Bild stand, die Kerzen des Armleuchters erhellten nur wenige Schritte um sie her den finstern hochgewölbten Raum, noch aber hatten sie die Ecke nicht erreicht, als eine Gestalt aus derselben hervortrat, den Mantel zurückschlug, und mit tiefer Stimme sagte:

»Da bin ich, Corona!«

Es war Arthur Mac Kenneth.

Corona stieß einen Schrei des Schreckens und der Bestürzung aus, sie taumelte mehre Schritte zurück, ihre Knie zitterten, und halb ohnmächtig sank sie zu Boden. Arthur sprang schnell hinzu, und indem er an ihr niederkniete, fiel ein Dolch aus seiner Brusttasche, nach welchem Bernhard sogleich hastig griff und ihn unbemerkt zu sich steckte. Corona erholte sich in wenigen Minuten und als sie sich in Arthurs Armen sah, nahm sie alle Kraft zusammen, machte sich von ihm los und sprang auf.

» Du bist hier?« rief sie, »willst Du mir auflauern an allen Orten der Welt? Wer hat Dich hierher gerufen?«

»Du selbst, Corona,« sagte Arthur.

Aber Corona überhörte es, denn Bernhard flüsterte halblaut als Antwort auf ihre Frage: »Orion!«

Corona schauderte zusammen vor Schreck und fürchterlicher Ahnung. Dieser Name war ihr und Erichs alleiniges Eigenthum, so glaubte sie; jetzt aber, da sie ihn von einem Dritten aussprechen hörte, da sie ihr Geheimniß verraten sah, zuckte ein wilder Schmerz, durch ihre Brust, und die Gewißheit, daß Erich ihren einstigen Verlobten hergerufen habe, da er ihr schon früher zur Versöhnung mit ihm geraten hatte, stand lebhaft vor ihr. Mit krampfhaft geballten Händen, rollenden Augen und zornglühenden Wangen, stand das leidenschaftliche Mädchen da, ihr langes, beim Fallen kurz vorher losgegangenes Har floß dunkel herab über das weiße fliegende Gewand, es war, als habe die Natur die höchste Pracht ihrer Schönheit aufgespart für diesen Augenblick wildester Aufregung.

»Orion! Orion! O Gott – Gott!« rief sie, »auch das noch! Er will, daß ich ihn hassen, daß ich ihm fluchen soll! Das ist Verrat, er will mich demütigen, oh, das ist ein Bubenstück! Niemals, niemals kann ich das vergeben!«

»Corona, beruhigen Sie sich,« sagte Arthur, indem er ihre Hand fassen wollte.

Sie aber entwand sie ihm und rief dem Maler zu:

»Fort, zu Orion, er soll kommen, ich will, ich muß ihn meinen Zorn und meine Rache fühlen lassen!«

Bernhard flog hinaus, Corona drückte die geballten Hände vor die Stirn, ihre Brust hob sich fieberhaft, ein Blick aber auf jenes Gemälde gab ihren Gedanken plötzlich eine andre Richtung. Sie griff nach dem Armleuchter und trat schnell vor das Bild – sie glaubte in den Spiegel zu sehen, sie sah ihre eigne Gestalt auf dem Bilde in einer fürchterlichen Situation, Entsetzen ergriff sie, sie ließ den Leuchter fallen und stand regungslos und erstarrt, mit unverwandten, todesstieren Blicken vor dem Gemälde.

Arthur hob die Kerzen auf, er sprach zu Corona, er faßte sie am Arme und suchte sie fortzuziehen, sie aber blieb bewegungslos, mit bleichen Zügen, stehen und starrte die schrecklichen Gestalten an, deren Urbilder einst ihre Ahnen gewesen waren. –

Der Maler hatte nicht weit zu gehen, um Erich zu holen, er erblickte ihn, als derselbe eben aus dem Portale des linken Schloßflügels trat, woselbst sich die Wohnung des Schloßverwalters und drüber der Ahnensal befand. Erich schritt nach dem rechten Flügel hinüber, denn er bemerkte ein buntes Durcheinanderrennen der Dienerschaft, deren einige gruppenweise auf dem Kiesplatze zwischen beiden Schloßflügeln umherstanden und, wie es schien, über eine wichtige Begebenheit sprachen, während andre mit Lichtern umherliefen und nach der Gräfin fragten.

Bernhard übersah dies Alles, indem er Erichs ansichtig ward, er ergriff ihn am Arme und zog ihn mit sich fort, und dieser, in der Meinung, er solle über die Bewegung um ihn her aufgeklärt werden, folgte schweigend dem Maler, einige von den Dienern aber hatten die Beiden bemerkt, und die Blicke der Uebrigen schienen sich nun sämmtlich nach ihnen hin zu wenden.

Erich trat mit Bernhard in den Sal. Als ihre Tritte durch den weiten Raum dröhnten, wurde Corona aus ihrer Erstarrung herausgerissen, und mit wilden, zornglühenden Blicken stürzte sie auf Erich zu.

»Bist Du da, Verräter?« rief sie ihm entgegen; »wehe Dir, wenn all mein Gefühl für Dich sich in sein Gegentheil umkehrt! Du hast mir diesen Streich gespielt, um mich zu demütigen, um mich zu vernichten? Du hast Arthur aus der Ferne hergelockt – was habe ich Dir gethan, daß Du diese Bosheit an mir ausüben mußtest?«

Arthur Mac Kenneth sprach dazwischen, daß das Alles nur ein Mißverständniß sei, welches ihre Leidenschaftlichkeit nicht erkennen wolle, sie aber fuhr, ohne auf ihn zu hören, fort auf Erich zu schmähen, ihn zu verwünschen, ihre ganze Leidenschaft schien sich entfesselt Bahn zu brechen, und alle lange bekämpften Schmerzen nun auf einmal dämonisch dahinströmen lassen zu wollen.

Erich, von Anfang nicht wissend, was das zu bedeuten habe, warf einen Blick auf Bernhard, und Alles wurde ihm klar.

»Nicht ich habe dies gethan,« rief er dem Maler zu, »sondern Du, Bube! O, Du wirst noch mehr thun, Du bist reif für jedes Verbrechen! Lächle nur höhnisch, ich sehe doch tausend giftige Gedanken Dein Hirn durchwühlen – und dort – dort sehe ich auch schon den blitzenden Dolch in Deiner Hand!«

Wirklich hatte Bernhard den Dolch gezogen und machte eine heftige Bewegung mit der Hand, Arthur aber fiel ihm in den Arm, und Erich sprang zurück.

Während die Gedanken und Sinne Aller sich hier bei dieser Scene konzentrirten, hatte man nicht bemerkt, daß der alte Kammerdiener des Grafen hereingetreten war und mit bestürzten Mienen unter ihnen stand.

»Sie sind hier versammelt,« sagte er, »und wissen nicht, was diesem Hause vor wenigen Minuten geschehn ist?«

»Was ist geschehn?« fragte Arthur.

»Der Herr Graf ist gestorben! Vor einer Stunde kam der Pfarrer von Bergenthal zu ihm, der ihm wichtige Mittheilungen zu machen schien, der Herr Graf ließ sich seine Schatulle reichen, um einige Dokumente herauszunehmen, die Papiere fehlten, wahrscheinlich sind sie gestohlen, und der Herr Graf fiel vor Schreck entselt nieder, der Schlag hat ihn gerührt!« –

Corona stürzte mit einem Schrei zu Boden, Bernhard stand mit trotzig untergeschlagenen Armen da, die Mienen bleich und krampfhaft verzerrt. Eine minutenlange Stille folgte, während welcher Arthur und der Kammerdiener sich um Corona beschäftigten, und als ein Blick Erichs auf das Gemälde an der Wand fiel, bemerkte er eine fürchterliche Aehnlichkeit Bernhards mit jener Gestalt, die das Schwert auf den Nacken der Tochter fallen lassen will.

Entsetzt wandte er sich ab und eilte, verfolgt von einem dämonischen Blicke des Malers, aus dem Sale, die Treppen hinab, aus dem Hause des Schreckens in's Freie.

*


 << zurück weiter >>